JudikaturVwGH

Ra 2023/03/0156 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und den Hofrat Dr. Faber als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 7. Juli 2023, Zl. LVwG AV 715/0012023, betreffend eine Angelegenheit nach dem EisbG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich; mitbeteiligte Parteien: 1. Ö AG in W, vertreten durch die Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1040 Wien, Prinz Eugen Straße 72; 2. Gemeinde W L), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der erstmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die erstmitbeteiligte Partei ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Wieselburg an der Erlauf - Gresten, die bei km 1,000 im Ortsgebiet der zweitmitbeteiligten Partei eine Landesstraße („L96“) kreuzt.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. Dezember 2022 wurdeim Zuge eines gemäß § 103 Abs. 1 Eisenbahnkreuzungsverordnung 2012 (EisbKrV) eingeleiteten Verfahrens - ausgesprochen, dass diese Eisenbahnkreuzung innerhalb von zwei Jahren nach Rechtskraft des Bescheides gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 EisbKrV durch Lichtzeichen zu sichern sei. Weiters wurde festgelegt, dass im Zeitraum der Errichtung der Sicherung durch Lichtzeichen bis zu deren Inbetriebnahme die Eisenbahnkreuzung gemäß § 81 Abs. 2 EisbKrV durch die Abgabe akustischer Signale vom Schienenfahrzeug aus zu sichern sei.

3 In der Begründung des Bescheides gab die belangte Behörde Befund und Gutachten des von ihr bestellten, dem Ortsaugenschein vom 12. September 2022 beigezogenen Amtssachverständigen für Eisenbahntechnik und -betrieb wieder und stellte ausgehend davonfest, bei der Eisenbahnkreuzung betrage der Abstand des Sichtpunktes vom Kreuzungspunkt in Richtung 1 256 Meter und in Richtung 2 233 Meter. Es verkehrten hier 4.500 KFZ/24 Stunden. Die örtlich zulässige Geschwindigkeit auf der Bahn betrage in Richtung 1 40 km/h bzw. in Richtung 2 20 bzw. 40 km/h und die Annäherungszeit des Schienenfahrzeuges 23 Sekunden. Rechtlich bedeute dies, dass die Kriterien des § 37 Z 1 bis 3 EisbKrV zuträfen und damit die Voraussetzungen zur Sicherung der Eisenbahnkreuzung durch Lichtzeichen vorlägen.

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft (Zentral-Arbeitsinspektorat) als zuständiges Arbeitsinspektorat die nunmehrige revisionswerbende ParteiBeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und brachte darin (mit näherer Begründung) vor, die belangte Behörde habe im Verfahren die Vorgaben des § 3 Abs. 1 Eisenbahn-ArbeitnehmerInnenschutzverordnung (EisbAV) nicht hinreichend berücksichtigt und insbesondere die Länge des „Räumweges“ nicht korrekt berechnet, da außer Acht gelassen worden sei, dass Fahrzeuge gemäß der Anordnung des § 97 Abs. 4 Z 3 EisbKrV bereits vor dem linken Lichtzeichen anzuhalten hätten.

5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

6 Begründend führte es soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung aus, der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige sei um eine schriftliche Stellungnahme zum Vorbringen in der Beschwerde ersucht worden, aus der sich Folgendes ergebe:

7Bei der gegenständlichen Eisenbahnkreuzung sei aufgrund der geplanten Lage der Signalgeber von einer Sperrstrecke „d = 18,8m (Fahrzeugverkehr)“ ausgegangen worden. Unter Zugrundelegung dieser Sperrstrecke habe sich die erforderliche (näher beschriebene) Annäherungszeit ergeben. Aus eisenbahntechnischer Sicht entspreche „die Berechnung der Sperrstrecke (Wenn das Straßenfahrzeug den auf der rechten Fahrbahnseite angeordneten Signalgeber ...) den Vorgaben der Anlage 1 der EisbKrV“. Gemäß § 97 EisbKrV sei auch „klar definiert“, dass wenn eine Haltelinie vorhanden sei„als erstes vor dieser“ anzuhalten sei. Im Lageplan für die technische Sicherung sei jeweils eine Haltelinie im Zuge der querenden Landesstraße vor der Eisenbahnkreuzung dargestellt. Für die Straßenverkehrsteilnehmer sei daher im Sinne der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) die Einrichtung zur Verkehrsregelung rechts der Fahrbahn in Verbindung mit der Haltelinie für das Anhaltegebot maßgebend. Unabhängig davon, wo der Straßenverkehrsteilnehmer anzuhalten habe, sehe die EisbKrV die Berechnung der Sperrstrecke ab dem Signalgeber auf der rechten Fahrbahnseite vor.

8Dazu hielt das Verwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung fest, der Amtssachverständige habe schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, welche Sicherung für die gegenständliche Eisenbahnkreuzung aus fachlicher Sicht erforderlich sei. Rechtlich bedeute dies, dass weder die revisionswerbende noch eine andere Partei (grundsätzliche) Bedenken gegen die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Sicherungsart Lichtzeichen gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 EisbKrV geäußert hätten. Daraus ergebe sich, dass die belangte Behörde im Ergebnis eine zutreffende Auswahl unter den in Betracht kommenden Sicherungsarten des § 4 Abs. 1 EisbKrV vorgenommen habe. Die Eignung der Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit sei im Verfahren von niemandem bestritten worden.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des dazu nach § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 legitimieren Bundesministers, zu der die erstmitbeteiligte Partei nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung erstattete und darin Kostenersatz (Schriftsatzaufwand) begehrte.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein solcher Beschluss in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13Die demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebliche Zulässigkeitsbegründung der Revision bringt vor, es liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darüber vor, in welcher Form der Arbeitnehmerschutz in Verfahren gemäß § 49 Abs. 2 EisbG zu berücksichtigen sei. So bestehe die Frage, ob die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht verpflichtet seien, bei fehlender Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlagen gemäß § 5 Abs. 2 EisbKrV oder, wenn bereits aus den Entscheidungsgrundlagen erkennbar sei, dass Rechtsvorschriften nicht eingehalten worden seien, die Ergänzung bzw. „Korrektur der Entscheidungsunterlagen“ zu veranlassen, zumal in den jüngsten Entscheidungen (wie im gegenständlichen Verfahren) keine Ergänzung oder Korrektur veranlasst und die Entscheidungsgrundlagen ohne Berücksichtigung des Arbeitnehmerschutzes unverändert mit den aufgezeigten „Fehlern oder Unvollständigkeiten“ der Entscheidung zu Grunde gelegt worden seien. Insbesondere bei (wie hier) stumpfwinkeligen Eisenbahnkreuzungen habe sich nämlich eine - von der Behörde und vom Verwaltungsgericht nicht beachtete - Sicherheitslücke „innerhalb der Regelungen der EisbKrV“ offenbart. Diese entstehe durch „nicht aufeinander abgestimmte Bestimmungen“ einerseits für das Verhalten der Straßenbenützer im Sinne des 10. Abschnittes der EisbKrV (konkret § 97 Abs. 4 EisbKrV) und andererseits für die Ermittlung der Sperrstrecke gemäß Anlage 1 Z 2 lit. a) EisbKrV und bewirke für den Fall, dass ein Fahrzeug bereits vor dem linken Lichtzeichen anhalten müsse, „insbesondere bei sehr stumpfen Kreuzungswinkeln eine erhebliche Verlängerung der Wegstrecke“, wobei die Mehrweglänge bzw. der Mehrzeitbedarf für „das sichere Räumen“ der Eisenbahnkreuzung bei den Berechnungen nach den Vorgaben der EisbKrV „ignoriert“ werde. Diese „Sicherheitslücke“ könne derzeit nur dadurch kompensiert werden, dass zusätzlich zur Einhaltung der eisenbahnrechtlichen Vorschriften auch § 3 Abs. 1 EisbAV, der sicherstelle, dass schienengleiche Eisenbahnübergänge rechtzeitig geräumt werden könnten, berücksichtigt werde. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die §§ 102 und 103 EisbKrV eine Vielzahl gleichartiger Verwaltungsverfahren erforderten, weshalb den hier aufgeworfenen und zu lösenden Rechtsfragen auch deshalb eine über den konkreten Einzelfall grundsätzliche Bedeutung zukomme.

14 Mit diesem Vorbringen vermag die Revision keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darzulegen.

15Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, in welcher Form der Arbeitnehmerschutz in Verfahren gemäß § 49 Abs. 2 EisbG zu berücksichtigen sei, anführt, ist zunächst darauf zu verweisen, dass das bloße Fehlen einer solchen Rechtsprechung nicht automatisch zur Zulässigkeit einer Revision führt. Die Begründung der Zulässigkeit der Revision erfordert insoweit die Darlegung, konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof noch nicht beantwortet hat (vgl. etwa VwGH 18.12.2023, Ra 2023/03/0172, mwN).

16 Die Zulässigkeit einer Revision setzt gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG weiters voraus, dass ihr Schicksal, also der Erfolg der Revision, von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung „abhängt“. Es muss daher zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die aufgeworfene, im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Rechtsfrage für die Lösung des Falles von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Lösung theoretischer Rechtsfragen befugt, sondern nur solcher, von deren Lösung der Erfolg der Revision tatsächlich abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. etwa VwGH 21.12.2023, Ra 2023/07/0091, mwN).

17 Diesen Anforderungen wird das Zulässigkeitsvorbringen der vorliegenden Revision nicht gerecht, da lediglich allgemein ohne daraus fallbezogen eine konkrete rechtliche Konsequenz hinsichtlich der Art der Sicherung abzuleitenbehauptet wird, die Regelungen der EisbKrV würden „insbesondere bei stumpfwinkeligen Eisenbahnkreuzungen wie im vorliegenden Fall“ nicht ausreichend darauf Bedacht nehmen, dass ein Fahrzeug bereits vor dem linken (und nicht erst vor dem rechten) Lichtzeichen anhalten müsse, was eine Verlängerung des „Räumweges“ bewirke.

18 Die Revision, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung weder die im Verfahren auf der Basis des von der belangten Behörde eingeholten Gutachtens des Amtssachverständigengetroffenen Feststellungen zur Annäherungszeit des Schienenfahrzeuges und zur örtlich zulässigen Geschwindigkeit auf der Bahn, noch den je Fahrtrichtung errechneten Abstand des Sichtpunktes vom Kreuzungspunkt bestreitet, zeigt daher fallbezogen nicht auf, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, die belangte Behörde habe eine zutreffende Auswahl unter den in Betracht kommenden Sicherungsarten des § 4 Abs. 1 EisbKrV getroffen, in rechtswidriger Weise erfolgt wäre.

19 Bei einem Verfahrensmangel kann nur dann davon ausgegangen werden, dass die Revision von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass im Falle der Durchführung eines mängelfreien Verfahrens abstrakt die Möglichkeit bestehen muss, zu einer anderen für die revisionswerbende Partei günstigerenSachverhaltsgrundlage zu gelangen (vgl. VwGH 12.1.2024, Ra 2023/03/0189, mwN).

20Eine solche Relevanzdarstellung enthält die vorliegende Revision, deren Vorbringen zur fehlenden Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlagen offenkundig auf die Geltendmachung eines Verfahrensmangels gerichtet ist, nicht (vgl. zur erforderlichen Darstellung der Relevanz des Verfahrensmangels auch durch eine amtsrevisionswerbende Behörde etwa VwGH 6.12.2021, Ra 2021/03/0284). Die Revision legt mit ihren letztlich bloß abstrakten Überlegungen zum sicheren Verlassen des Gefahrenbereichs einer Eisenbahnkreuzung nämlich nicht dar, in welcher Weise dadurch die vorliegend angeordnete Art der Sicherung der Eisenbahnkreuzung beeinflusst werden könnte bzw. einer Abänderung bedürfte.

21 Schließlich bewirkt auch der Umstand allein, dass die zu lösende Rechtsfrage in einer Vielzahl von Fällen auftreten kann, noch nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG (vgl. erneut VwGH 12.1.2024, Ra 2023/03/0189, mwN).

22 In der Revision werden nach dem Gesagten somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

23Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Oktober 2024