Vorwort
Artikel I.
Art. 1
Gemäß Artikel 191 des Staatsvertrages von Saint-Germain verpflichtet sich Österreich der königlich rumänischen Regierung alle Akten, Urkunden, Altertümer und Kunstgegenstände sowie alles wissenschaftliche und bibliographische Material, das aus besetzten Gebieten weggebracht wurde, zurückzustellen, unbekümmert ob es dem Staat, den Provinz- oder Gemeindeverwaltungen, Spitälern, der Kirche oder anderen öffentlichen oder privaten Institutionen gehört.
Artikel II.
Art. 2
Gemäß Artikel 192 des Staatsvertrages von Saint-Germain stellt Österreich desgleichen alle Gegenstände der in vorigem Artikel bezeichneten Art zurück, die nach dem 1. Juni 1914 aus den abgetretenen Gebieten weggebracht worden sind, ausgenommen jedoch die von privaten Eigentümern gekauften Gegenstände.
Artikel III.
Art. 3
Gemäß Artikel 93 des Staatsvertrages von Saint-Germain übergibt Österreich der königlich rumänischen Regierung die Archive, Register, Pläne, Titel und Urkunden jeder Art, die den Zivil-, Militär-, Finanz-, Gerichts- oder sonstigen Verwaltungen der abgetretenen Gebiete gehören. Falls einzelne dieser Urkunden, Archive, Register, Titel oder Pläne weggeschafft worden wären, werden sie von Österreich auf Ersuchen der königlich rumänischen Regierung zurückgestellt.
Artikel IV.
Art. 4
Gemäß Artikel 193 des Staatsvertrages von Saint Germain stellt Österreich der königlich rumänischen Regierung alle im Besitz eines seiner öffentlichen Institute befindlichen Akten, Urkunden und historischen Aufzeichnungen zurück, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschichte der abgetretenen Gebiete stehen und während der letzten zehn Jahre von dort entfernt wurden. Rumänien verpflichtet sich seinerseits, alle in den ihm von Österreich abgetretenen Gebieten im öffentlichen Besitz befindlichen Akten, Urkunden und Schriftstücke, die nicht weiter als 20 Jahre zurückreichen und in unmittelbarem Zusammenhange mit der Geschichte und der Verwaltung des neuen österreichischen Gebietes stehen, zurückzustellen.
Artikel V.
Art. 5
In Durchführung der in Artikel I bis IV dieses Übereinkommens formulierten Bestimmungen erklärt sich die österreichische Regierung bereit, der königlich rumänischen Regierung zur Fortführung der Staatsverwaltung sämtliche in ihrer Verwahrung befindlichen Archivalien ohne Rücksicht auf das Provenienzprinzip abzugeben, die die Bukowina vom Zeitpunkt der definitiven Einführung der selbständigen Verwaltung dieses Landes bis 1918 betreffen, soweit dies mit Artikel 93, Absatz 2, des Staatsvertrages von Saint-Germain vereinbar ist.
Die Entscheidung über das Schicksal der Siebenbürger und Banater Archivalien wird im Einvernehmen beider Regierungen bis zur Erledigung eventueller Ansprüche auf das Eigentumsrecht an den ehemals k. und k. österreichisch-ungarischen (gemeinsamen) Archiven vertagt.
Falls Österreich Alleineigentümer bleibt oder binnen sechs Jahren Ungarn nicht Miteigentümer wird, werden diese Archivalien analog behandelt wie die aus den abgetretenen österreichischen Gebieten stammenden.
Artikel VI.
Art. 6
Für die Zeit der gemeinsamen Verwaltung der Bukowina mit Galizien erfolgt die Abgabe nach dem Provenienzprinzip.
Falls darüber hinaus an Polen irgend welche Archivalien abgegeben werden sollten, erfolgt Abgabe auch an Rumänien unter den gleichen Gesichtspunkten wie an Polen.
Material, das Galizien und die Bukowina gemeinsam betrifft, ist nicht auszufolgen, sondern zur gemeinsamen Benützung an dem bisherigen Verwahrungsorte zu belassen.
Artikel VII.
Art. 7
Unter dem Begriff „Archivalien“, beziehungsweise „Schriftenmaterial“ sind zu verstehen:
Archiv- und Registraturakten (Exhibite, Referate, Konzepte, Äußerungen, Gutachten, Verhandlungsprotokolle, Beilagen, Korrekturen, eventuell noch unerledigte, beziehungsweise nicht expedierte Stücke, ferner im Druck erschienene oder auf andere Weise vervielfältigte, auf den Verhandlungsgegenstand bezughabende Schriften, wie: Abhandlungen, Mitteilungen, Nachweise, Tabellen ec.); Register (öffentliche und Amtsbücher, wie Grundbücher, Handelsregister, Bergbücher, Eisenbahnbücher, Markenregister ec., ferner Indices, Einlaufsprotokolle, Enlenche, Kataloge, Rechnungen, Kassabehelfe, statistische Tabellen, Ausweise, Berichte, Kataster und Publikationen der Staatsbehörden, sowie der bis zum Umsturz unter Staatsaufsicht gestandenen kriegswirtschaftlichen Zentralen ec.); Pläne (Karten, Projekte, Skizzen, Studien, Programme, Beschreibungen, etwa vorhandene Kopien und Oleat-Matrizen ec.); Titel und Rechtsurkunden (Dokumente aller Art, wie Stiftsbriefe, internationale und sonstige öffentliche oder private Verträge, Konzessionsurkunden, Statuten, Übernahmsbedingungen ec.), insgesamt ohne Unterschied des Materials, aus welchem sie hergestellt und auf welchem sie festgelegt sind.
Artikel VIII.
Art. 8
Für Pläne und anderes Projektmaterial, soweit solche Behelfe von staatlichen Stellen ausgearbeitet wurden, die auf dem Gebiete der österreichischen Republik ihren Amtssitz haben und soweit solche Behelfe Arbeiten betreffen, die vor Ende Oktober 1918 noch nicht in Angriff genommen worden sind, ist der österreichischen Regierung der Gegenwartswert zu vergüten. Dieser Gegenwartswert wird durch gemeinsames Übereinkommen festgestellt.
Artikel IX.
Art. 9
Rücksichtlich des Schriftenmateriales der vorangeführten Stellen, das gemeinsamen Charakter aufweist, sonach gleicher Weise die österreichischen Verwaltungen oder die Verwaltungen eines dritten Staates betrifft, wird Rumänien das Mitbenützungsrecht gewährleistet. Demzufolge wird den von der königlich rumänischen Regierung beglaubigten Organen (Archivfachleuten und sonstigen Organen der Staatsverwaltung und Staatsbetriebe) der uneingeschränkte freie Zutritt zu allen Aufbewahrungsräumen der Archive, Registraturen und Bibliotheken zu jeder Zeit während der Amtsstunden und in Gegenwart eines österreichischen Beamten zugesichert und ihnen die ungestörte Benützung der Inventarien, Repertorien, Elenche und Kataloge behufs Durchsicht, Beschreibung, Anfertigung von Abschriften und Auszügen, Photographien u. dgl. garantiert.
Die österreichische Regierung erklärt sich ferner bereit, der königlich rumänischen Regierung hinsichtlich aller das Königreich Rumänien in seinem heutigen Umfange betreffenden Akten, soweit sie in Wien zurückverbleiben, besondere Begünstigungen beim Leihverkehr einzuräumen. Die Bezeichnung der leihweise anzufordernden Stücke erfolgt durch die beglaubigten Organe der königlich rumänischen Regierung, welche hinsichtlich der Entlehnungsbedingungen den österreichischen Behörden gleichgestellt werden.
Artikel X.
Art. 10
Die königlich rumänische Regierung erklärt sich ihrerseits bereit, über die ihr im Artikel 193 des Staatsvertrages von Saint-Germain auferlegte Verpflichtung hinaus der österreichischen Regierung gegenüber die Bestimmungen der Artikel V bis IX hinsichtlich allen, aus den abgetretenen österreichischen Gebieten stammenden Schriftenmateriales sinngemäß zur Anwendung zu bringen, das sich in ihrem Besitze befinden oder in ihren Besitz gelangen sollte.
Artikel XI.
Art. 11
Sowohl die Abgabe als auch die leihweise Überlassung des gesamten Schriftenmaterials erfolgt unentgeltlich und ohne jedwede wie immer geartete Zensurmaßnahme.
Die nähere Bezeichnung und Anforderung des nach Artikel VI bis X in Betracht kommenden Schriftenmateriales erfolgt durch beglaubigte Organe der königlich rumänischen Regierung (Archivfachleute und sonstige Organe der Staatsverwaltung und der staatlichen Betriebe) auf Grund der Durchsicht der bezüglichen Evidenzbehelfe. Zwecks Durchführung dieser Arbeiten wird diesen Organen der uneingeschränkte freie Zutritt nach Maßgabe des Vorangeführten eingeräumt.
Sollten sich in verschiedenen Archiven amtlich angefertigte Auszüge und Abschriften der zur Auslieferung gelangenden Originale vorfinden, so verbleiben diese Auszüge und Abschriften an ihrem Verwahrungsort.
Artikel XII.
Art. 12
Die Ergebnisse der Tätigkeit der in Artikel IX und XI erwähnten beglaubigten Organe, denen hinsichtlich der zur allgemeinen Benützung nicht freigegebenen Archivalien die Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses obliegt, haben bloß amtlichen Zwecken zu dienen. Eine publizistische Ausnützung dieser Ergebnisse kann nur mit Zustimmung beider Regierungen, beziehungsweise ohne diese Zustimmung erst nach Ablauf von zehn Jahren erfolgen.
Artikel XIII.
Art. 13
Die österreichische Regierung verpflichtet sich, für die Dauer von 20 Jahren die das Königreich Rumänien in seinem Umfang von 1916 betreffenden Archivalien ab 1866 an Benützer ohne ausdrückliche Zustimmung der königlich rumänischen Gesandtschaft in Wien, beziehungsweise der königlich rumänischen Regierung nicht vorzulegen. Gesuche um Benützung von Archivalien rein administrativen und nicht vertraulichen Charakters, die neben Korrespondenzen mit der königlich rumänischen Regierung auch anderes Material enthalten, werden dem rumänischen Archivdelegierten sofort mitgeteilt. Die Vorlage dieser Archivalien an Benützer erfolgt erst fünf Tage nach erfolgter Mitteilung, wenn inzwischen kein Widerspruch erfolgt ist. Hinsichtlich des die militärischen Operationen betreffenden Schriftenmateriales erstreckt sich die Geheimhaltung auf den heutigen Umfang des Königreiches Rumänien.
Die Gültigkeit des Artikels 90 des Staatsvertrages von Saint-Germain, sowie die Rechte der alliierten und assoziierten Regierungen (Artikel 93, Absatz 2, 151, 175, 186 des Staatsvertrages von Saint-Germain) werden durch diese Bestimmungen nicht beeinträchtigt.
Artikel XIV.
Art. 14
Die österreichische Regierung verpflichtet sich, das gesamte in Betracht kommende Schriftenmaterial bis zur Beendigung der in Artikel V bis IX vereinbarten Ausfolgungen ungeschmälert zu erhalten und ohne vorherige Verständigung der königlich rumänischen Regierung zu keiner Skartierung zu schreiten. Wenn jedoch nach Ablauf von drei Monaten vom Tage der Verständigung an gerechnet, kein Einspruch der königlich rumänischen Regierung erfolgt, so kann zur Skartierung geschritten werden. Die Tatsache der endgültigen Austragung aller rücksichtlich der Abgabe des vorerwähnten Materials schwebenden Fragen wird durch eine einvernehmliche Erklärung beider vertragschließenden Regierungen festgestellt werden.
Artikel XV.
Art. 15
Die Abgabe des angeforderten Schriftenmateriales wird in der Reihenfolge der unter Artikel XI erwähnten Anforderungen ebenso wie die schließliche Übergabe des Schriftenmateriales von der österreichischen Regierung bewirkt, welche sich verpflichtet, der Ausfuhr dieses Materials keine Hindernisse in den Weg zu legen.
Die österreichische Regierung sichert zu, die Übergabskonsignationen so verfassen zu lassen, daß sie den Zwecken der Kanzleievidenz der übernehmenden rumänischen Behörden dienlich gemacht werden können. Die Kosten allfälliger übermäßiger Mehrarbeit trägt Rumänien.
Artikel XVI.
Art. 16
Die Überprüfung und den Abtransport der übernommenen Materialien bewirkt die königlich rumänische Regierung.
Artikel XVII.
Art. 17
Die Abgabe des angesprochenen Schriftenmaterales (Anm.: richtig: Schriftenmateriales) ist nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens unverzüglich in die Wege zu leiten und seitens der österreichischen Regierung so zu fördern, daß diese Abgabe raschestens abgeschlossen wird.
Bei unter Angabe der Kanzleidaten (Registraturbezeichnung, Geschäftszahl u. dgl.) angeforderten Beständen sichert die österreichische Regierung die Ausfolgung binnen längstens drei Wochen nach erfolgter Anforderung zu. Sofern das angeforderte Schriftenmaterial sich nicht bei Zentralstellen, sondern bei nachgeordneten Stellen befindet, beträgt diese Frist längstens sechs Wochen.
Artikel XVIII.
Art. 18
1. Für das Schriftenmaterial der militärischen Stellen gelten dieselben Grundsätze, die für das Schriftenmaterial der übrigen staatlichen Stellen vereinbart sind.
2. Unter diesem Schriftenmaterial werden alle Behelfe militärischer Natur verstanden, die zur administrativen Verwaltung und militärischen Rechtspflege, sowie überhaupt zu militärischen Zwecken dienen, wie insbesondere operative Behelfe, militärische Studien wissenschaftlicher, technischer Natur etc.
3. Das Schriftenmaterial des Weltkrieges – vom 1. Juli 1914 an – ist von einer Abgabe vorläufig ausgeschlossen, jedoch wird die Einsicht, Abschriftnahme, photographische Reproduktion etc., sowie die leihweise Überlassung dieses Materiales gemäß den Bestimmungen des Artikels IX dieses Übereinkommens gewährleistet.
4. Als Schriftenmaterial des Weltkrieges gilt solches militärisches Schriftenmaterial nicht, das zwar in der Zeit vom 1. Juli 1914 bis zum 1. November 1918 entstanden ist, mit dem Weltkriege jedoch keinen unmittelbaren Zusammenhang hat.
5. Sämtliche ausschließlich Angehörige des Königreiches Rumänien in seinem gegenwärtigen Umfang betreffende militärische Strafakte aber werden, auch wenn sie als Feldgerichtsakten unter den Begriff „Schriftenmaterial des Weltkrieges“ fallen, nach Ablauf einer einjährigen Frist vom Tage des Inkrafttretens dieses Übereinkommens abgegeben.
Bereits vor dieser Frist werden Feldgerichtsakten abgegeben, insofern die Interalliierten Überwachungsausschüsse (Artikel 149 des Staatsvertrages von Saint-Germain) dazu ihre Zustimmung erteilen oder diese Akten Delikte betreffen, die nicht mit einem Todesurteil geahndet wurden.
Die königlich rumänische Regierung erklärt sich ihrerseits bereit, alle jene österreichisch-ungarischen Feldgerichtsakten, deren die österreichische Regierung zur Erfüllung der ihr durch Artikel 175 und 186 des Staatsvertrages von Saint-Germain auferlegten Pflichten bedürfen sollte, der österreichischen Regierung leihweise zur Verfügung zu stellen.
6. Von Behelfen gemeinsamen Charakters (Artikel IX) – auch des Weltkrieges – die in Druck festgelegt und von denen mehrere Exemplare verfügbar sind, wird mindestens eines abgegeben.
Artikel XIX.
Art. 19
Dieses Übereinkommen bezieht sich nicht auf das Militärgeographische Institut und den Grundsteuerkataster.
Für die Durchführung der §§ 10 und 13 des Annexes zu Artikel 249 und 250 und des Artikel 274, Absatz 2, des Staatsvertrages von Saint-Germain sind die auf der römischen Konferenz getroffenen Vereinbarungen maßgebend.
Artikel XX.
Art. 20
Unter der Voraussetzung, daß die österreichische Regierung ihre in den vorstehenden Artikeln übernommenen Verpflichtungen restlos erfüllt, erklärt sich die königlich rumänische Regierung bereit, das von der österreichischen Regierung aus Artikel 93 des Staatsvertrages von Saint-Germain abgeleitete Provenienzprinzip, jedoch ausschließlich im Verhältnis zu Österreich und ohne Präjudiz anzuerkennen.
Artikel XXI.
Art. 21
Alle aus dem Abkommen sich ergebenden Meinungsverschiedenheiten, die durch Verhandlungen nicht gelöst werden können, sind einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Dieses Schiedsgericht wird aus drei Archivfachleuten bestehen. Jeder der beiden Staaten hat das Recht, einen Schiedsrichter zu bezeichnen. Die Wahl des dritten Schiedsrichters als Vorsitzenden erfolgt im gemeinsamen Einvernehmen beider Staaten. Sollte ein solches nicht erzielt werden können, so wird die Bestimmung des dritten Schiedsrichters dem Sekretariat des Völkerbundes überlassen.
Artikel XXII.
Art. 22
Diese Erklärung wird gegen eine gleichlautende Erklärung des königlich rumänischen Gesandten und bevollmächtigten Ministers ausgetauscht werden.
Das Übereinkommen tritt mit dem Tage des Austausches der beiderseitigen Erklärungen in Kraft.
Urkund dessen hat der Unterzeichnete vorstehende Erklärung gefertigt und mit seinem Siegel versehen.
Wien, am 5. Oktober 1921.