JudikaturVwGH

Ra 2024/17/0111 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
02. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Y S, vertreten durch die Bitterl König Rechtsanwälte OG in 1030 Wien, Am Modenapark 10, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2024, L532 13059082/6E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 3 VwGG wird - in Abänderung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. August 2024 - dem Antrag des Revisionswerbers, der gegen das Erkenntnis vom 8. Februar 2024 erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, stattgegeben.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 8. Februar 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Behörde) vom 12. Juli 2023, mit dem ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei festgestellt, eine Frist von 14 Tagen für seine freiwillige Ausreise eingeräumt und über ihn ein Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren verhängt worden war, als unbegründet ab. Ferner sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die mit einem Aufschiebungsantrag verbundene außerordentliche Revision. Der Antrag wird im Wesentlichen damit begründet, dass dem Revisionswerber durch den Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses (seine Außerlandesbringung) ein unverhältnismäßiger Nachteil drohe, da er seit mehr als 30 Jahren in Österreich lebe und fest verwurzelt sei, hier seine Familie und seine Freunde habe, einer Beschäftigung nachgehe, sowie Verpflichtungen insbesondere gegenüber seinem minderjährigen Sohn (der bei ihm lebe, über den er die geteilte Obsorge ausübe, für den er sorge und dessen Lebensunterhalt und auch Ausbildung er finanziere) und seinem behinderten Vater (den er mangels hinreichender anderweitiger Versorgung auf näher erörterte Weise betreue und unterstütze) wahrnehme. Der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stünden auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen, gehe doch vom Revisionswerber - der zuletzt im September 2018 straffällig geworden sei und sich seitdem (insbesondere seit seiner Überstellung in den elektronisch überwachten Hausarrest im März 2022) wohlverhalten habe - keine Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus.

Über diesen Antrag sprach (vor Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof) das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. August 2024 dahin ab, dass es die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannte. Es begründete dies im Wesentlichen mit den sieben strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers wegen zum Teil schwerer Delikte, sodass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erhebliche öffentliche Interessen entgegenstünden, die jedenfalls schwerer wögen als die gegenläufigen familiären und privaten Interessen.

Mit Antrag vom 23. September 2024 wiederholt der Revisionswerber im Wesentlichen sein Vorbringen im ursprünglichen Aufschiebungsantrag. Er bringt dazu ergänzend vor, der Vollzug würde auch insofern zu einem unverhältnismäßigen Nachteil führen, als er seine während der Strafhaft begonnene Ausbildung zum Automechaniker (er übe diesen Beruf auch aus) in naher Zukunft durch Ablegung der Lehrabschlussprüfung nicht erfolgreich beenden könnte. Ferner würde sein finanzielles Fortkommen und auch jenes seines Sohnes, der von ihm finanziell abhängig sei, massiv gefährdet.

Die Behörde, der vom Verwaltungsgerichtshof Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, hat sich zum Abänderungsantrag nicht (ablehnend) geäußert.

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug der angefochtenen Entscheidung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Gemäß § 30 Abs. 3 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision Beschlüsse gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn er die Voraussetzungen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Im Provisorialverfahren betreffend die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung geht es nicht um die Rechtmäßigkeit der mit Revision angefochtenen Entscheidung, sondern einzig und allein um die Auswirkungen eines (möglichen) sofortigen Vollzugs derselben.

Bei der gemäß § 30 Abs. 2 VwGG gebotenen Interessenabwägung ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die aufschiebende Wirkung ein die Funktionsfähigkeit des Rechtsschutzsystems stützendes Element ist. Die Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsgerichtshofs soll durch den Vollzug der angefochtenen Entscheidung während der Dauer des Revisionsverfahrens nicht ausgehöhlt oder gar ausgeschaltet werden. Die Interessenabwägung schlägt daher in der Regel dann zugunsten einer revisionswerbenden Partei aus, wenn der ihr durch den Vollzug drohende Nachteil im Fall eines Erfolgs der Revision nicht oder nur schwer rückgängig gemacht werden könnte (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 26.6.2023, Ra 2023/20/0125, Rn. 10 und 11, mwN).

Dieser Rechtslage hat das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG nicht die gebührende Beachtung geschenkt.

Der Revisionswerber macht in seinem Antrag zutreffend und hinreichend konkret geltend, dass der sofortige Vollzug des mit Revision angefochtenen Erkenntnisses für ihn sowie auch für die von ihm (auf näher dargestellte Weise) abhängigen Personen (Sohn und Vater) mit erheblichen nicht oder nur schwer wieder rückgängig zu machenden Nachteilen verbunden wäre (vgl. dazu im Einzelnen das oben näher dargelegte Antragsvorbringen). Indessen sind zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen, die einen vorzeitigen Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses erfordern würden, vor allem auch im Hinblick auf das zuletzt erfolgte Wohlverhalten des Revisionswerbers nicht zu sehen.

Dem trat auch die Behörde in keiner Weise entgegen.

Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 VwGG für die Zuerkennung der beantragten aufschiebenden Wirkung sind somit gegeben.

Wien, am 2. Dezember 2024