Spruch
L503 2291838-1/7E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.3.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.10.2024, zu Recht erkannt:
A.) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: „BF“) – eigenen Angaben zufolge ein syrischer Staatsangehöriger – stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 11.9.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab der BF an, er habe sich vor seiner Reise nach Österreich fünf Jahre lang in der Türkei aufgehalten. Als Fluchtgrund gab der BF an, in Syrien herrsche Krieg und im Alter von 18 Jahren müsse er zum Militär, deshalb sei er geflüchtet. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF an, er habe Angst um sein Leben.
2. Am 28.9.2022 wurde der BF erstmals durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: „BFA“) niederschriftlich einvernommen.
Eingangs gab der BF zu seiner Person an, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Araber, moslemisch-sunnitischen Glaubens und stamme aus Deir ez-Zor. Diverse Dokumente seien gerade auf dem Postweg nach Österreich; er habe aber weder einen Reisepass, noch einen Personalausweis. Er habe zuletzt fünf Jahre lang in der Türkei gelebt und in einem Restaurant gearbeitet; Syrien habe er bereits im Alter von 15 Jahren verlassen. Die Schule habe er acht Jahre lang in Homs besucht. Er sei verheiratet und halte sich seine Frau in der Türkei auf; sie sei schwanger.
Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, diese würden einerseits darin bestehen, dass er zum Militär müsse. Zum anderen herrsche in Syrien Krieg, es gebe dort keine Rechte und er könne keine Ausbildung machen. Verfolgt werde er in Syrien nicht.
3. Am 19.7.2023 wurde der BF ein weiteres Mal durch das BFA einvernommen.
Eingangs gab der BF auf Nachfragen an, er habe mittlerweile einen Sohn; dieser würde mit seiner Gattin in der Türkei leben. Nach Österreich sei der BF gemeinsam mit seinem minderjährigen Neffen XXXX gereist und sei ihm die Obsorge für seinen Neffen übertragen worden. Vorgelegt wurden vom BF in Kopie diverse Dokumente wie Heiratsurkunden, Auszüge aus dem Familienregister, Auszüge aus dem Personenstandsregister, Geburtsurkunden seine Gattin und seinen Sohn betreffend.
Er stamme aus Deir ez-Zor, habe aber zunächst in Homs und erst dann wieder in Deir ez-Zor gelebt. In der Türkei habe er von 2017 bis Juli 2022 gelebt und dort über einen Kimlik verfügt. Damals sei er gemeinsam mit seinem Bruder, seiner Schwester und seiner Mutter in die Türkei ausgereist; sein Vater sei erst 2019 in die Türkei nachgekommen. In der Türkei habe er als Küchengehilfe gearbeitet. Im Jahr 2020 habe er in der Türkei geheiratet; die Ehe sei im Wege eines Rechtsanwalts in Syrien registriert worden. Sein Sohn sei im März 2023 in der Türkei geboren worden. Auch seine Familie habe einen türkischen Kimlik; sein Bruder und seine Schwester würden in der Türkei ebenfalls arbeiten. Für die Ausreise von der Türkei nach Österreich habe er für sich und seinen Neffen insgesamt 8.000 EUR bezahlt; hierzu hätten sie in Syrien Felder verkauft.
Zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien sei an seinem Wohnort der IS an der Macht gewesen; als der IS in ihre Ortschaft einmarschiert sei, hätten sie das Land verlassen. Aktuell werde diese Region vom syrische Regime und iranischen Truppen kontrolliert.
Auf die Frage nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, im März 2011 (richtig wohl: 2012, Anmerkung des BVwG) habe es in der Stadt Karm al-Zeitoun (gemeint wohl: einem Stadtviertel von Homs, Anmerkung des BVwG) eine Schlacht gegeben, bei welcher sehr viele Leute ums Leben gekommen seien. Ihr Haus sei seitens der syrischen Armee angegriffen worden. Die Soldaten seien gekommen, hätten an die Tür geklopft und seien in das Haus gekommen. Sie hätten seine Eltern geschlagen und aufgefordert, das Haus zu verlassen. Deswegen sei er mit seiner Familie nach Deir ez-Zor geflohen. In Deir ez-Zor hätten sie nicht mehr leben können, weil dort der IS einmarschiert sei. Der IS habe viele Leute aufgefordert, sich ihnen anzuschließen und habe sein Vater große Angst um seine Familie gehabt. Einer seiner beiden Brüder sei nach Idlib gegangen und einer in die Türkei; der BF sei dann später ebenfalls in die Türkei gereist. Es gebe in Syrien keine Sicherheit und keine Zukunft. Das seien all seine Gründe; er habe dort in ständiger Angst gelebt. Er selbst sei niemals Rekrutierungsversuchen des IS ausgesetzt gewesen, weil er noch zu klein gewesen sei.
Auf Vorhalt, dass er bei seiner Erstbefragung als Fluchtgrund bzw. Rückkehrbefürchtung noch den Militärdienst ins Treffen geführt hatte, gab der BF an, dies sei richtig; wenn er nach Syrien zurückkehre, werde er vom syrischen Militär eingezogen. Er werde vielleicht eingesperrt und vielleicht im Gefängnis gefoltert. Das syrische Regime habe viele Leute aufgefordert, zum Militär zu gehen, es habe dort das „Veschwinden lassen“ gegeben. Er wolle sich diesem Regime nicht anschließen, weil es die Kinder töte. Wenn ein anderer Staat Syrien angreife, würde er selbstverständlich sein Land verteidigen, wobei der BF dies nach Rückübersetzung dahingehend änderte, dass er – jedenfalls unter dem Assad-Regime – keine Waffe tragen und Menschen töten möchte. Ein Freikauf vom Militärdienst komme für ihn nicht in Betracht, da es keine Garantie gebe, nicht eingezogen zu werden; nach Rückübersetzung fügte der BF hinzu, er möchte diesem Regime kein Geld geben, um Waffen zu kaufen und Menschen zu töten.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 13.3.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BFA zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass der BF, welcher Syrien als Minderjähriger verlassen habe, dort nicht persönlich bedroht oder verfolgt worden sei. Er sei zwar mittlerweile wehrpflichtig, allerdings hätte er aufgrund seines Auslandsaufenthaltes in der Türkei und der damit einhergehenden Beschäftigung und des finanziellen Hintergrunds seiner Familie – so habe er etwa angegeben, dass zur Aufbringung der Kosten der Schleppung Grundstücke in Syrien verkauft worden seien -, die Möglichkeit gehabt bzw. bestehe die Möglichkeit immer noch, sich vom Militärdienst in Syrien freizukaufen. Abgesehen davon sei auch nicht mehr davon auszugehen, dass der Militärdienst mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Menschenrechtsverletzungen verbunden sei; zudem liege beim BF keine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen oder einer pazifistischen Grundhaltung heraus vor. Allerdings würden Gründe für die Annahme bestehen, dass im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des BF derzeit eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe, sodass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
5. Mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation vom 3.5.2024 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 13.3.2024.
Darin wurde das bisherige Vorbringen wiederholt. Betont wurde, dass beide Herkunftsregionen des BF (Deir ez-Zor bzw. Homs) unter Kontrolle des syrischen Regimes stehen würden. Der BF sei oppositionell eingestellt und drohe ihm insbesondere vor dem Hintergrund seiner Wehrdienstverweigerung asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime in Zusammenhang mit einer (zumindest unterstellten) oppositionellen Gesinnung. Dies gelte auch für die illegale Ausreise und Asylantragstellung in Österreich. Ein Freikauf vom Militärdienst sei dem BF nicht möglich.
6. Am 13.5.2024 wurde der Akt dem BVwG vorgelegt.
7. Am 10.10.2024 führte das BVwG in der Sache des BF in dessen Beisein sowie seiner Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Behördenvertreter ist zur Verhandlung entschuldigt nicht erschienen. Im Zuge der Verhandlung wurden das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Stand 27.3.2024), der Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien – Grenzübergänge“ vom 25.10.2023, das Themendossier Wehrdienst der Staatendokumentation vom 23.9.2024 und das Kartenmaterial unter www.cartercenter.org in das Verfahren eingebracht. Die Rechtsvertretung des BF nahm die Berichte zur Kenntnis und verwies auf die Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht fest. Er ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Der BF spricht Arabisch und Türkisch.
Der BF ist 2002 in Deir ez-Zor/ XXXX geboren und stammt auch sein Vater von dort, wobei der BF seine Kindheit jedoch mit seiner Familie zunächst in Homs verbrachte, von wo die Familie seiner Mutter stammt und wo der Vater des BF vier Häuser besaß. Anfang 2012 verzog der BF mit seiner Familie – bedingt durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Homs – zurück nach Deir ez-Zor, wo sein Vater nach wie vor ein Haus besaß. Sowohl in Homs, als auch in Deir ez-Zor besaß der Vater des BF während des jeweiligen Aufenthalts einen Supermarkt und sorgte so für den Lebensunterhalt der Familie; der BF half im Supermarkt seines Vaters in Deir ez-Zor mit. Ende 2017 verließ der BF aufgrund der Vorherrschaft des IS mit seiner Mutter, seinem älteren Bruder und seinen Schwestern Deir ez-Zor in Richtung Türkei; sein Vater folgte ihnen im Jahr 2019 in die Türkei nach. In der Türkei ging der BF diversen Beschäftigungen, insbesondere im Bau- und Gastronomiebereich, nach und verfügte über einen Kimlik. Im Jahr 2020 heiratete der BF in der Türkei; im März 2023 wurde in der Türkei sein Sohn geboren. Die Ehe wurde in Syrien registriert.
Im Juli 2022 verließ der BF die Türkei gemeinsam mit seinem minderjährigen Neffen XXXX in Richtung Österreich und wurde ihm hier die Obsorge für seinen Neffen übertragen.
Aktuell leben seine Eltern, vier seiner Schwestern, sein älterer Bruder sowie seine Ehefrau und sein Sohn nach wie vor in der Türkei. Sein jüngerer Bruder und eine weitere Schwester leben in Idlib. Sein dritter Bruder kam im Jahr 2015 bei einem Bombardement des Viehmarkts in XXXX , auf dem er gearbeitet hatte, ums Leben.
Sowohl Deir ez-Zor/ XXXX , als auch Homs befinden sich aktuell unter Kontrolle des syrischen Regimes.
Der BF hat in Österreich den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.
1.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF:
1.2.1. Der BF befindet sich mittlerweile im wehrpflichtigen Alter; er hat den verpflichtenden Wehrdienst in der syrischen Armee noch nicht abgeleistet. Der BF hat Syrien im Alter von 15 Jahren verlassen. Allein schon bedingt durch sein Alter bei der Ausreise war der BF weder bei der Musterung, noch hat er einen Einberufungsbefehl erhalten, noch war er in diesem Zusammenhang irgendwelchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt.
Nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der BF im Falle einer Rückkehr und einer darauffolgenden Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung Folter ausgesetzt wäre. Es ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der BF im Fall der Ableistung des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen beteiligen müsste.
Der BF kann bei den syrischen Behörden um die Befreiung vom Wehrdienst gegen Leistung eines Wehrersatzgeldes ansuchen.
Der BF weist zudem keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime bzw. gegen den Militärdienst für das syrische Regime oder den Dienst an der Waffe an sich auf.
Die syrische Regierung unterstellt dem BF wegen der mit seiner Flucht verbundenen Entziehung vom Militärdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keine politische oder oppositionelle Gesinnung.
1.2.2. Der BF ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung, er ist nicht politisch aktiv gewesen auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten.
Auch aufgrund der – für möglich gehaltenen – Desertion seines älteren Bruders droht dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr einer Verfolgung durch das syrische Regime.
1.2.3. Dem BF droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien und seiner Asylantragstellung in Europa bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Nicht jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und im Ausland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird eine oppositionelle Gesinnung unterstellt.
1.2.4. Die Gefahr einer dem BF in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung aufgrund seines Glaubensbekenntnisses oder seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit kann nicht festgestellt werden.
Es kann auch keine sonstige Gefahr einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung des BF im Falle seiner Rückkehr festgestellt werden.
1.3. Zur aktuellen Situation in Syrien:
Zur Lage in Syrien wird auf das vom BVwG in der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2024 in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Version 11, Gesamtaktualisierung am 27.3.2024), in dem eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden und in welchem auch konkret auf die regelmäßig beauftragten Anfragebeantwortungen zur aktuellen Situation bzw. spezifischen Fragestellungen Bezug genommen wurde, verwiesen. Weiters wurden in der Beschwerdeverhandlung der Themenbericht der Staatendokumentation „Syrien-Grenzübergänge“ vom 25.10.2023 und das Themendossier Wehrdienst der Staatendokumentation vom 23.9.2024 und das Kartenmaterial unter www.cartercenter.org in das Verfahren eingebracht. Der BF bzw. dessen Rechtsvertretung traten den Berichten nicht entgegen. Gegen die Heranziehung der Berichte bestehen somit keine Bedenken. Im Übrigen wird auf die Berichte unten im Rahmen der Beweiswürdigung im jeweiligen Zusammenhang näher eingegangen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des BF:
Die zur Identität des BF getroffenen Feststellungen, wie auch zu seiner Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit, dem religiösen Bekenntnis und seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren. Anhand der – wenn auch nur in Kopie - vorgelegten Dokumente steht die Identität des BF fest.
Die getroffenen Feststellungen zum Lebenslauf des BF und zu den Lebensumständen seiner Familienangehörigen beruhen unmittelbar auf seinen – diesbezüglich grundsätzlich glaubhaften und übereinstimmenden – Angaben im gesamten bisherigen Verfahren.
2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
2.2.1. Der Vollständigkeit halber ist vorweg anzumerken, dass sich sowohl Deir ez-Zor/ XXXX , als auch Homs aktuell unter Kontrolle des syrischen Regimes befinden. Insofern ist für das gegenständliche Verfahren nicht entscheidungswesentlich, welcher der beiden Orte als Herkunftsort des BF angesehen werden. Wie bereits angemerkt, stammt die Familie des Vaters des BF aus Deir ez-Zor/ XXXX – wo sein Vater auch ständig ein Haus besaß -, allerdings wuchs der BF in Homs auf, wo sein Vater mehrere Liegenschaften erwarb, und verließ Homs mit seiner Familie erst 2012 wieder in Richtung Deir ez-Zor/ XXXX , wobei dies der Bürgerkriegssituation geschuldet war. Vor dem Hintergrund, dass sein Vater ursprünglich aus Deir ez-Zor/ XXXX stammt und dann 2012 – wenn auch bedingt durch die Kriegs- bzw. Vertreibungssituation in Homs – (bloß) eine „Rückkehr“ nach Deir ez-Zor/ XXXX erfolgte, und vor dem Hintergrund, dass der BF in der Beschwerdeverhandlung auf die Frage, welcher Ort sein Lebensmittelpunkt in Syrien gewesen sei, spontan angab, „Meine Wurzeln liegen in Deir-ez-Zor“ (VH S. 6), ist, in Anbetracht der hier offensichtlich doch engeren Bindungen des BF auch von Deir ez-Zor/ XXXX als Herkunftsort im Sinne der Rechtsprechung des VwGH (z. B. VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370) auszugehen.
2.2.2. Unbestritten ist, dass der BF den verpflichtenden Militärdienst für das syrische Regime nicht abgeleistet hat. Der BF hat Syrien im Alter von 15 Jahren verlassen. Allein schon bedingt durch sein Alter bei der Ausreise war der BF weder bei der Musterung, noch hat er einen Einberufungsbefehl erhalten, noch war er in diesem Zusammenhang irgendwelchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt.
Zum Wehr- und Reservedienst (Militärdienst) und Rekrutierungen führt das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 27.3.2024 wie folgt aus:
Rechtliche Bestimmungen
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 1.6.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 2.2.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, einer der bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) auch den Spezialeinheiten (Special Forces), der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 4.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.1.2023). Die 25. (Special Tasks) Division (bis 2019: Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 4.2023).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. […]
Die im März 2020, Mai 2021 und Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).
Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024). […]
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).
Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).
Rekrutierungspraxis
Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vgl. NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vgl. NLM 29.11.2022). […] Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).
Aus dem Berichtsmaterial geht – ohne, dass dies hier im Einzelnen wiedergegeben werden muss – hervor, dass Wehrpflichtigen im Falle der Weigerung, den Wehrdienst in der syrischen Armee abzuleisten, zumindest eine Gefängnisstrafe droht; weitere Konsequenzen können Folter oder der sofortige Einzug in den Militärdienst sein, hängen aber vom Einzelfall ab.
Hinsichtlich der Beteiligung von Rekruten an Kriegsverbrechen ergibt sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild. Im Kapitel „Streitkräfte“ des aktuellen Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 27.3.2024, wird diesbezüglich ausgeführt:
Das syrische Regime und damit auch die militärische Führung unterscheiden nicht zwischen Zivilbevölkerung und 'rein militärischen Zielen' (BMLV 12.10.2022). Nach Experteneinschätzung trägt jeder, der in der syrischen Armee oder Luftwaffe dient, per defintionem zu Kriegsverbrechen bei, denn das Regime hat in keiner Weise gezeigt, dass es das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht achtet. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass eine Person in eine Einheit eingezogen wird, auch wenn sie das nicht will, und somit in einen Krieg, in dem die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern nicht wirklich ernst genommen wird (Üngör 15.12.2021). Soldaten können in Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein, weil das Militär in Syrien auf persönlichen Vertrauensbeziehungen, manchmal auch auf familiären Netzwerken innerhalb des Militärs beruht. Diejenigen, die Verbrechen begehen, handeln innerhalb eines vertrauten Netzwerks von Soldaten, Offizieren, Personen mit Verträgen mit der Armee und Zivilisten, die mit ihnen als nationale Verteidigungskräfte oder lokale Gruppen zusammenarbeiten (Khaddour, Kheder 24.12.2021).
Somit kann – abhängig vom Einsatzgebiet bzw. der Einheit, in die man eingezogen wird – im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Rekruten im Fall der Ableistung des Wehrdienstes zur Kriegsverbrechen beitragen müssen, da das syrische Regime das Kriegsrecht oder das humanitäre Recht nicht achtet. Gleichzeitig ist jedoch gerade nicht davon auszugehen, dass sich jeder Wehrpflichtige gleichsam „automatisch“ zu einer hinreichend unmittelbaren Beteiligung an Kriegsverbrechen gezwungen sieht. Bereits seit März 2020 hat es keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien gegeben, sodass davon auszugehen ist, dass die Wahrscheinlichkeit, im Zuge des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen beteiligt zu werden, abgenommen hat.
Eine Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen – außer für muslimische Geistliche (vgl. LIB S. 134) – bzw. die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdiensts gibt es in Syrien nicht. Das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation führt dazu mit Stand 27.3.2024 wie folgt aus:
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 2.2.2024).
Allerdings besteht laut zitiertem Länderinformationsblatt bei längerem Auslandaufenthalt mittlerweile die Möglichkeit, sich durch Leistung eines „Wehrersatzgeldes“ von der Wehrdienstpflicht zu befreien:
Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten (AA 2.2.2024). Drei vertrauliche Quellen, die vom niederländischen Außenministerium im März 2023 und November 2022 befragt wurden, gehen davon aus, dass jemand, der sich vom Militärdienst freigekauft hat, auch nicht mehr zum Militärdienst einberufen wird. Der zu zahlende Betrag hängt dabei davon ab, wie lange die Männer im Ausland waren und variiert zwischen 7.000 und 10.000 Dollar. Auch Wehrdienstpflichtige, die das Land illegal verlassen haben, können sich durch eine solche Zahlung von der Wehrpflicht freikaufen. Möglich ist dies in einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat unter Vorlage eines Nachweises, dass man im Ausland lebt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Botschaft die Namen derer veröffentlicht, die sich auf diese Art von der Wehrpflicht befreit haben. Andererseits kann die Person sich auch durch einen Verwandten in Syrien an ein lokales Rekrutierungsbüro wenden, um sich von der Liste der Wehrdienstverweigerer streichen zu lassen (NMFA 8.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 2.2.2024). Die Person bekommt einen Beleg für den Freikauf, den sie bei der Einreise am Flughafen vorweisen kann. Um auch möglichst problemlos Checkpoints passieren zu können, muss die Person zusätzlich zum Beleg einen Eintrag in sein Militärbuch machen lassen (DIS 7.2023). Die syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 1.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 2.2.2024).
Auch die aktuellen Länderleitlinien der EUAA vom 1.4.2024 verweisen darauf, dass die Ausnahmen von der Wehrdienstpflicht im Allgemeinen respektiert und speziell Personen, die ein Wehrersatzgeld geleistet haben, laut mehreren Quellen nicht zwangsweise rekrutiert werden (vgl. S. 40). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (vgl. LIB S. 132). Im Themendossier Wehrdienst der Staatendokumentation werden die Voraussetzungen für die erfolgreiche Inanspruchnahme der Ausnahme näher dargestellt:
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es wehrpflichtigen Männern mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflichtbefreit zu werden. Laut einer 2020 erlassenen Abänderung des Wehrdienstgesetzes ist die Befreiungsgebühr gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 US-Dollar (ein Jahr), 9.000 US-Dollar (zwei Jahre), 8.000 US-Dollar (drei Jahre) bzw. 7.000 US-Dollar (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahrweitere 200 US-Dollar Strafgebühr hinzu. Bei Nichteinhaltung dergesetzlichen Regelungen fallen zusätzliche Strafgebühren an (LegislativeDecree # 31, 8. November 2020, Artikel 1).
[…]
Berichten zufolge können auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden. Sie müssen allerdings zunächst ihren rechtlichen Status durch einen individuellen „Versöhnungsprozess“ bereinigen (Netherlands Ministry of Ministry of Foreign Affairs, Mai 2022, S.85). Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person berechtigt ist, sich vom Wehrdienst freizukaufen (Netherlands Ministry of Ministry of Foreign Affairs, Mai 2020, S.23).
Laut Fabrice Balanche erscheint der gesamte Prozess relativ unkompliziert, jedoch zieht er in der Realität erhebliche Verzögerungen nach sich und erfordert viele zusätzliche Kosten, einschließlich Bestechungsgelder für bürokratische Angelegenheiten. Zum Beispiel müssen junge Männer, die Verbindungen zur Opposition hatten, aber aus wohlhabenden Familien stammen, wahrscheinlich höhere Beträge zahlen, um ihren Status zu bereinigen (BFA Staatendokumentation, 27. Jänner 2022).
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation hält zum Prozedere weiters fest:
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird („bayan harakat“). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).
Der BF befindet sich mit 22 Jahren grundsätzlich im wehrpflichtigen Alter und haben sich im Verfahren keine Hinweise auf eine Einschränkung seiner Wehrfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen ergeben. Grundsätzlich bestünde daher beim BF die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass dieser bei einer Rückkehr nach Syrien in seine Herkunftsregion entweder schon bei seiner Einreise an einem Grenzübergang des syrischen Regimes oder bei einem Checkpoint in seinem Herkunftsort einer Kontrolle durch syrische Behörden unterworfen ist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Feststellung der bisherigen Nicht-Ableistung seines Grundwehrdienstes führen würde. Dass gerade der BF – sollte er dazu verhalten werden, den Wehrdienst zu leisten – mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an Aktivitäten teilnehmen müsste, die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht und/oder internationale Menschenrechte darstellen, ist vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht anzunehmen. Der BF hat in Syrien seinem Vater in dessen Supermarkt ausgeholfen und war in der Türkei unter anderem am Bau und in der Gastronomie tätig und wäre davon auszugehen, dass man ihn entsprechend seiner Fähigkeiten einsetzen würde, wobei nicht plausibel erscheint, dass er dadurch eine für die Vorbereitung oder Durchführung solcher Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde.
Der BF stellte die Möglichkeit der Entrichtung einer Befreiungsgebühr im Verfahren nicht in Abrede, verwies aber darauf, dass ein Freikauf keine Garantie dafür sei, nicht trotzdem eingezogen zu werden und selbst wenn er das Geld hätte, würde er den Betrag nicht bezahlen, da damit nur das Volk getötet würde (VH S. 12).
Abgesehen davon, dass der BF eine verinnerlichte politische Überzeugung nicht glaubhaft zu machen vermochte (vgl. dazu sogleich im Anschluss), kann letzterem Vorbringen auch insofern keine Relevanz zukommen, als weder der europäische Rechtsrahmen in Gestalt der Statusrichtlinie noch dessen innerstaatliche Ausgestaltung Vorkehrungen dafür enthalten, dass ein die Militärdienstverpflichtung hintanhaltendes Verfahren mit den moralischen oder politischen Überzeugungen des Verpflichtungsunterworfenen im Einklang zu stehen hat (in diesem Sinne auch Binder/Haller/Nedwed, Wehrdienstverweigerung als Asylgrund, in Filzwieser/Kasper (Hrsg.), Asyl- und Fremdenrecht Jahrbuch 2023, 245). Einzig ausschlaggebendes Kriterium einer Asylprüfung ist die Frage, ob eine diesen Schutzstatus beantragende militärdienstpflichtige Person Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Statusrichtlinie zu befürchten hat. Gerade diese Verfolgungsbefürchtung kann durch Zahlung einer Freikaufsgebühr aber zerstreut werden, zumal der die Verfolgungsgefahr verursachende (staatliche) Akteur unter dieser Voraussetzung von der Setzung entsprechender Maßnahmen gegen den Betroffenen Abstand zu nehmen bereit ist. Für sich genommen sind weder das Verlangen eines Staates auf finanzielle Kompensation für das Nichtableisten des Wehrdienstes noch staatliche Handlungen, die darauf abzielen, eine finanzielle Schuld, deren Begleichung nicht vorgenommen wurde, durch Zugriff auf Vermögenswerte des Verpflichteten hereinzubringen, als Verfolgungshandlungen im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie, auf den die Legaldefinition des Begriffs "Verfolgung" in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 verweist, anzusehen (vgl. VwGH 26.02.2024, Ra 2023/20/0200).
Schließlich gab der BF zudem an, er könne die erforderlichen Mittel für den Freikauf auch nicht aufbringen. Dem ist aber zunächst zu entgegnen, dass es dem BF möglich war, die nicht unerheblichen Kosten für seine Schleppung nach Österreich und jene seines Neffen in Höhe von insgesamt 8.000 EUR aufzubringen (AS. 145, VH S. 8). Vor dem BFA gab der BF auf Nachfragen, woher das Geld stammt, an: „Wir haben Felder verkauft. Daher stammt das Geld. Das Geld des Neffen stammt auch daher“ (AS. 145). Etwas abweichend gab der BF hierzu in der Beschwerdeverhandlung an: „Mein Vater und mein Bruder organisierten das Geld. Sie haben sich dafür auch verschuldet“ (VH S. 8). Jedenfalls gab der BF auf die Frage, wie er die wirtschaftliche Lage seiner Familie bezeichnen würde, an: „Ich würde sagen, gut. Es geht so weit. Halb-halb“ (VH S. 8). In diesem Zusammenhang muss man sich auch die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung zu den (immer noch aktuellen) Immobilienbesitzen seiner Familie in Syrien vor Augen halten (VH S. 7/8):
„RI: Wer hat auf Ihr Haus in Deir-ez-Zor aufgepasst, als Sie in Homs gelebt haben?
BF: Das Haus in Deir-ez-Zor wurde von meinem Onkel väterlicherseits bewacht, es gab auch einen Mieter.
RI: Hatten Sie in Homs ebenso ein Haus?
BF: Ja, wir hatten vier Häuser in Homs. Mein Vater hat sich dort niedergelassen und Häuser gebaut.
RI: Warum vier Häuser?
BF: Seine Mutter kam manchmal zu Besuch und ein Haus war für sie. Ein anderes wurde als Lager benutzt. Ein weiteres wurde vermietet.
RI: Besitzt Ihre Familie die Häuser in Homs nach wie vor?
BF: Mein Vater hat diesbezüglich mit einer Person gesprochen um die Eigentumsdokumente abzuklären. Was ich weiß, besitzt er keine Dokumente. Als wir damals nach Deir-ez-Zor geflohen sind, dachten wir, wir würden zurückkehren nach Homs und haben die Dokumente nicht mitgenommen. Als wir weg waren, gab es Bombardierungen und vieles ging verloren.
RI: Was ist aktuell mit Ihrem Elternhaus in Deir-ez-Zor?
P: Das steht leer. Wegen den Bombardierungen und den Schäden am Haus, lebt dort niemand. Vom gesamten Viertel ist fast niemand in die Gegend zurückgekehrt.
RI: Aber die Liegenschaft gehört nach wie vor Ihrer Familie?
P: Ja.“
Aus diesen Angaben geht hervor, dass die Familie des BF nach wie vor in Besitz der Liegenschaften ist und – trotz des aktuellen Aufenthalts in der Türkei – nach wie vor über entsprechende Kontakte in Syrien verfügt und die Besitztümer in Syrien wahrt (arg. „Mein Vater hat diesbezüglich mit einer Person gesprochen, um die Eigentumsdokumente abzuklären“). In dieses Bild fügen sich auch die Angaben des BF vor dem BFA, wonach seine Familie zur Finanzierung der 2022 erfolgten Ausreise des BF und seines Neffen nach Österreich Felder in Syrien verkauft hat, was weiterhin einen entsprechenden Zugriff auf die Vermögenswerte trotz deren Aufenthalts in der Türkei belegt. Auch insgesamt geht aus den Angaben des BF hervor, dass der finanzielle Hintergrund seiner Familie in Syrien wohl überdurchschnittlich war, war es dem Vater des BF doch möglich, nach der Wohnsitznahme in Homs einen (eigenen) Supermarkt zu eröffnen, damit den Kauf von vier Häusern zu bewerkstelligen, eines davon zu vermieten, und nach der späteren Wohnsitznahme in Deir ez-Zor/ XXXX ebenso einen eigenen Supermarkt zu eröffnen. Insgesamt erhellt somit nicht, warum die Familie des BF – wie bereits hinsichtlich der Kosten für die Ausreise durchgeführt - durch den Verkauf von Vermögenswerten in Syrien nicht eine allfällige Befreiungsgebühr finanzieren können sollte. Darüber hinaus hat der BF durch diverse Erwerbstätigkeiten in der Türkei seine Arbeitsfähigkeit unter Beweis gestellt und ist es dem BF unter Bedachtnahme auf den bestehenden subsidiären Schutzstatus und den damit einhergehenden uneingeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt aus Sicht des BVwG unter Berücksichtigung seiner Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie vor dem finanziellen Hintergrund seiner Familie in absehbarer Zeit möglich und zumutbar, die Kosten für seinen Freikauf aufzubringen.
Das BVwG verkennt mit Blick auf das Vorbringen des BF und die Länderberichte nicht, dass in Syrien Korruption weit verbreitet ist, die allenfalls auch insofern Auswirkungen zeigt und den BF zusätzliche – überschaubare – Kosten treffen können. Dieser Umstand allein lässt jedoch nicht die Möglichkeit des Freikaufes per se bereits als nicht valide erscheinen. Vielmehr ist den Länderinformationen zu entnehmen, dass das System des Freikaufs auch tatsächlich gelebt wird und die syrische Regierung durchaus ein Interesse an den so lukrierten Mitteln hat. Auch wäre es dem BF in finanzieller Hinsicht möglich, etwaige zusätzlich anfallende Kosten zu begleichen. Ob der BF die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme erfüllt, obliegt der Entscheidung der syrischen Behörden, an die der BF trotz Kenntnis von der Freikaufsmöglichkeit bislang nicht herangetreten ist.
Ganz unabhängig von diesen Erwägungen ist vor allem aber auch darauf hinzuweisen, dass Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt, sondern zu prüfen ist, ob im konkreten Fall ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen vorliegt (vgl. jüngst etwa VwGH 28.03.2024, Ra 2023/20/0619).
Wie sich aus den Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG ergeben hat, weist der BF keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime auf. Seine Ablehnung des Militärdienstes beruht nicht glaubhaft auf politischen Überzeugungen oder gründet auf eine Ablehnung des Dienstes an der Waffe an sich. So gab der BF in der Beschwerdeverhandlung hierzu wie folgt an (VH S. 11/12):
„RI: Wäre der Militärdienst ein Problem für Sie?
BF: Sicherlich.
RI: Warum?
BF: Dieses Regime ist kein demokratisches. Es ist diktatorisch und ausbeuterisch. Wie könnte ich den Dienst für so ein Regime leisten wollen? Das Regime hat das Volk getötet und mein eigener Bruder ist wegen diesem Regime gestorben. Ich würde bei einem demokratischen System kein Problem sehen. Nachgefragt, ich meine generell würde ich in einem demokratischen System leben wollen. Den Gedanken eine Waffe zu tragen, lehne ich ab.
RI: Heißt das, der Militärdienst wäre für Sie auch ein Problem, wenn es das Regime nicht gäbe?
BF: Ich denke es gibt andere Arten von Diensten die man leisten kann statt des Militärdienstes, z.B. beim Roten Kreuz. Ich lasse mir lieber meinen Hals durchtrennen, als irgendeinen Dienst für das Assad-Regime zu leisten. Ich habe die Bombardierung in Deir-ez-Zor selbst miterlebt.
RI: Angenommen, das Assad-Regime wäre weg, Syrien wäre ein demokratischer und rechtsstaatlicher Staat, würden Sie dann der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes nachkommen?
BF: Grundsätzlich wäre es kein Problem, aber ich denke, dass es auch andere Möglichkeiten gibt einen Dienst zu leisten. Man muss nicht unbedingt eine Waffe tragen. Aber um ehrlich zu sein, ich bin zu allem bereit, wenn man nur endlich dieses Assad-Regime entfernen würde. Ich bin gegen dessen Politik.
RI: Waren Sie jemals politisch tätig?
BF: Nein.
RI: Ihre Angehörigen?
BF: Nein. Ich habe aber selbst mitbekommen, wie das Assad-Regime das eigene Volk getötet hat und wie man versucht seine Verbrechen zu vertuschen.“
Dass der BF über allfällige Gräueltaten des Regimes schockiert ist und diese ablehnt und sich ein „demokratisches System“ wünscht, ist durchaus nachvollziehbar. Eine gerade gegen das syrische Regime gerichtete politische Gesinnung geht aus diesen Angaben aber dennoch nicht ausreichend glaubhaft hervor. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der BF als Minderjähriger Syrien verlassen hat und weder er selbst, noch seine Angehörigen in irgendeiner Weise politisch tätig waren oder sind. Anzumerken ist auch, dass der BF bei seiner ausführlichen Befragung vor dem BFA am 19.7.2023 von sich aus das Thema Wehrdienst nicht ins Treffen führte und erst auf nähere Befragung dann lapidar auf das Verschwinden von Personen sowie bloß darauf verwies, dass das Regime Kinder töte (AS. 148/149). Dass der BF den Wehrdienst als solchen ablehnen würde, hat er im Übrigen in der Beschwerdeverhandlung letztlich selbst verneint, zumal er zwar zunächst angab, er lehne das Tagen einer Waffe ab, dies dann jedoch wiederum insofern abänderte, als man doch „nicht unbedingt eine Waffe tragen“ müsse, wobei er ohne das Assad-Regime zu allem bereit wäre. Auch diese Divergenzen im Vorbringen des BF lassen an einer entsprechenden inneren Überzeugung des BF Zweifel aufkommen und entstand der Eindruck, dass der BF versuchte, für den Ausgang dieses Verfahrens möglichst günstige Aussagen zu erdenken.
Nach dem vom BVwG im Zuge der Beschwerdeverhandlung gewonnene Eindruck vermochte der BF somit weder glaubhaft zu vermitteln, dass er die Ableistung des Wehrdienstes aus politischen Überzeugungen ablehnen würde, noch, dass er etwa Pazifist sei oder gar aufgrund spezifischer, ihm innewohnender religiöser oder moralischer Haltungen den Dienst an der Waffe per se ablehnen würde.
Es sind auf Basis der getroffenen Feststellungen zur Person des BF und auf Basis der sogleich wiedergegebenen Länderfeststellungen auch keine besonderen Umstände erkennbar, die das syrische Regime veranlassen sollten, dem BF aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 27.3.2024, führt hierzu wie folgt aus:
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen (STDOK 25.10.2023). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021). Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (STDOK 25.10.2023). Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 2.2.2024).
Umgelegt auf den konkreten Fall ist zu betonen, dass sich der BF niemals in irgendeiner Weise politisch betätigt hat und auch niemals irgendwelche persönliche „Berührungspunkte“ mit dem syrischen Regime hatte. Insofern kann, ungeachtet der aus dem Berichtsmaterial zweifellos mehr oder weniger stark hervorgehenden Ächtung der Wehrdienstverweigerung, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass das syrische Regime gerade dem BF unterstellen würde, er habe den Wehrdienst aus einer politischen oder oppositionellen Gesinnung heraus verweigert. Eine solche Schlussfolgerung zieht der VwGH in ständiger Rechtsprechung im Übrigen explizit aus dem aktuellen Berichtsmaterial zur Lage in Syrien. So hielt der VwGH jüngst mit Verweis auf sein Erkenntnis vom 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, erneut fest, „dass sich aus den – auch hier maßgeblichen – Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergäbe und aus dieser Berichtslage nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könne, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Nach dieser Berichtslage lasse sich gerade kein Automatismus dahingehend annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen.“ (VwGH 26.03.2024, Ra 2024/20/0003).
2.2.3. Wie bereits oben ausgeführt, haben sich – den eigenen Angaben des BF zufolge – weder er selbst, noch seine Angehörigen jemals politisch betätigt (VH S. 11/12), sodass zur diesbezüglichen Feststellung zu gelangen war. Ebenso wenig ist der – bei seiner Ausreise aus Syrien 15 Jahre alte – BF jemals in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten, sodass auch insofern keine Gefahr einer Verfolgung im Fall einer Rückkehr besteht.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der BF schilderte, er habe mit seiner Familie im Jahr 2012 – im Alter von 10 Jahren – bei der Rückeroberung von Homs durch das syrische Regime diese Stadt verlassen müssen, zumal dort Gefechte und Massaker stattgefunden hätten und sie von den „Leuten von Assad, dem Regime, den Milizen“ zum Verlassen der Stadt aufgefordert worden seien. Dies steht auch insofern im Einklang mit dem Berichtsmaterial, welches davon spricht, dass die Bewohner von Homs damals anlässlich der Rückeroberung durch das syrische Regime vielfach von paramilitärischen Milizen vertrieben wurden. Eine aktuelle, konkrete Gefahr einer individuellen und persönlichen Gefahr einer Verfolgung im Fall seiner Rückkehr ist daraus für den BF aber nicht abzuleiten und wurde Derartiges auch nicht vorgebracht. Darüber hinaus ist als Herkunftsort des BF, wie oben dargestellt, nicht Homs, sondern Deir ez-Zor anzusehen.
2.2.4. Der BF gab auf Nachfragen weiters an, sein älterer Bruder sei desertiert. Vor dem BFA hatte der BF diesen Umstand nicht ins Treffen geführt und auch in der Beschwerdeverhandlung erwähnte der BF dies im Zusammenhang mit seinen Rückkehrbefürchtungen quasi nur nebensächlich in einem einzigen Satz („Wenn man mich nicht wegen mir selbst einsperren würde, würde man mir die Desertion meines Bruders vorwerfen“ – VH. S. 11); eine diesbezügliche Verfolgungsgefahr wurde im Beschwerdeschriftsatz sodann (nur) für seinen minderjährigen Neffen (dem Sohn seines älteren Bruders) ins Treffen geführt.
Ungeachtet des Umstands, dass der BF die angebliche Desertion seines älteren Bruders erst im Beschwerdeverfahren erwähnt hat, kann die Desertion per se nicht per se ausgeschlossen werden. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, Stand 27.3.2024, führt zur Thematik der Desertion von Angehörigen etwa wie folgt aus (S. 148):
Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades (DIS 1.2024). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z. B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 1.2024). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020; vgl. DIS 1.2024). Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerer aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (DIS 1.2024).
Gegenständlich lässt sich aus den Länderberichten aus dieser Thematik für den BF keine maßgebliche Gefahr einer Verfolgung ableiten. Es ist zwar zutreffend, dass das Berichtsmaterial nicht einheitlich ist und Repressalien gegen Familienmitglieder teilweise verneint und teilweise bejaht werden. Das Berichtsmaterial spricht im Hinblick auf Deserteure davon, dass insbesondere bei Familien von „high pro-file“ Deserteuren, etwa, weil ein Deserteur einen anderen Soldaten getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen hat, von Repressalien betroffen sein können; Einflussfaktoren können auch der Rang des Deserteurs, der Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie sein. Vor dem Hintergrund des Berichtsmaterials wurde der BF in der Beschwerdeverhandlung nach den konkreten Einzelheiten der Desertion seines Bruders befragt und gab er hierzu wie folgt an (VH S. 10, 12):
„RI: Haben Ihre beiden Brüder den Militärdienst für das Regime abgeleistet?
BF: Mein ältester Bruder war Berufssoldat und ist dann desertiert. Das war damals in Homs. Er war in XXXX stationiert. Er sollte dann nach Damaskus, XXXX geschickt werden zum dritten Bataillon. Bevor er jedoch dorthin musste, ist er desertiert und nach Deir-ez-Zor nachgekommen.
RI: Das heißt er hat den Militärdienst abgeleitet und war danach Berufssoldat?
BF: Nein, wenn man sich freiwillig meldet ist das etwas anderes als der verpflichtende Militärdienst.
…
RI: Sie haben gesagt, Ihr ältester Bruder wäre desertiert. Wie muss man sich das vorstellen? Ist er einfach nicht mehr zum Dienst erschienen, oder hat es diesbezüglich andere Vorfälle gegeben?
BF: Er hat seine Flucht geplant. Als es zur Umstationierung kam, wurden die Personalausweise abgenommen. Er ist dann zum eigentlichen Termin nicht erschienen und hat stattdessen ein Taxi in die andere Richtung genommen. Er ist dann nach Palmyra und von dort hat ihm ein Verwandter weitergeholfen.“
Aus diesen Angaben des BF geht somit klar hervor, dass es sich beim älteren Bruder des BF gerade um keinen „high pro-file“ Deserteur handelt. So gab der BF an, es habe anlässlich der Desertion keine besonderen Vorfälle gegeben; vielmehr sei sein Bruder einfach nicht zu jener Einheit erschienen, bei der er seinen weiteren Dienst hätte antreten sollen, und sei schlicht nach Deir ez-Zor zur Familie des BF gereist. Nicht verkannt wird, dass auch vor diesem Hintergrund dem Berichtsmaterial zufolge Repressalien gegen Familienangehörige nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Aus den dargestellten Überlegungen ist jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen; nach ständiger Rechtsprechung des VwGH genügt aber die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht, sodass es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend ist, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (z. B. zuletzt VwGH vom 24.4.2024, Ra 2024/20/0111). Aus dem Umstand, dass sein jüngerer Bruder den Militärdienst offensichtlich nicht abgeleistet hat (VH S. 10), folgt im Übrigen in Anbetracht des Gesagten ebenso wenig eine maßgebliche Verfolgungsgefahr für den BF, wobei der BF Derartiges auch nicht ins Treffen geführt hat.
2.2.5. Schließlich ist den vorliegenden Länderberichten im Ergebnis auch nicht zu entnehmen, dass Personen, sofern sie nicht politisch exponiert sind, allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, Asylantragsstellung im Ausland oder Abstammung aus einem als oppositionell angesehenen Gebiet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung durch die syrische Regierung zu befürchten hätten. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 27.3.2024, führt hierzu auszugsweise etwa wie folgt aus:
Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist … nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird (The Guardian 23.03.2023, vgl. Balanche 13.12.2021). Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert (AA 2.2.2024), bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen (AI 9.2021). Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 2.2.2024). Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). … Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. … Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen. … Rückkehr auf individueller Basis findet, z.B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. … Es gibt kein klares Gesamtmuster bei der Behandlung von Rückkehrern, auch wenn einige Tendenzen zu beobachten sind… .
Diese Berichte zeichnen zweifellos das Bild einer äußerst schwierigen Lage für allfällige Rückkehrer. Dessen ungeachtet ist aber auch anzumerken, dass die Berichte im Ergebnis entsprechende Gefährdungen nicht ausschließen, gleichzeitig aus diesen aber nicht abzuleiten ist, dass beispielsweise die Rückkehr aus dem Ausland bereits per se tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu entsprechenden Verfolgungshandlungen wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung führt. Rückkehrern wird von der Regierung und Teilen der Bevölkerung zwar mit Misstrauen und Ablehnung begegnet, Repressalien richten sich aber insbesondere gegen jene, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind. Im Verfahren haben sich, wie bereits angemerkt, keinerlei Anhaltspunkte ergeben, dass der BF – oder auch seine Angehörigen – sich in irgendeiner Weise politisch exponiert oder der Opposition angeschlossen hätten. Hinweise auf Kontakte oder gar familiäre Verbindungen zur (bewaffneten) Opposition fehlen gänzlich. In Bezug auf die Asylantragstellung im Ausland ist überdies festzuhalten, dass eine Gefährdung allein aufgrund der Asylantragstellung in Österreich nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, insbesondere, weil den Behörden des Heimatstaates davon nichts bekannt ist. Den österreichischen Behörden ist es verboten, entsprechende Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben. Dem syrischen Regime ist zudem bewusst, dass Syrer auch deshalb im Ausland um Asyl ansuchen, weil dies die einzige Möglichkeit ist, im Ausland einen legalen Status zu erreichen. Das BVwG verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist und Personen aus unterschiedlichen Gründen teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden; es übersieht auch nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung verfolgt werden oder ihnen sonst Schaden zugefügt wird. Fallbezogen ergaben sich im Zuge des durchgeführten Ermittlungsverfahrens jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die allgemeinen Länderinformationen in Zusammenschau mit der individuellen Situation des BF zu einer diesbezüglichen, individuellen und politisch motivierten Bedrohungssituation führen könnten.
2.2.6. Im Übrigen kann auch keine sonstige Gefahr einer unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung des BF im Falle seiner Rückkehr festgestellt werden. Der BF hat zwar angegeben, dass seinerzeit der Grund für die Ausreise aus Deir ez-Zor in die Türkei im Jahr 2017 der IS bzw. zu befürchtende Rekrutierungsmaßnahmen durch den IS oder sonstige oppositionelle Milizen gewesen sei. Mittlerweile steht der Herkunftsort des BF aber unstrittig unter Kontrolle des syrischen Regimes und kann der BF dorthin – etwa über den Flughafen Damaskus – unmittelbar einreisen. Von den Machthabern und Milizen, welche in den unter Kontrolle der Opposition stehenden Gebieten herrschen, droht dem BF somit keine Gefahr einer Verfolgung oder Rekrutierung.
Der BF gehört schließlich keiner Minderheit in Syrien an und brachte zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung und/oder Verfolgung ob seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit vor bzw. ergeben sich aus den aktuellen Länderberichten auch keine vom BVwG amtswegig aufzugreifenden Anhaltspunkte.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mangels anderer Regelung somit durch Einzelrichter.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt.
Zu A)
3.2. Abweisung der Beschwerde:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Zl. Ra 2016/19/0074 u.v.a.).
§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche "Vorverfolgung" für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. das Erk. des VwGH vom 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
3.2.2. Was die vom BF ins Treffen geführte Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes bzw. eine allenfalls damit in Zusammenhang stehende Bestrafung anbelangt, so ist Folgendes auszuführen:
Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur das Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der VwGH zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001 mwN). Selbst die Bejahung von Verfolgungshandlungen der geschilderten Art erübrigt es aber nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen (zumindest) einem der in Art. 10 Statusrichtlinie bzw. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Verfolgungsgründe und den Verfolgungshandlungen individuell zu prüfen (VwGH vom 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, Rz 29).
Den getroffenen Feststellungen zufolge kann zwar nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF im Fall einer Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung Folter ausgesetzt wäre; nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ist hingegen davon auszugehen, dass sich der BF im Fall der Ableistung des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen beteiligen müsste. Wie im Rahmen der obigen Beweiswürdigung ausführlich dargelegt wurde, weist der BF keine glaubhaft verinnerlichte politische Überzeugung gegen das syrische Regime bzw. gegen den Militärdienst für das syrische Regime auf; ebenso wenig unterstellt das syrische Regime dem BF wegen der mit seiner Flucht verbundenen Entziehung vom Militärdienst oder einer künftigen Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine politische oder oppositionelle Gesinnung. Etwaigen Konsequenzen, die im Fall einer Einberufung bzw. Verweigerung des Wehrdienstes drohen könnten, würde es im Fall des BF an einem inhaltlichen Konnex zur GFK fehlen. Sie könnten daher allenfalls die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, der dem BF ohnehin bereits zuerkannt wurde. Diese vom BVwG vorgenommene rechtliche Beurteilung stützt sich auf die zur Wehrpflicht ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung. Gerade im Erkenntnis vom 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, betonte der VwGH, dass die Asylgewährung an Wehrdienstverweigerer neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich Verfolgung im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgründen („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“) erfordere, die in Art. 10 Statusrichtlinie näher umschrieben werden. Selbst die Bejahung von Verfolgungshandlungen erübrige es nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen (zumindest) einem der in Art 10 Statusrichtlinie bzw. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Verfolgungsgründe und den Verfolgungshandlungen individuell zu prüfen. In seiner Entscheidung vom 08.11.2023, Zl. Ra 2023/20/0520, bestätigte der VwGH die vom BVwG begründet vertretene Auffassung, dass sich aus den Länderinformationen kein Automatismus ergebe, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde.
Die Gewährung von Asyl wegen der Pflicht zur Ableistung des Wehrdienstes bzw. einer allenfalls damit in Zusammenhang stehenden Bestrafung kommt gegenständlich mangels eines Konnexes zu einem der in der GFK genannten Konventionsgründe somit nicht in Betracht.
Darüber hinaus sei auf die ausführlichen Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung verwiesen, wonach es dem BF im konkreten Fall möglich und zumutbar ist, sich durch Entrichtung einer Befreiungsgebühr von der Wehrpflicht befreien zu lassen. Für sich genommen sind weder das Verlangen eines Staates auf finanzielle Kompensation für das Nichtableisten des Wehrdienstes noch staatliche Handlungen, die darauf abzielen, eine finanzielle Schuld, deren Begleichung nicht vorgenommen wurde, durch Zugriff auf Vermögenswerte des Verpflichteten hereinzubringen, als Verfolgungshandlungen im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie, auf den die Legaldefinition des Begriffs „Verfolgung“ in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 verweist, anzusehen (vgl. VwGH 26.02.2024, Ra 2023/20/0200).
3.2.3. Auch eine sonstige Gefahr einer Verfolgung im Sinne der GFK konnte nicht festgestellt werden. Der BF kann etwa über den Flughafen Damaskus direkt nach Syrien einreisen und besteht insofern auch keine Gefahr einer Verfolgung durch Akteure in den nicht vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten.
Auch aufgrund des Umstands, dass der BF in Österreich einen Asylantrag gestellt und sich hier aufgehalten hat, ergibt sich den getroffenen Feststellungen zufolge keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aufgrund einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung. Aufgrund des Umstands, dass sein älterer Bruder desertiert sein mag, folgt den getroffenen Feststellungen zufolge ebenso wenig eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung. Der BF war darüber hinaus nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten. Dass dem BF die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seines sunnitischen Glaubensbekenntnisses und arabischen Volksgruppenzugehörigkeit drohen würde, folgt aus dem Berichtsmaterial ebenso wenig.
3.2.4. Die Gewährung von Asyl kommt somit nicht in Betracht.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheids war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Aus den Ausführungen im gegenständlichen Erkenntnis geht hervor, dass das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Glaubwürdigkeit und zum Flüchtlingsbegriff abgeht. Darüber hinaus wird zu diesen Themen keine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.