JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0057 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des I M, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 89a/34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Jänner 2024, G310 2013428 2/3E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein 1983 geborener kosovarischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise im September 2002 in Österreich einen Asylantrag, der rechtskräftig abgewiesen wurde. Im März 2007 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin, weswegen ihm nach seiner Ausreise Ende Juli 2007 ab März 2008 gültige Aufenthaltstitel als „Familienangehöriger“ erteilt wurden. Mit seiner Ehefrau hat der Revisionswerber vier minderjährige Kinder (geboren in den Jahren 2008, 2010, 2012 und 2016), die alle die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.

2 Aufgrund von mittlerweile getilgten strafgerichtlichen Verurteilungen war gegen den Revisionswerber im Jahr 2010 ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen worden (siehe dazu des Näheren das eine vom Revisionswerber erhobene Beschwerde abweisende Erkenntnis VwGH 5.7.2011, 2010/21/0408). Er kehrte daraufhin im Jahr 2011 in den Kosovo zurück, wo er bis 2015 im Haus seiner Eltern lebte.

3Mit dem am 5. März 2015 mündlich verkündeten und mit 6. Oktober 2015 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde das gegen den Revisionswerber bestehende Aufenthaltsverbot im Beschwerdeweg entsprechend seinem Antrag gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben. Seitdem hält sich der Revisionswerber wieder auf Grundlage eines ihm mit Gültigkeit ab 24. April 2015 erteilten Aufenthaltstitels als „Familienangehöriger“, der in weiterer Folge wiederholt, zuletzt bis 27. April 2023, verlängert wurde, im österreichischen Bundesgebiet auf. Der Revisionswerber stellte dazu fristgerecht einen noch nicht erledigten Antrag auf Verlängerung.

4 Der Revisionswerber ging seit der Wiedereinreise in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach; er bezog anfangs Arbeitslosengeld und ab Februar 2016 Notstandshilfe/Überbrückungshilfe. Er verfügt seit 30. Dezember 2020 über eine bis 29. Dezember 2025 gültige Aufenthaltskarte in Deutschland, wo er im Gartenbaubetrieb seines Bruders bis zu seiner Festnahme am 20. Juli 2021 in Teilzeit erwerbstätig war. Die Eltern des Revisionswerbers, zwei Schwestern und weitere Verwandte leben im Kosovo.

5Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 28. März 2022 wurde der Revisionswerber wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG, und nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG sowie wegen des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28 Abs. 1 zweiter Fall, Abs. 2 und 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren rechtskräftig verurteilt.

6 Dieser Verurteilung lag zusammengefasst vor allem zugrunde, dass der Revisionswerber ab Anfang 2020 als Mitglied zweier arbeitsteilig vorgehender krimineller Vereinigungen, in denen er jeweils in übergeordneter Funktion tätig war, andere Mitglieder dieser Vereinigungen dazu bestimmt habe, Cannabisblüten in einer Menge von insgesamt mehreren hundert Kilogramm grenzüberschreitend nach Österreich zu schmuggeln. Überdies habe er Suchtgift in großem Umfang anderen gewinnbringend überlassen. Dabei habe der Revisionswerber einerseits die „Verteilung“ an die Abnehmer übernommen, andererseits sonstige logistische Aufgaben erfüllt, insbesondere die Einfuhr von Cannabisblüten aus dem Kosovo über Serbien und Ungarn bzw. die Slowakei nach Österreich beauftragt und organisiert. Die Straftaten hatten jeweils den Zweck, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Im Rahmen der Strafbemessung wertete das Strafgericht als erschwerend das Zusammentreffen dreier Verbrechen, die Erfüllung mehrerer Deliktsqualifikationen und die vielfache Überschreitung des 25 fachen der Grenzmenge. Als mildernd wurden hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel, die teilweise geständige Verantwortung und die Sicherstellung des Suchtgifts berücksichtigt.

7 Eine gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde blieb ebenso erfolglos wie eine Strafberufung. Im Hinblick auf die so resümierte das Berufungsgericht dem Revisionswerber zutreffend zugeschriebene „führende Rolle“ sei die verhängte Strafe insgesamt angemessen.

8Angesichts dessen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber nach seiner niederschriftlichen Einvernahme mit Bescheid vom 2. Juni 2023 gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei. Unter einem erließ das BFA gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG (der Begründung zufolge gemeint: Z 5) ein sechsjähriges Einreiseverbot, erkannte der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte somit gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

9 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das BVwG nachdem es mit Teilerkenntnis vom 19. Juli 2023 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt hattemit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Jänner 2024 insoweit teilweise Folge, als es gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis, und zwar soweit damit die Beschwerde (implizit) abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13 Unter diesem Gesichtspunkt rügt der Revisionswerber nur das Unterbleiben einer in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, die der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber und der Klärung der Frage der Intensität seiner privaten und familiären Bindungen hätte dienen sollen. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätte der Revisionswerber insbesondere darlegen können, dass für seine sich in der Pubertät befindlichen Kinder der unmittelbare persönliche Kontakt, den der Revisionswerber im Zuge seiner regelmäßigen Freigänge pflege, von erheblicher Bedeutung sei.

14 Was das Erfordernis der Durchführung einer mündlichen Verhandlung betrifft, erlaubt § 21 Abs. 7 BFAVG das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 11.4.2024, Ra 2022/21/0179, Rn. 17, mwN).

15 Einen solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG in der vorliegenden Konstellation entgegen dem Standpunkt in der Revisionsowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose nach § 53 Abs. 3 FPG (Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) als auch hinsichtlich der nach § 9 BFAVG iVm Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung im Ergebnis jedenfalls vertretbar unterstellen.

16Das BVwG ging bei der Gefährdungsprognose angesichts der durch Gewinnstreben gekennzeichneten Delinquenz des Revisionswerbers als führendes Mitglied zweier kriminellen Vereinigungen vor allem im Bereich der besonders verpönten grenzüberschreitenden und in Bezug auf Suchtgift in einem die Grenze der sogenannten „übergroßen Menge“ (§ 28a Abs. 4 Z 3 SMG) bei Weitem übersteigenden Umfang begangenen Suchtmittelkriminalität von einem sich daraus ergebenden massiven Gefährdungspotenzial des sich im Entscheidungszeitpunkt des BVwG noch in Strafhaft befindlichen, somit kein maßgebliches Wohlverhalten aufweisenden Revisionswerbers aus. Diese zutreffende Einschätzung ist nicht zu beanstanden, zumal das BVwG in diesem Zusammenhang überdies zu Recht noch ins Treffen führte, der Revisionswerber habe sich auch von dem gegen ihn schon einmal erlassenen Aufenthaltsverbot unbeeindruckt gezeigt. Das lässt die Revision zur Gänze außer Acht.

17 In Anbetracht der besonders gravierenden Straftaten des Revisionswerbers, die trotz mehrerer Milderungsgründe mit einer hohen unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Jahren sanktioniert wurden, und des besonders großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung professionell organisierter, grenzüberschreitender Suchtgiftkriminalität begegnet auch die Beurteilung des BVwG im Rahmen der Interessenabwägung, der im Übrigen in Österreich beruflich überhaupt nicht integrierte Revisionswerber und seine Familienangehörigen hätten eine (befristete) Trennung hinzunehmen, keinen Bedenken. Abgesehen von seiner familiären Situation berücksichtigte das BVwG ohnehin auch den in der Revision noch ins Treffen geführten langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich und seine sprachliche Integration zu seinen Gunsten. Im Übrigen dauerte der rechtmäßige Aufenthalt seit der Wiedereinreise im Frühjahr 2015 bis zum Beginn des Tatzeitraums Anfang 2020 noch keine fünf Jahre. Die für den Revisionswerber sprechenden Umstände wurden aber ohnehin bei der Dauer des Einreiseverbots angemessen berücksichtigt.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 24. Oktober 2024