Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel, als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revisionen von 1. M G, 2. Z G, 3. A G, und 4. M G, alle vertreten durch Dr. Norbert Kittenberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 16. April 2025, 1. I422 2301129 1/21E, 2. I422 2301131 1/18E, 3. I422 2301126 1/18E und 4. I422 23011271/20E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet. Die weiteren revisionswerbenden Parteien sind ihre (im Jahr 2022 geborenen) gemeinsamen Kinder. Alle sind Staatsangehörige der Türkei. Sie stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 6. September 2023 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Der Erstrevisionswerber brachte hier anhand seiner Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst vor, in seinem Herkunftsstaat verfolgt zu werden, weil er Kurde und für die HDP aktiv gewesen sei. Im August 2023 habe er an einem Abend sein Restaurant zugesperrt. Zu dieser Zeit seien drei Polizisten dorthin gekommen, mit denen er habe mitfahren müssen. Sie seien aber nicht zur Polizeistation gefahren, sondern hätten an einer abgelegenen Stelle angehalten, wo sonst niemand gewesen sei. Zwei Polizisten seien ausgestiegen. Einer sei im Wagen geblieben. Der Erstrevisionswerber habe gesagt, dass „sie kein Recht dazu hätten“ und ihn in Ruhe lassen sollten. Sie hätten gefragt, ob er Kurde sei und gemeint, „das wäre Grund genug“. Dann habe der (im Auto gebliebene) Polizist begonnen, den Erstrevisionswerber zu schlagen. Daraufhin seien die beiden anderen Polizisten dazugekommen. Diese hätten den Erstrevisionswerber ebenfalls geschlagen und aus dem Auto gezerrt. Der Erstrevisionswerber habe versucht, ihnen zu erklären, dass er nichts gemacht habe. Die Polizisten hätten aber weitergemacht und ihn auch beleidigt. Sie hätten dann gemeint, sie würden ihn beobachten und wüssten, was er „so mache“, und dass er bei terroristischen Organisationen „dabei“ sei. Damit hätten sie die HDP gemeint. Er habe daraufhin einen weiteren Schlag in die Seite bekommen. Dann habe ein Telefon geläutet und einer der Polizisten sei drangegangen. Der andere habe seinen Fuß auf den Kopf des Erstrevisionswerbers gesetzt. Einer der Polizisten habe zu ihm gesagt, wenn er so weitermache, werde sein Schicksal schlimmer als jenes seines Onkels sein. Sein Onkel sei eines Tages von zu Hause entführt worden. Zwei oder drei Tage danach sei er auf einem Feld vom Feldbesitzer mit einer Schusswunde am Kopf und teilweise verbrannt aufgefunden worden. Der Onkel sei politisch sehr aktiv gewesen. Er sei deswegen auch zwei oder drei Jahre in Haft gewesen. Danach habe er „es“ aber nicht aufgegeben. Er sei weiterhin politisch gewesen. Da die Polizisten den Onkel erwähnt hätten, habe der Erstrevisionswerber große Angst bekommen. Es habe in der Türkei schon 17.000 politische Morde gegeben. Menschen seien einfach getötet aufgefunden oder aus großer Höhe hinuntergeworfen worden. Manchmal werde die gesamte Familie in ihrem Haus angezündet. „Sowas“ sei auch in der Stadt des Erstrevisionswerbers passiert. „Die PKK“ sei „dafür“ nur eine Ausrede. Sobald man einen Slogan sage „oder hier und dort“ mitmache, bekomme man schon Probleme. Aus Angst, dass ihm dasselbe wie seinem Onkel passieren werde, habe der Erstrevisionswerber fliehen müssen. Weiters hätte bei ihm zu Hause eine Hausdurchsuchung stattgefunden, bei der Polizisten hineingestürmt seien. Ihm werde vom türkischen Staat vorgeworfen, terroristische Propaganda verbreitet zu haben. „Es“ werde immer mit der PKK verbunden. Er habe aber nichts mit terroristischen Organisationen zu tun. Nachdem er ausgereist gewesen sei, sei gegen ihn Anklage erhoben worden.
3 Die Zweitrevisionswerberin und die Kinder machten keine eigenen Gründe für eine Verfolgung im Herkunftsstaat geltend, sondern verwiesen auf die vom Erstrevisionswerber gemachten Angaben.
4Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit den Bescheiden je vom 3. September 2024 die Anträge der revisionswerbenden Parteien sowohl hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch hinsichtlich der Begehren auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Weiters sprach die Behörde aus, dass ihnen eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 sowie § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFAVG) jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG jeweils festgestellt werde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
5 Die Behörde ging davon aus, dass die gegenüber ihr vom Erstrevisionswerber gemachten Angaben unglaubwürdig seien und sich die von ihm geschilderten Geschehnisse in Wahrheit nicht ereignet hätten.
6 Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen die Bescheide vom 3. September 2024 Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht. In ihrer weiteren Stellungnahme vom 11. März 2025 brachten sie vor, nunmehr vom Bruder des Erstrevisionswerbers Unterlagen in Kopie erhalten zu haben, aus denen hervorgehe, dass gegen den Erstrevisionswerber in der Türkei ein Strafverfahren geführt werde. Er werde aus seiner Sicht zu Unrecht und nur deswegen, weil er ein Kurde sei und sich für die HDP engagiert habe verdächtigt, Propaganda für eine terroristische Organisation betrieben zu haben. Der Erstrevisionswerber werde sich bemühen, die Schriftstücke im Original vorzulegen. Diese Unterlagen seien vor etwa zehn bis elf Tagen vom „Muhtar“ dem von der Ortsbevölkerung gewählten Ortsvorsteher, der mit der Durchführung von einigen offiziellen amtlichen Aufgaben beauftragt sei dem Vater des Erstrevisionswerbers übergeben worden. Der Vater habe die Unterlagen wiederum dem Bruder des Erstrevisionswerbers weitergegeben, der dem Erstrevisionswerber mittels WhatsApp Kopien übersendet habe.
7 In der Folge ließ das Bundesverwaltungsgericht von den in türkischer Sprache verfassten (und ihm in Kopie vorgelegten) Unterlagen Übersetzungen in die deutsche Sprache anfertigen.
8 Demnach ist ein Dokument als „Protokoll über das Gespräch mit dem Staatsanwalt“ bezeichnet, das am 3. Dezember 2023 erstellt worden sei. Dessen Inhalt ist zu entnehmen, dass dieses Gespräch mit einem Staatsanwalt von einem „Mitarbeiter der Abteilung für Terrorismusbekämpfung“ geführt worden sei. Es seien so der weitere Inhalt zur „Aufdeckung (Enttarnung) der Aktivitäten der Terrororganisation PKK/KCK/YPG und zur Verhinderung der Propaganda dieser Aktivitäten über soziale Medien“ gegen den Erstrevisionswerber Ermittlungen geführt worden. Der Staatsanwalt habe nach Kenntnisnahme vom Ergebnis der Ermittlungen angeordnet, zu den gegen den Erstrevisionswerber erhobenen Vorwürfen eine Umfeldrecherche vorzunehmen. Falls die durch die Umfeldrecherche gewonnenen Informationen bestätigt würden, sei der Erstrevisionswerber festzunehmen und eine Durchsuchung an seiner Wohnadresse durchzuführen. Im Fall der Festnahme des Erstrevisionswerbers sei dieser für 24 Stunden in Polizeigewahrsam zu nehmen. Nach Ablauf der Gewahrsamszeit sei er unverzüglich dem zuständigen Staatsanwalt vorzuführen. Im Fall der Festnahme seien sämtliche sichergestellten digitalen Materialien zu beschlagnahmen. „Ein Antrag auf Genehmigung und Untersuchung“ sei vor Ablauf der Frist zu stellen.
9 In einem weiteren an die „Republik Türkei, Innenministerium, Polizeidirektion“ gerichteten und mit 4. Dezember 2023 datierten Schriftstück weist die Oberstaatsanwaltschaft Manisa, Abteilung für Terrordelikte, darauf hin, dass der Erstrevisionswerber durch die Staatsanwaltschaft vorgeladen werden solle und, falls er trotz Ladung nicht erscheine oder er nicht vorgeladen werden könne, ein Haftbefehl zu erlassen sein werde und er zwangsweise vorzuführen sei. Weiters sei die Vernehmung „der Person“ als Beschuldigter aufzunehmen, erkennbare Fotos für die Identifizierung anzufertigen und nach Erfüllung der Anweisung „die Person zusammen mit den Unterlagen“ an die Oberstaatsanwaltschaft „zu übermitteln“.
10 Weitere vom Erstrevisionswerber vorgelegte Unterlagen enthalten einen von der Oberstaatsanwaltschaft Manisa am 3. Dezember 2023 an das „zuständige diensthabende Strafgericht Manisa“ gestellten Antrag, über den Erstrevisionswerber die Untersuchungshaft zu verhängen, sowie einen vom Bezirksgericht für Strafsachen 1 Manisa am 4. Dezember 2023 gegen den Erstrevisionswerber ausgestellten Haftbefehl. Als ihm vorgeworfene Straftat ist jeweils der Vermerk enthalten: „Propaganda für eine Terrororganisation“.
11 Bei einem weiteren Dokument handelt es sich um ein als „Vernehmungsprotokoll“ bezeichnetes Schriftstück, demzufolge vom Bezirksgericht für Strafsachen 1 Manisa die den Erstrevisionswerber betreffenden Ermittlungsakten „im Zusammenhang mit dem Verdacht der Propaganda für eine bewaffnete terroristische Organisation“ geprüft worden seien. Da es konkrete Beweise gebe, die den dringenden Tatverdacht begründeten, dass der Erstrevisionswerber die ihm zur Last gelegte Straftat begangen habe und er flüchtig sei, werde die Entscheidung getroffen, gegen ihn einen Haftbefehl zu erlassen.
12 Das letzte vom Erstrevisionswerber mit der Stellungnahme vom 11. März 2025 vorlegte Dokument enthält die Bezeichnung „Wohnungsdurchsuchungsprotokoll“. Daraus geht hervor, dass am 4. Dezember 2023 die gesetzlich erforderliche Genehmigung für die Festnahme des Erstrevisionswerbers eingeholt und daraufhin seine Wohnadresse aufgesucht worden sei. Es sei um 5.00 Uhr morgens durch die Einheiten der Antiterroreinheit Manisa eine Razzia an einer im Schriftstück näher bezeichneten Adresse durchgeführt worden. Trotz ordnungsgemäßen Klopfens sei die Tür nicht geöffnet worden. Es sei festgestellt worden, dass unter der angegebenen Adresse keine Person wohnhaft sei.
13 Das Bundesverwaltungsgericht führte in den Beschwerdeverfahren am 19. März 2025 eine Verhandlung durch, in der der Erstrevisionswerber zusätzlich zu den bisher dem Bundesverwaltungsgericht in Kopie übersendeten Unterlagen die Kopie eines „türkischen Rückscheines“ vorlegte. Über Befragen gab er dazu an, dass damit er oder jemand aus seiner „engen“ Familie einen staatlichen Brief abholen könne. „Man“ müsse „ja unterschrieben, dass man solche Briefe überhaupt ausgehändigt“ bekomme. Der Rückschein sei von seinem Vater abgeholt und dann dem Erstrevisionswerber vom Bruder mittels WhatsApp übersendet worden.
14 Mit Schreiben vom 20. März 2025 forderte das Bundesverwaltungsgericht den Erstrevisionswerber auf, die Originalurkunden der von ihm in Kopie vorgelegten Unterlagen beizubringen.
15 In der Folge übersendete der Erstrevisionswerber mit Schreiben vom 26. März 2025 dem Bundesverwaltungsgericht „nach Erhalt aus der Türkei, die Originalunterlagen zum Asylverfahren der Familie G mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung“.
16 Daraufhin erließ das Bundesverwaltungsgericht die in Revision gezogenen Erkenntnisse, mit denen es die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als unbegründet abwies. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision jeweils nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
17 In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht soweit hier maßgeblichdavon aus, dass der Erstrevisionswerber zwar glaubwürdig angegeben habe, die HDP zu unterstützen und an Veranstaltungen der HDP teilgenommen zu haben. Die Angaben des Erstrevisionswerbers zu einer Misshandlung durch Polizisten und einer ungerechtfertigten Strafverfolgung im Herkunftsstaat stufte das Bundesverwaltungsgericht aber als unglaubwürdig ein. Dazu führte es im Rahmen seiner beweiswürdigenden Erwägungen diverse Aspekte ins Treffen. Soweit es die vom Erstrevisionswerber vorgelegten Unterlagen betraf, hielt es fest, diese Beweismittel seien ebenfalls nicht geeignet gewesen, das Bundesverwaltungsgericht davon zu überzeugen, dass seitens der türkischen Strafverfolgungsbehörden tatsächlich gegen den Erstrevisionswerber Ermittlungen geführt würden und er einer staatlichen Bedrohung oder Verfolgung seitens der türkischen Behörden ausgesetzt sei. Es könne durch das Bundesverwaltungsgericht nicht verifiziert werden, ob es sich bei den nachgereichten Dokumenten tatsächlich um Originalunterlagen handle. „Beispielsweise“ sei der Zustellschein vom 16. Februar 2025 nicht (gemeint: im Original) nachgereicht worden. Dieser liege lediglich in Kopie vor. Ebenso handle es sich beim nachgereichten Wohnungsdurchsuchungsprotokoll vom 4. Dezember 2023 „augenscheinlich“ um eine Kopie. Somit könne „eine Echtheitsüberprüfung durch das erkennende Gericht nicht vorgenommen werden“. Ebensowenig könne „das erkennende Gericht die vorgelegten Dokumente durch die heimatstaatlichen Behörden oder den Vertrauensanwalt verifizieren“ lassen. Die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG 2005 stünden in einem Spannungsverhältnis zu den Möglichkeiten, die den Behörden im Asylverfahren tatsächlich und rechtlich zur Verfügung stünden. Auf die Kooperation mit den Behörden des Herkunftsstaates dürfe nicht zurückgegriffen werden. Es handle sich dabei regelmäßig um jenen Staat, von dem der Asylwerber behaupte, verfolgt zu werden, und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen wolle. § 33 Abs. 4 BFA VG erlaube es daher grundsätzlich nicht, personenbezogene Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat zu übermitteln. Dieser dem Datenschutz dienenden Bestimmung liege erkennbar der Gedanke zugrunde, dass der potentielle Verfolgerstaat über das Schutzansuchen des Betroffenen nicht informiert werden solle, um eine Gefährdung von im Herkunftsstaat verbliebenen Personen, die dem Asylwerber nahestünden oder mit seiner Flucht in Zusammenhang gebracht werden könnten, zu verhindern. Demgegenüber ergebe sich aus einem Bericht, dass in der Türkei der Zugang zu gefälschten Dokumenten jeglicher Art „grundsätzlich“ möglich sei. In Gruppen verschiedener sozialer Medien werde „ein breites Portfolio an Dokumenten wie Geburts , Heirats , Sterbeurkunden, Auszüge aus dem Personenstandsregister, Personalausweise, Reisepässe aber auch Vorladungen, Bescheinigungen, dass eine Person gesucht wird, Haftbefehle, Anklageschriften oder Urteile zum Erwerb bereitgestellt“. Der Erstrevisionswerber habe dem Bundesverwaltungsgericht den Zugang „zu seinem e devlet“ ermöglicht. „Eine Abfrage des e devlet“ habe ergeben, dass gegen den Erstrevisionswerber „kein Verfahren geführt“ werde „und er auch in keinem anderen Verfahren involviert“ sei. Das Vorbringen, wonach es sich um ein Geheimverfahren handle, überzeuge nicht. Aus der Berichtslage zur Türkei ergebe sich, dass „nicht gleichsam jedes Verfahren als ‚Geheimverfahren‘ eingestuft“ werde. „Vor allem Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen Bewegung, der PKK oder deren zivilem Arm Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK)“ würden „häufig als geheim eingestuft mit der Folge, dass die Rechtsvertretungen der betroffenen Personen bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können“. Jedoch werde in den Berichten auch ausgeführt, „dass U Haftbefehle grundsätzlich in jedem Stadium sichtbar“ seien, weil „die Anwesenheit des Betroffenen für den Erlass des Haftbefehls vorausgesetzt“ werde. Ausgenommen seien „Haftbefehle, die unter bestimmten Bedingungen in Abwesenheit des Flüchtigen ergehen können“. Bei einem der vorgelegten Dokumente handle es sich um einen „derartigen Haftbefehl im Rahmen einer Untersuchungshaft“. Ebenso habe der Erstrevisionswerber in der Verhandlung bestätigt, dass nach seiner Ausreise eine Anklage gegen ihn erhoben worden sei. Im Licht der Berichtslage sei es somit nicht plausibel, weshalb diese nicht „im e devlet“ des Erstrevisionswerbers aufscheine und „im UYAP System“ für Rechtsanwälte nicht einsehbar sein sollte. Auch die „Möglichkeit der Aufrufbarkeit“ der Dokumente widerlege das Vorbringen des Erstrevisionswerbers. Die von ihm vorgelegten Dokumente der türkischen Strafbehörden enthielten den Vermerk, dass diese im (türkischen) Justizinformationssystem (UYAP) abrufbar seien. Daneben sei ein QR Code angebracht. Rufe man diesen QR Code mit dem Mobiltelefon auf, erfolge eine automatische Weiterleitung auf das Webportal von UYAP. Letztlich lasse sich auch die Tatsache, dass die vorgelegten Dokumente der türkischen Strafbehörden „offenkundig ohne Weiteres über den ‚Muhtar‘ (Dorfvorsteher) bzw. postalisch an den Vater übermittelt“ worden seien, mit dem Einwand, dass es sich um ein Geheimverfahren handle und die Dokumente (deswegen) nicht „im e devlet“ abrufbar seien, nicht in Einklang bringen. Aber es spreche auch die zeitliche Komponente nicht für die Richtigkeit des Vorbringens. Die vorgelegten Dokumente seien am 3. Dezember 2023 und am 4. Dezember 2023 ausgestellt worden. Es sei nicht plausibel, weshalb die Dokumente etwa zwei Jahre nach ihrer Ausstellung an den Vater des Erstrevisionswerbers übermittelt worden sein sollten. Es wirke „auch etwas befremdlich, dass die Dokumente der türkischen Strafbehörden justament nach der Anberaumung der mündlichen Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht auftauchen und ins Verfahren eingebracht“ worden seien.
18 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung betreffend die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten an die revisionswerbenden Parteien verwies das Bundesverwaltungsgericht dann nur noch darauf, dass sich das Vorbringen zu einer Bedrohung und sonstigen Verfolgung des Erstrevisionswerbers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppen und wegen seiner Unterstützung der HDP als nicht glaubwürdig erwiesen habe. Die übrigen revisionswerbenden Parteien hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht und ihre Anträge auf das „Fluchtmotiv“ des Erstrevisionswerbers gestützt. Es seien sohin keine Gründe glaubhaft gemacht worden, die für eine asylrelevante Verfolgung der revisionswerbenden Parteien im Herkunftsstaat sprächen.
19 Im Weiteren legte das Bundesverwaltungsgericht noch seine Erwägungen in Bezug auf die weiteren Aussprüche dar und führte abschließend aus, dass die Erhebung von Revisionen nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei, weil es sich „unter anderem eingehend mit der Glaubhaftigkeit bzw. der Asylrelevanz des Fluchtvorbringens auseinandergesetzt“ habe.
20 Die dagegen erhobenen Revisionen wurden vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionenin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
22 Die revisionswerbenden Parteien bringen (unter anderem) zur Zulässigkeit der Revisionen vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu den vom Erstrevisionswerber vorgelegten Urkunden ausgeführt habe, es wisse nicht, ob es sich um Originalunterlagen handle. Zumindest ein Dokument sei nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts eindeutig eine Kopie und eine Echtheitsprüfung könne damit nicht vorgenommen werden. Auch „heimatliche“ Behörden oder ein Vertrauensanwalt könnten nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die Echtheit des Dokuments nicht überprüfen, weil dem § 33 Abs. 4 und Abs. 5 BFA VG entgegenstehe. Das Bundesverwaltungsgericht habe einräumt, dass es ihm an der Expertise mangle, selbst einschätzen zu können, ob die Dokumente echt seien. Es wären ihm aber für eine solche Überprüfung außer den von ihm abgelehnten Ermittlungsschritten diverse andere Möglichkeiten offen gestanden, deren es sich hätte bedienen müssen, um die Echtheit der Unterlagen festzustellen. Es hätte etwa die Staatendokumentation mit der Frage befassen können, welche formalen und inhaltlichen Merkmale behördliche und gerichtliche Schreiben, die aus in der Türkei geführten Strafverfahren stammen, grundsätzlich aufwiesen und wie sich in der Türkei der Ablauf eines Strafverfahrens in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich gestalte. Anhand der Ergebnisse solcher Recherchen hätten die vom Erstrevisionswerber vorgelegten Urkunden auf Form und Inhalt geprüft werden können, was jedenfalls Aufschluss dazu hätte geben können, ob von authentischen oder von gefälschten Schriftstücken auszugehen sei. Weiters hätte zur Beurteilung der Echtheit der vorgelegten Schreiben die Einholung eines Gutachtens durch einen hierzu befähigten Sachverständigen erfolgen können. Ein solcher Sachverständiger, etwa aus dem Bereich der „Kriminologie“, hätte feststellen können, ob die Dokumente echt und Originale seien oder ob sie Fälschungsmerkmale aufwiesen. Dafür, dass es sich um authentische Dokumente handle, spreche jedenfalls, dass ein darauf befindlicher QR Code auf ein Webportal von UYAP führe, wie das Bundesverwaltungsgericht selbst dargelegt habe. Es hätte auch ein auf türkisches Strafrecht spezialisierter Sachverständiger damit beauftragt werden können zu prüfen, ob der Inhalt der Dokumente dafür spreche, dass es sich um echte und richtige Urkunden handle. Es hätte anhand der in den Dokumenten angeführten rechtlichen Bestimmungen und der Formulierungen sowie anhand des Verfahrensablaufes, der sich aus diesen Dokumenten ergebe, überprüft werden können, ob die dortigen Ausführungen grundsätzlich mit dem türkischen Strafrecht und seiner Anwendung in der Praxis in Einklang stünden. Es sei zudem den revisionswerbenden Parteien die Gelegenheit genommen worden, solche Beweisanträge zu stellen, weil das Bundesverwaltungsgericht zum von ihm angenommenen Sachverhalt in Bezug auf die nach der Verhandlung vorgelegten Urkunden kein Parteiengehör eingeräumt habe. Im Weiteren legen die revisionswerbenden Parteien (mit näherer Begründung) dar, dass jegliches in Bezug auf die vorlegten Urkunden vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführte Argument auch anders gesehen werden könnte und bei anderer Betrachtung, die im Fall der Echtheit der Urkunden geboten sei, zum Ergebnis hätte führen können, dass den Angaben des Erstrevisionswerbers entsprechende Feststellungen hätten getroffen werden können.
23 Die Revisionen sind aufgrund dieses Vorbringens zulässig und berechtigt.
24Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
25Bei Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der die Gewährung von Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen „Verfolgung“ im Sinn der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es somit entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an. Dazu bedarf es entsprechender Feststellungen (vgl. VwGH 7.11.2024, Ra 2024/18/0345, mwN).
26 Feststellungen im zuletzt genannten Sinn hat das Bundesverwaltungsgericht bezogen auf das Vorbringen des Erstrevisionswerbers nicht getroffen, weil es davon ausging, es entspreche schon sein Vorbringen, wonach gegen ihn in der Türkei ein Strafverfahren wegen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ geführt werde, nicht den Tatsachen.
27 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich gegen die dieser Annahme zugrundeliegende Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts unter dem Aspekt unzureichender Ermittlungen zur Echtheit der vom Erstrevisionswerber vorgelegten Urkunden, die seinen Angaben zufolge aus dem gegen ihn in der Türkei anhängigen Strafverfahren herrühren.
28Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 12.5.2025, Ra 2025/20/0052, mwN).
29Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere doch zu prüfen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, und ob das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden (relevanten) Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. etwa VwGH 4.11.2024, Ra 2024/22/0112 bis 0115, mwN).
30 Das Bundesverwaltungsgericht führte aus, die Echtheit der vom Erstrevisionswerber vorgelegten Urkunden soweit diese nicht bloß in Kopie vorhanden waren nicht überprüfen zu können, weil es ihm untersagt sei, Ermittlungen im Herkunftsstaat durchzuführen. Letztlich ging dann aber das Bundesverwaltungsgericht der Sache nach davon aus, dass entweder die Urkunden gefälscht seien oder echte Urkunden vorlägen, die inhaltlich Unrichtiges wiedergäben. Das ergibt sich zwingend daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht verneinte, dass gegen den Erstrevisionswerber in der Türkei jenes Strafverfahren geführt werde, auf das sich die vorgelegten Schriftstücke ihrem Inhalt nach beziehen und das darin auch ausdrücklich Erwähnung findet.
31 Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof nach der oben dargestellten Rechtsprechung nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre. Im vorliegenden Fall hat, was die revisionswerbenden Parteien zu Recht ins Treffen führen, das Bundesverwaltungsgericht, obgleich es im Ergebnis letztlich von gefälschten oder inhaltlich unrichtigen echten Urkunden ausgegangen ist, nicht jene ihm möglichen und fallbezogen zweckmäßigen Ermittlungsschritte gesetzt, um die Echtheit der Urkunden einer Klärung zuzuführen. Vielmehr hat es ausdrücklich verneint, dass ihm dies möglich gewesen wäre. Dass aber für eine solche Prüfung im Besonderen eine kriminaltechnische Untersuchung sei es unter Inanspruchnahme von Amtshilfe durch Behörden, die über Einrichtungen verfügen, die in der Lage sind, kriminaltechnische Überprüfungen von Urkunden auf Echtheit vorzunehmen (wobei hier schon im Hinblick auf die Strafbarkeit der Verwendung einer gefälschten Urkunde im Rahmen von behördlichen und gerichtlichen Verfahren in erster Linie an die österreichischen Sicherheitsbehörden zu denken ist), sei es durch Beiziehung eines sonstigen Sachverständigen, der über eine solche Sachkunde verfügt naheliegt, wurde vom Bundesverwaltungsgericht, das lediglich darauf abgestellt hat, es dürfe im Herkunftsstaat der revisionswerbenden Parteien keine Ermittlungen vornehmen, nicht in Erwägung gezogen. Eine Begründung dafür, warum eine solche im Regelfall zur Bestätigung oder Widerlegung der Echtheit auch von ausländischen Urkunden erfolgversprechende Untersuchung der vom Erstrevisionswerber dem Bundesverwaltungsgericht als Originale vorgelegten Dokumente in Österreich nicht möglich oder fallbezogen von vornherein als nicht zielführend anzusehen wäre, ist den angefochtenen Entscheidungen nicht zu entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht ist im Übrigen auch nicht davon ausgegangen, dass die nicht bloß in Kopie vorliegenden Urkunden bereits aufgrund ihrer Gestaltung oder ihres sonstigen äußeren Erscheinungsbildes als Fälschung einzustufen gewesen wären, ohne dass für eine solche Einschätzung eine sachverständige Expertise von Nöten gewesen wäre.
32 Sollten sich die vom Erstrevisionswerber nicht bloß in Kopie vorgelegten Urkunden letztlich als echt erweisen, wären im Lichte dessen sämtliche Argumente des Bundesverwaltungsgerichts, das davon ausgegangen ist, das darin genannte Strafverfahren existiere nicht, einer neuen Bewertung zuzuführen. Wie die revisionswerbenden Parteien darzulegen vermögen, könnten sämtliche vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Umstände auch einer anderen Bewertung zugeführt werden. Die diesbezüglichen von den revisionswerbenden Parteien angestellten Überlegungen wären zwar für sich allein im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung nicht geeignet, im Revisionsverfahren aufgegriffen zu werden. Sollten aber was hier letztlich nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise einer Klärung zugeführt wurde die Urkunden echt sein, stünden die Argumente des Bundesverwaltungsgerichts in einem Widerspruch zu dem in den Urkunden bezeugten Inhalt, der dann fallbezogen einer Auflösung bedürfte. Die Argumente des Bundesverwaltungsgerichts, warum das angesprochene Strafverfahren in der Türkei entgegen den Angaben des Erstrevisionswerbers nicht existiere, stellen sich nämlich nicht dergestalt dar, dass sie auch dann für sich genommen immer noch eine solche Schlüssigkeit beanspruchen könnten, sodass sie selbst im Fall der Echtheit der Urkunden die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ohne weitere beweiswürdigende Überlegungen zu tragen vermögen.
33 Somit hat das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Entscheidungen, soweit sie die Versagung der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die revisionswerbenden Parteien betreffen, mit einem für das Ergebnis relevanten Ermittlungsmangel belastet. Sie waren aus diesem Grund hinsichtlich aller revisionswerbenden Parteien zur Gänze, weil die davon rechtlich abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlierengemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf das übrige Vorbringen in den Revisionen musste daher hier nicht weiter eingegangen werden.
34Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 16. Juli 2025