JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0186 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner, Bakk., als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des M M, vertreten durch Rast Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2024, G304 2292032 1/6E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1964 geborene Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, ist seit Oktober 1993 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet gemeldet. Er verfügt seit 2004 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel („Niederlassungsnachweis“, „Daueraufenthalt EU“) und war seit Juli 2002 ständig erwerbstätig. Er reiste bis in das Jahr 2023 wiederholt nach Serbien, da er dort seit dem Jahr 2000 eine Landwirtschaft und zuletzt auch ein Transportunternehmen betrieb. Seine ehemalige Ehefrau, von der er seit Herbst 2020 geschieden ist, seine 1987 geborene, verheiratete Tochter sowie seine beiden Enkelkinder leben in Österreich.

2Mit Ergänzungsurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 15. Juli 2022 wurde der Revisionswerber in Zusammenschau mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 23. März 2021 wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 StGB, der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB und der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und vier Monaten rechtskräftig verurteilt, die der Revisionswerber nach seiner Festnahme am 31. Mai 2023 in Ungarn und anschließender Überstellung nach Österreich aktuell noch verbüßt.

3Dieser Verurteilung lag zusammengefasst zugrunde, dass der Revisionswerber gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin zwischen Mai 2019 und Juli 2020 auf näher beschriebene Weise, insbesondere durch Tritte und Schläge, fortgesetzt Gewalt ausgeübt und sie wiederholt unter Androhung von Schlägen zur Folgeleistung seiner Anweisungen verhalten habe. Er habe sie zudem in zumindest drei Angriffen zum Geschlechtsverkehr aufgefordert und diesen sodann, nach vorangegangener Einschüchterung, gegen ihren Willen vorgenommen. In einem weiteren Angriff habe der Revisionswerber seine ehemalige Lebensgefährtin mit Gewalt zum Oralverkehr genötigt. Zudem habe er ihr in zwei Angriffen jeweils den linken Kleinfinger gebrochen. Im Rahmen der Strafbemessung wertete das Strafgericht als erschwerend insbesondere den langen Tatzeitraum zu § 107b StGB, als mildernd hingegen den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und die lange Verfahrensdauer.

4Angesichts dessen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 11. April 2024 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot, das der Begründung zufolge (richtig) auf die Z 5 des § 53 Abs. 3 FPG gestützt wurde. Es erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

5Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Juni 2024 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber gegen die vom BVwG in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot am Maßstab des § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG erstellte Gefährdungsprognose und gegen die nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung.

10Bei der Gefährdungsprognose ging das BVwG richtig vom Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG (gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) iVm § 53 Abs. 3 FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) aus. Dazu ist festzuhalten, dass grundsätzlich auch ein nur zu einer einzigen Verurteilung führendes Fehlverhalten bei einer wie hier gegebenenentsprechenden Gravität die geforderte Gefährdungsprognose rechtfertigen kann (vgl. etwa VwGH 11.4.2024, Ra 2023/21/0073, Rn. 10, mwN; im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB siehe etwa auch VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0099, Rn. 9, mwN). Aus dem Hinweis in der Revision, der Revisionswerber sei nur einmal verurteilt worden, ist daher für sich genommen nichts zu gewinnen.

11 Entgegen den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision berücksichtigte das BVwG im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht bloß die Tatsache der Verurteilung, sondern stellte die individuellen Tathandlungen und die näheren Begleitumstände fest und schloss aus diesen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, dass der erwähnte Gefährdungsmaßstab erfüllt sei. Diese Beurteilung ist angesichts der in Rn. 3 zusammengefasst wiedergegebenen, der rechtskräftigen Verurteilung des Revisionswerbers zugrundeliegenden Straftaten, die vom BVwG zu Recht als aggressive und brutale Vorgangsweise qualifiziert wurden, von der auf eine schwerwiegende Gefahr für nahe Bezugspersonen des Revisionswerbers und eine „grundsätzliche Bereitschaft zu derartigen Straftaten“, zu schließen sei, nicht zu beanstanden. Dabei berücksichtigte es in zulässiger Weise auch die Einschätzung der Strafvollzugsbehörde im Rahmen der Beurteilung des Ersuchens um Vollzug der restlichen Freiheitsstrafe in Form des „elektronisch überwachten Hausarrests“, wonach das Rückfallrisiko beim Revisionswerber aufgrund seiner impulsiven Persönlichkeitszüge, seiner Neigung zu Aggressivität und wegen seines Frauenbilds „mit damit verbundenen Anspruchs und Besitzdenken“ als sehr hoch eingestuft worden sei. Soweit vom Revisionswerber in der Revision bestritten wird, ein derartiges Frauenbild zu haben, genügt es zu erwidern, dass diese Einschätzung schon durch das vom Strafgericht für dieses Verfahren bindend festgestellte Verhalten gegenüber seiner früheren Lebensgefährtin seine Bestätigung findet.

12 Soweit sich der Revisionswerber in diesem Zusammenhang noch auf sein tadelloses Verhalten im Strafvollzug und eine von ihm seit September 2023 durchgeführte Therapie beruft, kommt dem im vorliegenden Fall keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, zumal nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafein Freiheit wohlverhalten hat, wobei dies selbst für den Fall einer bereits erfolgreich absolvierten Therapie gilt (vgl. beispielsweise wiederum VwGH 11.4.2024, Ra 2023/21/0073, nunmehr Rn. 11, mwN). Da der Revisionswerber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch nicht aus der Strafhaft entlassen worden war, ist es trotz der geltend gemachten guten Führung im Strafvollzug und Absolvierung einer Therapie zu Recht nicht von einem den Wegfall der Gefährdung indizierenden ausreichenden Wohlverhalten ausgegangen.

13 Auch bei der nach § 9 BFAVG iVm Art. 8 EMRK durchgeführten Interessenabwägung setzte sich das BVwG mit sämtlichen maßgeblichen Umständen auseinander. Dabei berücksichtigte es auch, dass der Revisionswerber den früheren Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFAVG, der durch das FrÄG 2018 aufgehoben wurde, erfüllt, weil dem Revisionswerber im Sinne der genannten Bestimmung vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind wie auch das BVwG zutreffend festhielt die Wertungen der ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände des § 9 Abs. 4 BFA VG im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFAVG insofern weiterhin beachtlich, als in diesen Fällen nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen ein fallbezogener Spielraum für die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen besteht (vgl. etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2021/21/0329, Rn. 15, mwN). Angesichts der vom Revisionswerber gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin gesetzten Straftaten, insbesondere der über einen längeren Zeitraum begangenen fortgesetzten Gewaltausübung und deren Vergewaltigung, die (trotz seiner bisherigen Unbescholtenheit) mit einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und vier Monaten sanktioniert wurden, bedarf es keiner näheren Erörterung, dass hier ein Fall gravierender bzw. schwerer Straffälligkeit vorliegt und das BVwG deshalb zutreffend von einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen ausgehen durfte (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH 16.8.2022, Ra 2022/21/0084, Rn. 13, und VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0276, Rn. 15).

14 Das BVwG nahm im Rahmen der Interessenabwägung zudem ausreichend auf die für einen Verbleib des Revisionswerbers sprechenden Umstände, wie dessen sehr lange Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und Erwerbstätigkeit in Österreich sowie seine familiären Anknüpfungspunkte, Bedacht. Es legte jedoch zutreffend dar, dass auch die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner volljährigen Tochter ein Überwiegen der individuellen Interessen des Revisionswerbers daran, keinem Einreiseverbot zu unterliegen, nicht begründen könne. Das BVwG durfte entgegen der Meinung in der Revision vielmehr davon ausgehen, dass im Hinblick auf die gravierende Straffälligkeit des Revisionswerbers die durch das zehnjährige Einreiseverbot bewirkte Trennung von seinen Familienangehörigen im insgesamt besonders großen öffentlichen Interesse an der Unterbindung von Straftaten der hier in Rede stehenden Art in Kauf zu nehmen ist. Auf Basis der auf den eigenen Angaben des Revisionswerbers vor dem BFA beruhenden Feststellungen (siehe Rn. 1) trifft im Übrigen auch die bloße Behauptung in der Revision nicht zu, zum Heimatstaat „nahezu keine Bindungen“ zu haben.

15 Der Revisionswerber releviert in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision zudem, dass die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre.

16 § 21 Abs. 7 BFAVG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 24.10.2024, Ra 2024/21/0057, Rn. 14, mwN).

17 Einen solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG in der vorliegenden Konstellation vor dem Hintergrund der wie oben bereits ausgeführt als besonders verwerflich zu qualifizierenden Straftaten sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch hinsichtlich der nach § 9 BFAVG iVm Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung im Ergebnis jedenfalls vertretbar unterstellen.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2024