JudikaturVwGH

Ra 2024/13/0068 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. November 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr. in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. LukacicMarinkovic, über die Revision des Finanzamts für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. März 2024, Zl. RV/7101251/2022, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. März 2024, betreffend Rückforderung gemäß § 241a BAO (Rückerstattung von Kapitalertragsteuer 2012) (mitbeteiligte Partei: A Limited in D, vertreten durch die Althuber Spornberger Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Doblhoffgasse 9/Top 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die mitbeteiligte Partei, eine in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Gesellschaft, beantragte (gestützt auf das Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen, BGBl. III Nr. 88/2004) mit Eingaben vom 6. Juni 2012 und vom 22. Juli 2012 die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer von Dividenden österreichischer Aktiengesellschaften.

2 Das Finanzamt unterzog diese Anträge einer Überprüfung. Nach behördeninterner Genehmigung erfolgte eine Auszahlung der beantragten Beträge an die mitbeteiligte Partei; ein (formeller) Abspruch über den Rückerstattungsantrag mittels Bescheid erfolgte (damals) nicht.

3Mit Bescheiden vom 28. November 2019 sprach das Finanzamt aus, dass die mit Überweisung vom 19. Dezember 2012 erfolgte Erstattung von Kapitalertragsteuer 2012 „gemäß § 205 BAO“ zu Unrecht erfolgt sei. Dieser Betrag sei gemäß § 241a BAO binnen einem Monat ab Bekanntgabe dieses Bescheides zurückzuzahlen. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch auf Dividendenzahlung stehe demjenigen zu, der spätestens am letzten Tag vor dem ex Tag (cum Tag) die Aktien erworben habe. Für die steuerliche Zurechnung der Dividendenzahlung sei es notwendig, dass die erworbenen Aktien bereits vor dem ex Tag (spätestens am cum Tag) am Depot des Steuerpflichtigen eingeliefert seien; relevant sei somit der Depotbestand am Ende des cum-Tages. Es sei kein Nachweis erbracht worden, dass vor dem jeweiligen „exTag“ wirtschaftliches Eigentum an den Aktien bestanden habe. Es sei daher zu viel an Abzugsteuer zurückgezahlt worden. Die Auszahlung sei sohin zu Unrecht erfolgt; der Betrag werde gemäß § 241a BAO zurückgefordert.

4 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diese Bescheide Beschwerde.

5 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 29. September 2020 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab.

6 Die mitbeteiligte Partei beantragte die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht.

7Mit Bescheiden vom 6. Februar 2024 wies das Finanzamt die Anträge der mitbeteiligten Partei vom 6. Juni 2012 bzw. vom 22. Juli 2012 auf Rückzahlung der Kapitalertragsteuer gemäß § 240 Abs. 3 BAO ab. Die zu erstattende Kapitalertragsteuer werde (jeweils) mit 0 € festgesetzt. Das Finanzamt übermittelte diese Bescheide (gemäß § 265 Abs. 6 iVm § 270 Abs. 1 BAO) dem Bundesfinanzgericht. In einer ergänzenden Stellungnahme verwies das Finanzamt (neben Kritik an der „in manchen Punkten leider unklar gebliebenen“ Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 2023, Ro 2023/13/0012) u.a. darauf, dass ein Rückforderungsbescheid einhebungsrechtlich überhaupt nicht erforderlich wäre, wenn die ursprüngliche Erstattung mit Bescheid vorgenommen worden wäre, weil dann die (bei Vorliegen eines Verfahrenstitels) abweichende Festsetzung der Erstattung der Kapitalertragsteuer bereits die Nachforderung mit den Rechtsfolgen ihrer Fälligkeit nach § 210 Abs. 2 BAO (samt Vollstreckbarkeit iSd § 226 BAO, Ausfertigung eines Rückstandsausweises nach § 229 BAO als Grundlage für die Einbringung im Vollstreckungsverfahren) beinhalten würde. § 241a BAO gleiche praktisch und rechtlich „bloß den Formalfehler der bescheidlosen KESt Erstattung“ aus, ohne dass damit im Vergleich zu einer zunächst bescheidmäßigen und später abändernden Entscheidung über den Erstattungsantrag eine Beeinträchtigung von Parteirechten (Rechtsschutzinteressen) verbunden sein könnte.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. März 2024) gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob die Bescheide des Finanzamts vom 28. November 2019 auf. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

9Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, bei antragsgemäßer Rückzahlung von Abzugsteuern, ohne vorher mit Bescheid über den zu Grunde liegenden Rückerstattungsantrag abzusprechen, könne die Bestimmung des § 241a BAO jedenfalls solange nicht zur Anwendung gelangen, als der Antrag nicht rechtsförmlich abschlägig erledigt worden sei (Hinweis auf VwGH 20.9.2023, Ro 2023/13/0012).

10 Im vorliegenden Fall habe das Finanzamt nachträglich Bescheide erlassen, mit denen die Rückzahlungsanträge abgewiesen worden seien. Die Rechtskraft eines Bescheides erfasse nicht den Sachverhalt, der sich nach der Erlassung des Bescheides ereignet habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe im (früheren) Bescheidbeschwerdeverfahren die Rechtmäßigkeit eines Bescheides auf Grund der im angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Sach und Rechtslage zu beurteilen gehabt; ein später eingetretener Umstand habe die Heilung der ursprünglich gegebenen inhaltlichen Rechtswidrigkeit nicht zu bewirken vermocht. Auch im vorliegenden Fall könne die materielle Rechtswidrigkeit der Rückforderungsbescheide durch die nachträgliche Erlassung von Abweisungsbescheiden (betreffend die Anträge auf Rückerstattung) nicht geheilt werden, weil die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide auf Grund der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung verwirklichten Sachund Rechtslage zu beurteilen sei. Ein nachträglicher Sachverhalt könne nur Grund für die Erlassung eines neuen Bescheides sein. Ob durch den Eintritt der formellen Rechtskraft der Abweisungsbescheide vom 6. Februar 2024 betreffend die Rückerstattungsanträge die Bestimmung des § 241a BAO anwendbar werde, sei für das vorliegende Verfahren nicht maßgebend. Es seien daher die Rückforderungsbescheide aufzuheben gewesen.

11Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts. Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, der vorliegende Fall unterscheide sich von jenem des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 2023, Ro 2023/13/0012, darin, dass im vorliegenden Fall über die Rückerstattungsanträge mit Bescheid abgesprochen worden sei. Das Verwaltungsgericht habe grundsätzlich nach der Sach und Rechtslage zu entscheiden, welche im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliege. Entgegen dieser Rechtsprechung halte das Bundesfinanzgericht die während des Beschwerdeverfahrens vorgenommene Abweisung der Erstattungsanträge für unbeachtlich.

12 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in welcher u.a. die Zulässigkeit der Revision bestritten wird.

13 Das Finanzamt reichte weitere Aktenunterlagen nach. Daraus ergibt sich, dass die mitbeteiligte Partei die Bescheide vom 6. Februar 2024 mit Beschwerde bekämpfte; das Finanzamt erließ hiezu abweisende Beschwerdevorentscheidungen.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision ist (entgegen dem Einwand der mitbeteiligten Partei) zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht begründet.

16Gemäß § 270 Abs. 1 BAO ist auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge, die der Abgabenbehörde im Laufe des Beschwerdeverfahrens zur Kenntnis gelangen, von der Abgabenbehörde Bedacht zu nehmen, auch wenn dadurch das Beschwerdebegehren geändert oder ergänzt wird. Dies gilt sinngemäß für dem Verwaltungsgericht durch eine Partei oder sonst zur Kenntnis gelangte Umstände.

17 Im Bescheidbeschwerdeverfahren besteht sohin kein Neuerungsverbot (vgl. z.B. Ritz/Koran, BAO 7 , § 270 Tz 1). Das Bundesfinanzgericht hat bei seiner Entscheidung auch grundsätzlich von der Sachlage im Zeitpunkt seiner Entscheidung auszugehen (vgl. neuerlich z.B. Ritz/Koran , aaO, § 279 Tz 31).

18Wer Rückzahlungen oder Erstattungen ohne Rechtsgrund erlangt hat, hat gemäß § 241a BAO (idF BGBl. I Nr. 108/2022; vgl. zur Entwicklung dieser Bestimmung VwGH 20.9.2023, Ro 2023/13/0012) die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

19Die Bestimmung des § 241a BAO entbindet nicht von der Notwendigkeit, über einen von einer Partei gestellten Antrag auf Rückerstattung von Kapitalertragsteuer durch Bescheid zu entscheiden (vgl. wiederum VwGH 20.9.2023, Ro 2023/13/0012). Auch die nunmehr erfolgte (vermutlich noch nicht rechtskräftige) Abweisung des Antrags auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer eröffnet nicht den Anwendungsbereich des § 241a BAO:

20 Im vorliegenden Fall wäre (unbestritten) über den Antrag auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer mittels Bescheid abzusprechen gewesen.

21Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Ansicht des revisionswerbenden Finanzamts (in seiner Stellungnahme an das Bundesfinanzgericht), dass bei einem gesetzmäßigen Vorgehen eine spätere, von der ursprünglichen Entscheidung abweichende Entscheidung dazu führen würde, dass der sich aus der Differenz der in den beiden Entscheidungen ausgewiesenen Erstattungsbeträge ergebende Nachforderungsbetrag eingebracht werden könnte, ohne dass es hiezu eines Rückforderungsbescheides nach § 241a BAO bedürfte. Die erste (erklärungsgemäße) Entscheidung über den Erstattungsantrag hätte eine sonstige Gutschrift (betreffend die „negative Abgabe“ der Erstattung) bewirkt. Die spätere Abänderung (im Sinne einer Abweisung des Erstattungsantrags) hätte dazu geführt, dass diese negative Abgabe (Erstattung) nunmehr mit Null anzusetzen gewesen wäre, woraus sich eine Nachforderung ergeben hätte. Diese Abgabenschuldigkeit wäre gemäß § 226 BAO vollstreckbar, wobei hiezu ein Rückstandsausweis ausgestellt werden könnte (§ 229 BAO).

22Wurde wie hier vor einer Bescheiderlassung betreffend den Antrag auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer der Betrag in rechtswidriger Weise ohne Bescheid ausgezahlt, ergibt sich daraus am Abgabenkonto ein Rückstand. Spätestens einen Monat nach einer hievon abweichenden (erstmaligen) Festsetzung im Sinne einer Abweisung des Antrags auf Erstattung wird dieser Rückstand auf dem Abgabenkonto vollstreckbar, ohne dass es hiezu eines gesonderten Rückforderungsbescheides iSd § 241a BAO bedarf.

23Ein Rückforderungsbescheid iSd § 241a BAO hat demnach in einem derartigen Fall nicht zu ergehen.

24Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

25Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. November 2024