JudikaturVwGH

Ro 2024/21/0001 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des H U, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Jänner 2024, W112 2284269 1/22E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 14. März 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 27. März 2023 zur Gänze abwies. Unter einem erteilte es dem Revisionswerber (von Amts wegen) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 27. Juli 2023 als unbegründet ab. Weder der Verfassungsgerichtshof noch der Verwaltungsgerichtshof erkannten der dagegen erhobenen Beschwerde bzw. Revision die aufschiebende Wirkung zu. Der Revisionswerber kam seiner Ausreiseverpflichtung in der Folge jedoch nicht nach und verblieb in Österreich.

3 Mit dem Beschluss VfGH 4.10.2023, E 2859/2023, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Mit dem Beschluss VwGH 13.12.2023, Ra 2023/18/0447, wies der Verwaltungsgerichtshof die danach erhobene Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B VG zurück.

4 Bereits im Zeitraum von 28. Oktober 2023 bis 30. Oktober 2023 hatten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Basis eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrages des BFA mehrmals versucht, den Revisionswerber an seiner damaligen Meldeadresse zur Sicherung der für den 31. Oktober 2023 geplant gewesenen Abschiebung festzunehmen. Sie trafen an dieser Adresse jedoch lediglich seinen ebenfalls dort gemeldeten Onkel an. Aus demselben Grund konnte dem Revisionswerber eine in weiterer Folge ergangene Verfahrensanordnung zur Inanspruchnahme der Rückkehrberatung trotz mehrerer im November 2023 vorgenommener Versuche nicht zugestellt werden. Am 16. November 2023 kam der Beschwerdeführer nachdem ihm im Wege seines Onkels mitgeteilt worden war, dass ihm nur ein Schriftstück ausgefolgt und er nicht festgenommen werde zu einer Polizeiinspektion und übernahm die erwähnte Verfahrensanordnung persönlich; die Rückkehrberatung nahm er jedoch nicht in Anspruch, weil er befürchtete, abgeschoben zu werden.

5 Auf Basis eines auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA VG gestützten Festnahmeauftrags vom 1. Dezember 2023 versuchten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dezember 2023 wiederum mehrmals den Revisionswerber an seiner Meldeadresse festzunehmen, wobei neuerlich nur sein Onkel angetroffen werden konnte. Nachdem der Revisionswerber offenbar an seiner Meldeadresse nicht (mehr) wohnte, leitete das BFA eine amtliche Abmeldung ein.

6 Am 4. Jänner 2024 erlangte das BFA Kenntnis davon, dass der Revisionswerber beabsichtige, am 13. Jänner 2024 eine deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Daraufhin erließ es einen auf § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG gestützten Festnahmeauftrag, den Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zwischen 6. Jänner 2024 und 11. Jänner 2024 mehrmals an der Meldeadresse der zukünftigen Ehefrau des Revisionswerbers zu vollziehen versuchten. Nachdem diese Festnahmeversuche erfolglos geblieben waren, wurde der Revisionswerber schließlich am 13. Jänner 2024, um 8:52 Uhr, gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA VG unmittelbar vor der Hochzeit am Standesamt festgenommen und in ein Anhaltezentrum überstellt. Mit Mandatsbescheid vom selben Tag wurde über den Revisionswerber nach dessen Einvernahme beginnend um 16:35 Uhr gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt. Aufgrund des am 15. Jänner 2024 erlassenen Abschiebeauftrages des BFA wurde der Revisionswerber am 16. Jänner 2024, 19:36 Uhr, auf dem Luftweg in die Türkei abgeschoben.

7 Bereits mit Schriftsatz vom 14. Jänner 2024 hatte der Revisionswerber Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und seine Anhaltung in Schubhaft seit dem 13. Jänner 2024 erhoben. Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis, datierend vom 16. Jänner 2024, wies das BVwG diese Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA VG iVm § 76 Abs. 1 und 2 Z 2 FPG als unbegründet ab und erklärte die Anhaltung in Schubhaft seit 13. Jänner 2024 für rechtmäßig. Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin vorlägen. Schließlich traf es diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die (ordentliche) Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig sei.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 10.6.2024, E 1937/2024) fristgerecht ausgeführte ordentliche Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde und die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

9 Nach dieser Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. etwa VwGH 27.9.2023, Ro 2022/21/0001, Rn. 11, mwN).

11 Im Erkenntnis VwGH 18.12.2024, Ra 2024/21/0054, fasste der Verwaltungsgerichtshof unter Rn. 16 in Bezug auf den dort beurteilten Fall Festnahme einer Drittstaatsangehörigen unmittelbar vor der beabsichtigten Hochzeit mit einem aufenthaltsberechtigten kroatischen Staatsangehörigen das Ergebnis dahin zusammen, die Annahme des BVwG, dass der Festnahmeauftrag und der Vollzug der Festnahme, mit denen letztlich ohne begründeten Verdacht einer beabsichtigten Aufenthaltsehe nur die Eheschließung der Mitbeteiligten und ihres nunmehrigen Ehemannes unterbunden werden sollte (Hinweis auf VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0264), rechtswidrig gewesen seien, erweise sich nicht nur jedenfalls als vertretbar, sondern als zutreffend. In dem als Beleg genannten Erkenntnis Ra 2016/21/0264 ging es um die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft, die nach einer am Standesamt vorgenommenen Festnahme eines Drittstaatsangehörigen unmittelbar vor der Eheschließung mit einer ungarischen Staatsangehörigen vollzogen wurde. In diesem Zeitpunkt lag gegen diesen Drittstaatsangehörigen zwar eine durchsetzbare, aber noch nicht durchführbare Rückkehrentscheidung vor. In diesem Fall war der Verwaltungsgerichtshof erkennbar davon ausgegangen, dass die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft anzunehmen gewesen wäre, wenn was ungeprüft geblieben war der ungarischen Staatsangehörigen ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zugekommen sei und es sich um keine Aufenthaltsehe gehandelt habe. Es hätte nämlich bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung die hypothetische Entwicklung, wäre die Eheschließung nicht durch die vom BFA veranlasste Festnahme am Tag der beabsichtigten Hochzeit vereitelt worden, nämlich die durch die Heirat bewirkte Erlangung der Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen samt Aufenthaltsrecht, berücksichtigt werden müssen.

12 Das BVwG vertrat im angefochtenen Erkenntnis dazu die Auffassung, die Aussagen des Verwaltungsgerichtshofes in diesem Erkenntnis seien deshalb nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen, weil hier gegen den Revisionswerber bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung ergangen war. Zur Klärung der Richtigkeit dieser Auffassung wurde vom BVwG die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt. Darauf beruft sich im Sinne der in Rn. 10 wiedergegebenen Rechtsprechung auch der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, tritt aber mit näher begründeten Ausführungen der vom BVwG angenommenen Verhältnismäßigkeit der Schubhaft entgegen. Die Aussagen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis Ra 2016/21/0264 seien seiner Ansicht nach wie auch schon in der Schubhaftbeschwerde vertreten wurde auch im vorliegenden Fall einschlägig.

13 Sowohl das BVwG als auch der Revisionswerber erkannten im Ergebnis zutreffend, dass es am Maßstab der in Rn. 11 dargestellten Judikatur für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft fallbezogen darauf ankommt, ob die am 13. Jänner 2024 am Standesamt vorgenommene Festnahme des Revisionswerbers rechtmäßig war oder nicht. Nur im Fall der Rechtswidrigkeit der Festnahme stellt sich nämlich die hypothetische Frage, ob der Revisionswerber durch die Eheschließung die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen hätte erlangen können. Über die Vorfrage der Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Festnahme des Revisionswerbers wurde aber (mittlerweile) rechtskräftig abgesprochen, indem die mit Schriftsatz vom 4. Februar 2024 dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit Erkenntnis des BVwG vom 2. August 2024, das im Übrigen vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht bekämpft wurde, als unbegründet abgewiesen wurde. Daran ist der Verwaltungsgerichtshof insoweit gebunden, als er zur Frage der Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit der Festnahme des Revisionswerbers keine eigene Beurteilung (mehr) vorzunehmen hat. Diese Konsequenz ergibt sich nämlich schon daraus, dass einerseits bei Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verwaltungsgerichtshof das BVwG im fortgesetzten Verfahren an die rechtskräftige Vorfragenbeurteilung gebunden wäre (zur Bindung des Verwaltungsgerichts bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage siehe etwa VwGH 30.8.2022, Ra 2021/08/0119, Rn. 6, und VwGH 25.6.2019, Ra 2019/10/0012, Rn. 15/16) und dass andererseits eine solche Bindung auch für den Verwaltungsgerichtshof bei einer Entscheidung in der Sache selbst, bei der er an die Stelle des BVwG tritt (vgl. zu einer Verwaltungsstrafsache etwa VwGH 27.7.2022, Ra 2022/02/0057, Rn. 23), bestünde. In beiden Fällen könnte es somit zu keinem anderen Ergebnis kommen als im angefochtenen Erkenntnis. Demzufolge geht der Einwand in der Revision, die Festnahme des Revisionswerbers sei rechtswidrig und die anschließende Schubhaft deshalb unverhältnismäßig gewesen, ins Leere.

14 Der Revisionswerber releviert in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision zudem, dass die in der Beschwerde beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre. Das BVwG hätte nämlich nach Auffassung des Revisionswerbers im Hinblick auf die angenommene Fluchtgefahr und die Nichtanwendung gelinderer Mittel nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen.

15 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass in der Schubhaftbeschwerde vom 14. Jänner 2024 den im Schubhaftbescheid enthaltenen Erwägungen des BFA zur Annahme von Fluchtgefahr und der Nichtanwendung gelinderer Mittel die das BVwG im Wesentlichen teilte nicht entgegengetreten wurde. Es bestand für das BVwG somit keine Veranlassung, insoweit eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Vielmehr durfte es jedenfalls vertretbar davon ausgehen, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer Schubhaft rechtfertigenden Fluchtgefahr iSd § 21 Abs. 7 BFA VG keiner weiteren Klärung bedurfte. Da der Revisionswerber nach Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung über Monate hinweg für die Behörden nicht erreichbar war, sich damit seiner Festnahme und der geplanten Abschiebung entzog, die Rückkehrberatung aus Angst, abgeschoben zu werden, nicht in Anspruch nahm, seiner Meldepflicht zuletzt nicht nachkam und überdies im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA nicht bereit war, seine aktuelle Wohnadresse bekannt zu geben, durfte nämlich schon deshalb auf eine hohe, auch aktuell gegebene Fluchtgefahr geschlossen werden, der nur durch die Verhängung bzw. Aufrechterhaltung der Schubhaft und nicht durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. dazu, dass es zur Beurteilung der Fluchtgefahr nicht in allen Fällen einer mündlichen Verhandlung bedarf, sondern sich diese auch aus einem einschlägigen Vorverhalten ableiten lässt, etwa VwGH 11.4.2024, Ra 2021/21/0336, Rn. 9, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 12. Juni 2025

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