JudikaturVwGH

Ra 2023/01/0050 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. November 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching, Mag. Brandl, Dr. Terlitza sowie Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 11. Jänner 2023, Zl. LVwG AV 1993/001 2022, betreffend Akteneinsicht in einer Angelegenheit wegen eines Betretungsund Annährungsverbots nach § 38a SPG (mitbeteiligte Partei: A B in B, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Mag. Daniela Neuhuber, Mag. Leopold Boyer, Rechtsanwälte in 2225 Zistersdorf, Hauptstraße 25), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

1Am 2. November 2022 wurde von den einschreitenden Beamten der Polizeiinspektion XY über den Mitbeteiligten für eine näher beschriebene Wohnung gemäß § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) ein Betretungs und Annährungsverbot ausgesprochen.

2 Mit Schriftsatz vom 4. November 2022 beantragte der anwaltlich vertretene Mitbeteiligte gegenüber der belangten Behörde (Amtsrevisionswerberin) eine Abschrift des Aktes gegen Kostenersatz an seinen ausgewiesenen Vertreter bzw. die Einsicht in den elektronischen Akt sowie die Benachrichtigung von allen weiteren gerichtlichen und behördlichen Maßnahmen.

3Mit Bescheid vom 9. November 2022 wies die belangte Behörde den Antrag des Mitbeteiligten auf Akteneinsicht gemäß § 17 AVG zurück.

Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, beim Ausspruch eines Betretungsund Annährungsverbots gemäß § 38a SPG handle es sich um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt, der sich durch seine Formfreiheit auszeichne. Auch die Überprüfung und allfällige Aufhebung des Betretungsverbots erfolge nicht in einem förmlichen „(Verwaltungs)Verfahren“. Demnach komme das AVG, insbesondere § 17 Abs. 3 AVG betreffend die Akteneinsicht, nicht zur Anwendung. Vorliegend fehle gerade ein solches förmliches Verwaltungsverfahren, weshalb der Antrag auf Akteneinsicht mangels Parteistellung als unzulässig zurückzuweisen sei.

4Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis „gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)“ statt und sprach aus, dass die belangte Behörde dem Mitbeteiligten „Akteneinsicht zu der Dokumentation gemäß § 38a SPG sowie den damit in Verbindung stehenden Aktenteilen“, die den Mitbeteiligten betreffen, zu gewähren habe (Spruchpunkt 1.). Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt 2.).

5Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte sei Betroffener der gegen ihn gesetzten Maßnahme gewesen. Es sei in seine Rechte eingegriffen worden, weshalb ihm das Recht auf Akteneinsicht zustehe. Da noch kein Verwaltungsverfahren nach dem AVG anhängig gewesen sei, sei über den Antrag auf Akteneinsicht mit Bescheid abzusprechen gewesen.

6 Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

8 Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision nicht zuzulassen bzw. im Falle der Zulassung ihr keine Folge zu geben und begehrte Aufwandersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist zu den beiden in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfragen und zwar einerseits, ob einem von einem Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt, vorliegend von einem Betretungsund Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG, Betroffenen entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Verwaltungsgericht abgewichen sei, gemäß § 17 AVG ein Recht auf Akteneinsicht zukomme, andererseits, dass das Verwaltungsgericht entgegen näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bloß über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags auf Akteneinsicht abgesprochen habe, sondern eine Sachentscheidung über diesen Antrag getroffen habe, zulässig; sie ist auch berechtigt.

10Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist „Sache“ eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die „Rechtmäßigkeit der Zurückweisung“ (vgl. etwa VwGH 29.3.2023, Ra 2022/01/0297, Rn. 18, mwN). Das Verwaltungsgericht hat allein zu prüfen, ob die inhaltliche Behandlung des Antrags zu Recht verweigert worden ist. Mit einer meritorischen Entscheidung über den Antrag überschreitet das Verwaltungsgericht hingegen die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens (vgl. etwa VwGH 19.12.2023, Ra 2023/19/0065, Rn. 11, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht hat wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt nicht bloß über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags auf Akteneinsicht durch die belangte Behörde entschieden. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht ohne dass von der belangten Behörde eine diesbezügliche abweisende Entscheidung vorlag bereits selbst in der Sache eine meritorische Entscheidung getroffen und ausgesprochen, dass die belangte Behörde dem Mitbeteiligten Akteneinsicht zu gewähren habe.

12 Indem das Verwaltungsgericht inhaltlich über den Antrag auf Akteneinsicht entschied, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet.

13Da das Verwaltungsgericht inhaltlich über den Antrag auf Akteneinsicht entschied und dadurch sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastete, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG bereits deshalb aufzuheben.

Wien, am 6. November 2024