JudikaturVwGH

Ra 2016/08/0001 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Februar 2016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Bregenz in 6901 Bregenz, Rheinstraße 33, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2015, Zl. I407 2107371 1/11E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: C K in B), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) sprach mit Bescheid vom 16. Februar 2015 gemäß § 10 iVm § 38 AlVG aus, dass der Mitbeteiligte für den Zeitraum 11. Februar 2015 bis 24. März 2015 den Anspruch auf Notstandshilfe verliere. Nachsicht werde nicht erteilt. Der Anspruchsverlust wurde damit begründet, dass der Mitbeteiligte auf Grund seines Verhaltens von einer näher bezeichneten Wiedereingliederungsmaßnahme ausgeschlossen worden sei.

2 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, die vom AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. Mai 2015 abgewiesen wurde.

3 Auf Grund des Vorlageantrages des Mitbeteiligten erging schließlich das nunmehr angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem unter Spruchpunkt A.I. die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm „§§ 38, 10 Abs. 1 und Abs. 3, 9 Abs. 1 und Abs. 2“ AlVG abgewiesen, unter Spruchpunkt A.II. aber gemäß § 10 Abs. 3 AlVG der Anspruchsverlust teilweise nachgesehen und festgestellt wurde, dass dem Mitbeteiligten für den Zeitraum 11. Februar 2015 bis 24. März 2015 Notstandshilfe in der Höhe von € 546,98 zustehe. Mit Spruchpunkt B. wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Mitbeteiligte auf Grund eines am 15. Jänner 2014 gestellten Antrages Notstandshilfe in der Höhe von täglich € 39,07 beziehe. Er sei bei der „Firma“ M. vom 28. November 2014 bis zum 18. September 2015 geringfügig als Taxifahrer beschäftigt gewesen. Vom 1. Oktober 2015 bis zum 16. Oktober 2015 sei er bei der „Firma“ A. OG vollzeitig beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigung habe er eigeninitiativ gefunden.

5 Er sei für den Zeitraum 9. Februar 2015 bis 1. Mai 2015 zu einer Aus und Weiterbildungsmaßnahme eingeladen und darauf hingewiesen worden, dass aus Sicht des AMS die Erlangung einer Beschäftigung ohne dieses Seminar nicht möglich wäre. Ebenso sei auf die Rechtsfolgen einer Vereitelung bzw. Nichtteilnahme hingewiesen worden.

6 Der Mitbeteiligte habe sich ohne weitere Einwendungen zu der Maßnahme angemeldet, sich dann aber geweigert, an einem der Module teilzunehmen.

7 Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Mitbeteiligte durch sein Verhalten die zumutbare Maßnahme vorsätzlich vereitelt habe. Es sei aber durch die Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung vom 1. Oktober 2015 bis zum 16. Oktober 2015 der Tatbestand des § 10 Abs. 3 AlVG verwirklicht worden, weshalb der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe teilweise nachzusehen sei. Der dem Mitbeteiligten zustehende Teilbetrag der Notstandshilfe betrage „sohin“ € 546,98. Das Ausmaß der Nachsicht wurde einerseits mit der „verhältnismäßig kurze[n] Dauer“ der Beschäftigung und andererseits mit der Tatsache, dass der Mitbeteiligte die Beschäftigung aus Eigeninitiative gefunden und begonnen habe, begründet.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des AMS. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verfahrensakten vorgelegt, der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Das AMS bringt zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es die einem Zeitraum von zwei Wochen entsprechende teilweise Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG erteilt habe. Die Aufnahme einer Beschäftigung am 1. Oktober 2015, die im Übrigen schon am 16. Oktober 2015 wieder beendet worden sei, könne nicht als alsbaldige Beschäftigungsaufnahme im Sinn der Rechtsprechung gewertet werden.

Mit diesem Vorbringen ist das AMS im Recht. Die Revision ist daher zulässig und wie im Folgenden auszuführen sein wird berechtigt.

10 Gemäß § 10 Abs. 3 AlVG ist der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen.

11 Berücksichtigungswürdig im Sinn dieser Bestimmung sind Gründe, die dazu führen, dass der Ausschluss vom Bezug der Leistung den Arbeitslosen aus bestimmten Gründen unverhältnismäßig härter trifft, als dies sonst ganz allgemein der Fall ist. Berücksichtigt man den Zweck des § 10 AlVG, den zeitlich befristeten Ausschluss vom Leistungsbezug als Sanktion für jene Arbeitslosen vorzusehen, die es zumindest in Kauf nehmen, dass die Versichertengemeinschaft durch eine Verletzung der ihnen bei der Arbeitssuche durch das Gesetz auferlegten Pflichten über Gebühr belastet wird, dann kann ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG nur dann vorliegen, wenn der Arbeitslose in der Folge entweder selbst ein Verhalten gesetzt hat, welches den potenziellen Schaden ganz oder teilweise wieder beseitigt (also insbesondere durch alsbaldige tatsächliche Aufnahme einer anderen Beschäftigung), oder wenn ihm sein Verhalten ausnahmsweise aus besonderen (jedenfalls nicht auf Dauer vorliegenden und auch die Verfügbarkeit oder die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließenden) Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann. Es kommt dabei aber nicht auf persönliche finanzielle Umstände an; ebenso wenig können aufgrund der Systematik des Gesetzes jene Umstände zur Annahme eines berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG führen, die schon im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Beschäftigung im Sinn des § 9 Abs. 2 und 3 AlVG von Bedeutung sind und deren Prüfung ergeben hat, dass sie diese nicht ausschließen.

Unter einer anderen Beschäftigung im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG kann nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung verstanden werden. Wird sie noch während der Sperrfrist aufgenommen, so stellt dies (unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände) einen Grund für eine gänzliche oder teilweise Nachsicht des Ausschlusses vom Bezug des Arbeitslosengeldes (der Notstandshilfe) mit der Konsequenz dar, dass auch für die Zeit vor dem Beginn der die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung (mit der ja der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe schon nach § 24 Abs. 1 AlVG wegfällt) je nach der zeitlichen Nähe zum Beginn der Sperrfrist diese ganz oder teilweise nachzusehen ist. Eine ausdrückliche Regelung, innerhalb welcher Frist die andere Beschäftigung aufgenommen werden muss, um eine gänzliche oder teilweise Nachsicht vom Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes zu rechtfertigen, enthält § 10 Abs. 3 AlVG nicht. Die Behörde hat daher in rechtlicher Gebundenheit zu entscheiden, ob ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG vorliegt, und sodann unter Abwägung aller für die Nachsichtsentscheidung maßgebenden Umstände des Einzelfalles eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen, in welchem Ausmaß eine Nachsicht von der Sperrfrist (ganz oder teilweise) zu gewähren ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2016, Ro 2015/08/0027, mwN).

12 Dass eine Beschäftigung, um einen berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG darstellen zu können, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgenommen worden sein muss, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Grundsätzlich kann daher jede Beschäftigung berücksichtigt werden, die vor der (endgültigen) Entscheidung angetreten worden ist und auf Grund einer gewissen zeitlichen Nähe zur Weigerung bzw. Vereitelung noch deren negative Konsequenzen für die Versichertengemeinschaft (teilweise) auszugleichen vermag. Während aber im Fall der Aufnahme einer Beschäftigung vor Ablauf der Ausschlussfrist die (gänzliche oder teilweise) Nachsicht jedenfalls zu erteilen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juni 2001, Zl. 2000/19/0136, VwSlg. 15.621 A), werden bei einer späteren Beschäftigungsaufnahme zumindest ernsthafte Bemühungen schon im Vorfeld zu verlangen sein, damit allenfalls in Verbindung mit anderen zugunsten des Arbeitslosen sprechenden Umständen noch von einem berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 10 Abs. 3 AlVG ausgegangen werden kann (vgl. abermals das Erkenntnis Ro 2015/08/0027 sowie jenes vom 17. Dezember 2015, Ro 2015/08/0026).

13 Die Erteilung der Nachsicht kann auch durch das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Sachentscheidung über die Beschwerde erfolgen. Dabei hat es wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliegen und die Angelegenheit daher nicht gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG zurückverwiesen wird auch das bei der Festlegung des Umfangs der Nachsicht offen stehende Ermessen zu üben. Die Erteilung der Nachsicht durch das Verwaltungsgericht setzt aber nicht die Anhörung des Regionalbeirates iSd § 10 Abs. 3 AlVG voraus (vgl. wieder die Erkenntnisse Ro 2015/08/0026 und Ro 2015/08/0027).

14 Im vorliegenden Fall lag ein Grund für eine sei es auch nur teilweise Nachsicht nicht vor. Bei einer Beschäftigungsaufnahme, die zum einen mehr als ein halbes Jahr nach dem vorgeworfenen Verhalten und zum anderen nur für die Dauer von rund zwei Wochen erfolgt, kann keine Rede davon sein, dass dadurch ein Ausgleich der durch die Vereitelung (bzw. Weigerung) entstandenen negativen Konsequenzen für die Versichertengemeinschaft bewirkt wird. Sonstige berücksichtigungswürdige Gründe wurden vom Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. Februar 2016

Rückverweise