JudikaturBFG

RV/7103929/2019 – BFG Entscheidung

Entscheidung
01. September 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Margot Artner, Luftbadgasse 4/3, 1060 Wien, über die Beschwerde vom 20. April 2018 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 19. März 2018 betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab August 2014, SVNr ***1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der im Jahr 1987 geborene Beschwerdeführer stellte am 6.11.2017, vertreten durch seine gerichtliche Erwachsenenvertreterin, einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.

Über Anforderung des Finanzamtes erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen das Sachverständigengutachten vom 30.1.2018. Die Diagnose lautet auf paranoide Schizphrenie, der Gesamtgrad der Behinderung wird mit 70 % seit August 2014 (rückwirkend ab dem stationären Therapieerfordernis) festgestellt. Der Beschwerdeführer ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht vor dem vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Mit Abweisungsbescheid vom 19.3.2018 wies das Finanzamt den Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe unter Verweis auf § 6 Abs 2 lit d und § 2 Abs 1 lit b bis e FLAG 1967 ab August 2014 ab. Es bestehe kein Anspruch, da die dauernde Erwerbsunfähigkeit durch das eingeholte Gutachten erst ab August 2014 festgestellt worden sei.

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 18.4.2018 Beschwerde erhoben. Dass das amtsärztliche Sachverständigengutachten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab August 2014 bestätige, sei nicht nachvollziehbar. Laut beiliegendem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 13.11.2014 bestehe diagnostisch das Bild einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Der Beschwerdeführer selbst berichte von Drogen- und Alkoholkonsum und auch von spielsüchtigem Verhalten. Dies habe dazu geführt, dass der Antragsteller auf Grund seiner Erkrankung zunehmend weniger in der Lage gewesen sei, Alltagsanforderungen nachzukommen. Antriebsstörung, Initiativemangel und reduzierte Belastbarkeit hätte bereits nahezu in die Obdachlosigkeit geführt. Das Verhaltensmuster dürfte früher als im amtsärztlichen Sachverständigengutachten festgestellt aufgetreten sein und sich in der Adoleszenz manifestiert haben und sei mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden. Es sei von kognitiven Einschränkungen, insbesondere Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen und Überblicksgewinnung betreffend, auszugehen. Dieser Befund korrespondiere auch mit der Biografie des Beschwerdeführers. Er habe das Gymnasium besucht (Wiederholung der 1. und 3. Klasse), Abschluss der Sporthauptschule, ca 1 Jahr Handelsschule. Er habe keinen Lehrberuf absolviert und nach dem Präsenzdienst kurz als Straßenkehrer (großteils als Tagelöhner) gearbeitet. Auf Grund seiner psychischen Erkrankung sei er in die Obdachlosigkeit abgerutscht. Diese Umstände seien im amtsärztlichen Gutachten nicht berücksichtigt worden.

Über Anforderung des Finanzamtes wurde am 29.1.2019 ein weiteres Sachverständigengutachten vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellt. Darin wird der Grad der Behinderung erneut mit 70 % seit August 2014 festgestellt. Der Beschwerdeführer ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die bereits vorliegenden bzw. nunmehr mitgebrachten Befunde seien nicht geeignet, eine Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr zu bestätigen. Auch das von der Erwachsenenvertreterin zitierte Gutachten vom 11/2014 (Patient damals im 28. Lebensjahr) sei dazu nicht geeignet.

Daraufhin wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 11.3.2019 als unbegründet ab. Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen wurde begründend ausgeführt, dass die medizinischen Sachverständigengutachten in nachvollziehbarer und schlüssiger Weise davon ausgehen würden, dass eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei und das Finanzamt daher daran gebunden sei.

Mit Schriftsatz vom 8.4.2019 wurde fristgerecht ein Vorlageantrag gestellt. Vorgebracht wurde, dass nach dem (beiliegenden) Versicherungsdatenauszug und dem (beiliegenden) fachärztlichen Befundbericht des PSD vom 21.11.2018 sich beim Beschwerdeführer ein chronisch progredienter Verlauf der schizophrenen Erkrankung mit zunehmender Verschlechterung ohne Remission zeige. Anamnestisch sei zu erfahren, dass die Symptomatik schon in der Adoleszenz begonnen habe, dass es in der Schule zu einem Leistungsknick gekommen sei, sodass der Beschwerdeführer die Schule nicht abschließen konnte und auch das Bundesheer vorzeitig verlassen musste. Aufgrund des instabilen Zustandsbilds und unstrukturierter Planlosigkeit bei schwerer psychischer Erkrankung sei er nicht wirklich dauerhaft arbeitsfähig. Er habe am ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können und sei auch am zweiten Arbeitsmarkt deutlich überfordert. Dies korrespondiere auch mit den Daten des Sozialversicherungsauszuges. Diese Umstände seien im amtsärztlichen Gutachten nicht berücksichtigt worden. Es sei davon auszugehen, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. während der nicht vollendeten Berufsausbildung eingetreten sei.

Mit Vorlagebericht vom 18.7.2019 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der im Februar 1987 geborene Beschwerdeführer vollendete sein 21. Lebensjahr im Februar 2008. Er lebt allein in einer Gemeindewohnung. Seine Mutter ist bereits verstorben, zum Vater besteht kein Kontakt.

Beim Beschwerdeführer besteht eine paranoide Schizophrenie. Laut den Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen und den zugrundeliegenden Sachverständigengutachten vom 30.1.2018 und 29.1.2019 beträgt der Gesamtgrad der Behinderung 70 % seit August 2014 und ist der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Der Beschwerdeführer besuchte zunächst ein Gymnasium (Wiederholung 1. und 3. Klasse), wechselte dann in eine Sporthauptschule, die er nach 1,5 Jahren abschloss. Er besuchte für ca. 1,5 Jahre eine Handelsschule. Diese brach er nach eigenen Angaben im Psychiatrisch-Neurologischen Gutachten vom 13.11.2014 ab, da seine Großeltern - seine eigentlichen Zieheltern - gestorben seien. Eine Berufsausbildung nach dem vollendetem 21. Lebensjahr wurde nicht nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer leistete laut Sozialversicherungsdatenauszug von 4.4.-19.6.2005, 24.6.-23.10.2005, 26.10.-17.11.2005 und 3.2.-23.2.2006 seinen Präsenzdienst (insgesamt 8 Monate).

Laut Sozialversicherungsdatenauszug war der Beschwerdeführer ab November 2007 bis Juli 2014 großteils als Tagelöhner bei der ***2***, von 3.6.2008 bis 31.3.2009 und vom 12.6. bis 12.8.2009 bei der ***3*** in Vollzeit tätig. Daneben bestanden von 16.11.2009 bis 16.4.2010 mit der ***4*** Arbeitskräfteüberlassung GmbH und von 1.6.2012 bis 2.8.2012 mit der ***5 gemeinnützige GmbH*** Dienstverhältnisse. Ab Juli 2010 bis zu seiner Pensionierung war der Beschwerdeführer wiederholt bei weiteren (gemeinnützigen) Arbeitgebern (***6***, ***7***, ***8***) - in der Regel tageweise - geringfügig beschäftigt.

Von November 2014 bis August 2016 bezog der Beschwerdeführer Rehabgeld, seit September 2016 ist er Pensionsbezieher (geminderte Arbeitsfähigkeit).

Seit September 2014 besteht für den Beschwerdeführer eine Erwachsenenvertretung.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem von der Abgabenbehörde vorgelegten Verwaltungsakt.

In den beiden vorliegenden Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 30.1.2018 und 29.1.2019 lautet das Ergebnis der durchgeführten Begutachtung auf "Paranoide Schizophrenie" mit einem GdB von 70 %, rückwirkend ab August 2014 (ab dem stationären Therapieerfordernis 8/2014). Ebenfalls übereinstimmend wird festgestellt, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten ist.

Im Sachverständigengutachten vom 30.1.2018 wird in der Anamnese festgehalten, dass der Beginn der psychischen Erkrankung nicht erhebbar ist. Berücksichtigt wurden der Befund des OWS (Psych.) vom 23.8.2014 mit der Diagnose "akut polymorphe psychotische Störung mit Zeichen einer Schizophrenie" und der Befund des PSD vom 17.1.2018 mit der Diagnose "paranoide Schizophrenie".

Im zweiten Sachverständigengutachten vom 29.1.2019 wurden die bereits vorliegenden und die zur Untersuchung mitgebrachten Befunde - darunter das in der Beschwerde zitierte Psychiatrisch-Neurologische Gutachten vom 13.11.2014 und der im Vorlageantrag zitierte fachärztliche Befundbericht des PSD vom 21.11.2018 mit der Diagnose "Paranoide Schizophrenie, chronisch progredienter Verlauf" - sowie die Beschwerdeschrift vom 18.4.2018 berücksichtigt. Der Sachverständige beurteilte die ihm vorliegenden Befunde und auch das Gutachten vom 13.11.2014 als nicht dazu geeignet, eine Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr zu bestätigen.

Das Krankheitsbild bei schizophrenen Erkrankungen ist vielfältig, ebenso der Beginn und Verlauf. Die Anfangssymptomatik kann akut ausbrechen oder sich schleichend, über einen längeren Zeitraum und für den Betroffenen selbst kaum spürbar, entwickeln (vgl. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/schizophrenie-und-schizophrene-psychosen/verlauf/prognose/).

Laut dem Befundbericht des PSD vom 21.11.2018, zeigt der Beschwerdeführer einen chronisch progredienten Verlauf der schizophrenen Erkrankung mit zunehmender Verschlechterung ohne Remission. Der Beschwerdeführer steht seit 11.9.2014 in fachärztlicher und sozialarbeiterischer Betreuung in der Ambulanz des PSD, nachdem der damals 27-Jährige zuvor vom 23.8. bis 11.9.2014 in stationärer psychiatrischer Behandlung war. Die diesbezüglich vorliegenden psychiatrischen Befunde, nämlich die Krankengeschichte des SMZ OWS vom 23.8.2014 mit der Diagnose "akut polymorph psychotische Störung, pathologisches Spielen, Alkoholabusus", der Befund der 4. psychiatrischen Abteilung vom 11.9.2014 mit der Diagnose "akut polymorph psychotische Störung mit Zeichen einer Schizophrenie" sowie die Ergebnisse der psychologischen Testung vom 11.9.2014 OWS, die ein deutlich psychotisches Zustandsbild spiegeln und dabei eine hebephrene Entwicklung anzudenken ist, wurden im zweiten Sachverständigengutachten vom 29.1.2019 ebenfalls berücksichtigt. Ältere psychiatrische Befunde liegen nicht vor.

Weder der Befundbericht vom 21.11.2018 noch die ältesten vorliegenden Diagnosen aus dem Jahr 2014 - der im Februar 1987 geborene Beschwerdeführer stand damals im 28. Lebensjahr - lassen im Hinblick auf den nicht zu erhebenden Krankheitsbeginn und den chronisch progredienten Krankheitsverlauf mit zunehmender Verschlechterung verlässliche Rückschlüsse darauf zu, welches Ausmaß der Erkrankung vor dem vollendeten 21. Lebensjahr bestand und ob diese bereits damals zu einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt hat. Dass bereits Krankheitssymptome in der Adoleszenz bestanden haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit schon vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist.

Es ist demnach schlüssig und nachvollziehbar, wenn in den Sachverständigengutachten mangels Vorliegen aussagekräftiger Unterlagen, welches Ausmaß die beim Beschwerdeführer bestehende psychiatrische Erkrankung vor Vollendung seines 21. Lebensjahres erreicht hat, gerade jene Einschätzung nicht vorgenommen wurde, dass der Beschwerdeführer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Im Sachverständigengutachten vom 29.1.2019 sind sämtliche vorgelegten medizinischen Unterlagen berücksichtigt, ebenso ist eingeflossen, dass der Beschwerdeführer großteils als Tagelöhner beschäftigt war. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er das Bundesheer vorzeitig verlassen musste, kann anhand des vorgelegten Sozialversicherungsdatenauszugs nicht nachvollzogen werden, da die dort ausgewiesenen Präsenzdienstzeiten ein Gesamtausmaß von insgesamt 8 Monaten umfassen, was der damals zu leistenden Grundwehrdienstzeit entspricht. Ein Leistungsknick in der Schule und der Umstand, dass der Beschwerdeführer am ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnte und schließlich auch am zweiten Arbeitsmarkt überfordert war (Maßnahmen der (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt sind im Versicherungsdatenauszug ab November 2009 zu ersehen), sind aufgrund des oben beschriebenen Krankheitsverlaufs keine Umstände, die ohne entsprechende Befundlage eine Unschlüssigkeit der Sachverständigengutachten aufzeigen können.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 6 Abs 5 FLAG 1967 idF BGBl I 2010/111 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 idF BGBl I 2010/111 haben volljährige Vollwaisen unter anderem dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 6 Abs 5 FLAG 1967 idF BGBl I 2018/77 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 idF BGBl I 2018/77 haben volljährige Vollwaisen unter anderem dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um die in der jeweils geltenden Fassung genannten Beträge.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 idgF ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 8 Abs 7 FLAG 1967 gelten die Abs 4 bis 6 des § 8 leg cit sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 leg cit Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Strittig ist im gegenständlichen Fall die Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es im Fall des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl zB VwGH 27.11.2020, Ra 2020/16/0094; VwGH 30.3.2017, Ra 2017/16/0023; VwGH, 2.7.2015, 2013/16/0170; VwGH 20.11.2014, Ra 2014/16/0010).

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl zB VwGH 8.11.2023, Ra 2023/16/0086; VwGH 30.3.2017, Ra 2017/16/0023, VwGH 16.12.2014, Ro 2014/16/0053, VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307, jeweils mwN).

Die Parteien haben nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl zB VwGH 26.2.2016, Ro 2014/03/0004 mwN).

Im Beschwerdefall wurde dem Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bescheinigt, nicht jedoch deren Eintritt vor vollendetem 21. Lebensjahr.

Beide vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen eingeholten Sachverständigengutachten kommen übereinstimmend zu diesem Ergebnis. Wie bereits unter Punkt 2 dargestellt, kann das Bundesfinanzgericht eine Unschlüssigkeit der Gutachten nicht erkennen und vermochte der Beschwerdeführer eine Unschlüssigkeit der Gutachten nicht aufzuzeigen.

Wie oben ausgeführt, sind die Abgabenbehörde und auch das Bundesfinanzgericht an die ärztlichen Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden, sofern sie schlüssig sind. In beiden Gutachten wurde nicht bestätigt, dass die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten ist.

Damit sind die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages nicht erfüllt.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht hat im vorliegenden Fall nach in freier Beweiswürdigung erfolgter Beurteilung der Gutachten und Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Übereinstimmung mit der bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden. Eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, war nicht zu lösen.

Salzburg, am 1. September 2025

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