JudikaturOLG Wien

4R79/25d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
24. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Rendl als Vorsitzenden sowie die Richter Mag. Falmbigl und Mag. Viktorin in der Rechtssache der klagenden Partei A* Ltd. , **, Vereinigtes Königreich, vertreten durch die Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B* Gesellschaft m.b.H. , FN **, **, wegen EUR 30.480 samt Nebengebühren, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 8. Mai 2025, **-3, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit Mahnklage vom 8.5.2025 begehrt die Klägerinvon der Beklagten die Zahlung von EUR 30.480 samt Nebengebühren. Dazu bringt sie im Wesentlichen vor, die Beklagte habe ohne die erforderliche Bewilligung der Klägerin (jedenfalls) am 28.3.2025 in ihrem Lokal die Live-Übertragung eines Fußballspiels öffentlich aufgeführt, an welcher der Klägerin gemäß § 18 Abs 3 UrhG die exklusiven Nutzungsrechte zustünden. Die Klägerin räume gesetzestreuen Kunden das Recht zur öffentlichen Aufführung ihrer Programme in Form von Abonnements mit einer Mindestlaufzeit von 12 Monaten ein. Für das Lokal der Beklagten habe zum Zeitpunkt der dokumentierten öffentlichen Aufführungen das günstigste Entgelt laut dem veröffentlichten Tarif EUR 1.270 pro Monat betragen. Das angemessene Entgelt iSd § 86 Abs 1 UrhG betrage somit EUR 15.240. Gemäß § 87 Abs 3 UrhG habe die Klägerin Anspruch auf Zahlung des doppelten angemessenen Entgelts.

Mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 10.2.2025 zu ** wurde über das Vermögen der Beklagten (mit Wirkung vom 11.2.2025) ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet. Zum Sanierungsverwalter wurde Dr. C*, Rechtsanwalt in **, bestellt (ON 2).

Mit Beschluss vom 16.5.2025 wurde der Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben (ON 5).

Mit dem angefochtenen Beschlusswies das Erstgericht die Klage unter Bezugnahme auf die mit Beschluss vom 10.2.2025 erfolgte Insolvenzeröffnung und die Prozesssperre gemäß § 6 Abs 1 IO zurück, zumal die Ausnahme des § 6 Abs 3 IO nach der Aktenlage nicht vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

1.Nach § 6 Abs 1 IO können Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken („Masseprozesse“), nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner weder anhängig noch fortgesetzt werden (sogenannte Prozesssperre). Davon ausgenommen sind gemäß § 6 Abs 3 IO Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen („Gemeinschuldnerprozesse“). Solche Rechtsstreitigkeiten können auch während des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner oder von ihm anhängig gemacht und fortgesetzt werden.

2.Zu den Gemeinschuldnerprozessen gehören nur jene Streitigkeiten, deren Gegenstand gar nicht vermögensrechtlicher Natur ist, und Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur, sofern der Streitgegenstand weder einen Aktivbestandteil noch einen Passivbestandteil der (Soll-)Insolvenzmasse bildet. Letzteres ist aber nur zu bejahen, wenn dem Klagebegehren stattgebende Entscheidungen im Prozess auf den Stand der Sollmasse unmittelbar keinen Einfluss nehmen. Unmittelbar ist deren Einfluss aber auch dann, wenn der Streitgegenstand selbst zwar den Sollstand der Masse nicht berührt, mit vermögensrechtlichen, die Masse betreffenden Ansprüchen aber derart eng verknüpft ist, dass sich das klagsstattgebende Urteil auf deren Bestand oder Höhe rechtsnotwendigerweise unmittelbar auswirkt (RS0064115; RS0064107; Schubert in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 6 KO Rz 3).

3.Ob eine Rechtsstreitigkeit unter die Prozesssperre nach § 6 Abs 1 IO fällt, entscheidet der vom Kläger geltend gemachte Anspruch; die Frage nach der Massezugehörigkeit, die das Gericht von Amts wegen zu erheben hat, muss nach objektiven Kriterien beantwortet werden, maßgeblich ist das Tatsachenvorbringen des Klägers (RS0064050 [T2, T3]). Eine Vermutung, dass ein Gemeinschuldnerprozess vorliegt, besteht dabei nicht; der Kläger, der nach Insolvenzeröffnung einen Anspruch geltend macht, hat ein entsprechendes Sachvorbringen zu erstatten, das die Beurteilung im Sinn des § 6 Abs 3 IO ermöglicht (7 Ob 606/95), muss also Vorbringen erstatten, das das Vorliegen eines Gemeinschuldnerprozesses indiziert (vgl RS0075254).

4.Gestützt auf § 87 Abs 3 UrhG begehrt die Klägerin die Zahlung von EUR 30.480 aufgrund einer unlizenzierten öffentlichen Aufführung eines Fußballspiels am 28.3.2025 durch die Beklagte in deren Betriebslokal. Der vorliegende Anspruch ist vermögensrechtlicher Natur und wirkt sich unmittelbar auf das Vermögen der Insolvenzmasse aus. In Ermangelung anderslautenden Vorbringens ist daher nicht von einem Gemeinschuldnerprozess auszugehen.

5.Im konkreten Fall ist allerdings zu beachten, dass die geltend gemachte Forderung nach dem Klagsvorbringen erst nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist, zumal das Klagebegehren auf eine Tathandlung am 28.3.2025 abstellt, während das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung mit Beschluss vom 10.2.2025 eröffnet wurde. Da zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht sämtliche Tatbestandserfordernisse für die Entstehung der Forderung vorhanden waren, handelt es sich nicht um eine Insolvenzforderung iSd § 51 Abs 1 IO, die beim Insolvenzgericht anzumelden wäre (vgl Katzmayr in Koller/Lovrek/Spitzer(Hrsg), IO - Insolvenzordnung² (2022) zu § 51 IO Rz 13).

6.Masseforderungen (aus der Sicht der Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten) sind demgegenüber Forderungen, welche idR erst nach Insolvenzeröffnung entstehen und einen Anspruch auf vollständige und sofortige Befriedigung aus der gemeinschaftlichen Insolvenzmasse beinhalten (§§ 47, 124 IO). Im Unterschied zu Insolvenzforderungen müssen Masseforderungen nicht angemeldet werden und unterliegen keinem formellen Prüfungsverfahren. Der Anspruch auf Befriedigung solcher Masseforderungen besteht grundsätzlich jederzeit und vor den Ansprüchen der Insolvenzgläubiger, jedoch ohne Zugriff auf das durch Absonderungsrechte gebundene Sondervermögen. Die Aufzählung der Masseforderungen in § 46 IO ist taxativ. Eine Erweiterung durch Analogie ist nach hA unzulässig (RS0077987; K.F. Engelhart in Konecny, Insolvenzgesetze § 46 IO Rz 17 f mwN; Widhalm-Budak in Koller/Lovrek/Spitzer(Hrsg), IO - Insolvenzordnung² (2022) zu § 46 IO Rz 1 ff).

7.§ 46 Z 2 IO erklärt ua die Auslagen, die mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, zu Masseforderungen. Seit dem IRÄG 2010 kann der Schuldner in Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung auch ohne Wissen und Mitwirkung des Sanierungsverwalters Masseforderungen herbeiführen (vgl K.F. Engelhart aaO Rz 47, 51; Widhalm-Budak aaO Rz 14).

8.Aus dem Klagsvorbringen ist abzuleiten, dass die öffentliche Aufführung des Fußballspiels durch die Beklagte „in ihrem Lokal“ im Rahmen des Unternehmensbetriebs erfolgte und insoweit – ungeachtet allfälliger damit verbundener Rechtsverletzungen – als Teil der unternehmerischen Nutzung des Lokals in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bewirtschaftung der Masse steht. Der geltend gemachte Anspruch ist daher als Masseforderung zu qualifizieren, für die keine Prozesssperre nach § 6 Abs 1 IO besteht.

9. Der angefochtene Beschluss war daher in Stattgebung des Rekurses ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss, mit dem das Rekursgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine vom Erstgericht vor Streitanhängigkeit zurückgewiesene Klage aufträgt, steht dem Beklagten nach ständiger Rechtsprechung nicht zu (RS0039200 [T1]). Da die Klägerin durch die Aufhebung der Zurückweisung nicht beschwert ist, ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ( Kodek in Rechberger/Klicka 5§ 527 ZPO Rz 3).