JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0189 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des C E O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. September 2022, W291 2258250 2/17E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein 1981 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise Anfang Juli 2006 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich im Rechtsmittelweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 18. September 2014 abgewiesen.

2 Der Revisionswerber wurde in Österreich insgesamt sechsmal rechtskräftig von Strafgerichten für von ihm zwischen 2007 und 2016 verübte Straftaten verurteilt, davon fünfmal wegen (auch gewerbsmäßig begangenen) Suchtmitteldelikten und einmal wegen schwerer Körperverletzung (begangen an seiner ehemaligen Lebensgefährtin). Nach Verhängung einer zunächst teilbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwölf Monaten (unbedingter Strafteil: vier Monate), wurde der Revisionswerber für die von ihm danach begangenen Straftaten jeweils zu unbedingten Freiheitsstrafen im Ausmaß zwischen zehn und sechzehn Monaten verurteilt.

3 Deshalb erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 31. August 2018 gegen den mittlerweile mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten Revisionswerber ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot und erteilte ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem am 13. Mai 2019 mündlich verkündeten und mit 22. Mai 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab.

4 Ein vom Revisionswerber gestellter Antrag vom 24. Februar 2021 auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes wurde mit Bescheid des BFA vom 30. April 2021 abgewiesen, wobei auch die dagegen erhobene Beschwerde erfolglos blieb; sie wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 10. Juni 2021 als unbegründet abgewiesen.

5Mit den Bescheiden des BFA vom 29. September 2021 und vom 29. Juli 2022 wurde dem Revisionswerber jeweils gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG iVm § 19 AVG aufgetragen, zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes Interviewtermine, nämlich am 7. Oktober 2021 und am 11. August 2022, durch eine „Experten Delegation Nigeria“ wahrzunehmen und näher genannte Dokumente unter anderem einen Reisepass mitzubringen.

6 Am 7. Oktober 2021 und am 10. August 2022 übermittelte der Revisionswerber jeweils ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und kam nicht zu den genannten Interviewterminen. Deshalb unterblieb die Ausstellung eines Ersatzreisedokuments, sodass die bereits vorgenommene Flugbuchung für 21. Oktober 2021 wieder storniert werden musste.

7 Eine gegen den Mitwirkungsbescheid vom 29. Juli 2022 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 17. August 2022 als unbegründet abgewiesen.

8 Der Revisionswerber wurde aufgrund eines in der Folge erlassenen Festnahmeauftrages des BFA am 25. August 2022 an seiner Wohnadresse festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum gebracht. Im Zuge der Festnahme wurde ein am 29. Mai 2021 ausgestellter gültiger nigerianischer Reisepass, von dem das BFA bisher keine Kenntnis hatte, beim Revisionswerber sichergestellt.

9Am 26. August 2022 wurde der Revisionswerber von einem Organ des BFA zur beabsichtigten Schubhaftverhängung vernommen, wobei er nach dem Inhalt der Niederschrift wiederholt erklärte, er wolle in Österreich bleiben und nicht (freiwillig) nach Nigeria ausreisen. Im Anschluss wurde über den Revisionswerber mit Mandatsbescheid des BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Er befand sich vom 26. August 2022 bis zu seiner Abschiebung nach Nigeria am 14. September 2022 in Schubhaft.

10Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. September 2022 wies das BVwG die gegen die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ab 29. August 2022 erhobene Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA VG ab, stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG iVm § 76 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

11 Es stellte über den in Rn. 2 erwähnten Sachverhalt hinaus wie auch schon das BFA im Schubhaftbescheidzu den strafgerichtlichen Verurteilungen dem Inhalt der Strafregisterauskunft folgend jeweils das Strafgericht, die Urteilsdaten, die angewandten Bestimmungen des SMG bzw. StGB und die verhängten Strafen fest.

12 In rechtlicher Hinsicht ging das BVwG mit näherer Begründung davon aus, der Revisionswerbergegen den seit Mai 2019 ein rechtskräftiges zehnjähriges Aufenthaltsverbot bestehe, womit der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erfüllt seihabe auch den Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG verwirklicht, indem er nicht nur seinen gültigen nigerianischen Reisepass nicht vorgelegt, sondern auch zwei Mitwirkungsbescheiden im Verfahren zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments nicht ausreichend entschuldigt keine Folge geleistet habe. Außerdem habe er sich im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA ausreiseunwillig und „nicht kooperativ“ gezeigt, sodass anzunehmen sei, bei der Verhängung eines gelinderen Mittels bestünde die konkrete Gefahr des Untertauchens. Aufgrund der gravierenden Delinquenz des Revisionswerbers er habe in einem Zeitraum von neun Jahren Straftaten verübt, wofür über ihn Freiheitsstrafen im Ausmaß von insgesamt 71 Monaten verhängt worden seienbestehe überdies iSd § 76 Abs. 2a FPG ein starkes öffentliches Interesse an der Effektuierung seiner bereits für 14. September 2022 geplanten Abschiebung. Vor diesem Hintergrund erachtete das BVwG sowohl die Verhängung als auch die Fortsetzung der Schubhaft auch für verhältnismäßig.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

14 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

16Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision, in der die familiären Verhältnisse des Revisionswerbers nicht thematisiert werden, zunächst gegen das Unterbleiben einer nachvollziehbaren Gefährdungsprognose und rügt in diesem Zusammenhang das Fehlen ausreichend konkreter Feststellungen zu dem den strafrechtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers zugrunde liegenden Fehlverhalten, insbesondere zu Art und Schwere der Straftaten. „Dies verletzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes“ (Hinweis auf VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0367).

17Bei dieser Argumentation wird jedoch verkannt, dass die gegen den nigerianischen Revisionswerber verhängte Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt wurde. Dieser Schubhafttatbestand verlangtanders als grundsätzlich § 76 Abs. 2 Z 1 FPG bei Schubhaft gegen Asylwerbernicht das Vorliegen einer vom Aufenthalt des Fremden ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 FPG (vgl. dazu etwa VwGH 23.5.2024, Ra 2021/21/0095, Rn. 15). Auch der vom Revisionswerber zur Begründung seiner Auffassung ins Treffen geführten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes lag eine Schubhaftverhängung nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zugrunde, die daher fallbezogen nicht einschlägig ist.

18 Der Revisionswerber weist zwar in diesem Zusammenhang noch darauf hin, dass vom BVwG in der Begründung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft „massiv“ auf die Verurteilungen verwiesen worden sei und deshalb dazu nähere Feststellungen erforderlich gewesen wären.

19Damit bezieht sich die Revision erkennbar auf § 76 Abs. 2a FPG, wonach im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen ist, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt. Bei dieser Beurteilung sind aber nicht dieselben strengen Anforderungen wie bei der ein Tatbestandserfordernis nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG bildenden Erstellung einer Gefährdungsprognose iSd § 67 FPG (vgl. dazu etwa das in der Revision ins Treffen geführte Erkenntnis VwGH 27.4.2020, Ra 2019/21/0367, Rn. 10/11, mwN) zu verlangen. Vielmehr genügten fallbezogen schon die wiedergegebenen Feststellungen zu den Straftaten des Revisionswerbers, zumal sich deren Schwere auch schon daraus ergibt, dass sie die rechtskräftige Verhängung eines zehnjährigen Aufenthaltsverbots nach sich zogen. Demzufolge ist es nicht zu beanstanden, dass das BVwG davon ausgehend ein „starkes“ öffentliches Interesse an der Effektuierung der bereits für 14. September 2022 geplanten Abschiebung annahm.

20 Weiters wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nur noch unter dem Gesichtspunkt einer (nach Ansicht des Revisionswerbers) gebotenen Anwendung gelinderer Mittel gegen die Annahme von Schubhaft rechtfertigender Fluchtgefahr, weil der Revisionswerber jederzeit für die Behörden greifbar gewesen und auch bei der Festnahme am 25. August 2022 zu Hause angetroffen worden sei, weshalb keine Anhaltspunkte für ein Untertauchen des Revisionswerbers bestanden hätten. Es habe im gesamten angefochtenen Erkenntnis „keinen Hinweis“ darauf gegeben, wozu die Schubhaft „genau notwendig“ gewesen sei. Es sei nicht ersichtlich, warum nicht eine Festnahme kurz vor der Abschiebung möglich gewesen wäre.

21Auch dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Dabei wird nämlich zunächst verkannt, dass ursprünglich ein Bedarf bestand, das bisher erfolglos geführte, der Abschiebung damals notwendig vorgelagerte Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates zu sichern. Nach der bei der Festnahme erfolgten Herausgabe eines gültigen Reisepasses, womit das genannte Verfahren hinfällig wurde, war aber mit einer baldigen, wegen der vom Revisionswerber bei seiner Einvernahme am 26. August 2022 wiederholt erklärten Ablehnung einer freiwilligen Ausreise in den Herkunftsstaat erforderlichen Abschiebung (vgl. § 46 Abs. 1 Z 2 und 3 FPG) zu rechnen. Der Beurteilung, ob es zu deren Sicherung der Verhängung von Schubhaft bedurfte, ist vorauszuschicken, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen ist, der nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde (vgl. dazu etwa VwGH 23.05.2024, Ra 2021/21/0095, Rn. 11, mwN).

22 Das ist hier der Fall. Das BVwG ging nämlich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerberschon deshalb in jedenfalls vertretbarer Weise von einer nur durch Schubhaft zu sichernden Fluchtgefahr aus, weil der Revisionswerber durch die Nichtvorlage seines gültigen Reisepasses sowie durch die mangelnde Mitwirkung am deshalb notwendigen Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates (vgl. zum Nichtausreichen von Arbeitsunfähigkeitsmeldungen als Nachweis eines Entschuldigungsgrunds vgl. etwa VwGH 26.5.2020, Ra 2020/21/0144, Rn. 12/13, und darauf Bezug nehmend VwGH 23.5.2024, Ra 2024/21/0009, Rn. 14) seine Abschiebung zu behindern versuchte. Das BVwG berücksichtigte ebenfalls vertretbar, der Revisionswerber habe sich bei seiner Einvernahme durch das BFA nicht ausreisewillig und (deshalb) nicht kooperativ gezeigt. Dem tritt die Revision nicht entgegen. In Anbetracht diesesden Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG verwirklichende Verhaltens des Revisionswerbers durfte das BVwG trotz der Erreichbarkeit des Revisionswerbers bei der Festnahme an seinem Wohnortinsgesamt jedenfalls vertretbar von der Notwendigkeit von Schubhaft ausgehen. Es war nämlich im Hinblick auf das Vorliegen des rechtskräftigen und durchsetzbaren Aufenthaltsverbots überdies der Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z 3 FPG verwirklicht, sodass für den vorliegenden Fall auch gilt, dass in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium fallbezogen nach Vorliegen einer durchsetzbaren Entscheidung und einer bereits in zwölf Tagen geplanten Abschiebungauch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs durch Schubhaft reichen (vgl. dazu etwa VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0302, Rn. 14, mwN). Der Beurteilung des BVwG zur Nichtanwendung gelinderer Mittel steht im Übrigen die dazu vom Revisionswerber noch angeführte Entscheidung VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0090, nicht entgegen, betraf diese doch eine anders gelagerte, mit dem hier gegenständlichen Sachverhalt nicht vergleichbare Konstellation.

23 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 18. Dezember 2024