JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0217 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der M A E P, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2022, W241 22153941/20E, betreffend Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1Mit Bescheid vom 4. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) den Antrag der Revisionswerberin, einer philippinischen Staatsangehörigen, vom 8. Oktober 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in ihren Herkunftsstaat zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28. Juli 2021 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

3Der Verwaltungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 14. Juni 2022, Ra 2021/22/0186, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil das Verwaltungsgericht seiner Verhandlungspflicht in Bezug darauf, welche Konsequenzen die Versagung des beantragten Aufenthaltstitels bzw. die Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung für das Wohl des (damals) noch minderjährigen Sohnes der Revisionswerberin hätte, nicht nachgekommen war (vgl. Rn. 9 bis 11).

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. November 2021 wies das Verwaltungsgericht die von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde im fortgesetzten Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Zusammengefasst stellte das Verwaltungsgericht fest, die Revisionswerberin halte sich seit 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf und habe eine Deutschprüfung A1 abgelegt. Ihre Mutter lebe seit spätestens 22. August 1997, ihr Vater seit spätestens 25. Mai 2004, ihre Schwester seit spätestens 22. November 2004 in Österreich. Am 21. Mai 2015 habe sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Angehöriger“ gestellt. Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 1. März 2018 sei dieser Antrag wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen worden. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 3. September 2018 keine Folge gegeben worden. Seit Ablauf der Gültigkeit ihres Visums am 21. Mai 2015 halte sich die unbescholtene Revisionswerberin daher unrechtmäßig in Österreich auf. Die Revisionswerberin lebe im gemeinsamen Haushalt mit ihren volljährigen Kindern und ihren Eltern. Die Revisionswerberin betreue gegen Entgelt die Kinder ihrer Schwester. Der Ehemann der Revisionswerberin, ein philippinischer Staatsangehöriger, lebe überwiegend in Saudi Arabien. Die Revisionswerberin habe weiterhin Kontakt zu ihrer Großmutter, mehreren Tanten, Onkeln und Cousinen, welche nach wie vor auf den Philippinen lebten.

6Im Rahmen der nach Art. 8 EMRK durchgeführten Interessenabwägung berücksichtigte das Verwaltungsgericht die familiären Kontakte der Revisionswerberin im Bundesgebiet. Demgegenüber führte es aus, dass keine besondere Abhängigkeit zwischen der Revisionswerberin und ihren mittlerweile volljährigen Söhnen vorliege. Das Familienleben könne durch elektronische Kommunikationsmittel und gegenseitige Besuche aufrechterhalten werden. Ebenso könnten die Söhne, die Staatsangehörige der Philippinen seien, die Revisionswerberin in ihren Herkunftsstaat begleiten. Eine Betreuung der Kinder der Schwester der Revisionswerberin erfolge gegen Entgelt und könne auch von anderen Personen übernommen werden. Zu Lasten der Revisionswerberin sei zu berücksichtigen, dass sie nicht selbsterhaltungsfähig sei und neben einer Deutschprüfung im Jahr 2015 keine Integrationsbemühungen während ihres Aufenthaltes gezeigt habe. Zudem habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht festgestellt werden können, dass die Revisionswerberin trotz ihres mehr als siebenjährigen Aufenthalts nur über sehr geringe Deutschkenntnisse verfüge und mit ihr eine Verständigung auf Deutsch nicht möglich sei.

7 Es sei davon auszugehen, dass dem Interesse der Revisionswerberin an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht zukomme und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund zu treten habe. Allein ein durch beharrliche Missachtung der fremdenund aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt könne nämlich keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken.

8 Es sei der Revisionswerberin als einer arbeitsfähigen Frau im erwerbsfähigen Alter zumutbar, sich in ihrer Heimat den notwendigen Unterhalt zu sichern. Sie verfüge zudem über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte, sodass nicht angenommen werden könne, die Revisionswerberin geriete im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision zunächst gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Revisionswerberin die Kinder ihrer Schwester betreue, sich um den Haushalt kümmere und zudem beinahe alle nahen Angehörigen in Österreich lebten. Der verwandtschaftliche Beug zu den Philippinen sei dagegen weniger stark ausgeprägt.

14Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG (vgl. VwGH 18.3.2024, Ra 2021/17/0125, mwN).

15 Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das Verwaltungsgericht sämtliche familiären Bindungen der Revisionswerberin im Bundesgebiet sowie in ihrem Herkunftsstaat. Im Zusammenhang mit den Kindern ihrer Schwester ging das Verwaltungsgericht aus, dass die Betreuung durch die Revisionswerberin gegen Entgelt erfolge und auch von anderen Personen übernommen werden könne. Eine besondere Abhängigkeit und Nahebeziehung zwischen der Revisionswerberin und ihren Familienangehörigen im Bundesgebiet sei nicht ersichtlich. Inwieweit relevante Umstände unberücksichtigt geblieben seien, wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht aufgezeigt.

16 Die Revisionswerberin bringt in Bezug auf die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung auf die Philippinen vor, es seien die „politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse“ im Herkunftsstaat nicht richtig wiedergegeben worden.

17 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist fallbezogen in konkreter Weise darzulegen. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasstjene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0226, mwN).

18Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung enthält die Revision nicht (vgl. zur Relevanzdarlegung von Verfahrensmängel im Zusammenhang mit „Länderdokumentationen“ etwa VwGH 15.4.2019, Ra 2019/01/0109, mwN). Vor dem Hintergrund der Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach die Revisionswerberin über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in ihrem Herkunftsstaat verfügt und demnach nicht angenommen werden könne, dass die Revisionsweberin im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage geriete, legt die Revision nicht dar, welche Tatsachen bei der Vermeidung eines etwaigen Verfahrensfehlers erwiesen worden wären und weshalb ein für die Revisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.

19Soweit die Revisionswerberin schließlich vermeint, das Verwaltungsgericht hätte ihr zumindest sechs Monate als Frist für die freiwillige Ausreise gewähren müssen, ist ihr entgegenzuhalten, dass in der Revision in keiner Weise dargetan wird, inwiefern das Verwaltungsgericht eine Fristverlängerung rechtfertigende Hindernisse im Sinne von § 55 Abs. 2 FPG unbeachtet gelassen habe.

20 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2024