JudikaturBVwG

G308 2302305-6 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
31. März 2025

Spruch

G308 2302305-6/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Tunesien, vertreten durch die BBU GmbH, zu BFA-Zl. XXXX , zu Recht:

A)Es wird gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), RD XXXX (BFA- XXXX ), vom XXXX 2024 wurde über XXXX , (im folgenden auch betroffener Fremder oder kurz BF), geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Tunesien, gemäß BF gemäß Art 28 Abs 1 und 2 Dublin Verordnung iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

2. Mit Erkenntnissen, GZ XXXX , vom XXXX 2024, XXXX 2024, XXXX 2025, XXXX 2025 und XXXX 2025 wurde die Fortsetzung der Schubhaft für rechtmäßig erklärt.

3. Mit Schreiben vom XXXX 2025 wurde der Verwaltungsakt dem BVwG zur neuerlichen amtswegigen Überprüfung gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG vorgelegt.

4. Mit Schreiben vom XXXX 2025 wurde der BF zur Stellungnahme aufgefordert, die innerhalb der festgesetzten Frist durch seine rechtliche Vertretung erfolgte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

Die Identität des BF steht nicht fest. Soweit im Erkenntnis und Verfahren Namen und Geburtsdaten genannt werden, dient dies nur zur Individualisierung und stellt eine Verfahrensidentität dar. Der BF ist ledig und kinderlos.

Der BF ist volljährig und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist höchstwahrscheinlich Staatsangehöriger Tunesiens. Der BF ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

Der BF stellte am XXXX 2021 und am XXXX 2024 in Österreich Asylanträge, die ab - bzw. zurückgewiesen wurden, dazwischen hielt sich der BF in der Schweiz auf und wurde aufgrund der Dublin III VO am XXXX 2024 nach Österreich gebracht.

Am XXXX 2024 wurde ein HRZ Verfahren mit Tunesien gestartet. Ein Verfahren zur Erteilung eines Reisedokuments zum Zweck der Rückführung (Heimreisezertifikat) mit der Vertretungsbehörde Tunesiens wurde bereits eingeleitet und ist im Laufen. Nach mehreren Urgenzen des BFA wurde der Botschaft Tunesiens am XXXX 2025 erneut eine „High-Priority-Liste“ mit dringlichen Fällen übermittelt, darunter auch der Fall des BF. Am XXXX 2025 fand ein Treffen des zuständigen Sektionschefs des Bundesministeriums für Inneres (BMI) mit der tunesischen Botschafterin statt, in dessen Rahmen diese eine erneute Bearbeitung dieser „Dringlichkeitsliste“ zugesichert habe.

Der Umstand, dass der Behördenvertreter keine konkreten Angaben zum Umfang dieser Dringlichkeitsliste (d.h. Anzahl der darauf befindlichen Personen) bzw. zur Position des BF auf dieser Liste machen konnte, ändert nichts daran, dass das Bestehen dieser Liste bzw. die Aushändigung dieser Liste im Zuge des Treffens mit der Botschafterin am XXXX 2025 unstrittig sind.

Die belangte Behörde hat im Ergebnis insgesamt glaubhaft dargelegt, dass aus derzeitiger Sicht die Ausstellung eines HRZ weiterhin wahrscheinlich, jedenfalls aber nicht völlig ausgeschlossen ist, sowie dass nach Vorliegen eines HRZ auch von einer zeitnahen Rückführung in den Herkunftsstaat Tunesien ausgegangen werden kann, zumal es zahlreiche und auch regelmäßige Flugverbindungen zwischen Österreich und Tunesien gibt und – nach Auskunft des BFA – im laufenden Jahr 2025 auch bereits fünf HRZ von der Botschaft Tunesiens ausgestellt worden seien, 2024 insgesamt sechs.

Im vorliegenden Fall hat sich somit nicht ergeben, dass – jedenfalls in diesem Stadium – einerseits die Ausstellung eines Heimreisezertifikates völlig unwahrscheinlich und andererseits auch die Durchführung einer Rückführung in den Herkunftsstaat tatsächlich unmöglich wäre (vgl. VwGH 01.04.2020, Ra 2020/21/0116).

Der BF befindet sich seit XXXX 2024 durchgehend in Schubhaft, die derzeit im AHZ XXXX vollzogen wird.

Der BF ist haft- und prozessfähig. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu medizinischer Versorgung. Der BF leidet an keiner lebensgefährlichen Erkrankung.

1.2. Zur Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit:

Der BF hielt sich in Österreich nach seiner unerlaubten Entfernung während laufendem Asylverfahren illegal auf bzw. reiste in die Schweiz. Er verließ das ihm zugewiesene Quartier während aufrechtem Asylverfahren und reiste in die Schweiz, wo er am XXXX 2024 rücküberstellt wurde. Sein Asylantrag vom XXXX 2021 wurde mit Bescheid vom XXXX 2021 rechtskräftig abgewiesen, der Antrag vom XXXX 2024 am XXXX 204 rechtskräftig zurückgewiesen.

Die BF ist nicht unbescholten, er wurde vom BG XXXX zu einer Geldstrafe von € 480,00 wegen §§ 12, 127 StGB verurteilt.

Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass beim BF im Gegensatz zu bisher tatsächlich eine ernsthafte Bereitschaft bestehen würde, freiwillig nach Tunesien zurückzukehren oder an der Beschaffung eines Reisedokuments mitzuwirken, um so seiner Rückkehrverpflichtung nachzukommen nicht ergeben.

So wurde in der Verhandlung am XXXX 2025 zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass der BF im XXXX 2024 einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt habe, allerdings hat der BF – nach Ablauf der entsprechenden Frist – Anfang XXXX 2024 diese Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr zurückgezogen. Auf konkretes Befragen in der Verhandlung am XXXX 2025, ob der BF nun neuerlich bereit sei, einen weiteren Antrag auf freiwillige Rückkehr zu stellen und allenfalls auch persönlich einen Antrag auf Ausstellung eines Reisedokuments durch die tunesische Botschaft zu stellen, gab der BF keine konkrete Antwort, sondern gab nur an, dass er das bereits einmal getan habe, und es wohl wieder „dasselbe“ sein werde.

Tatsächlich ist festzuhalten, dass es dem BF auch im Stande der Schubhaft jederzeit offen stünde, sich für eine freiwillige Ausreise, allenfalls mit der erforderlichen organisatorischen und finanziellen Unterstützung, an die zuständige Rückkehrberatungsorganisation (BBU) zu wenden. Auch die belangte Behörde wäre in diesem Fall in der Lage, die persönliche Beantragung eines Reisedokuments durch den BF organisatorisch zu unterstützen.

Der BF verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz in Österreich. Er ist mittellos und nicht selbsterhaltungsfähig. Er arbeitete nie legal in Österreich. Der BF spricht kein Deutsch.

Der BF verfügt über keine Familienangehörigen in Österreich und hat auch sonst keine sozialen Anknüpfungspunkte. Mitglieder seiner Kernfamilie leben in Tunesien.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom BFA und vom erkennenden Gericht durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen nicht entgegengetreten wurde.

Die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestritten gebliebenen Akteinhalt, den diesbezüglich unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, einer Einsichtnahme in das Straf-, Fremden- und Melderegister der Republik Österreich.

2.2. Zur Person der BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen primär auf dem Nichtvorhandensein unbedenklicher Identitätsdokumente. Anhaltspunkte dafür, dass die BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit der BF.

Dass der BF seit XXXX 2024 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich nachvollziehbar aus dem vorgelegten Verwaltungsakt des BFA und aus der Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

Die Feststellungen zur Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus den Eintragungen in der Anhaltedatei, außerdem kann der BF in Schubhaft bei Bedarf medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.

Der BF hat selbst angegeben in Österreich keine Wohnung zu haben.

2.3. Zur Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit:

Die Feststellungen zur illegalen Einreise in das Bundesgebiet ergeben sich nachvollziehbar aus der Zusammenschau des Inhalts der Verwaltungsakten, den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlungen und der Einschau in den Auszug des Zentralen Melderegisters (ZMR).

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Gerichtsurteil.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.Rechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung der nach der geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichterin.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautet:

„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das BVwG ist nach § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF I BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Zum gelinderen Mittel: §77 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF I BGBl. I Nr. 70/2015:

§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung, 1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, 2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder 3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Zur Dauer der Schubhaft: § 80 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF I Nr. 56/2018:

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich 1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird; 2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil 1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist, 2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt, 3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder 4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur „ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“ (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen, dass unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Fremden und der bisherigen Dauer der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (im Zusammenhang mit behaupteter Haftunfähigkeit wegen psychischer Beschwerden vgl. VwGH 05.07.2012, Zl. 2012/21/0034; VwGH 19.04.2012, Zl. 2011/21/0123; VwGH 29.02.2012, Zl. 2011/21/0066). Der Krankheit eines gemeinsam geflüchteten Familienmitglieds kann insofern Bedeutung zukommen, als eine sich aus der Erkrankung ergebende Betreuungsbedürftigkeit auch die Mobilität der übrigen Familienmitglieder einschränken und damit die Gefahr eines Untertauchens in die Illegalität vermindern könnte (vgl. VwGH vom 28.02.2008; Zl. 2007/21/0391).

Zum konkreten Fall:

Im gegenständlichen Fall geht das Gericht von erheblicher Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs 2 Z 2 FPG aus.

Aus den vorliegenden Akten und den Ermittlungsergebnissen ergibt sich, dass der BF sich bereits seinen Asylverfahren entzogen hat, indem er unrechtmäßig in die Schweiz gereist ist. Der Behauptung, er würde sich nunmehr den Behörden verlässlich zur Verfügung halten ist daher kein Glauben zu schenken.

Die in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von sechs Monaten wurde zum Entscheidungszeitpunkt bereits überschritten.

Unter Zugrundelegung der oben dargelegten Umstände ist allerdings ein Sachverhalt im Sinne des § 80 Abs. 4 FPG erfüllt: Eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates – hier: Tunesien – liegt zum aktuellen Zeitpunkt nicht vor (§ 80 Abs. 4 Z 2 FPG). Weiters hat sich der BF bereits einmal dem Verfahren durch Untertauchen und die illegale Weiterreise in die Schweiz entzogen sowie durch sein bereits näher dargestelltes Fehlverhalten ein bisheriges Abschiebehindernis auf sonstige Weise zu vertreten, indem er bis jetzt von sich aus an der Ermöglichung einer freiwilligen Rückkehr nicht mitwirkte, und zwar mit dem Ziel, die Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verhindern oder zu erschweren (§ 80 Abs. 4 Z 4 FPG).

Die gegenständliche Schubhaft kann somit aus derzeitiger Sicht auch über sechs Monate hinaus fortgesetzt werden.

Zur Verhältnismäßigkeit:

Weitere persönliche Interessen, abgesehen vom grundlegenden auf die persönliche Freiheit des BF hat das Verfahren jedoch nicht ergeben. Es liegt keine soziale Verankerung, wie zB eine Berufsausübung oder soziale Bindungen, vor. Hinsichtlich der öffentlichen Interessen wird darauf verwiesen, dass es im Interesse der Republik Österreich, aber auch im Interesse der Europäischen Gemeinschaft ist, dass der BF nicht im Gebiet der EU herumreist und in verschiedenen Ländern Asylanträge stellt.

Der BF erweist sich als haft- und prozessfähig. Jedenfalls kam nicht hervor, dass durch den Gesundheitszustand des BF eine Schubhaft unverhältnismäßig würde.

Die laufende Anhaltung ist daher insgesamt als verhältnismäßig zu beurteilen.

Es ist auf Grund obiger Ausführungen sehr wahrscheinlich, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung des BF, eine Rückführung durch Untertauchen vereitelt oder wesentlich erschwert würde, da sich der BF bislang als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat. Ein gelinderes Mittel war unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von Fluchtgefahr, zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht geeignet.

Ein gelinderes Mittel gemäß § 77 FPG (periodische Meldeverpflichtung bei der Polizei, angeordnete Unterkunftnahme, Hinterlegung einer finanziellen Sicherung), ist – wie auch die belangte Behörde zutreffend dargelegt hat – unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von Fluchtgefahr, zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht geeignet.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels würde nach Ansicht des Gerichts nicht zu einer ausreichenden Sicherung des Verfahrens des BFs führen. Die Kriterien, die bereits oben zum Sicherungsbedarf erörtert wurden, zeigen, dass eine jederzeitige Erreichbarkeit des BFs nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre.

Unter Berücksichtigung der Verhältnisse des vorliegenden Einzelfalles haben sich keine maßgeblichen Umstände ergeben, die zum Ergebnis geführt hätten, dass die Fortsetzung der Schubhaft nunmehr unverhältnismäßig geworden wäre.

Die Anhaltung in Schubhaft erweist sich somit zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung weiterhin zum Zweck der Sicherung der Abschiebung wegen Fluchtgefahr als notwendig und auch als verhältnismäßig, weshalb gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wie im Spruch angeführt zu entscheiden war (Spruchpunkt A.). Die Schubhaft kann daher fortgesetzt werden.

3.4. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des bisherigen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat. Eine mündliche Verhandlung fand im Vorverfahren zuletzt am XXXX 2025 statt, seitdem haben sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.

B.) Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.