Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 25. Juni 2025, Zl. LVwG AV 455/002 2025, betreffend Aussetzung eines Verfahrens über die Mitteilung von Umweltinformationen nach dem NÖ Auskunftsgesetz (mitbeteiligte Partei: Verein V; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Eingabe vom 28. März 2024 begehrte die mitbeteiligte Partei u.a. gestützt auf § 11 NÖ Auskunftsgesetz die Übermittlung einer näher genannten, im Auftrag des Magistrats der Landeshauptstadt St. Pölten erstellten Studie.
2Mit Bescheid der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht (und nunmehrigen Amtsrevisionswerbers) vom 31. März 2025 wurde das Verfahren betreffend den Antrag auf Herausgabe von Umweltinformationen „bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim Landesgericht St. Pölten zur Geschäftszahl 24 Cg 106/24 x anhängigen zivilrechtlichen Verfahrens, betreffend die Vorfrage, ob die Stadt St. Pölten die Studie verwenden bzw. veröffentlichen darf oder das der Erstellung der Studie zugrundeliegende Auftragsverhältnis aufgehoben oder rückabgewickelt wird“ gemäß § 38 AVG ausgesetzt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) diesen Bescheid auf Grund einer Beschwerde der mitbeteiligten Partei aufgehoben und ausgesprochen, dass eine Revision dagegen nicht zulässig sei.
4 Dazu stellte es als Sachverhalt im Wesentlichen fest, dass mit Beschluss des Stadtsenates der Stadt St. Pölten vom 29. März 2021 zwei näher genannte Auftragnehmer mit der Durchführung der gegenständlichen Studie „Biotopmonitoring Biotopkartierung St. Pölten 2022“ beauftragt worden seien. Vereinbarte Zielsetzung des Projektes und damit Gegenstand der Beauftragung sei unter anderem die Veröffentlichung der Studie und Vermittlung der Gutachtensergebnisse an die Bevölkerung gewesen. Nur etwa 16 % der betroffenen kartierten Flächen stünden dabei im Eigentum der Stadt St. Pölten. Die restlichen kartierten Flächen befänden sich in Privateigentum. Nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage sei im Frühjahr 2024 für die Stadt St. Pölten festgestanden, dass die jeweiligen (privaten) Grundeigentümer vor dem Betreten der Grundstücke durch die Auftragnehmer nicht um ihre Zustimmung gefragt worden seien. Die von den Auftragnehmern übergebene Studie sei daher nach Ansicht der Stadt St. Pölten mit einem Mangel behaftet und könne folglich nicht veröffentlicht werden, ohne das Risiko der Geltendmachung von Ersatzansprüchen oder Unterlassungsklagen gegen die Stadt St. Pölten einzugehen.
5 Die Stadt St. Pölten habe daraufhin am 21. August 2024 eine Mahnklage beim Landesgericht St. Pölten gegen die Ersteller der Studie mit dem Begehren der Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages betreffend die Durchführung bzw. Erstellung der Studie eingebracht. Die durch den Einspruch der Auftragnehmer nun streitige Zivilrechtssache sei dort zur GZ 24 Cg 106/24x anhängig.
6In rechtlicher Hinsicht erwog das Verwaltungsgericht, die Hauptfrage im gegenständlichen Auskunftsverfahren sei im Wesentlichen, ob die angefragten Daten Umweltinformationen seien (Anwendbarkeit der diesbezüglichen Auskunftsbestimmungen), und ob einer Beauskunftung allfällige Mitteilungsschranken entgegenstünden. Die Entscheidung im Zivilverfahren beim Landesgericht St. Pölten zu 24 Cg 106/24x sei keine Vorfrage für das gegenständliche Auskunftsverfahren, weil die Lösung der Rechtsfrage im zivilgerichtlichen Verfahren nicht zum Zwecke der Lösung der Hauptfrage im Auskunftsverfahren notwendig sei. Das Zivilverfahren beim Landesgericht St. Pölten sei damit keine taugliche Grundlage für eine Aussetzung des Auskunftsverfahrens nach § 38 AVG.
7 Das Vorliegen von Mitteilungsschranken und Verweigerungsgründen etwa des im bekämpften Bescheid genannten Grundes nach § 12 Abs. 2 Z 7 NÖ Auskunftsgesetzsei Teil der Hauptfrage und daher nicht geeignet, eine Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG zu begründen.
8 Zum Entfall der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, dass im gegenständlichen Fall der Sachverhalt unstrittig und für die Lösung der Rechtsfrage eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich gewesen sei.
9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Zu ihrer Zulässigkeit stützt sie sich darauf, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, ob eine Umweltinformation im Sinne des NÖ Auskunftsgesetzes „vorhanden“ sei, wenn die informationspflichtige Stelle keine Verfügungsberechtigung darüber habe, sowie dazu, ob es einen Verweigerungsgrund oder eine Mitteilungssschranke nach § 12 NÖ Auskunftsgesetz darstelle, wenn die informationspflichtige Stelle keine Verfügungsberechtigung über eine Umweltinformation habe. Hilfsweise wird eine Abweichung von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aussetzung von Verfahren nach § 38 AVG sowie zur Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 VwGVG geltend gemacht.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13Die Revision bringt dazu zunächst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob es für die Beurteilung des „Vorhandenseins“ von Umweltinformationen (konkret: in der Studie) gemäß § 7 und § 10 Abs. 1 und 2 NÖ Auskunftsgesetz und damit für die Entscheidung über ein Begehren auf Mitteilung dieser Umweltinformationen darauf ankomme, ob die informationspflichtige Stelle eine (konkret: vertragliche) Verfügungsberechtigung darüber habe, und dies eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstelle. Als zweite Rechtsfrage, zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, macht sie geltend, ob die fehlende vertragliche Berechtigung, über eine Umweltinformation zu verfügen, (alternativ oder zusätzlich) bei der Auslegung des § 12 NÖ Auskunftsgesetzes konkret zum Vorliegen eines Verweigerungsgrundes oder einer Mitteilungsschrankebedeutsam sei und daher der Bestand eines Vertrages, der eine solche Berechtigung einräume, in dieser Hinsicht im Auskunftsverfahren eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG darstelle.
14 Zur Relevanz dieser Fragen für das vorliegende Verfahren wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass über den Bestand des Vertrages über die Durchführung der Studie, der auch ihre Verwendung zum Gegenstand habe, das Landesgericht St. Pölten im Zivilverfahren als Hauptfrage entscheide. Von der Beantwortung der geltend gemachten Rechtsfragen, die auf die Klärung abzielen, ob der mangelnde Bestand eines solchen Vertrages der Erfüllung des Auskunftsbegehrens entgegenstehe, hänge ab, ob das Auskunftsverfahren bis zur Klärung dieser Vorfrage unterbrochen werden könne.
15 Damit verkennt die Revision jedoch den Gegenstand des betreffenden Zivilverfahrens:
16Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes und dem Revisionsvorbringen hat die Stadt St. Pölten beim Landesgericht St. Pölten eine Mahnklage betreffend die Durchführung bzw. Erstellung der Studie eingebracht. Aus dem insofern unbedenklichen Akteninhalt (Beilage zu OZ 21 des Behördenaktes) ergibt sich, dass die der strittigen Aussetzung zu Grunde liegende Klage der Stadt St. Pölten (ausschließlich) auf die Rückzahlung des Werklohnes für die Studie gerichtet ist und damit begründet wird, dass die Studie näher dargestellte Mängel aufweise und die Klägerin daher gegenüber den Beklagten außergerichtlich die Wandlung (Auflösung) des Vertrages über die Beauftragung der Studie erklärt habe (vgl. auch § 244 ZPO, wonach im Mahnverfahren ausschließlich auf Geldleistung gerichtete Klagen zu behandeln sind).
17Die Entscheidung über ein bloßes Leistungsbegehren im Vorprozess entfaltet grundsätzlich keine über dieses hinausgehende Bindungswirkung hinsichtlich des diesem zugrundeliegenden Rechts oder Rechtsverhältnisses (vgl. etwa OGH 24.11.2015, 1 Ob 28/15x, Pkt. 2.4.; RISJusitz, RS0041188 RS0031046 [T3]).
18 Die nach dem Standpunkt des Amtsrevisionswerbers für die Berechtigung des Begehrens der mitbeteiligen Partei im Auskunftsverfahren relevante Vorfrage des aufrechten Bestandes des fraglichen Vertrags wird somit durch ein Urteil über die erhobene Leistungsklage nicht bindend festgestellt. Sie stellt auch im betreffenden Zivilverfahren lediglich eine Vorfrage dar, von der die dort zu entscheidende Hauptfrage des Bestehens eines Rückzahlungsanspruchs abhängt.
19Die in einem gerichtlichen Urteil vorgenommene Beurteilung einer Vorfrage für das Urteil entfaltet jedoch keine Bindungswirkung (vgl. VwGH 23.9.2002, 2000/05/0171). Die Verwaltungsbehörde ist an die Entscheidungsgründe eines rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils nicht gebunden (vgl. VwGH 14.12.2022, Ra 2021/12/0028, mwN).
Eine Bindungswirkung ist im Übrigen nur dann anzunehmen, wenn eine Identität sowohl der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes besteht. Die Bindungswirkung des Vorprozesses tritt abgesehen von den Fällen der gesetzlich erweiterten Rechtskraftwirkung und der Wirkung auf Rechtsnachfolgersomit nur bei Identität der Parteien ein, wobei diese Voraussetzung selbst dann erfüllt sein muss, wenn im Vorfragenbereich Rechtsbeziehungen zu Dritten gelöst werden mussten (vgl. VwGH 23.3.2006, 2004/07/0047; sowie IdS aus jüngerer Zeit etwa VwGH 11.3.2024, Ra 2022/08/0166 bis 0167, mwN). Nach dem Akteninhalt ist die mitbeteiligte Partei am genannten Verfahren vor dem LG St. Pölten nicht beteiligt, sodass die Entscheidung des Zivilgerichtes über die Leistungsklage ihr gegenüber schon deshalb keine Bindungswirkung zu entfalten vermag.
20Sollte die Frage des (aufrechten) Bestandes des Vertrages über die Durchführung der den Gegenstand des Auskunftsbegehrens bildenden Studie für die Entscheidung über das Auskunftsbegehren von Relevanz sein, dann wäre diese als Vorfrage von der Behörde (allenfalls dem in der Folge im Beschwerdeweg angerufenen Verwaltungsgericht) im Auskunftsverfahren gemäß § 38 erster Satz AVG selbstständig zu beurteilen. Eine Aussetzung des Auskunftsverfahrens nach § 38 zweiter Satz AVG im Hinblick auf einen Zivilprozess über die Rückabwicklung des Vertrages (Rückzahlung des Entgeltes) kommt hingegen nicht in Betracht.
21Selbst wenn der Entscheidungsgegenstand des Zivilgerichtes im dort anhängigen Prozess nicht (nur) die Leistung einer Rückzahlung, sondern (zumindest auch) die Aufhebung des Vertrages wäre, würde dies nicht die Unterbrechung des Auskunftsverfahrens ermöglichen. Eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG ist nämlich dann nicht anzunehmen, wenn es um eine künftige Rechtsgestaltung geht (vgl. VwGH 25.5.2021, Ra 2020/22/0137, mwN).
22Von jenen in der Revision geltend gemachten Rechtsfragen, die auf die Klärung der Rechtsfolgen einer fehlenden Verfügungsbefugnis über die begehrte Umweltinformation wegen Wegfall des Vertrages abzielen, hängt das vorliegende Revisionsverfahren, dessen Sache ausschließlich die Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG ist, daher nicht ab.
23Damit ist auch nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht mit der (ersatzlosen) Behebung des Aussetzungsbescheides von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aussetzung nach § 38 AVG abgewichen wäre, wie dies von der Revision (ohne konkrete Bezeichnung dieser Rechtsprechung) hilfsweise geltend gemacht wird.
24 Die Revision stützt sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit schließlich darauf, dass das Verwaltungsgericht nicht von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung absehen hätte dürfen.
25Damit macht sie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. zur Notwendigkeit der Relevanzdarstellung bei Geltendmachung der Verletzung der Verhandlungspflicht nach § 24 Abs. 4 VwGVG durch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde VwGH 8.3.2021, Ra 2020/14/0341, Rn. 28, mwN).
26 Dazu bringt die Revision vor, eine Verhandlung sei auch zur Erörterung von nach der Aktenlage strittigen komplexen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht und damit zum Zwecke eines Rechtsgesprächs durchzuführen. Hätte das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, hätte der Amtsrevisionswerber dargetan, dass eine „Vorfragensituation“ vorliege, weil es bei der Beurteilung eines Mitteilungsbegehrens im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Z 1, § 10 Abs. 1 2 und/oder § 12 NÖ Auskunftsgesetz (auch) auf die (vertragliche) Verfügungsberechtigung der informationspflichtigen Stelle über die begehrte Umweltinformation ankomme.
27Wie oben dargestellt wird die vertragliche Verfügungsberechtigung über die gegenständliche Umweltinformation bzw. der Bestand des betreffenden Vertrages im vom aufgehobenen Aussetzungsbescheid bezeichneten Zivilprozess nicht als Hauptfrage bindend geklärt, sodass schon deshalb eine Aussetzung nach § 38 AVG bis zum Abschluss des Zivilprozesses nicht in Betracht kommt. Die Revision vermag daher mit dem dargestellten Zulässigkeitsvorbringen nicht dazutun, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der behauptetermaßen verletzten Verfahrensvorschrift, also nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, im Sinne des § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG zu einem anderen Erkenntnis hätte kommen können.
28 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 21. August 2025