Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revisionen 1. des F S und 2. des M S, beide in L, beide vertreten durch Dr. Anton Cuber und Mag. Claudia Kopp Helweh, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Grieskai 46, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 2022, G312 2251317 1/4E und G312 2251318 1/4E, betreffend Beitragshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerber waren seit Oktober 2017 Geschäftsführer der S GmbH. Über das Vermögen dieses Unternehmens wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Mai 2019 ein Sanierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 7. August 2019 wurde das Sanierungsverfahren nach Bestätigung eines Sanierungsplanes mit einer Quote von 30 % aufgehoben.
2 Mit Bescheiden der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) vom 14. Juli 2021 wurden die Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 10 ASVG verpflichtet, offene Beiträge samt Nebengebühren für den Zeitraum 1. Dezember 2018 bis 21. Mai 2019 in Höhe von € 95.463,73 zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden der Revisionswerber wies die ÖGK mit Beschwerdevorentscheidungen vom 11. Oktober 2021 als unbegründet ab.
3 Begründend führte die ÖGK zusammengefasst aus, die gegenständlichen offenen Beitragsforderungen seien bei der S GmbH nicht mehr einbringlich. Die Revisionswerber seien wie sich aus den von ihnen selbst vorgelegten Unterlagen ergebe ihrer Verpflichtung, die Forderungen der ÖGK gegenüber anderen Forderungen gleich zu behandeln, nicht nachgekommen. Insgesamt ergebe sich bei Berechnung des Haftungsbetrages ausgehend von einer Differenzquote von 27,19 % der zur Zahlung vorgeschriebene Betrag. Hinsichtlich der offen gebliebenen Beitragsforderungen sei berücksichtigt worden, dass von der S GmbH an die ÖGK geleistete Zahlungen im Sanierungsverfahren erfolgreich angefochten worden seien. Insoweit sei es zu einem Wiederaufleben der Forderungen gekommen, die daher dem Haftungsrahmen hinzuzurechnen seien. Die S GmbH habe nach Aufhebung des Sanierungsverfahrens und Bestätigung des Zahlungsplanes noch eine weitere Zahlung auf die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens offenen Beiträge geleistet. Insoweit habe aber infolge der Wirkung des Zahlungsplanes keine Verpflichtung der S GmbH mehr bestanden. Die Zahlung sei daher - wie ausdrücklich mitgeteilt worden sei - nicht angenommen und am Beitragskonto der S GmbH „freigestellt“ worden.
4 Die Revisionswerber stellten Vorlageanträge. Sie wandten sich im Beschwerdeverfahren zunächst gegen die Annahme, es sei bei den Zahlungen der S GmbH zu der von der ÖGK angenommenen Ungleichbehandlung der Beitragsforderungen der ÖGK gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger gekommen. Im Weiteren traten sie der Berechnung der Haftungssumme entgegen und brachten vor, es läge keine „erfolgreiche Anfechtung“ der Zahlungen der S GmbH an die ÖGK im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor. Tatsächlich habe der Sanierungsverwalter von der S GmbH an die ÖGK geleistete Beitragszahlungen in Höhe von € 210.221,77 angefochten. In der Folge sei wie erst durch Recherchen in Erfahrung gebracht habe werden können zwischen dem Sanierungsverwalter und der ÖGK ein außergerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden, mit dem die ÖGK sich zur Rückzahlung von € 105.000 somit knapp der Hälfte der Forderung verpflichtet habe. Dieser Vergleich könne den Revisionswerbern jedoch nicht entgegengehalten werden, weil sie daran nicht beteiligt gewesen seien. Gegenüber den Revisionswerbern sei auch keine Streitverkündung (§ 21 ZPO) im Zuge eines über die Anfechtung geführten Zivilprozesses erfolgt. Es gehe nicht an, dass die ÖGK im Verfahren über die Anfechtung einer Forderung nach der Insolvenzordnung (IO) durch Abschluss eines Vergleiches ihr Prozess(kosten)risiko zu Lasten eines nach § 67 Abs. 10 ASVG zur Haftung verpflichteten Vertreters minimiere. Die Anfechtung der Zahlungen wäre „in einem Gerichtsverfahren“ auch nicht erfolgreich gewesen. Dazu trete, dass die S GmbH nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Zahlung der Quote des Sanierungsplanes zusätzlich eine Zahlung in Höhe von € 10.724,64 geleistet habe, die ausdrücklich für die offenen Sozialversicherungsbeiträge aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung gewidmet gewesen sei, für die die Revisionswerber nun zur Haftung herangezogen würden. Diese Zahlung der S GmbH sei zulässig gewesen, bestehe doch die über die zu zahlende Quote hinausgehende Forderung gegenüber dem Gemeinschuldner auch nach Aufhebung des Zahlungsplans weiterhin in Form einer Naturalobligation. Bei der Berechnung der Haftung der Revisionswerber habe diese Zahlung zu Unrecht keine Berücksichtigung gefunden.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die - zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, die nunmehr gegenständlichen Beitragsforderungen seien nach Leistung der Quote des Zahlungsplanes von 30 % offen und uneinbringlich. Im Zuge des Insolvenzverfahrens habe der Insolvenzverwalter erfolgreich an die ÖGK geleistete Zahlungen der S GmbH von € 105.000 angefochten. Stelle man die Zahlungen gegenüber, die die S GmbH im Beurteilungszeitraum einerseits für Beitragsforderungen der ÖGK und andererseits für Forderungen anderer Gläubiger geleistet habe, so ergebe sich, dass die ÖGK gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt worden sei. Dabei errechne sich eine Differenz zwischen der allgemeinen Zahlungsquote und der Quote der Zahlungen der Forderungen der ÖGK von 27,19 %.
7 Am 16. Oktober 2020 (somit nach Aufhebung des Sanierungsverfahren nach Bestätigung eines Sanierungsplanes) habe die S GmbH an die ÖGK eine Zahlung von € 10.724,64 mit der Widmung „SV Beiträge Nebengebühren 11/2018 bis 04/2019“ geleistet.
8 In rechtlicher Hinsicht sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 19.1.2014, 2012/08/0227) eine erfolgreiche Zahlungsanfechtung bei der Ermittlung der Haftungssumme zu Lasten der haftenden Geschäftsführer zu berücksichtigen. Dabei könne es keine Rolle spielen, ob die „Anfechtung durch Klage bzw. Urteil oder - wie im vorliegenden Fall - durch einen Vergleich zum Erfolg führte“. Das Ausmaß der Haftung der Revisionswerber, das aus der Ungleichbehandlung der Forderungen der ÖGK gegenüber derjenigen anderer Gläubiger folge, sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu errechnen. Danach ergebe sich ausgehend von insgesamt offen gebliebenen Beitragsforderungen der ÖGK von € 351.079,62 und der Differenz der Befriedigungsquoten von 27,19 % der Haftungsbetrag von € 95.463,73 . Unter Berücksichtigung der Zahlungen der Quote aus dem Zahlungsplan sowie von Vergütungen aus dem Insolvenzentgeltfond errechne sich ein äußerer Haftungsrahmen, der im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 27.4.2020, Ro 2020/08/0001) die Haftung begrenze, von Euro 98.257,66. Da dieser Betrag den errechneten Haftungsbetrag nicht übersteige, habe es bei der Haftung in der genannten Höhe zu bleiben.
9 Hinsichtlich der am 16. Oktober 2020 geleisteten Zahlung sei festzuhalten, dass diese von der S GmbH geleistet worden sei. Für die Haftung der Revisionswerber könnten nur von ihnen selbst geleistete Zahlungen berücksichtigt werden. Wie sich aus dem Akteninhalt ergebe, habe die ÖGK dem Rechtsvertreter der Revisionswerber auch ausdrücklich mitgeteilt, dass die Zahlung nicht in Anrechnung gebracht werden könne. Nachdem keine Rückmeldung erfolgt sei, sei der Betrag auf dem Beitragskonto „freigestellt worden“.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht bei Errechnung der Haftung berücksichtigten Zahlungsanfechtung nach der IO fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu der Frage, wann von einer „erfolgreichen Anfechtung“ im Sinn seiner (näher genannten) Judikatur auszugehen sei. Der Vergleich über den Anfechtungsanspruch könne den Revisionswerbern nicht als „erfolgreiche Anfechtung“ entgegengehalten werden, zumal sie daran nicht beteiligt gewesen seien und der Vergleich ihnen gegenüber daher nicht bindend sei.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem die ÖGK eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:
12 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.
13 Die Haftung der Vertreter juristischer Personen insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH nach § 67 Abs. 10 ASVG ist ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die die Vertreter deshalb trifft, weil sie ihre gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft verletzt haben (wobei leichte Fahrlässigkeit genügt). Eine solche Pflichtverletzung kann u.a. darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung des Versicherungsträgers in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (vgl. aus der ständigen Judikatur etwa VwGH 20.6.2018, Ra 2018/08/0039, mwN).
14 Ist die Haftung des Vertreters in diesem Sinn zu bejahen, ist zur Ermittlung ihres Umfangs nach den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dargestellten Grundsätzen in einem ersten Schritt der Beurteilungszeitraum festzustellen, der mit der Fälligkeit der ältesten am Ende jenes Zeitraums noch offenen Beitragsverbindlichkeit beginnt und der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens soweit nicht zuvor eine frühere allgemeine Zahlungseinstellung oder Beendigung der Vertreterstellung erfolgt endet. In einem zweiten Schritt sind einerseits das Verhältnis aller im Beurteilungszeitraum erfolgten Zahlungen zu allen fälligen Verbindlichkeiten einschließlich der Beitragsschulden (allgemeine Zahlungsquote) sowie andererseits das Verhältnis der im selben Zeitraum erfolgten Zahlungen auf die Beitragsverbindlichkeiten zu den insgesamt fälligen Beitragsschulden (Beitragszahlungsquote) zu ermitteln. Das Produkt aus der Differenz der beiden Quoten und den insgesamt fälligen Beitragsschulden ergibt letztlich den Haftungsbetrag (vgl. VwGH 8.3.2022, Ra 2020/08/0134 ; 31.10.2022, Ra 2021/08/0038, jeweils mwN).
15 Eine nach Ende des Beurteilungszeitraums erfolgte Zahlung einer Insolvenzquote hat keinen Einfluss auf die der Ermittlung des Haftungsbetrages zu Grunde zu legenden Verbindlichkeiten und Zahlungen; sie kann nur dazu führen, den tatsächlich eingetretenen Schaden (soweit sich dieser auf bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Verbindlichkeiten bezieht), der die äußerste Grenze der Haftung des Vertreters (Haftungsrahmen) bildet, zu reduzieren. Ist also der eingetretene Schaden infolge der Zahlung einer Quote aus dem Insolvenzverfahren letztlich geringer als der errechnete Haftungsbetrag, so vermindert sich die Haftung insoweit, als sie sich auf den tatsächlich eingetretenen Schaden beschränkt. Hingegen gibt es keine rechtliche Grundlage dafür, die bezahlte Insolvenzquote auch dann, wenn der eingetretene Schaden nach deren Abzug noch über dem errechneten Haftungsbetrag liegt, dem Schuldner anteilsmäßig zugutekommen zu lassen. Gleiches gilt auch für Zahlungen anderer Stellen (etwa aus dem Insolvenz Entgelt Fonds), die nach dem Ende des Beurteilungszeitraumes auf die Beitragsforderungen geleistet werden (vgl. VwGH 27.4.2020, Ro 2020/08/0001).
16 Zur Auswirkung einer Anfechtung nach der IO auf die Haftung nach § 25a Abs. 7 BUAG und § 67 Abs. 10 ASVG (vgl. zur wechselseitigen Übertragbarkeit der Judikatur zu diesen Bestimmungen seit dem SRÄG 2010, BGBl. I Nr. 62/2010, nochmals VwGH Ro 2020/08/0001 sowie VwGH 15.11.2017, Ro 2017/08/0001, jeweils mwN) hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass mit der (erfolgreichen) Anfechtung die Zahlung den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt wird (§ 27 IO); die Forderung lebt wieder auf und ist als Insolvenzforderung geltend zu machen (§ 41 Abs. 2 IO). Der Gemeinschuldner hat als Folge der Rechtsunwirksamkeit seiner Leistung seine Verpflichtung nicht erfüllt. Insoweit liegt daher keine im Rahmen der Ermittlung der Haftungssumme wegen Gläubigerungleichbehandlung zu berücksichtigende wirksame Zahlung vor. Durch die Nichtberücksichtigung erfolgreich angefochtener Zahlungen wird insbesondere verhindert, dass sich ein Vertreter durch Leistung einer anfechtbaren Zahlung unmittelbar vor Insolvenzeröffnung seiner Haftung entledigen könnte. Der Betrag aus der erfolgreich angefochtenen Zahlung kommt letztlich auch dem haftenden Vertreter insoweit zu Gute, als dieser Betrag dann im Rahmen der Quote an alle Gläubiger - sohin auch an den Zahlungsempfänger - ausgeschüttet wird und damit der Haftungsrahmen reduziert wird (vgl. VwGH 29.1.2014, 2012/08/0227, mwN; sowie VwGH 29.8.2022, Ra 2018/08/0003, mit näheren Hinweisen auf die Entwicklung der Judikatur).
17 Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass im vorliegenden Fall durch den Insolvenzverwalter eine „erfolgreiche Anfechtung“ von Beitragszahlungen, die von der S GmbH an die ÖGK geleistet worden waren, in Höhe von € 105.000 erfolgt sei. Dazu, um welche Zahlungen es sich dabei konkret gehandelt hat, worauf sich die Anfechtung gründete sowie hinsichtlich des dazu geführten Verfahrens, wurden keine Feststellungen getroffen. Im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung ging das Bundesverwaltungsgericht insoweit in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien jedoch davon aus, dass das hinsichtlich der Anfechtung geführte Verfahren durch „Vergleich“ geendet habe.
18 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Insolvenzverwalter, dem nach § 37 Abs. 1 IO das Anfechtungsrecht zukommt, sich nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 IO über den Anfechtungsanspruch mit dem Anfechtungsgegner auch gerichtlich oder außergerichtlich vergleichen kann (vgl. OGH 11.11.1999, 8 Ob 140/99t; König/Trenker, Die Anfechtung nach der IO 6 Rz 17.6, mwN). Dem Vergleich kommen daher nicht anders als einem über die Anfechtung ergangenen Urteil die genannten Wirkungen zu, wonach insbesondere die Forderung gegenüber dem Gemeinschuldner wieder auflebt. Auch ein Vergleich ist daher grundsätzlich als erfolgreiche Anfechtung im Sinn der genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs anzusehen, die im Zuge der Beurteilung der Haftung des Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG wegen fehlender Gleichbehandlung der Beitragsforderungen dazu führt, dass keine im Rahmen der Ermittlung der Haftungssumme wegen Gläubigerungleichbehandlung zu berücksichtigende wirksame Zahlung vorliegt (vgl. idS implizit auch nochmals VwGH 2012/08/0227).
19 Dem Vorbringen der Revisionswerber kommt dennoch im Ergebnis Berechtigung zu. Die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzt nämlich voraus, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Vertreters und der nachfolgenden Uneinbringlichkeit der Beiträge zu bejahen ist (vgl. nochmals VwGH Ra 2021/08/0038, mwN). Ein solcher Kausalzusammenhang wäre aber hinsichtlich der Beiträge, die aufgrund der Anfechtung offen geblieben sind, dann als durchbrochen anzusehen, wenn der Insolvenzverwalter zwar mit der Geltendmachung der Anfechtung gegenüber dem Versicherungsträger als Anfechtungsgegner erfolgreich durchgedrungen ist, der Anfechtungsanspruch aber tatsächlich nicht bestanden hat. Dazu kann es insbesondere dann kommen, wenn sich der Versicherungsträger wie im vorliegenden Fall von den Revisionswerbern behauptet der Forderung des Insolvenzverwalters zu Unrecht unterworfen hat. In einem solchen Fall könnte das durch die Anfechtung bewirkte Aufleben der Beitragsforderungen und ein dadurch begründeter Ausfall von Beiträgen, für den Vertreter bei schuldhafter Verletzung ihrer Pflichten nach § 67 Abs. 10 ASVG haften, nämlich nicht dem Vertreter zugerechnet werden.
20 Die Frage, ob die Anfechtung an den Versicherungsträger geleisteter Zahlungen berechtigt gewesen ist, stellt daher insoweit bei Beurteilung der Haftung des Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG bzw. deren Ausmaßes eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG dar. Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Vorentscheidung ist aber schon aus Gründen der Absicherung des rechtlichen Gehörs nur dann anzunehmen, wenn eine Identität sowohl der Parteien als auch des rechtserzeugenden Sachverhaltes besteht (vgl. etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2018/15/0089; 1.6.2017, Ra 2017/08/0022; jeweils mwN). Schon aus diesem Grund sind die Revisionswerber damit im Recht, dass das Ergebnis eines zivilgerichtlichen Verfahrens über den Anfechtungsanspruch, an dem sie nicht beteiligt waren, ihnen gegenüber im Verfahren über die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. idS zur Wirkung eines Vergleiches über den Anfechtungsanspruch auf die Rechtsstellung eines Bürgen der Forderung OGH 27.2.2019, 6 Ob 222/18t). Es entspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass ein gerichtlicher Vergleich keine Entscheidung über eine Vorfrage im Sinn von § 38 AVG darstellt (vgl. VwGH 26.2.2002, 2001/11/0322, mwN). Umso weniger kann ein außergerichtlich abgeschlossener Vergleich im Sinn von § 38 AVG Bindungswirkung betreffend eine Vorfrage gegenüber einem an diesem Vergleich nicht beteiligten Dritten entfalten.
21 Nach der zu § 67 Abs. 10 ASVG ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs trifft den Vertreter - ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung seiner Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann (vgl. etwa VwGH 15.12.2023, Ra 2022/08/0056, mwN). Vor dem Hintergrund, dass eine sei es aufgrund eines Vergleiches oder Urteils erfolgreiche Anfechtung nach der IO, wie bereits dargestellt, dazu führt, dass die Beitragsforderungen gegenüber dem Gemeinschuldner offen geblieben sind und vom Vertreter erwartet werden kann, dass ihm die Umstände der Zahlungen der juristischen Person aufgrund seiner Tätigkeit bekannt sind, liegt es auch am Vertreter geltend zu machen, dass sein Verhalten im dargestellten Sinn für die Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen (ganz oder teilweise) deshalb nicht kausal gewesen ist, weil eine vom Insolvenzverwalter gegenüber dem Versicherungsträger erfolgreich geltend gemachte Anfechtung tatsächlich nicht berechtigt gewesen ist bzw. der Versicherungsträger sich dieser zu Unrecht unterworfen hat.
22 Wird vom Vertreter ein solches Vorbringen erstattet, bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Berechtigung der Anfechtung, wobei im Beschwerdeverfahren zweckmäßigerweise zunächst sowohl der Versicherungsträger als auch der Vertreter aufzufordern sind, ein konkretes Vorbringen zum Vorliegen der Voraussetzungen der Anfechtung zu erstatten und insoweit Unterlagen vorzulegen. Ergibt sich, dass - wie aufgrund von zu den maßgeblichen Umständen zu treffenden Feststellungen zu beurteilen ist - die Anfechtung nach der IO tatsächlich nicht berechtigt gewesen ist, kommt eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nur insoweit und in dem Ausmaß in Betracht, als diese auch ohne die Anfechtung eingetreten wäre. Dabei können sich - im Sinn der dargestellten Grundsätze der Berechnung der Haftung - sowohl Auswirkungen auf die der Berechnung des Umfangs der Haftung zu Grunde zu legenden Beitragsschulden der juristischen Person als auch hinsichtlich des Vorliegens bzw. des Ausmaßes einer Ungleichbehandlung der Forderungen des Versicherungsträgers gegenüber anderen Forderungen der juristischen Person ergeben. Umgekehrt führt eine erfolgreiche Anfechtung in der Regel auch nach § 39 IO zu einem Leistungsanspruch der Insolvenzmasse gegen den Anfechtungsgegner. Wie bereits ausgeführt, kommt eine erfolgreich angefochtene Zahlung daher regelmäßig auch dem haftenden Vertreter insoweit zu Gute, als der rückerstattete Betrag im Rahmen der Quote an alle Gläubiger sohin auch an den Zahlungsempfänger (hier den Versicherungsträger) ausgeschüttet und infolgedessen ebenso der Haftungsrahmen der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG reduziert wird. Zur Berechnung des Haftungsrahmens, der sich ohne erfolgreiche Anfechtung ergeben hätte, ist daher die Quotenzahlung fiktiv um jenen Teil zu vermindern, der dem Anteil entspricht, durch den der Befriedigungsfonds der Masse durch erfolgreiche Anfechtung erweitert wurde.
23 Vorliegend haben sich die Revisionswerber anders als in den Verfahren, die der zitierten bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Berücksichtigung erfolgreicher Anfechtungen für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (bzw. § 25a Abs. 7 BUAG) zugrunde gelegen sind im Beschwerdeverfahren gegen die Berechtigung der Anfechtung gewandt. Es wäre somit im dargestellten Sinn eine Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen erforderlich gewesen.
24 Die Revisionswerber wenden sich im Zuge ihrer Ausführungen in den Revisionsgründen auch gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die am 16. Oktober 2020 geleistete Zahlung der S GmbH von € 10.724,64 sei nicht zu berücksichtigen, und machen geltend, es habe sich um eine Zahlung der S GmbH auf die Beiträge gehandelt, für die die Revisionswerber nunmehr zur Haftung herangezogen würden. Tatsächlich sei hinsichtlich der Beiträge eine Naturalobligation auch nach Aufhebung des Sanierungsverfahrens verblieben. Es sei daher der S GmbH offen gestanden, diese Beitragsschulden auch noch in diesem Zeitpunkt zu befriedigen.
25 Auch insoweit kommt der Revision im Ergebnis Berechtigung zu. Durch den rechtskräftig bestätigten Zahlungsplan ist nämlich zwar eine Restschuldbefreiung im Sinn von § 156 Abs 1 iVm § 193 Abs 1 IO eingetreten, sodass die ÖGK die Beitragsforderungen gegenüber der S GmbH nicht mehr geltend machen konnte. Es trifft aber zu, dass ungeachtet dessen die über die zu zahlende Quote hinausgehende (Beitrags )Forderung nicht erloschen ist, sondern in Form einer Naturalobligation weiterbestanden hat (vgl. OGH 26.6.2019, 3 Ob 63/19i; RIS Justiz RS0052128). Eine Zahlung eines Gemeinschuldners auf die auch nach Leistung der Zahlungsplanquote offen gebliebenen Beiträge ist daher grundsätzlich auch noch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und Bestätigung des Zahlungsplans möglich. Erweist sich eine derartige Zahlung als wirksam, so hat sie im Sinn der bereits dargestellten Grundsätze genauso wie andere nach Ende des Beurteilungszeitraums erfolgte Zahlungen zwar keinen Einfluss auf die der Ermittlung des Haftungsbetrages zu Grunde zu legenden Verbindlichkeiten und Zahlungen, reduziert aber den tatsächlich eingetretenen Schaden, der die äußerste Grenze der Haftung des Vertreters (Haftungsrahmen) bildet.
26 Ausgehend davon hätte sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Schicksal der am 16. Oktober 2020 geleisteten Zahlung von € 10.724,64 auseinandersetzen müssen. Insoweit ist zu beachten, dass auch die ÖGK nicht infrage gestellt hat, dass diese Zahlung für die Beiträge gewidmet war, hinsichtlich derer die Revisionswerber von ihr zur Haftung herangezogen wurden. Im Beschwerdeverfahren wurde von der ÖGK jedoch vorgebracht, dass die Zahlung in Hinblick auf eine neuerlich drohende Insolvenz der S GmbH anfechtbar gewesen wäre und dies der Grund gewesen sei, warum die Annahme der Zahlung verweigert worden sei.
27 Tatsächlich sind anfechtbare Zahlungen nicht als Erfüllung anzusehen. Es handelt sich dabei um eine bloße Scheinzahlung. Der Empfänger einer solchen Zahlung ist zu deren Zurückweisung berechtigt (vgl. RIS Justiz RS0107954). Das Zurückweisungsrecht steht dem Gläubiger dabei bereits bei konkreter Gefahr einer aussichtsreichen Gläubigeranfechtung zu (vgl. RIS Justiz RS0107954 [T4]; OGH 27.01.2011, 2 Ob 12/10v). Eindeutige Feststellungen dazu, ob die Zahlung von der ÖGK vereinnahmt oder tatsächlich zurückgewiesen wurde, sowie auch zu allenfalls getroffenen Vereinbarungen zwischen den Vertretern der S GmbH und der ÖGK über die Verwendung der Zahlung und dazu, ob gegebenenfalls die Voraussetzungen der Zurückweisung der Zahlung erfüllt waren, hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht getroffen.
28 Das angefochtenen Erkenntnis war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
29 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, zumal das Verwaltungsgericht ein Tribunal im Sinn des Art. 6 EMRK eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.
30 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. März 2024