Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des O O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6. Dezember 2023, W291 2273292 2/6E, betreffend Beugehaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 5. April 2023 wurde dem Revisionswerber, einem nigerianischen Staatsangehörigen, dessen Antrag auf internationalen Schutz im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 5. Juni 2019 (samt Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria) vollinhaltlich abgewiesen worden war, gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG iVm § 19 AVG aufgetragen, zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes am 14. April 2023 einen durch Uhrzeit und Ort näher umschriebenen Interviewtermin durch eine „Experten Delegation Nigeria“ wahrzunehmen und näher genannte Dokumente mitzubringen. Für den Fall der Nichtbefolgung dieses Auftrages ohne wichtigen Grund wurde eine vierzehntägige Haftstrafe angedroht. Unter einem wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde ausgeschlossen.
2 Dieser Bescheid wurde per RSa Brief an den rechtsanwaltlichen Vertreter des Revisionswerbers übermittelt und am 12. April 2023 übernommen.
3 Am 13. April 2023 übermittelte der Revisionswerber eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und kam am darauffolgenden Tag nicht zum genannten Interviewtermin.
4 Der Revisionswerber wurde aufgrund eines in der Folge erlassenen Festnahmeauftrages des BFA vom 20. April 2023 unmittelbar nach der Hauptverhandlung in einem Strafverfahren am 31. Mai 2023 um 14:35 Uhr festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum gebracht.
5 Am 1. Juni 2023 um 11:05 Uhr wurde der Revisionswerber dann unter Beiziehung einer Dolmetscherin durch ein Organ des BFA vernommen. Mit Bescheid vom selben Tag verhängte das BFA über den Revisionswerber gemäß § 5 VVG eine Zwangsstrafe in der Dauer von 14 Tagen wegen Nichtbefolgung des Mitwirkungsbescheides vom 5. April 2023. Um 13:45 Uhr desselben Tages wurde der Revisionswerber daher aus der Anhaltung aufgrund seiner Festnahme entlassen und daraufhin wurde die Beugehaft bis zur Entlassung des Revisionswerbers am 9. Juni 2023 vollzogen.
6 Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2023 erhob der Revisionswerber gegen seine Festnahme und gegen seine Anhaltung bis zur Erlassung des Bescheides über die Zwangsstrafe vom 1. Juni 2023 sowie gegen die auf diesen Bescheid gegründete Anhaltung in Beugehaft eine Maßnahmenbeschwerde bzw. (erkennbar) eine Beschwerde gemäß § 10a Abs. 1 dritter Fall VVG an das BVwG.
7 Mit dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vom 6. Dezember 2023 wies das BVwG die Beschwerde im Hinblick auf die Anhaltung des Revisionswerbers in Beugehaft vom 1. Juni 2023, 13:45 Uhr, bis 9. Juni 2023, 14:00 Uhr, als unbegründet ab und traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Schließlich sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Dabei ging das BVwG mit näherer Begründung davon aus, dass die vom Revisionswerber vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, aus der sich die Anordnung von Bettruhe bzw. eine „Bettlägrigkeit“ nicht ergebe, nicht ausreiche, um einen triftigen, die Nichtbefolgung des Mitwirkungsbescheides vom 5. April 2023 rechtfertigenden Grund darzutun.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist (zum Erkenntnis des BVwG vom 6. Dezember 2023, mit dem die Beschwerde des Revisionswerbers im Hinblick auf seine Festnahme am 31. Mai 2023 und seine Anhaltung bis zum Vollzug der Zwangsstrafe am 1. Juni 2023 erledigt wurde, siehe den Beschluss VwGH 23.5.2024, Ra 2024/21/0004).
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 In dieser Hinsicht wird in der Revision wie auch schon in der Beschwerde nur geltend gemacht, dass die Zustellung des Mitwirkungsbescheides vom 5. April 2023 an den Vertreter des Revisionswerbers zwar zu eigenen Handen, somit „an sich wirksam“ erfolgt sei, dieser Bescheid habe aber mangels Zustellung zu eigenen Handen auch an den Revisionswerber keinen „gültigen Hafttitel erschaffen“ können. Die im Mitwirkungsbescheid vom 5. April 2023 angedrohte Zwangsstrafe hätte somit so das Vorbringen in der Revision nicht vollstreckt werden dürfen.
13 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass im Fall des Bestehens eines im vorliegenden Fall für den Zeitpunkt der Erlassung des Mitwirkungsbescheides vom 5. April 2023 nicht bestrittenen wirksamen Vertretungsverhältnisses alle Verfahrensakte mit Wirkung für die Partei dem Vertreter gegenüber zu setzen und alle Schriftstücke bei sonstiger Unwirksamkeit dem Bevollmächtigten zuzustellen sind (siehe dazu etwa schon VwGH 27.5.2009, 2009/21/0014, zur ebenfalls auf die Zustellung zu eigenen Handen abstellenden Bestimmung des § 74 Abs. 1 Z 1 FPG in der Fassung vor dem FNG, und darauf Bezug nehmend aus der letzten Zeit etwa VwGH 29.6.2022, Ra 2022/10/0043, Rn. 9, mwN). Das legte auch das BVwG seiner Entscheidung zu Recht zugrunde. Daran vermag auch die im nach § 46 Abs. 2b zweiter Satz FPG sinngemäß anzuwendenden § 19 Abs. 3 letzter Satz AVG enthaltene Anordnung, dass die Anwendung von Zwangsmitteln nur zulässig ist, wenn sie im Bescheid angedroht waren und dieser zu eigenen Handen zugestellt war, nichts zu ändern. Dadurch wird nämlich nur das Verbot von Ersatzzustellungen (vgl. § 21 ZustG) festgelegt, nicht aber der als Empfänger des zuzustellenden Bescheides zu bezeichnende Personenkreis geändert (vgl. erneut VwGH 27.5.2009, 2009/21/0014, und im Ergebnis ebenso zu einem eigenhändig zuzustellenden Bescheid gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG VwGH 22.8.2019, Ra 2018/21/0188, Rn. 14 iVm Rn. 3).
14 Somit ist nicht zu beanstanden, dass das BVwG das im Übrigen (von der Revision nicht mehr in Frage gestellt) der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als nicht ausreichend für die Dartuung eines Entschuldigungsgrundes ansah (vgl. etwa VwGH 26.5.2020, Ra 2020/21/0144, Rn. 12/13, oder VwGH 14.9.2023, Ra 2021/21/0001, Rn. 11) von der wirksamen Zustellung des Mitwirkungsbescheides vom 5. April 2023 an den Rechtsvertreter des Revisionswerbers ausging.
15 Die Revision zeigt somit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG auf und war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 23. Mai 2024