JudikaturVwGH

Ra 2023/17/0100 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Mai 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juni 2023, L502 22106622/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: S S H, S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit dem Mitbeteiligten „gemäß § 56 Abs. 1 AsylG eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ erteilt“ wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

1 Der Mitbeteiligte, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 27. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25. Oktober 2018 abgewiesen wurde. Unter einem wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung in den Irak für zulässig erklärt.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (Verwaltungsgericht) vom 29. Oktober 2021 als unbegründet abgewiesen.

3Mit Bescheid des BFA vom 1. März 2023 wurde der im Revisionsverfahren gegenständliche Antrag des Mitbeteiligten vom 29. Juni 2022 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Sein Antrag auf Mängelheilung wurde gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylGDV abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 3 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis erteilte das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem Mitbeteiligten „in Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ (Spruchpunkt A.2.) und hob „in Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II, III, IV, V und VI“ diese auf. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

5Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte erfülle insgesamt die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 56 und 60 Abs. 2 AsylG 2005; der Erteilung desselben stünden auch keine Erteilungshindernisse iSd § 60 Abs. 1 AsylG 2005 entgegen. Den Nachweis seiner Identität habe der Mitbeteiligte auch aus Sicht des BFA erbracht, andernfalls wäre es nicht zur entsprechenden Feststellung gelangt. Der Beschwerde sei daher sohin auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides stattzugeben und dieser aufzuheben. Die weiteren Spruchpunkte seien im Hinblick auf die Erteilung des Aufenthaltstitels ersatzlos zu beheben.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision (Revision) des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, habe die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann sei „Sache“ eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die „Rechtmäßigkeit der Zurückweisung“ (Hinweis auf VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0299). Es sei dem Verwaltungsgericht deshalb verwehrt, über den Rahmen der bloßen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung der Vorinstanz hinaus mit einer Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens vorzugehen (Verweis auf VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0192, und VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0299). U.a. von dieser Rechtsprechung sei das Verwaltungsgericht abgewichen, indem es dem Mitbeteiligten den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt habe, obwohl das BFA diesen Antrag zuvor im Sinne des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen habe.

8 Die Revision ist aus diesen Gründen zulässig; sie ist auch begründet.

9Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist „Sache“ eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die „Rechtmäßigkeit der Zurückweisung“. Das Verwaltungsgericht hat allein zu prüfen, ob die inhaltliche Behandlung des Antrags zu Recht verweigert worden ist. Mit einer meritorischen Entscheidung über den Antrag überschreitet das Verwaltungsgericht hingegen die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 6.11.2024, Ra 2023/01/0050, mwN).

10Es ist dem Verwaltungsgericht verwehrt, über den Rahmen der bloßen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisungsentscheidung der Vorinstanz hinaus mit einer Entscheidung über den Gegenstand des Verfahrens vorzugehen, weil dadurch der sachlichen Prüfung des gestellten Antrages und damit den Parteien eine Instanz genommen würde (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0192; VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0037, jeweils mwN).

11Im vorliegenden Fall wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück.

12 Indem das Verwaltungsgericht wie die Revision zutreffend aufzeigtnicht bloß über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrags nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005 entschieden hat, hat es die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens überschritten und sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge seiner Unzuständigkeit belastet. Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Die darüber hinaus mit diesem Erkenntnis zufolge der umfassenden Beschwerdestattgebung vorgenommene Aufhebung der übrigen Spruchpunkte des vom BFA erlassenen Bescheides verliert damit ihre rechtliche Grundlage, weshalb insoweit das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG der Behebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit zu verfallen hatte (vgl. VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0299; erneut VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0037).

Wien, am 20. Mai 2025