JudikaturOLG Wien

17Bs168/25t – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
21. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A* wegen § 21 Abs 2 StGB über die Beschwerde des Vereins B* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Juni 2025, GZ **-207, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen .

Text

Begründung:

Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Dezember 2010 (rechtskräftig am 6. Juni 2011), AZ **, wurde der am ** geborene A* wegen §§ 206 Abs 1 und 3 StGB uaD zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine (vormals:) Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2020, AZ ** (ON 19), wurde A* mit Wirksamkeit vom 20. März 2020 gemäß § 47 StGB aus dem Maßnahmenvollzug bedingt entlassen, wobei ihm unter anderem die Weisung erteilt wurde, unmittelbar nach der bedingten Entlassung seinen Wohnsitz beim Verein B* zu nehmen. Zu den diesbezüglichen Kosten wurde ausgesprochen, dass diese im Umfang des § 179a StVG derzeit vom Bund übernommen werden, wobei im Beschluss jedoch nicht dokumentiert ist, auf welcher Sachverhaltsgrundlage dieser Kostenausspruch basierte.

In der Folge wurde von B* quartalsweise Rechnung gelegt und wurden die Kosten (beginnend mit ON 23 bis zuletzt ON 182) vom Vollzugsgericht geprüft und angewiesen. A* wurde bis Mitte Jänner 2021 und ab Mai 2025 intensiv, dazwischen „nur“ stationär betreut.

Nachdem das Erstgericht beginnend mit Jänner 2025 Aufträge zur Eruierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen erteilt hatte (siehe ON 188, 191, 193) und entsprechende Auskünfte des Vereins B* und der Bewährungshilfe Neustart samt aktuellen Nachweisen (ON 192, 195, 196) bzw eine Sozialversicherungsauskunft (ON 188) eingelangt waren und A* hiezu gehört wurde (ON 197), sprach das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Juni 2025 (ON 207) aus, dass die Kosten des Aufenthalts in der therapeutischen Wohneinrichtung B* (rückwirkend) ab 1. Oktober 2024 vom Bund gemäß § 179a Abs 2 StVG nur mehr teilweise übernommen werden (1./), der bedingt Entlassene von seinem Einkommen nachstehende Teilbeträge zu den Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung beizutragen habe, und zwar 80 % des von ihm bezogenen Pflegegeldes aufgrund der gemäß § 13 BPGG eingetretenen Legalzession sowie den EUR 700,-- monatlich übersteigenden Teil seines restlichen Einkommens (2./a./ und b./) und der Restbetrag gemäß § 179a Abs 3 StGB vom Bund übernommen werde, wobei quartalsweise eine entsprechende Abrechnung samt Einkommensnachweisen dem Gericht vorzulegen sei (3./).

Begründend führte das Erstgericht aus, dass eine aktuell (zum 4. Quartal 2024) vorgenommene Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ergeben habe, dass der Betroffene neben einer Alters- und Witwerpension auch Pflegegeld der Stufe 2 in Höhe von EUR 370,30 beziehe und somit über ein monatliches Nettoeinkommen von ca EUR 1.820,-- verfüge. Er sei somit nicht in der Lage, die gesamten durch die Erfüllung der Weisungen aufgelaufenen Kosten zu tragen, jedoch einen Teil davon. Mit Blick auf den Umstand, dass die Kosten für das Wohnen (inklusive Strom, Gas, Warmwasser, Heizung) aufgrund der stationären Unterbringung zur Gänze abgedeckt seien, sei ein monatlicher Betrag für die Bestreitung des sonstigen Lebensunterhalts (Nahrung, Kleidung, Pflege, soziale und kulturelle Teilhabe) in der Höhe von EUR 700,-- angemessen. Der Anspruch auf Pflegegeld gehe nach § 13 Abs 1 BPGG kraft Legalzession bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 %, auf den jeweiligen Kostenträger über. Daraus lasse sich ableiten, dass das Pflegegeld jedenfalls zur Finanzierung einer betreuten Wohneinrichtung wie B* zu verwenden sei. Daher habe der Betroffene 80 % seines Pflegegeldes und den monatlich EUR 700,-- übersteigenden Betrag seines sonstigen Nettoeinkommens zur Finanzierung der sozialtherapeutischen Wohneinrichtung beizusteuern.

Dieser Beschluss wurde mit Verfügung vom 18. Juni 2025 (ON 208) sowohl dem Betroffenen wie auch dem Verein B* zugestellt, wobei Letzterem mit beiliegender Note Folgendes mitgeteilt wurde: „ Bezüglich des betroffenen Zeitraumes ist eine neue, Punkt 3./ des Beschlusses entsprechende Abrechnung samt Beilagen einzubringen. Die bislang vorhandenen Rechnungen werden aus dem System gelöscht. “ Gleichzeitig wurde verfügt, dass die offenen Rechnungen des Vereins B* ON 187 und 202 (betreffend das vierte Quartal 2024 und das erste Quartal 2025) „aus dem System zu löschen“ seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des Vereins B* (ON 215), die unter Hinweis auf einen aktuellen Bericht über die Einkommensverhältnisse des A* und dessen Aufwendungen (ON 210) die fehlende existenzielle Absicherung des Betroffenen moniert.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass dieser Beschwerde ist wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.

Zur Rechtsmittellegitimation des Vereins B* ist vorauszuschicken, dass nach § 87 Abs 1 StPO gegen gerichtliche Beschlüsse der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten (Angeklagten, Verurteilten, Betroffenen), soweit dessen Interessen unmittelbar betroffen sind, und jeder anderen Person, der durch den Beschluss (selbst) unmittelbar Rechte verweigert werden oder Pflichten entstehen oder die von einem Zwangsmittel betroffen ist, Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zusteht. Beschwerden, die von einer Person eingebracht werden, der ein Rechtsmittel nicht zusteht, hat das Rechtsmittelgericht als unzulässig zurückzuweisen (§ 89 Abs 2 StPO). § 179a Abs 2 StVG räumt ausschließlich dem bedingt Entlassenen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Kostenübernahme durch den Bund ein. Sind jedoch der Einrichtung oder Vereinigung bereits Kosten erwachsen, ist auch diese beschwerdelegitimiert (Pieber in WK 2StVG § 179a Rz 9; OLG Linz RIS-Justiz RL0000126; OLG Innsbruck RIS-Justiz RI0100012; OLG Wien 22 Bs 116/18x). Mit Blick auf die vom Erstgericht bislang bestimmten Kosten der Einrichtung, die auch aus der glaubhaft behaupteten Zusage der Kostenübernahme durch den Bund abgeleitet werden kann, war dem Beschwerdeführer fallkonkret eine Beschwerdelegitimation zuzubilligen, weil er in seinen Rechten selbst unmittelbar betroffen ist, zumal ihm auch bereits wie oben dargestellt Kosten für sechs Monate entstanden sind.

Wie das Erstgericht im Beschluss im Lichte von § 179a Abs 2 letzter Satz StVG richtig ausführte, soll die Frage der Kostentragung nach Möglichkeit zumindest dem Grunde nach bereits bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung berücksichtigt werden, wobei für einen solchen auf die Zukunft gerichteten Ausspruch die Umstandsklausel gilt.

Tatsächlich unterliegt der Ausspruch nach § 179a Abs 2 letzter Satz StVG der clausula rebus sic stantibus und steht im Fall wesentlicher Änderung der Verhältnisse einer neuerlichen Entscheidung über denselben Prozessgegenstand nicht entgegen. Umgekehrt bedeutet das aber, dass immer dann, wenn sich die Umstände nicht entscheidend ändern, die Bindungswirkung des rechtskräftigen Ausspruchs nach § 179a Abs 2 letzter Satz StVG einer neuerlichen Entscheidung über die Kostenersatzpflicht des Bundes dem Grunde nach – auch nach einem Zuständigkeitsübergang nach § 179 Abs 1 StVG – entgegensteht und in der Folge nur noch über das Ausmaß der zu ersetzenden Kosten entschieden werden kann (Pieber, WK 2StVG § 179a Rz 8; s auch OGH 14 Os 84/14f; 11 Os 96/12w).

Im vorliegenden Fall ist die Frage nach der wesentlichen Änderung der tatsächlichen Umstände als Voraussetzung für den Wegfall der Bindungswirkung des ursprünglichen Kostenausspruchs des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2020, mit dem die volle Kostenübernahme durch den Bund festgelegt wurde, nicht geklärt, zumal - wie oben bereits angemerkt - dem ursprünglichen Beschluss nicht zu entnehmen ist, von welchen Sachverhaltsannahmen in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen ausgegangen wurde, und auch aus dem nunmehr bekämpften Beschluss nicht hervorgeht, inwiefern die tatsächlichen Verhältnisse ab Oktober 2024 im Vergleich zum Zeitpunkt des Ausspruchs über die bedingte Entlassung samt voller Kostenübernahme im März 2020 eine entscheidende Änderung erfahren hätten.

Dem vom Gericht eingeholten Sozialversicherungsauszug (ON 188) lässt sich entnehmen, dass der Betroffene auch schon im Jahr 2020 Alters- und Witwerpension bezogen hat.

Ob der Betroffene im März 2020 (also im Zeitpunkt des ursprünglichen Beschlusses) auch schon Pflegegeld (und wenn ja, welcher Stufe) bezogen hat, geht aus dem Akteninhalt nicht hervor.

Da die Sachverhaltsgrundlagen in diesem Punkt somit unzureichend sind, ist aus Anlass der Beschwerde nach § 89 Abs 2a Z 3 StPO mit Aufhebung des bekämpften Beschlusses und Zurückverweisung an die erste Instanz vorzugehen (idS bereits OLG Wien vom 4. August 2025, 18 Bs 171/25s). Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zu ermitteln haben, wie sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen im März 2020 gestaltet haben, und für eine allfällige weitere Beschlussfassung – neben den mit ON 210 vorgebrachten Neuerungen - zu berücksichtigen haben, dass ein geänderter Ausspruch über die Tragung der Kosten für die Einhaltung der Wohnsitzweisung dem Grunde nach nur bei wesentlicher Änderung der Umstände statthaft ist.

Letztlich ist zu Punkt 3./ des Beschlusses zu bedenken, dass § 179 Abs 2 StVG nicht zu entnehmen ist, dass es Aufgabe der Betreuungseinrichtung sei, den Selbstbehalt der bedingt entlassenen Person selbst zu berechnen.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.