32Bs178/25y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Vollzugssenat nach § 16a StVG hat durch die Senatspräsidentin Mag. Seidl als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Vetter und die fachkundige Laienrichterin Hofrätin Mag. Killinger, BA MA als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache der A* wegen Nichtgewährung des Strafvollzugs in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH) über die Beschwerde der Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 12. Juni 2025, GZ *11, nach § 121b Abs 2 StVG in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur neuerlichen (inhaltlichen) Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Vollzugsgericht die Beschwerde der Verurteilten (ON 1.1) gegen den Bescheid des Leiters der Justizanstalt * vom 20. März 2025, GZ **, mit dem deren Antrag auf Vollzug der mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 16. Jänner 2024, AZ **, verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten in Form des eüH abgewiesen worden war (ON 16 in ON 1.3), zurück.
Begründend führte das Erstgericht – zusammengefasst wiedergegeben - aus, dass die Einbringung des Rechtsmittels gegen den Bescheid des Anstaltsleiters per „einfacher“ EMail erfolgt sei und damit dem Schriftformgebot nicht gerecht werde. Einfache, nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des § 4 Abs 1 SVG versehene E Mails würden mangels Unterschrift nicht der Schriftform entsprechen, woran der Umstand, dass die der EMail als Anhang angeschlossene Beschwerde vom Rechtsvertreter der Verurteilten handschriftlich gefertigt sei, nichts zu ändern vermöge. Von einer Einbringung des gegenständlichen Rechtsmittels im elektronischen Rechtsverkehr (ERV) nach § 89a GOG sei Abstand genommen worden. Folglich sei die Beschwerde bereits in Ermangelung der Formerfordernisse als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Da die Beschwerde daher als nicht eingebracht gelte, komme auch deren Verbesserung nicht in Betracht; obendrein würde dies (im Ergebnis) auch an der zwischenzeitlich längst abgelaufenen Rechtsmittelfrist scheitern.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Verurteilten, die zusammengefasst vorbringt, dass die Einbringung der Beschwerde per EMail sehr wohl zulässig sei. Beschwerden seien schriftlich einzubringen; gemäß § 13 Abs 2 AVG würden auch E Mails hinreichen. Eine Beschränkung auf EMails mit qualifizierter elektronischer Signatur sei dem AVG fremd. Der angefochtene Bescheid führe in der Kopfzeile eine EMailadresse der Justizanstalt * an. Im Internet gäbe es keine Bekanntmachung im Sinn des § 13 AVG, wonach bei elektronischer Übermittlung besondere Eingabeformen vorgesehen wären. Fehle eine solche Bekanntmachung, sei eine Eingabe per E Mail allerdings wirksam eingebracht. Die Anstalt habe auch eine Beschränkung auf eine oder einige E Mailadressen nicht kundgemacht.
Die Justizanstalt selbst akzeptiere E-Mails als zulässige Eingabeform. Es sei ihr nicht bekannt, dass die Justizanstalt * über einen ERV Zugang verfüge, insbesondere habe ihr Rechtsvertreter selbst seitens der Justizanstalt * noch nie irgendein Schriftstück via ERV erhalten. Im Internet gebe es auch diesbezüglich keinerlei Kundmachung, ebenso nicht im angefochtenen Bescheid. Sollte ein Mangel mangels qualifizierter elektronischer Signatur vorliegen, hätte die Justizanstalt einen Verbesserungsauftrag erteilen müssen.
Im Übrigen seien alle Kostenbeiträge für einen früheren eüH beglichen worden (ON 13).
Rechtliche Beurteilung
Den Beschwerde kommt Berechtigung zu.
Nach § 16a Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 StVG entscheidet das Oberlandesgericht Wien für das gesamte Bundesgebiet über Beschwerden gegen einen Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG wegen Rechtswidrigkeit, wobei Letztere nicht vorliegt, soweit das Vollzugsgericht Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt hat.
Gemäß § 16a Abs 3 StVG ist gegen den Beschluss des Vollzugsgerichts nach § 16 Abs 3 StVG eine Beschwerde nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Vollzugsgericht von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, eine solche fehlt oder uneinheitlich ist. Hat das Vollzugsgericht nach § 16 Abs 3 StVG Ermessen im Sinne des Gesetzes geübt, darf das Oberlandesgericht Wien den Beschluss weder aufheben noch – um das Ermessen anders auszuüben – abändern ( Pieber in WK 2StVG § 16a Rz 5; Drexler/Weger, StVG 5 § 16a Rz 2).
Die Vollzugsbehörde erster Instanz hat primär die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des StVG anzuwenden. Solche finden sich etwa in §§ 116, 116a, 120, 121 und 22 Abs 3 StVG. Subsidiär gelten gemäß Art I Abs 2 Z 1 und 2 EGVG das AVG für das behördliche Verfahren und das VStG für das Ordnungsstrafverfahren ( Drexler/Weger, StVG 5§ 11 Rz 3). § 13 AVG - der gemäß § 17 Abs 2 StVG auch im Verfahren vor dem Vollzugsgericht anwendbar ist - sieht vor, dass - soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden können. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen (Abs 1 leg cit). Dabei können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen (Abs 2 leg cit).
Die Einbringung eines Anbringens per E-Mail kann also ausgeschlossen werden. Ein solcher Ausschluss setzt aber nach dem Wortlaut des Gesetzes voraus, dass den Beteiligten eine andere („besondere“) elektronische Übermittlungsform (zB eine Einbringung mittels Webformular) angeboten wird und die Voraussetzungen und Beschränkungen der elektronischen Übermittlung im Internet bekanntgemacht werden. Fehlt eine solche Bekanntmachung oder verwendet ein Einbringer eine solcherart kundgemachte E-Mailadresse, ist seine Eingabe wirksam eingebracht (VwGH Ra 2024/02/0049; vgl auch Hengstschläger/Leeb,AVG § 13 Rz 10 f).
Der Homepage der Justizanstalt * lässt sich eine Bekanntmachung besonderer Übermittlungsformen iSd § 13 Abs 2 AVG nicht entnehmen, sodass nach dem Vorgesagten Eingaben per E-Mail (bei Verwendung einer Standardsoftware; vgl Hengstschläger/Leeb,AVG § 13 Rz 10/1) grundsätzlich zulässig sind. Die Verurteilte hat ihre Beschwerde überdies durch Übermittlung an eine von der Behörde selbst – durch Anführung auf dem bekämpften Bescheid (ON 1.3 S 57) – als Kontaktadresse bekannt gegebene E-Mailadresse eingebracht, sodass die Beschwerde – entgegen den erstgerichtlichen Ausführungen form- und fristgerecht erfolgt ist (vgl auch OLG Wien, AZ 32 Bs 16/25z; aA - die Bestimmungen der §§ 13 Abs 2 AVG und 886 ABGB [siehe unten] nicht berücksichtigend - OLG Wien, AZ 132 Bs 378/19m).
Mit seinem Verweis auf § 4 SVG (=Signatur- und Vertrauensdienstegesetz) übergeht das Erstgericht, dass nach Abs 1 erster Satz leg cit eine qualifizierte elektronische Signatur das rechtliche Erfordernis der Schriftlichkeit iSd § 886 ABGBerfüllt. § 886 ABGB bezieht sich allerdings auf Verträge , für die das Gesetz oder der Parteiwille Schriftlichkeit verlangt (vgl auch Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB 4 § 886 Rz 6; Kalss in Kletečka/Schauer , ABGB-ON § 886 Rz 10). Bereits mangels Vorliegen eines Vertrages kann diese Bestimmung daher gegenständlich nicht zur Anwendung gelangen.
Sohin war die Sache dem Erstgericht zur inhaltlichen Entscheidung über die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde zurückzuverweisen.
Rechtsmittelbelehrung :
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.