IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***EV***, über die Beschwerde vom 26. Februar 2015 gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 23. Jänner 2015 betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab Juni 2009, SVNr ***1***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schriftsatz vom 25.6.2014 stellte der im Jahr 1977 geborene Beschwerdeführer (Bf) durch seinen Erwachsenenvertreter einen Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab Juni 2009. Herr ***Bf*** leide an einer neuropsychiatrischen Erkrankung im Sinne eines Residualzustandes bei Schizophrenie und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie einem Zustand nach Benzodiazepine. Dem beigelegten Versicherungsauszug sei zu entnehmen, dass Herr ***Bf*** in seinem gesamten bisherigen Leben nie ernsthaft gearbeitet habe. Es handle sich immer nur um Arbeitsversuche. Herr ***Bf*** behaupte, dass er von kleinster Kindheit an ständig immer wieder im Otto Wagner Spital stationär wegen seiner psychischen Probleme aufgenommen worden sei. Beigelegt waren das ausgefüllte Antragsformular auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, der erwähnte Versicherungsdatenauszug sowie die von Univ.Doz. Dr. ***2***, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, erstellten Psychiatrisch-Neurologischen Gutachten vom 6.10.2010 und 8.1.2013.
In Beantwortung des Ergänzungsersuchens vom 12.9.2014 wurde das ausgefüllte Antragsformular auf Zuerkennung der Familienbeihilfe (Beih 1) übermittelt.
Über Anforderung des Finanzamtes erstellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen das Fach/Ärztliche Sachverständigengutachten vom 31.10.2014. Die Diagnose lautet auf schizophrenes Residuum, kombinierte Persönlichkeitsstörung (Richtsatzposition 030702; F20.0), der Gesamtgrad der Behinderung wird mit 50 % - rückwirkend ab dokumentierter stationärer Aufnahmsnotwendigkeit (im SV-Gutachten Dr. ***2*** vom 7/2010 werden stationäre Aufenthalte im Juni 2009 angeführt) - ab Juni 2009 festgestellt. Der Bf ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Erwerbsunfähigkeit wird ebenfalls ab Juni 2009 festgestellt.
Mit Abweisungsbescheid vom 23.1.2015 wies das Finanzamt den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe unter Wiedergabe des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 ab Juni 2009 ab. Das vorerwähnte Fach/Ärztliche Sachverständigengutachten war zur Information angeschlossenen
Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 26.2.2015 Beschwerde erhoben. Neben der Geltendmachung von Verfahrensmängeln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Bf eine schwierige Kindheit gehabt habe und immer wieder in den umliegenden psychiatrischen Krankenhäusern stationär aufgenommen werden musste. Aufgrund des bekannten Krankheitsbildes sei es ihm nicht möglich, die Krankenhäuser anzugeben, in denen er schon seit frühester Kindheit immer wieder untergebracht worden sei. Dass der Beschwerdeführer schon seit frühester Kindheit in ständiger psychiatrischer Behandlung gewesen sei, sei bei Feststellung der Erwerbsunfähigkeit ab Juni 2009 völlig außer Acht gelassen worden. Nach eigenen Angaben sei der Beschwerdeführer auch immer wieder im Gefängnis gewesen und habe den Kontakt zu seinen Eltern bereits in frühester Kindheit gänzlich abgebrochen. Völlig außer Acht gelassen worden seien alle anderen Befunde des Otto Wagner Spitals aus den Jahren 1994, 1995, 2000, 2001 und 2002. Wäre diese Befunde miteingeflossen, wäre man zum Ergebnis gekommen, dass die Erwerbsunfähigkeit spätestens ab 3.12.1994 vorgelegen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Bf sein 25. Lebensjahr noch nicht vollendet.Der Beschwerde beigelegt waren die Krankenunterlagen des Bf aus dem Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe, Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum, Abteilung für Forensische Psychiatrie und Alkoholkranke über die ambulante Behandlung am 9.2.2002 sowie die Krankengeschichte Nr. 1 (ohne Befunde und Schriftverkehr) zur stationären Behandlung an der 4. Psychiatrischen Abteilung am 22.1.2001.
Über Anforderung des Finanzamtes wurde am 17.4.2018 ein weiteres Sachverständigengutachten vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erstellt. Darin wird der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 % seit Juni 2009 und mit 60 % seit April 2018 festgelegt. Herr ***Bf*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die dauernde Selbsterhaltungsfähigkeit ist ab Juni 2009 anzunehmen. Begründet wird dies damit, dass trotz der dokumentierten ein- bis dreitägigen stationär-medizinischen Interventionen im Dezember 1994 und im März 1995 sich daraus keine dauernde krankheitsbedingte Funktionseinschränkung vor dem 18./21. Lebensjahr ableiten lässt, die zu einer dauernden Selbsterhaltungsunfähigkeit geführt hätte.
Daraufhin wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.4.2018 als unbegründet ab.
Die Beschwerdevorentscheidung wurde dem Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers am 30.4.2018 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 30.5.2018 wurde ein Vorlageantrag gestellt. Primär werde auf die Ausführungen in der Beschwerde verwiesen. Herr ***Bf*** sei dauernd außerstande sich selbst Unterhalt zu verschaffen. Von seinen Eltern habe er diesbezüglich keinerlei Unterstützung gehabt. Sie hätten sich auch nicht darum gekümmert, für ihren Sohn eine erhöhte Familienbeihilfe zu beantragen. Auch sei er in seiner Jugend sehr oft inhaftiert gewesen. Aufgrund seiner geistigen Minderbegabung sei es ihm auch nicht möglich gewesen, selbst den Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe zu stellen. Im Jahre 1995 habe er eine 9-monatige Freiheitsstrafe verbüßt, weiters sei er 1997 bis 1999, 2001 bis 2004 und 2007 bis 2008 inhaftiert gewesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe seien vorgelegen, jedoch sei es verabsäumt worden, einen entsprechenden Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe zu stellen. Der Bf sei noch nie in einem festen, dauerhaften Dienstverhältnis gestanden. In der Beschwerdevorentscheidung werde ausgeführt, dass eine dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab Juni 2009 vorliege. Aufgrund der langjährigen Haftstrafen sei die Erwerbsunfähigkeit nie untersucht worden. Hätte sich jemand um Herrn ***Bf*** gekümmert und wäre ein Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe gestellt worden, hätte man schon zu einem viel früheren Zeitpunkt die Erwerbsunfähigkeit feststellen können. Aufgrund des zerrütteten Elternhauses und der langjährigen Haftstrafen hätten diese Untersuchungen nicht stattgefunden.
Mit Vorlagebericht vom 5.9.2018 legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. In seiner Stellungnahme führt das Finanzamt aus, dass der mit 30.5.2018 datierte Vorlageantrag als am 1.6.2018 und damit als verspätet eingebracht gewertet werde. Das Finanzamt beantragte eine Zurückweisung des Vorlageantrages bzw. in eventu eine Abweisung der Beschwerde.
Über Auftrag des Bundesfinanzgerichtes richtete das Finanzamt ein Ergänzungsersuchen an den Bf. Laut Vermerk auf dem mit 30.5.2018 datierten Vorlageantrag sei dieser eingeschrieben aufgegeben worden. Zwecks Ermöglichung zweifelsfreier Feststellungen über die rechtzeitige Einbringung des Vorlageantrags werde um Vorlage des Nachweises über die Postaufgabe (bzw. über das Postaufgabedatum) gebeten.
Mit Schriftsatz vom 2.11.2018 wurde eine Kopie der Einschreibbestätigung bezüglich des Vorlageantrages vom 30.5.2018 übermittelt. Dieser sei zu entnehmen, dass die Postaufgabe am 30.5.2018 erfolgt sei.
Mit Email vom 29.11.2018 übermittelte das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht die Vorhaltsbeantwortung und teilte mit, dass eine Post-Nachforschung zur Sendungsnummer veranlasst werde, da die Beantwortung unmittelbar erschließbare Feststellungen zur vorgeblich rechtzeitigen Einbringung des Vorlageantrages nicht erlaube. Nach Vorliegen des Ergebnisses werde diesbezüglich berichtet.
Diesbezügliche Ermittlungsergebnisse wurden dem Bundesfinanzgericht nicht mitgeteilt.
In der am 6.5.2025 durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde zunächst außer Streit gestellt, dass der Vorlageantrag fristgerecht eingebracht wurde. Die Parteien verwiesen auf ihr bisheriges Vorbringen. Der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers brachte unter Hinweis auf das tragische Schicksal des Beschwerdeführers vor, dass dieser nie habe Fuß fassen können. Er hätte jedenfalls bereits ab Dezember 1994 alle Voraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe gehabt. Der Vorakt des ehemaligen Erwachsenenvertreters liege ihm nicht vor. Er beantrage in eventu, die Beschwerde an das Finanzamt zurückzuverweisen und ein neues Gutachten zum Stichtag Dezember 1994 einzuholen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der Bf ist im ***3*** 1977 geboren. Seine Eltern sind bereits verstorben. Er ist ledig und lebt alleine in einer Mietwohnung.
Der Bf leidet an einer psychiatrischen Erkrankung (schizophrenes Residuum, kombinierte Persönlichkeitsstörung). Laut den Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen und den zugrundeliegenden Sachverständigengutachten vom 31.10.2014 und 17.4.2018 beträgt der Gesamtgrad der Behinderung 50 % seit Juni 2009 und 60 % seit April 2018 und ist der Bf dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Erwerbsunfähigkeit ist mit Juni 2009 eingetreten.
Seit April 2010 besteht für den Bf eine Erwachsenenvertretung. Der nunmehrige Erwachsenenvertreter wurde mit Beschluss vom 18.3.2013 gerichtlich bestellt.
Eine im August 1993 begonnene Friseurlehre wurde im Juni 1994 abgebrochen. Bis zum Beginn einer weiteren Lehre im Juni 1995 bezog der Bf Arbeitslosengeld und eine Beihilfe gemäß § 20 Abs 2 AMFG. Diese Lehre wurde noch im selben Monat abgebrochen. Von April 1996 bis April 2010 scheinen im Sozialversicherungsdatenauszug diverse kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse sowie Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe/Überbrückungshilfe und Krankengeld auf. Ab Juni 2010 bezog er eine befristete Invaliditätspension, in der Folge Rehabilitationsgeld. Seit 2018 bezieht der Bf eine Pension wegen geminderte Arbeitsfähigkeit.
Der Bf verbüßte im Jahr 1995 eine neunmonatige Freiheitsstrafe, weiters war er 1997 bis 1999, 2001 bis 2004, und 2007 bis 2008 inhaftiert.
In der Haft absolvierte er eine Kellnerlehre und schloss diese im Jahr 1999 mit der Lehrabschlussprüfung ab.
2. Beweiswürdigung
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem von der Abgabenbehörde vorgelegten Verwaltungsakt, dem Vorbringen des Bf sowie der Einsichtnahme in das Abgabeninformationssystem AIX der Finanzverwaltung.
In beiden vorliegenden Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 31.10.2014 und 17.4.2018 stellen die Sachverständigen bei der Festlegung des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit auf die im Psychiatrisch-Neurologischen Gutachten von Dr. ***2*** vom 6.7.2010 dokumentierten zahlreichen stationären Aufnahmen im Otto Wagner Spital im Juni 2009 (lt. dem dort zitierten Befund der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, AKH vom 12.4.2010) ab. Im zweiten Sachverständigengutachten wird ergänzend ausgeführt, dass trotz der dokumentierten ein- bis dreitägigen stationär-medizinischen Interventionen im Dezember 1994 und März 1995 sich daraus keine dauernde krankheitsbedingte Funktionseinschränkung vor der 18./21. Lebensjahr ableiten lässt, die zu einer dauernden Selbsterhaltungsunfähigkeit geführt hätte. Diese Beurteilung ist nachvollziehbar und schlüssig. Die frühesten dokumentierten Krankenhausaufenthalte und Diagnosen können der anlässlich der stationären Behandlung am 21./22.1.2001 im Otto Wagner Spital verfassten Krankengeschichte 1 vom 22.1.2001 entnommen werden. Auf deren Deckblatt sind die früheren (kurzfristigen) Aufenthalte in den Jahren 1994, 1995 und 2000 mit dem jeweiligen Diagnoseschlüssel aufgelistet. Die Diagnose im Dezember 1994 lautet 802.0 (Anm: Nasenbein, geschlossene Fraktur), im März 1995 lautet sie 305.8 (Anm: Missbrauch von Antidepressiva). Aus diesen Diagnosen kann nicht auf eine - wie vom Bf eingewendet - bereits im Dezember 1994 bestehende Erwerbsunfähigkeit auf Grund der psychischen Erkrankung des Bf geschlossen werden. Ein Missbrauch von Antidepressiva bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass schon damals eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorlag. Gleiches gilt für die im Dezember 2000 diagnostizierte nicht näher bezeichnete Medikamenten-/Drogenabhängigkeit (304.9) bzw. sonstige Funktionsstörung der Harnblase (596.5). Aber auch in der ausführlichen Krankengeschichte zum Aufenthalt am 21./22.1.2001 des damals 23jährigen Bf (Diagnose: akute Belastungsreaktion mit vorherrschender emotionaler Störung, Alkoholmissbrauch, Persönlichkeitsstörung mit impulsiven Verhalten und Verdacht auf Derealisationserlebnisse), finden sich keine Anhaltspunkte für eine zweifelsfrei bereits vor dem vollendeten 21. Lebensjahr bzw während der im 22. Lebensjahr beendeten Berufsausbildung eingetretenen dauerhaften Erwerbsunfähigkeit. Ebenso lässt der Konsiliarzettel des Otto Wagner Spitals über die ambulante Behandlung vom 9.2.2002 ("Patient verschluckte zum 2. Mal FK, … Persönlichkeitsstörung, sehr geringe Frustrationstoleranz, ansonsten psychopathologisch stabil … Derzeit keine Therapie notwendig …") keine entsprechenden Rückschlüsse zu. Es ist daher nachvollziehbar und schlüssig, wenn die Sachverständigen davon ausgehen, dass die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen nicht vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten ist und beim Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit auf die im Gutachten von Dr. ***2*** vom 6.7.2010 erstmals dokumentierten zahlreichen stationären Aufnahmen im Juni 2009 (lt. Befund der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, AKH Wien vom 12.4.2010) abstellen.
Im Sachverständigengutachten vom 17.4.2018 sind sämtliche vorgelegte medizinische Unterlagen berücksichtigt, ebenso ist eingeflossen, dass der Bf immer nur in kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen stand und wiederholt inhaftiert war. Die vom Bf im Vorlageantrag und in der mündlichen Verhandlung weiters eingewandte mangelnde Unterstützung durch die Eltern, das zerrüttete Elternhaus, die späte Antragstellung und die fehlende frühere Untersuchung der Erwerbsunfähigkeit (aufgrund der Inhaftierungen und weil sich niemand darum gekümmert hat) sind keine Umstände, die eine Unschlüssigkeit der Sachverständigengutachten aufzeigen. Auch der erfolgreiche Abschluss der Lehrausbildung im 22. Lebensjahr des Bf spricht gegen eine schon damals bestehende dauernde Erwerbsunfähigkeit. Für das Bundesfinanzgericht bestand daher kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 idgF haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer während einer Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 idgF ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Gemäß § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Gemäß § 8 Abs 7 FLAG 1967 gelten die Abs 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Strittig war im gegenständlichen Fall die Frage, ob der Bf gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 idgF aufgrund einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres, allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlich oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl zB VwGH 8.11.2023, Ra 2023/16/0086; VwGH 30.3.2017, Ra 2017/16/0023, VwGH 16.12.2014, Ro 2014/16/0053, VwGH 22.12.2011, 2009/16/0307, jeweils mwN).
Die Parteien haben nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl zB VwGH 26.2.2016, Ro 2014/03/0004 mwN).
Im Beschwerdefall wurde dem Bf durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, rückwirkend ab Juni 2009, bescheinigt. Zu diesem Zeitpunkt stand der Bf im 32. Lebensjahr.
Beide vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen eingeholten Sachverständigengutachten legen den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit übereinstimmend mit Juni 2009 fest. Wie bereits unter Punkt 2 ausgeführt, kann das Bundesfinanzgericht eine Unschlüssigkeit der Gutachten nicht erkennen. Ebenso wenig widersprechen sich die beiden Gutachten.
Die vom Bf monierte Unvollständigkeit des Sachverständigengutachtens vom31.10.2014 - Außerachtlassung der Befunde des Otto Wagner Spitals aus den Jahren 1994, 1995, 2000, 2001 und 2002 - kann dem späteren Sachverständigengutachten vom 17.4.2018 nicht mehr entgegengehalten werden: Dort werden der Befund des Otto Wagner Spitals vom 22.1.2001 mit den am Deckblatt der Krankengeschichte 1 dokumentierten Aufnahmen in den Jahren 1994, 1995 und 2000 sowie das Diagnoseblatt und der Konsiliarbericht vom 9.2.2002 berücksichtigt.
Aus dem (in die Gutachten eingeflossenen) Umstand, dass der Bf nie in einem festen, dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stand, kann ohne entsprechende Befundlage keine vor Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. während der im 22. Lebensjahr abgeschlossenen Berufsausbildung eingetretene Erwerbsunfähigkeit abgeleitet werden.
Auch mit dem Vorbringen der mangelnden Unterstützung durch die Eltern, des zerrütteten Elternhauses, der langjährigen Haftstrafen und der damit verbundenen späten Antragstellung und fehlenden früheren Untersuchung der Erwerbsunfähigkeit kann der Bf eine Unschlüssigkeit der Sachverständigengutachten nicht aufzeigen.
Wie oben ausgeführt, sind die Abgabenbehörde und auch das Bundesfinanzgericht an die die ärztlichen Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gebunden, sofern sie schlüssig sind. Beide Gutachten stellen den Zeitpunkt des Eintritts der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, mit Juni 2009 fest. Damals befand sich der Bf im 32. Lebensjahr.
Da damit die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 für den Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe nicht vorlagen, konnte auch der Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs 4 FLAG 1967 nicht gewährt werden.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht hat im vorliegenden Fall nach in freier Beweiswürdigung erfolgter Beurteilung der Gutachten und Bescheinigungen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Übereinstimmung mit der bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden. Eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, war nicht zu lösen.
Salzburg, am 22. Mai 2025