JudikaturVwGH

Ra 2024/08/0124 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Arbeitsmarktservice Steyr in 4400 Steyr, Leopold Werndl Straße 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2024, L517 2297655 1/7E, betreffend Ruhen des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: M K in N, vertreten durch Mag.a Dr. in Jasmine Senk, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Marienstraße 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

1Mit Bescheid vom 8. Juli 2024 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Anspruch der Mitbeteiligten auf Notstandshilfe im Zeitraum 19. Juni bis 11. Juli 2024 gemäß § 16 Abs. 1 lit. l iVm § 38 AlVG ruhe. Für diesen Zeitraum bestehe nämlich „Anspruch auf eine Ersatzleistung (Entschädigung, Abfindung) für Urlaubsentgelt (Urlaubsersatzleistung)“.

2Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass es sich bei der Urlaubsersatzleistung um ein Entgelt handle, das die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreite. Der Ruhenstatbestand des § 16 AlVG sei daher nicht anwendbar.

3Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. August 2024 wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. § 16 Abs. 1 lit. l AlVG, wonach der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe während des Zeitraums, für den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung bestehe, ruhe, gelte nach dem Wortlaut auch bei „Urlaubsersatz/Urlaubsentschädigungsanspruch“ aus einer geringfügigen Beschäftigung. Der Gesetzgeber habe die Frage des Leistungsbezugs während „Urlaubsersatz/Urlaubsentschädigungsanspruch“ nicht über die Definition der Arbeitslosigkeit (§ 12 AlVG) gelöst, also nicht generell an die Dauer der Pflichtversicherung angeknüpft. In diesem Fall wäre ein „Urlaubsersatz/Urlaubsentschädigungsanspruch“ aus geringfügiger Beschäftigung unschädlich. Das sei aber eben nicht der Fall, somit sei in der Gesamtsystematik bei „Urlaubsersatz/Urlaubsentschädigungsanspruch“ immer ein Ruhen angeordnet. Dem österreichischen Urlaubsrecht liege ein kalendarischer Urlaubsbegriff zugrunde. Daraus folge, dass eine Urlaubsentschädigung kein bloßer Geldbetrag sei, sondern eine Abgeltung eines in Ganztagen (Arbeitswochen) bemessenen Zeitraums. Der Gesetzgeber habe im Arbeitslosenversicherungsrecht festgelegt, dass in diesem Zeitraum keine Doppelversorgung vorliegen solle.

4 Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt.

6 Es stellte fest, dass die Mitbeteiligte seit 6. Juli 2019 mit Unterbrechungen durch Krankengeldbezüge Notstandshilfe bezogen habe. Von 15. November 2014 bis 31. Jänner 2024 sei sie bei der Firma R. geringfügig beschäftigt gewesen. Von 1. Februar 2024 bis 11. Juli 2024 habe sie eine Urlaubsersatzleistung erhalten. Beim Dachverband der Sozialversicherungsträger sei für die Mitbeteiligte im Monat Juni 2024 ein Entgelt in Höhe von € 506,28 und im Monat Juli 2024 ein Entgelt in Höhe von € 185,51 gespeichert.

7In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass nach § 16 Abs. 1 lit. l AlVG der Anspruch auf Arbeitslosengeld während des Zeitraums ruhe, für den Anspruch auf eine Urlaubsersatzleistung nach dem Urlaubsgesetz bestehe. Zudem gestatte es die derzeitige Rechtslage in Österreich, neben dem Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe eine geringfügige Beschäftigung auszuüben. Die der Mitbeteiligten im Juni und Juli 2024 ausbezahlten Geldbeträge hätten nicht die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Bedenke man, dass eine Konsumation des vorhandenen Urlaubs während einer geringfügigen Beschäftigung den Bezug von Notstandshilfe nicht berühre, dann könne auch für den Bezug einer Urlaubsersatzleistung nichts anderes gelten. Es käme sonst zu einer nicht zu rechtfertigenden Schlechterstellung gegenüber Personen, die ihren Urlaub zur Gänze während eines aufrechten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses verbrauchten.

8Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision.

10 Das AMS bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG vor, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 lit. l AlVG auf Urlaubsersatzleistungen aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen fehle. Es wiederholt dazu seine schon in der Beschwerdevorentscheidung dargelegte Rechtsansicht.

11 Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

12Gemäß § 16 Abs. 1 lit. l AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (bzw. iVm § 38 AlVG auf Notstandshilfe) während des Zeitraumes, für den Anspruch auf eine Ersatzleistung (Entschädigung, Abfindung) für Urlaubsentgelt nach dem Urlaubsgesetz oder eine Urlaubsersatzleistung nach dem BUAG besteht oder eine Urlaubsabfindung nach dem BUAG gewährt wird, nach Maßgabe des Abs. 4.

13§ 16 Abs. 4 AlVG lautet:

„Besteht Anspruch auf eine Ersatzleistung (Entschädigung, Abfindung) für Urlaubsentgelt (Urlaubsersatzleistung) im Zeitpunkt der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses, beginnt der Ruhenszeitraum mit dem Ende des anspruchsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses, besteht jedoch auch Anspruch auf Kündigungsentschädigung mit dem Ende des Zeitraumes, für den Kündigungsentschädigung gebührt. Ist der Anspruch auf eine Ersatzleistung (Entschädigung, Abfindung) für Urlaubsentgelt (Urlaubsersatzleistung) strittig oder wird eine Ersatzleistung (Entschädigung, Abfindung) für Urlaubsentgelt (Urlaubsersatzleistung) aus sonstigen Gründen (zB Konkurs des Arbeitgebers) nicht bezahlt, so ist Abs. 2 sinngemäß anzuwenden. Wird hingegen eine Urlaubsabfindung nach dem BUAG gewährt, beginnt der Ruhenszeitraum mit dem achten Tag, der auf die Zahlbarstellung durch die Urlaubs- und Abfertigungskasse folgt. Ansprüche auf Tagesteile bleiben immer außer Betracht.“

14Richtig ist, dass der Wortlaut des § 16 Abs. 1 lit. l AlVG Urlaubsersatzleistungen aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nicht ausschließt. § 16 Abs. 4 AlVG, der diesen Ruhenstatbestand näher regelt, knüpft allerdings an das Ende des „anspruchsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses“ an. Ein anspruchsbegründendes Beschäftigungsverhältnis konnte bis 30. März 2024 nur ein nicht nur geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sein. Aus dem Zusammenhalt von § 16 Abs. 1 lit. l und Abs. 4 AlVG ergab sich also klar, dass sich der Ruhenstatbestand nur auf Urlaubsersatzleistungen (und Kündigungsentschädigungen) aus vollversicherten Dienstverhältnissen bezog.

15Mit Wirkung vom 1. April 2024 hat der Verfassungsgerichtshof aber die Wortfolge „Abs. 2“ in § 1 Abs. 4 AlVG (betreffend die Abgrenzung des Kreises der in der Arbeitslosenversicherung Pflichtversicherten) aufgehoben (vgl. VfGH 6.3.2023, G 296/2022). Diese Aufhebung hat dazu geführt, dass nun alle Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer, die aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG übersteigt, gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG arbeitslosenversichert sind (vgl. Rn. 44 des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes). Die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung besteht also auch für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, wenn das daraus zustehende Entgelt zusammen mit dem Entgelt aus weiteren (geringfügigen oder vollversicherten) Beschäftigungsverhältnissen über der Geringfügigkeitsgrenze liegt.

16Das bedeutet, dass nun auch aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis (wenn auch nicht für sich allein) ein Anspruch auf Arbeitslosengeld resultieren kann. Es stellt sich also die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis anspruchsbegründend im Sinn des § 16 Abs. 4 AlVG ist.

17Fest steht, dass das Ruhen gemäß § 16 Abs. 1 lit. l iVm Abs. 4 AlVG nicht immer dann eintritt, wenn ein der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis beendet und daraus eine Urlaubsersatzleistung bezogen wird. Sind daneben noch ein oder mehrere andere Beschäftigungsverhältnisse aufrecht, aus denen (insgesamt) ein Entgelt über der Geringfügigkeitsgrenze erzielt wird, besteht nämlich auf Grund des § 12 Abs. 1 AlVG mangels Arbeitslosigkeit noch kein Anspruch, der ruhen könnte. Der Leistungsanspruch wird nur begründet um in der Folge während des Bezugs der Urlaubsersatzleistung zu ruhen, wenn die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses dazu führt, dass insgesamt kein Entgeltanspruch über der Geringfügigkeitsgrenze mehr besteht (vgl. zu dieser Voraussetzung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit VwGH 19.11.2024, Ra 2024/08/0103).

18Als „anspruchsbegründendes“ Beschäftigungsverhältnis im Sinn des § 16 Abs. 4 AlVG ist also jenes zu verstehen, dessen Beendigung gemäß § 12 AlVG die Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe herbeigeführt hat. Wird in der Folge ein daneben zunächst noch aufrechtes oder während der Arbeitslosigkeit aufgenommenes (weiteres) geringfügiges Beschäftigungsverhältnis (§ 12 Abs. 6 lit. a AlVG) beendet und auf Grund dessen eine Urlaubsersatzleistung bezogen, so führt diesda es sich nicht um ein anspruchsbegründendes Beschäftigungsverhältnis im Sinn des § 16 Abs. 4 AlVG handelt nicht zum Ruhen des Anspruchs.

19Dafür sprechen auch teleologische Überlegungen: Zweck des Ruhenstatbestandes ist nämlich ausweislich der Erläuterungen zur Regierungsvorlage (282 BlgNR 17. GP, 8) die Vermeidung einer „nicht vertretbaren Doppelversorgung“ (vgl. dazu auch VwGH 25.4.1989, 88/08/0132, VwSlg 12.910 A/1989). Zu einer solchen nicht vertretbaren Doppelversorgung kommt es aber jedenfalls dann nicht, wenn die Urlaubsersatzleistung weder allein noch zusammen mit einer noch aufrechten Beschäftigung die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet, werden doch Bezüge bis zu dieser Höhe neben Leistungen der Arbeitslosenversicherung in der Systematik des AlVG generell nicht als schädlich angesehen (vgl. insbesondere § 12 Abs. 6 lit. a AlVG). Es erschiene auch grob unsachlich, den Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe neben einer aufrechten geringfügigen Beschäftigung zu ermöglichen, den Anspruch aber bei Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses und Bezug einer Urlaubsersatzleistung also letztlich für den Zeitraum des während der aufrechten Beschäftigung nicht konsumierten Urlaubs ruhen zu lassen.

20Da sich nach diesen Grundsätzen nicht ergibt, dass das geringfügige Beschäftigungsverhältnis der schon jahrelang im Bezug von Notstandshilfe stehenden Mitbeteiligten anspruchsbegründend im Sinn des § 16 Abs. 4 AlVG war, indem seine Beendigung die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, hat die auf Grund dieses Beschäftigungsverhältnisses bezogene Urlaubsersatzleistung nicht das Ruhen des Anspruchs auf Notstandshilfe bewirkt.

21Die vom AMS behauptete Rechtsverletzung liegt somit nicht vor. Da dies schon der Inhalt der Revision erkennen ließ, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren abzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2024