18Bs171/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Heindl und Mag. Lehr als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache der A*wegen § 21 Abs 1 StGB über die Beschwerden der Betroffenen sowie des Vereins B* je gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juni 2025, GZ ** 102, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der Beschwerden wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen .
Mit ihren Rechtsmitteln werden die Beschwerdeführer auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Begründung:
Mit dem - vom Akteninhalt nicht umfassten, am Tag der Urteilsverkündung in Rechtskraft erwachsenen - Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 27. September 2012, AZ **, wurde A* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine (vormals:) Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil sie am 2. November 2011 in C* unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, und zwar einer psychiatrischen Erkrankung im Sinne einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10F.20.0) bzw schizoaffektiven Psychose (F 25.3), verbunden mit Alkoholmissbrauchsverhalten (ICD 10.F10) und Störungen durch Cannabinoid Abusus (ICD 10.F12) D* durch Versetzen von 16 Messerstichen gegen dessen Körper, wobei zwei Stichverletzungen oberhalb des rechten Lungen Oberlappens und eine Stichverletzung im Bereich des linken Lungenunterlappens tief in das Lungengewebe bis an den Lungenstil reichten, was zum Tod des D* durch Verbluten führte, vorsätzlich getötet, wodurch sie eine Tat begangen hat, die mit einer 1 Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und die ihr, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB zuzurechnen wäre.
Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 24. Mai 2023, AZ ** (ON 9), wurde A* mit Wirksamkeit vom 20. Juni 2023 gemäß § 47 StGB aus dem Maßnahmenvollzug bedingt entlassen, wobei ihr unter anderem die Weisung erteilt wurde, unmittelbar nach der bedingten Entlassung ihren Wohnsitz im Haus ** des Verein B* in ** C*, E*, zu nehmen. Zu den diesbezüglichen Kosten wurde ausgesprochen, dass diese nach Maßgabe des § 179a StGB vom Bund getragen werden, wobei im Beschluss jedoch nicht dokumentiert ist, auf welcher Sachverhaltsgrundlage dieser Kostenausspruch basierte.
Mit Beschluss des (nunmehr zuständigen; vgl § 179 Abs 1 StVG) Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. Juni 2024 (ON 68) wurde die mit dem obgenannten Vorbeschluss des Landesgerichts St. Pölten erteilte Wohnsitzweisung – unter ausdrücklicher Aufrechterhaltungen übrigen Weisungen sowie der Beigabe von Bewährungshilfe - dahingehend abgeändert, dass der Betroffenen aufgetragen wurde, ihren Wohnsitz in einer geeigneten Nachsorgeeinrichtung (entsprechend Projekt F* des Vereins B* in C* **, G*) zu nehmen.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2024 (ON 73) gab der Verein B* bekannt, dass die Betroffene mit heutigem Tag weisungsgemäß in das Projekt F* eingezogen sei, wobei ein aktueller Meldezettel angeschlossen wurde.
Nachdem das Erstgericht beginnend mit Sommer 2024 Aufträge zur Eruierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Betroffenen erteilt hatte (s Verfügungen vom 22. August 2024 [ON 1.36], vom 21. November 2024 [ON 1.43] und vom 23. Jänner 2025 [ON 1.44 und 1.45]) und entsprechende Auskünfte des Vereins B* samt aktuellen Nachweisen und einem Schreiben der Betroffenen (ON 79, ON 85, ON 95.2) bzw eine Sozialversicherungsauskunft (ON 89) eingelangt waren, sprach das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. Juni 2025 (ON 102) aus, dass die Kosten des Aufenthalts in der therapeutischen Wohneinrichtung B* ab 1. Juli 2024 vom Bund gemäß § 179a Abs 2 StVG nur mehr teilweise übernommen werden (1./), die bedingte Entlassene von ihrem Einkommen nachstehende Teilbeträge zu den Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung beizutragen habe, und zwar 80 % des von ihr bezogenen Pflegegeldes aufgrund der gemäß § 13 BPGG eingetretenen Legalzession sowie den EUR 700,-- monatlich übersteigenden Teil ihres restlichen Einkommens (2./a./ und b./) und der Restbetrag gemäß § 179a Abs 3 StGB vom Bund übernommen werde, wobei quartalsweise eine entsprechende Abrechnung samt Einkommensnachweisen dem Gericht vorzulegen sei (3./).
Begründend führte das Erstgericht aus, dass eine aktuell (zum 3. Quartal 2024) vorgenommene Überprüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ergeben habe, dass die Betroffene neben einer Invaliditätspension in der Höhe von etwa EUR 1.230,-- auch Pflegegeld der Stufe 3 in Höhe von EUR 551,60 beziehe. Sie sei somit nicht in der Lage, die gesamten durch die Erfüllung der Weisungen aufgelaufenen Kosten zu tragen, jedoch einen Teil davon. Mit Blick auf den Umstand, dass die Kosten für das Wohnen (inklusive Strom, Gas, Warmwasser, Heizung) aufgrund der stationären Unterbringung zur Gänze abgedeckt seien, sei ein monatlicher Betrag für die Bestreitung des sonstigen Lebensunterhalts (Nahrung, Kleidung, Pflege, soziale und kulturelle Teilhabe) in der Höhe von EUR 700,-- angemessen. Der Anspruch auf Pflegegeld gehe nach § 13 Abs 1 BPGG kraft Legalzession bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 %, auf den jeweiligen Kostenträger über. Daraus lasse sich ableiten, dass das Pflegegeld jedenfalls zur Finanzierung einer betreuten Wohneinrichtung wie B* zu verwenden sei. Daher habe die Betroffene 80 % ihres Pflegegeldes und den monatlich EUR 700,-- übersteigenden Betrag ihres sonstigen Nettoeinkommens zur Finanzierung der sozialtherapeutischen Wohneinrichtung beizusteuern.
Dieser Beschluss wurde mit Verfügung vom 12. Juni 2025 (ON 1.58) sowohl der Betroffenen wie auch dem Verein B* zugestellt, wobei Letzterem mit beiliegender Note Folgendes mitgeteilt wurde: „ Bezüglich des betroffenen Zeitraumes ist eine neue, Punkt 3./ des Beschlusses entsprechende Abrechnung samt Beilagen einzubringen. Die bislang vorhandenen Rechnungen werden aus dem System gelöscht. “ Gleichzeitig wurde verfügt, dass die offenen Rechnungen des Vereins B* ON 83, 88 und ON 100 (betreffend das dritte Quartal 2024 (Rechnungsbetrag EUR 13.931,76), das erste Quartal 2025 (Rechnungsbetrag EUR 12.196,80) und das zweite Quartal 2025 (Rechnungsbetrag EUR 14.544,--) „aus dem System zu löschen“ seien.
Gegen diesen Beschluss richtet sich sowohl die fristgerecht erhobene Beschwerde der Betroffenen (ON 103) sowie die ebenfalls rechtzeitige Beschwerde des Vereins B* (ON 105). Während die Betroffene zusammengefasst moniert, dass ihr EUR 700,-- inklusive die verbleibenden 20 % des Pflegegeldes, sohin gesamt EUR 800,-- monatlich zum Leben nicht reichen würden, da sie auch noch die Laborbefunde zum Nachweis ihrer Alkohol- und Drogenkarenz selbst bezahlen müsse, sie auch nicht von der Rezeptgebühr befreit sei und auch für ein selbständiges Leben in der Zukunft ansparen wolle, bringt der Verein B* im Wesentlichen vor, dass § 179a Abs 2 StVG ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und dem bedingt Entlassenen regle, aber keinen Einfluss auf den Verein B* als Vertragspartner des Bundes im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung habe. Somit könne der Verein B* durch den angefochtenen Beschluss nicht dazu verhalten werden, eine andere Abrechnung zu legen, als jene, die dem gemäß § 179a Abs 3 StVG abgeschlossenen Vertrag zwischen dem Bund und der Beschwerdeführerin entspreche. Die Abrechnung sowie die Vorlage der Einkommensnachweise könne daher ausschließlich dem bedingt Entlassenen aufgetragen werden, nicht aber dem Verein B*, da dieser weder ein Vertragsverhältnis noch eine gesetzliche Grundlage habe, dies der bedingt Entlassenen aufzuerlegen. Darüber hinaus sei der Bestimmung des § 179 Abs 2 StVG auch nicht zu entnehmen, dass es Aufgabe und Risiko der Betreuungseinrichtung sei, den Selbstbehalt der bedingt entlassenen Person selbst zu berechnen und (ohne gesetzliche Grundlage) einbringlich zu machen. Der Verein B* müsste selbständig und auf sein Risiko die nicht vom Bund übernommenen Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung bei der bedingt entlassenen Person einfordern. Zunächst sei dem Verein B* prinzipiell nicht bekannt, ob die bedingt entlassenen Personen über ein Vermögen bzw Einkommen verfügen bzw wie hoch dieses sei. Es fehle dem Verein B* auch an den rechtlichen Möglichkeiten, die bedingt entlassenen Personen notfalls zu „zwingen“, dies anzugeben und Zugriff darauf zu gewähren. Der Verein B* müsste sich den gesamten Betrag des Einkommens der betroffenen Person, der den Betrag von EUR 700,-- übersteigt, anrechnen lassen, ganz egal ob er diesen jemals einbringlich machen könne oder nicht. Die Pfändungsfreigrenze einer Person ohne Unterhaltspflichten betrage bisher EUR 1.499,-- und werde ab 1. Juli 2025 auf EUR 1.559,99 angehoben. Dies bedeute aber, dass immer dann, wenn die bedingt entlassene Person die ihr auferlegten Beträge nicht freiwillig zahle, die Differenz bis zur Pfändungsfreigrenze von der Einrichtung selbst getragen werden müsse, wobei auch noch die Kosten für die Gerichtsverfahren (Titelverfahren und Exekutionsverfahren) hinzukämen. Wenn aber nicht einmal die laufenden Beiträge der betreuten Person voll oder zum Teil einbringlich gemacht werden könnten, so müsse dies um so mehr für jene Beträge gelten, die bereits in der Vergangenheit liegen, wobei besonders zu kritisieren sei, dass der angefochtene Beschluss auch noch rückwirkend eine Risikoüberwälzung der Einbringlichkeit auf den Verein B* angeordnet habe. Dies sei mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere dem Vertrauen auf wohlerworbene Rechte, nicht in Einklang zu bringen, zumal die Leistungen in der Vergangenheit ordnungsgemäß erbracht und quartalsweise auch immer Rechnungen darüber gelegt worden seien. Das Beschwerdegericht möge daher in Abänderung des bekämpften Beschlusses aussprechen, dass die bedingt Entlassene quartalsweise entsprechende Abrechnungen samt Nachweisen vorzulegen habe und dass sich die Rechtswirkung des Beschlusses ausschließlich auf den Bund und die bedingt entlassene Person beziehe.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass dieser Beschwerden ist wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.
Wie das Erstgericht im Beschluss im Lichte von § 179a Abs 2 letzter Satz StVG richtig ausführte, soll die Frage der Kostentragung nach Möglichkeit zumindest dem Grunde nach bereits bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung berücksichtigt werden, wobei für einen solchen auf die Zukunft gerichteten Ausspruch die Umstandsklausel gilt.
Tatsächlich unterliegt der Ausspruch nach § 179a Abs 2 letzter Satz StVG der clausula rebus sic stantibus und steht im Fall wesentlicher Änderungder Verhältnisse einer neuerlichen Entscheidung über denselben Prozessgegenstand nicht entgegen. Umgekehrt bedeutet das aber, dass immer dann, wenn sich die Umstände nicht entscheidend ändern, die Bindungswirkung des rechtskräftigen Ausspruchs nach § 179a Abs 2 letzter Satz StVG einer neuerlichen Entscheidung über die Kostenersatzpflicht des Bundes dem Grunde nach – auch nach einem Zuständigkeitsübergang nach § 179 Abs 1 StVG – entgegensteht und in der Folge nur noch über das Ausmaß der zu ersetzenden Kosten entschieden werden kann ( Pieber , WKStVG § 179a Rz 8; s auch OGH 14 Os 84/14f; 11 Os 96/12w).
Im vorliegenden Fall ist die Frage nach der wesentlichen Änderung der tatsächlichen Umstände als Voraussetzung für den Wegfall der Bindungswirkung des ursprünglichen Kostenausspruchs des Landesgerichts St. Pölten vom 24. Mai 2023, mit dem die volle Kostenübernahme durch den Bund festgelegt wurde, nicht geklärt, zumal - wie oben bereits angemerkt - dem ursprünglichen Beschluss nicht zu entnehmen ist, von welchen Sachverhaltsannahmen in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Betroffenen ausgegangen wurde, und auch aus dem nunmehr bekämpften Beschluss nicht hervorgeht, inwiefern die tatsächlichen Verhältnisse ab Juli 2024 im Vergleich zum Zeitpunkt des Ausspruchs über die bedingte Entlassung samt voller Kostenübernahme im Mai 2023 eine entscheidende Änderung erfahren hätten.
Dem vom Gericht eingeholten Sozialversicherungsauszug (ON 89) lässt sich entnehmen, dass die Betroffene auch schon im Jahr 2023 (wie auch in den Jahren davor) Invaliditätspension bezogen hat, die offenbar jährlich lediglich geringfügig wertangepasst wurde (EUR 1.122,14 im Jahr 2023 und EUR 1.230,99 im Jahr 2024).
Ob die Betroffene im Mai 2023 (also im Zeitpunkt des ursprünglichen Beschlusses) auch schon Pflegegeld (und wenn ja, welcher Stufe) bezogen hat, geht aus dem Akteninhalt nicht hervor. Laut Auskunft der Pensionsversicherungsanstalt für das Jahr 2024 vom 5. August 2024 (ON 79, 4) hat die Betroffene aber auch schon im Jänner 2024, sohin nur wenige Monate nach dem ursprünglichen Kostenausspruch, Pflegegeld der Stufe 3 in Höhe von EUR 551,60 erhalten.
Da die Sachverhaltsgrundlagen in diesem Punkt somit unzureichend sind, ist aus Anlass der Beschwerden nach § 89 Abs 2a Z 3 StPO mit Aufhebung des bekämpften Beschlusses und Zurückverweisung an die erste Instanz vorzugehen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren zu ermitteln haben, wie sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Betroffenen im Mai 2023 gestaltet haben, und für eine allfällige weitere Beschlussfassung zu berücksichtigen haben, dass ein geänderter Ausspruch über die Tragung der Kosten für die Einhaltung der Wohnsitzweisung dem Grunde nach nur bei wesentlicher Änderung der Umstände statthaft ist.
Die Beschwerdeführer sind mit ihren Rechtsmitteln auf diese Kassation zu verweisen.