Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Mag. M. Mayr, LL.M., als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des Zollamtes Österreich gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. Jänner 2023, RV/5200028/2013, betreffend Erstattung bzw. Erlass von Einfuhrumsatzsteuer (mitbeteiligte Partei: S GmbH, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Rechtsanwalt in Bregenz), zu Recht erkannt:
Das Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 3. Jänner 2011 teilte das (damalige) Zollamt Feldkirch Wolfurt der Mitbeteiligten die nachträgliche buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuer (sowie Abgabenerhöhung) in näher angeführter Höhe mit. Die Mitbeteiligte habe mit sechs näher bezeichneten Zollanmeldungen Waren zur Überführung in den zoll und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet und dabei die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung für ein an die Einfuhr unmittelbar anschließendes innergemeinschaftliches Verbringen in Anspruch genommen. Diese Transaktionen seien nach den näher dargelegtenErmittlungsergebnissen lediglich zum Schein und mit dem Ziel des Umsatzsteuerbetrugs durchgeführt worden, womit die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gemäß Art. 6 Abs. 3 iVm Art. 7 Abs. 1 Z 2 lit. a bzw. Abs. 2 Z 1 UStG 1994 nicht gegeben seien. Die Steuerschuld sei daher gemäß Art. 204 Abs. 1 ZK iVm § 2 Abs. 1 ZollR DG entstanden und werde der Mitbeteiligten als Anmelderin vorgeschrieben.
2 Die dagegen erhobene (damals) Berufung der Mitbeteiligten wurde nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung mit (in Rechtskraft erwachsenem) Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 30. Dezember 2022 als unbegründet abgewiesen.
3 Mit Schriftsatz vom 14. Jänner 2011 stellte die Mitbeteiligte den Antrag auf Erlass der mit Bescheid vom 3. Jänner 2011 mitgeteilten Beträge an Einfuhrumsatzsteuer (samt Abgabenerhöhung) gemäß Art. 239 ZK iVm § 83 ZollR DG. Der mitgeteilte Betrag könne ohne wirtschaftliche Gefährdung der Mitbeteiligten nicht entrichtet werden.
4 Mit Bescheid vom 26. Jänner 2012 wies das Zollamt diesen Antrag mit näherer Begründung ab. Die dagegen erhobene (damals) Berufung wurde vom Zollamt mit (damals) Berufungsvorentscheidung vom 31. Jänner 2013 mit näherer Begründung als unbegründet abgewiesen, wogegen die Mitbeteiligte „Beschwerde“ an den (damaligen) unabhängigen Finanzsenat erhob.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten teilweise Folge, indem es die Einfuhrumsatzsteuer für vier der insgesamt sechs Einfuhren erließ. Es sprach weiters aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der relevanten Rechtsquellen im Wesentlichen hinsichtlich der für das vorliegende Revisionsverfahren relevanten Einfuhrenzunächst aus, die Mitbeteiligte habe bei allen Zollabfertigungen durch Eintragung des Verfahrenscodes 4200 im Feld 37 der Zollanmeldungen die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) gemäß Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 beantragt.
7 Zu den einzelnen Zollanmeldungen führte das Bundesfinanzgericht wie folgt aus:
A.
8 Mit Antrag vom 16. Juni 2008 sollten Nichtunionswaren („Smart Card Readers“ etc.) mit „Ursprung US“ mittels Verfahrenscode 4200 in den freien Verkehr überführt werden. Versender und Verkäufer sei die T LLC mit Sitz in New York, Empfänger die L Kft in Budapest. Als Warenempfänger, bei dem die Versendung ende, sei im Feld 44 der Anmeldung die M Srl mit deren UID Nr. angegeben worden. Die Mitbeteiligte sei laut Zollanmeldung als indirekte Vertreterin für die L Kft tätig gewesen.
9 Der Einfuhr liege ein Kaufvertrag vom 6. Juni 2008 zwischen der T LLC und der L Kft (als Käuferin) zugrunde. Anschließend seien die Waren mit 10. Juni 2008 von der L Kft an die M Srl weiterverkauft worden. Am 13. Juni 2008 sei von der MT SA (eine Spedition) ein Verzollungsauftrag erteilt worden (mit einer italienischen Lieferadresse einer anderen Spedition, der B SNC). Aktenkundig sei auch eine Rechnung („Fattura“) vom 30. Mai 2008 der E SpA an die R LLC, mit einem Hinweis auf eine steuerfreie Ausfuhr aus Italien vom 31. Mai 2008. Der CMR Frachtbrief weise als Absender die T LLC und als Empfänger die L Kft aus. Im Feld 40 sei der Code 821 angegeben. Die Waren seien mittels „T2“ zuvor ausgeführt worden. Ein „T2“ in Richtung Österreich sei nicht aktenkundig. Das Zollamt betone, dass die Waren am 31. Mai 2008 aus Italien umsatzsteuerbefreit ausgeführt worden wären.
10 Zu M Srl sei von der italienischen Finanzverwaltung folgendes mitgeteilt worden: „a. has no headquarters and the registered office of Rome received only the post; b. has made a considerable IC acquisition in a short time by falling to submit tax returns. The goods purchased are at risk of tax evasion; c. is a missing trader.”
11 Am 3. Juli 2008 sei eine „Stufe 2“ Abfrage der UID Nr. der M Srl durchgeführt worden; die UID Nr. sei gültig gewesen.
12 Nach Mitteilung der ungarischen Verwaltung habe die L Kft (im Prüfungszeitraum April bis September 2008) weder über Warenlager, noch über Angestellte verfügt. Sie sei weder in Kontakt mit den Kunden, noch mit den Lieferanten gestanden, habe nicht befördert und auch nie über die Waren verfügt. Sie habe keine Geschäfte unter ihrem eigenen Namen und zu ihrem eigenen Nutzen ausgeführt. Sowohl die Rechnungsausstellung als auch die Bezahlung sei aufgrund der Anleitung anderer Firmen erfolgt. Sie habe aber Provisionen aus ihren Vermittlungen erzielt.
13 Am 16. Juni 2008 sei die UID Nr. der L Kft (im Wege einer „Stufe 1“ Abfrage) abgefragt worden; diese sei gültig gewesen.
14 Das Zollamt habe betont, dass bei dieser Einfuhr lediglich eine Übernahmebescheinigung einer Spedition vorliege. Die Mitbeteiligte habe betont, dass die Ablieferung der Ware am 18. Juni 2008 bei der italienischen Spedition B SNC erfolgt sei. Die Empfangsbestätigung mit Unterschrift, Eingangsstempel und Datum lägen nach Angaben der Mitbeteiligten vor.
B.
15 Bei der Einfuhr vom 4. Juli 2008 sei „als Vorpapier“ im Feld 40 der Code 821 (T1) angegeben worden. Zuvor seien die Waren mittels „T2“ in die Schweiz verbracht worden, was der Mitbeteiligten nach ihrer Aussage nicht bekannt gewesen sei. Als Empfänger sei im Zollpapier die L Kft, als Abnehmer wiederum die M Srl angegeben.
16 Das Zollamt habe auch hinsichtlich dieser Einfuhr betont, dass lediglich eine Übernahmebescheinigung einer Spedition vorliege. Die Mitbeteiligte habe betont, dass die italienischen Spedition B SNC den Empfang der Ware am 8. Juli 2008 schriftlich bestätigt habe.
C.
17 Mit Antrag vom 30. Juli 2008 sollten Nichtunionswaren (Software und dergleichen) mit Ursprung „EU und CN“ mittels Verfahrenscode 4200 in den freien Verkehr überführt werden. Versender und Verkäufer sei die G LLC, Empfänger wiederum die L Kft in Budapest. Als Warenempfänger, bei dem die Versendung ende, sei im Feld 44 der Anmeldung die EB Srl mit deren UID Nr. angegeben. Die Mitbeteiligte sei für die Empfängerin als indirekte Vertreterin aufgetreten.
18 Der Einfuhr liege ein Kaufvertrag vom 20. Juni 2008 zwischen der G LLC und der L Kft (als Käuferin), sowie ein Kaufvertrag vom 8. Juli 2008 zwischen der L Kft und der EB Srl zugrunde. Der Mitbeteiligten sei am 28. Juli 2008 ein Verzollungsauftrag erteilt worden (mit einer italienischen Lieferadresse einer anderen Spedition, der SL Srl); Frachtführer sei die GR GmbH Co KG gewesen. Eine Übernahmebestätigung vom 31. Juli 2008 durch die SL Srl sei aktenkundig.
19 Laut dem CMR Frachtbrief sei die EB Srl Empfänger der Waren, die am 26. Juni 2008 ausgeführt worden seien (Versender sei die österreichische GI GmbH und Empfänger die R LLC). Die Mitbeteiligte sei laut Zollanmeldung als indirekte Vertreterin für den Empfänger tätig gewesen. Ein „T2“ sei nicht aktenkundig, allerdings könne dies von der Revisionswerberin nachgereicht werden. Das Zollamt habe betont, die Waren seien mit „T1“ nach Österreich gelangt. Die Mitbeteiligte habe betont, dass der Empfang der Ware auf dem CMR Frachtbrief am 31. Juli 2008 schriftlich bestätigt worden sei.
20 Die EB Srl sei nach Mitteilung der italienischen Zollverwaltung ein „missing trader“. Laut Mitteilung der italienischen Steuerbehörden die im Jahr 2010 eine steuerliche Prüfung vorgenommen hätten sei die E Srl bis 2008 „wirtschaftlich tätig“ gewesen und habe zwischen den 1. Jänner 2008 und dem 30. September 2008 innergemeinschaftliche Erwerbe für rund 9 Mio. € getätigt, ohne jedoch die geschuldete Mehrwertsteuer zu entrichten. Die UID Nr. sei von der Mitbeteiligten im Jahr 2008 nicht schriftlich abgefragt worden, sie sei aber gültig gewesen.
D.
21 Mit Antrag vom 19. September 2008 sollte „Software (Arbeitsspeicher)“ mit Ursprung „US“ mittels Verfahrenscode 4200 in den freien Verkehr überführt werden. Versender sei die L Kft und Empfänger die EB Srl. Die Mitbeteiligte sei für die EB Srl als indirekte Vertreterin aufgetreten. Im Feld 40 sei auf ein „Vorpapier T1“ verwiesen worden (G LLC an die Mitbeteiligte). Dieser Abfertigung seien Kaufverträge zwischen der G LLC und der L Kft vom 11. September 2008 sowie der L Kft und der EB Srl vom 17. September 2008 und 21. Juli 2008 zugrunde gelegt worden.
22 Der Verzollungsauftrag sei von der MT SA erteilt worden. Die Waren seien zuvor mittels „T2“ von der GI GmbH an die MT SA bzw. im „Verfahren 1000“ an die R LLC ausgeführt worden.
23 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht mit Verweis auf Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) und des Verwaltungsgerichtshofes im Wesentlichen aus, der von einem herangezogenen Gesamtschuldner eingewandte Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass oder Erstattungsverfahren sei nach § 83 ZollR DG zu prüfen. Vertrauensschutz sei einer Person zu gewähren, welche die Sorgfalt eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers beachtet und alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, ob eine Person als Gesamtschuldner der Mehrwertsteuer herangezogen werden könne.
24Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 lasse die Umsatzsteuerfreiheit von Einfuhren aus Drittstaaten zu, sofern die Waren anschließend Gegenstand einer innergemeinschaftlichen Lieferung würden („Verfahren 42“). In den Fällen, in denen der Nachweis über eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht gelinge, werde in der Regel der Spediteur als Steuerschuldner herangezogen. Art. 239 Abs. 1 ZK iVm Art. 899 Abs 2 ZK DVO lasse eine Erstattung oder einen Erlass von Abgaben zu, sofern es sich um „besondere Fälle“ handle, die sich aus Umständen ergäben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen seien. Ein „besonderer Umstand“ sei eine Generalklausel, die alle anderen Umstände berücksichtigen solle, in denen es aus anderen Gründen nicht gerechtfertigt sei, Abgaben zu erheben. Die zentrale Frage sei sohin, ob der „Anmelder zum Zeitpunkt der Zollabfertigung die ihm mögliche und zumutbare Sorgfalt aufgewendet“ habe, somit ob er alle Maßnahmen getroffen habe, um sich vor jeglichem Geschäftsrisiko im Zusammenhang mit der Zollabfertigung zu schützen. Dazu gehöre auch die „Überwachung des Auftraggebers“ oder die Überprüfung, dass die „angemeldeten Gegenstände den tatsächlich gestellten Waren“ entsprächen.
25Zur „Billigkeitsprüfung“ werde festgehalten, dass Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 im Kern eine direkte Vertretung verlange, auch wenn eine Steuerfreiheit im Zuge einer indirekten Vertretung möglich bleibe und gerechtfertigt sei. Im vorliegenden Fall werde ein Unternehmen vertreten, das zur Umsatzsteuer in Österreich nicht registriert sei. Hier sei eine indirekte Vertretung gerechtfertigt, weil der Spediteur als Vertreter von der Erfüllung aller umsatzsteuerlichen Pflichten für den Vertretenen befreit sei. Mit Hilfe einer „Sonder UID“ könne nämlich eine vereinfachte Abwicklung erreicht werden, wenn Waren durch ausländische Unternehmer, die im Inland nicht zur Umsatzsteuer erfasst seien, eingeführt würden. In diesem Fall sei der Spediteur indirekter Vertreter; besondere umsatzsteuerliche Pflichten habe er nicht zu erfüllen, weil er nicht als Fiskalvertreter auftrete. Dem Grunde nach sei es rechtskonform, wenn im Verfahren 42 ein Spediteur nur als indirekter Vertreter, nicht aber als direkter Vertreter und umsatzsteuerlicher Fiskalvertreter auftrete. Die Sonder UID werde in diesem Zusammenhang nur und ausschließlich für Zwecke einer indirekten Vertretung erteilt.
26 Die Vergabe einer (vergleichbaren) SonderUID für die Ausübung der Fiskalvertretung, um die umsatzsteuerlichen Pflichten für den Vertretenen zu erfüllen, verbunden mit einer direkten Vertretung für die Einfuhrumsatzsteuer, sei de lege lata im UStG 1994 nicht ausgeschlossen, werde aber nach der Verwaltungspraxis in „E Zoll“ nicht zugelassen. Diese Beschränkung durch faktische Umstände („EZoll“) und eine „zwingende Ersetzung“ (Substituierung) der im UStG 1994 verankerten Fiskalvertretung durch eine zollrechtliche indirekte Vertretung sei sohin contra legem und unbillig.
27 Jedem Verfahren 42 könne sohin ein „unbilliger Kern“ zugrunde liegen, wenn eine Spedition die Absicht habe, direkt zu vertreten und als Fiskalvertreter für Unternehmen aufzutreten, die im Inland über keinen Sitz verfügten. Werde eine entsprechende Sonder UID für einen Fiskalvertreter nicht erteilt bzw. lasse das E Zollsystem eine direkte Vertretung bzw. Fiskalvertretung nicht zu, da nur eine Sonder UID für einen indirekten Vertreter erteilt und nutzbar gemacht werde, sei dies unbillig. Zwar werde in Fällen, in denen ein Spediteur die Absicht gehabt habe, direkt zu vertreten, dies aber nicht möglich gemacht werde, eine umsatzsteuerliche Vereinfachung erreicht, dadurch aber auch in die (zollrechtliche) Wahlfreiheit eingegriffen, wobei eine Verankerung im Zollkodex nicht ersichtlich sei.
28 Als Kernbegründung für den Spruch sei ohnehin festzuhalten, dass die Rechtsprechung des EuGH zur (Aufrechterhaltung der) Steuerschuldnerschaft sowie zum Vertrauensschutz zu berücksichtigen sei. Es komme darauf an, ob der Schuldner „wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser spätere Umsatz in eine vom Empfänger begangene Steuerhinterziehung einbezogen war“ (Verweis auf EuGH 14.2.2019, Vetsch Int. Transporte GmbH , C 531/17). Ein solches Wissen sei nicht aktenkundig. Auch ein (vorwerfbares) Nichtwissen sei nicht erkennbar. Es seien in allen Fällen Rechnungen, ordnungsgemäße Frachtbriefe und wenn auch teilweise formell mangelhafte Übernahmebestätigungen vorgelegen. Ein vorwerfbares Handeln, dass die Aufrechterhaltung der Steuerschuldnerschaft der Mitbeteiligten zur Folge hätte, sei nicht erkennbar. Die Empfänger hätten überdies über aufrechte UID Nummern zum Zeitpunkt der Zollabfertigungen verfügt. Für den ersten Empfänger habe die Mitbeteiligte in der Stufe 2 abgefragt, bei dem zweiten Empfänger hingegen nicht, nachweisbar bleibe aber, dass auch der zweite Empfänger im Jahr 2008 rechtlich existent gewesen sei. In einem Fall wie diesem sei sohin unzweifelhaft eine Erstattung vorzunehmen.
29 Gegen den der Beschwerde Folge gebenden Teil dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Zollamtes Österreich, die das Bundesfinanzgericht dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der verwaltungsgerichtlichen Akten vorlegte. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung in der sie die kostenpflichtige Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragte.
30 In der Amtsrevision wird zur Zulässigkeit u.a. ausgeführt, die angefochtene Entscheidung weiche von der näher genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer Unbilligkeit iSd § 83 ZollR DG ab und leide an Begründungsmängeln.
31 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
32 Die Revision ist zulässig und begründet.
33 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der von einem nach § 71a ZollR DG idF vor dem Alg ÄG 2015 herangezogenen Gesamtschuldner eingewendete Vertrauensschutz oder dessen Gutgläubigkeit im Erlass oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollRDG zu prüfen (vgl. VwGH 28.9.2016, Ra 2016/16/0052; 12.2.2021, Ra 2020/16/0167, jeweils mwN).
34 § 83 ZollR DG erläutert den in Art. 239 ZK enthaltenen unbestimmten Gesetzesbegriff des „besonderen Falles“ für den Bereich der sonstigen Eingangsabgaben näher. Der Vertrauensschutz einer Person, welche die Sorgfalt eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers beachtet hat und alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, ist als Kriterium zu sehen, das im Verfahren über einen Erlass oder eine Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach § 83 ZollRDG maßgeblich ist und als Richtschnur dient, ob sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (vgl. erneut VwGH 28.9.2016, Ra 2016/16/0052; 21.11.2017, Ra 2017/16/0037, mwN).
35 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgesprochen, dass die Frage, ob sich gemäß § 83 ZollR DG „die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist“ und damit dem Grunde nach ein „besonderer Fall“ iSd Art. 899 Abs. 2 ZK DVO vorliegtnicht unter Heranziehung des (durch die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes näher determinierten) Billigkeitsmaßstabs der Bestimmung des § 236 BAO zu beantworten ist (vgl. erneut VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037).
36 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung des Bundesfinanzgerichtes, wonach jedem „Verfahren 42 [...] ein unbilliger Kern zugrunde liegen“ könne, wenn eine Spedition die Absicht habe, direkt zu vertreten, dies allerdings (aus welchen Gründen auch immer) unterlässt, als verfehlt. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall wie das revisionswerbende Zollamt zutreffend ausführt eine derartige Absicht von der Mitbeteiligten weder behauptet wird, noch aus den Verfahrensakten hervorkommt, ist nicht erkennbar, weshalb die bewusst getroffene Wahl einer bestimmten Vertreterindikation einen „besonderen Fall“ iSd § 83 ZollR DG iVm Art. 899 Abs. 2 ZK DVO darstellen sollte (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des EuGH zum Vorliegen eines „besonderen Falles“ etwa EuGH 3.2.2021, Rottendorf Pharma GmbH , C 92/20, wonach ein „besonderer Fall“ voraussetzt, dass sich der Abgabenpflichtige im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet).
37 Zur Frage des Vertrauensschutzes der Mitbeteiligten deren Beantwortung vom Bundesfinanzgericht als „Kernbegründung“ der angefochtenen Entscheidung herangezogen wurde hat das Bundesfinanzgericht die Prüfung angestellt, ob die Mitbeteiligte „wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser spätere Umsatz in eine vom Empfänger begangene Steuerhinterziehung einbezogen war“.
38 Damit hat das Bundesfinanzgericht allerdings den anzustellenden Prüfungsmaßstab verkannt. Nach Art. 239 Abs. 1 zweiter Teilstrich ZK der nach der Rechtsprechung des EuGH eine allgemeine Billigkeitsklausel darstellt (vgl. etwa EuGH 29.7.2019, Prenatal SA , C 589/17)können u.a. Einfuhrabgaben erstattet werden, wenn (kumulativ) ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seitens des Abgabepflichtigen vorliegt (vgl. etwa VwGH 11.3.2020, Ra 2019/16/0217, mwN). Dementsprechend sieht Art. 899 Abs. 2 ZK DVO die Erstattung in „besonderen Fällen“ vor, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
39 Das Bundesfinanzgericht hätte somit prüfen müssen, ob der Mitbeteiligten offensichtliche Fahrlässigkeit (siehe zur Gleichstellung des Begriffs der „offensichtlichen Fahrlässigkeit“ mit jenem der „groben Fahrlässigkeit“ VwGH 21.1.2004, 2001/16/0284, mwN) hinsichtlich jener Umstände, die zu ihrer Heranziehung als Gesamtschuldnerin der Mehrwertsteuer geführt haben, anzulasten war.
40 Ergänzend ist festzuhalten, dass die angefochtene Entscheidung auch insoweit an einem Begründungsmangel leidet, als das Bundesfinanzgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat, die den Ausschluss einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Mitbeteiligten tragen könnten. Die lediglich mit Verweis auf die vorhandenen Rechnungen, Frachtbriefe und (zumindest formell mangelhaften) Übernahmebestätigungen getätigte Aussage, wonach ein „Wissen“ der Mitbeteiligten (offenbar über eine vom Empfänger begangene Steuerhinterziehung) nicht aktenkundig bzw. nicht erkennbar sei (und ebenso wenig ein „vorwerfbares Handeln“), stellt keine geeignete Begründung für die Vornahme der Erstattung dar.
41 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesfinanzgericht daher mit den näheren Umständen der verfahrensgegenständlichen Einfuhrenwie etwa die Geschäftsbeziehung der Mitbeteiligten mit jenen Gesellschaften, von denen sie beauftragt wurde (vgl. dazu erneut VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037) auseinanderzusetzen haben und dabei auch jene Aspekte würdigen müssen, die nach Ansicht des Zollamts auf das Vorliegen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Mitbeteiligten deuten könnten.
42 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang insoweit das Bundesfinanzgericht die Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der Mitbeteiligten für vier näher genannte Einfuhren erlassen hatgemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 26. November 2025