Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache des Antrages des W A, vertreten durch Dr. Christoph Gottesmann, Rechtsanwalt in Wien, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2021, W152 22456121/4E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
1 Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 20. Juli 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz des Wiedereinsetzungswerbers hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. Oktober 2021 als unbegründet ab. Es erklärte die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
3Eine Ausfertigung des anzufechtenden Erkenntnisses wurde der den Wiedereinsetzungswerber vor dem Bundesverwaltungsgericht vertretenden Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU GmbH) im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) übersendet und gelangte am 2. November 2021 (Dienstag) in deren elektronischen Verfügungsbereich. Gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG galt dieses Erkenntnis somit am 3. November 2021 (Mittwoch) als zugestellt. Der letzte Tag der in § 26 Abs. 1 VwGG festgelegten sechswöchigen Revisionsfrist war infolgedessen der 15. Dezember 2021 (Mittwoch).
4 Mit dem am 24. Februar 2022 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag vom 22. Februar 2022 begehrt der Wiedereinsetzungswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts. Unter einem wird der Antrag gestellt, ihm die Verfahrenshilfe zu bewilligen.
5 Nach Befolgung des Auftrags, den dem Antrag auf Wiedereinsetzung anhaftenden Mangeldieser war entgegen § 24 Abs. 2 VwGG nicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht worden zu beheben, wird vorgebracht, die BBU GmbH habe das Erkenntnis am 3. November 2021 per Einschreiben an die damalige Adresse des Wiedereinsetzungswerbers gesendet. Er habe dieses Poststück jedoch nie erhalten. Das Einschreiben sei auch nicht an die BBU GmbH rückgemittelt worden. Dem Wiedereinsetzungswerber sei später über dessen Nachfrage zum Verfahrensstand seitens der BBU GmbH die Sendungsnummer (RQ548193839AT) genannt worden. Anhand einer dann vorgenommenen Recherche habe sich herausgestellt, dass der Brief im Verteilerzentrum (gemeint: der Post) liegen solle, jedoch sei dieser nicht aufgefunden worden.
6 Da der „gesetzlich geregelte Vertretungsumfang“ mit dieser Handlung ende, führe die BBU GmbH keine eigenständige Fristenüberwachung für einen eventuellen Rechtszug zu den Höchstgerichten durch. Werde ein Einschreiben von der Post an die BBU GmbH rückgemittelt, werde versucht, mit dem Klienten Kontakt aufzunehmen; dies durch Überprüfung der Adresse und neue Übermittlung, oder telefonisch. Da das per Einschreiben an den Wiedereinsetzungswerber übermittelte Erkenntnis nicht an die BBU GmbH rückgemittelt worden sei, habe diese auch keinen Anlass gesehen, beim Wiedereinsetzungswerber nachzufragen, ob er die Briefsendung erhalten habe. Denn im Vergleich zu einem Rechtsanwalt ende aufgrund des gesetzlich geregelten Aufgabenbereichs die Vertretungstätigkeit der BBU GmbH mit der Beendigung des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht.
7 Der Wiedereinsetzungswerber habe erst am 9. Februar 2022 im Zuge einer durch ihn initiierten Vorsprache bei der BBU GmbH über den rechtskräftigen Abschluss seines Verfahrens Kenntnis erlangt, weshalb er nicht in der Lage gewesen sei, den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe fristgerecht einzubringen. Da aufgrund der vorgebrachten Umstände sowohl beim Wiedereinsetzungswerber als auch bei seiner Vertretung allenfalls ein minderer Grad des Versehens vorliege, werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt.
8Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
9Gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG sind Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen, der gemäß § 61 Abs. 3 VwGG über derartige Anträge entscheidet.
10Mangels näherer Vorschriften im VwGG§ 46 Abs. 3 und Abs. 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfristsind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Anträge zu entscheiden (vgl. VwGH 27.8.2018, Ra 2018/18/0331, mwN). Die Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung einer Frist in einer Angelegenheit der Verfahrenshilfe erfolgt nicht durch den Berichter, sondern angesichts des Wortlautes des § 46 Abs. 4 VwGG durch Beschluss des zuständigen Senates (vgl. VwGH 10.12.2018, Ra 2018/01/0488, mwN), der hier nach § 12 Abs. 1 Z 1 lit. e VwGG zu bilden war.
11Der in § 46 Abs. 1 VwGG enthaltene Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 17.2.2021, Ra 2021/20/0004, mwN).
12 Im Hinblick auf die einem Vertreter unterlaufenen Fehler ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei trifft, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Immer dann, wenn ein Fremder das als Vollmachtserteilung zu verstehende Ersuchen um Vertretung im Sinn des BFA Verfahrensgesetzes (BFA VG) an die mit der Besorgung der Rechtsberatung betraute juristische Person richtet oder der juristischen Person schriftlich ausdrücklich Vollmacht erteilt, ist dem Fremden das Handeln des sodann von der juristischen Person konkret mit der Durchführung seiner Vertretung betrauten Rechtsberaters wie bei jedem anderen Vertreter zuzurechnen. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass Rechtsberater das Anforderungsprofil gemäß § 13 BBU Errichtungsgesetz BBU G (früher: § 48 Abs. 1 bis 3 BFAVG) erfüllen müssen. Damit ist bereits geklärt, dass es sich bei Rechtsberatern nicht um rechtsunkundige Personen handelt (vgl. VwGH 17.3.2021, Ra 2021/14/0054, mwN).
13 Die „Pflichtverletzung“, auf die sich das Verschulden des Vertreters bezieht, besteht darin, dass er den sonst die Partei treffendenObliegenheiten zur Vermeidung einer Säumnis nicht nachkommt. Unterlaufen dem Vertreter bei der Unterlassung der Erhebung des Rechtsmittels oder bei der Verständigung des von ihm Vertretenen Sorgfaltswidrigkeiten, so sind diese dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. VwGH 26.3.2025, Ra 2025/20/0040, mwN).
14 Rechtsberater unterstützen und beraten gemäß § 52 Abs. 2 BFA VG Fremde oder Asylwerber beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß § 52 Abs. 1 BFA VG vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.
15 Entgegen der Ansicht des Wiedereinsetzungswerbers kommt es fallbezogen nicht darauf an, ob die der BBU GmbH erteilte Vollmacht die Vertretung vor dem Verwaltungsgerichtshof (sei es nach dem BBUG und dem VwGG in zulässiger oder unzulässiger Weise) umfasst.
16Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beinhaltet eine allgemeine Vollmacht zur Vertretung grundsätzlich auch eine Zustellvollmacht. Von diesem Grundsatz besteht dann eine Ausnahme, wenn ein Empfang von Schriftstücken ausgeschlossen ist (vgl. VwGH 28.5.2025, Ra 2025/19/0084, mwN). Die mit Beschwerdeerhebung vorgelegte Vollmacht der BBU GmbH lässt keine Einschränkung hinsichtlich der Befugnis zur Empfangnahme von Schriftstücken erkennen. Derartiges wird auch im Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgebracht.
17Die Pflichten des Zustellbevollmächtigten gegenüber dem Vollmachtgeber ergeben sich in aller Regel aus der Vollmacht selbst oder aus den Grundsätzen, wie sie das ABGB für Vollmachten statuiert (insb. §§ 1009 ff). Der Abschrift der vom Wiedereinsetzungswerber der BBU GmbH erteilten Vollmacht ist zu entnehmen, dass die Vollmacht „jedenfalls mit der Übermittlung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses oder Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes“ an den Wiedereinsetzungswerber „erlischt“.
18 Dies bedeutet, wovon auch der Wiedereinsetzungswerber ausgeht, dass das Vertretungsverhältnis zwischen dem Wiedereinsetzungswerber und der BBU GmbH erst endet, wenn die Postsendung mit der „verfahrensgegenständlichen“ Entscheidung beim Fremden einlangt; nicht aber schon bloß mit der Versendung der diesbezüglichen Postsendung.
19Demnach kann es nicht als minderer Grad des Versehens gewertet werden, dass seitens des als rechtskundig einzustufenden Vertreters des Wiedereinsetzungswerbers, obgleich mit der Zustellung an den Vertreter die Fristen für die Erhebung von Rechtsmitteln (an den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof) ausgelöst wurden, keine effektiven Vorkehrungen getroffen wurden, mit denen der Umstand einer Kontrolle unterzogen wird, ob der betreffende Fremde die für ihn bestimmte Postsendung auch erhalten hat. Es liegt somit im gegenständlichen Fall ein Fehler in der Kommunikation zwischen dem Wiedereinsetzungswerber und seinem Vertreter vor, der bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte vermieden werden können. Ein die Wiedereinsetzung nicht hindernder Grad des minderen Versehens kann fallbezogen nicht als gegeben erachtet werden, weil sich der Vertreter zur Hintanhaltung solcher Fehler allein damit begnügt hat zu beobachten, ob seitens des Zustelldienstes die Postsendung an ihn retourniert wird. Zudem stellen Mängel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihrem Vertreter grundsätzlich kein die Wiedereinsetzung rechtfertigendes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar (vgl. VwGH 20.1.2025, Ra 2022/20/0229, unter Hinweis auf diverse weitere Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes).
20Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt somit keine Berechtigung zu, weshalb er gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
21Über den gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachten Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wird vom zuständigen Berichter (§ 14 VwGG) gesondert entschieden werden.
Wien, am 3. Dezember 2025
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