30Bs102/25g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht am 12. Mai 2025 durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe und die Berufung des A* wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 27. Jänner 2025, GZ **-24.4, sowie die vom Angeklagten implizit erhobene Beschwerde gegen den gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss in der in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner LL.M. sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Hans-Jürgen Riedl durchgeführten Berufungsverhandlung
I.) zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II.) den
Beschluss
gefasst:
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und vom Widerruf der A* mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 9. Juni 2022, AZ **, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* zu zwei Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (a./; b./) und (richtig:) eines Verbrechens der schweren Nötigung nach § 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB (Begründung einer einzigen Tat durch – wie hier US 3 - mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit, aus einheitlicher Motivationslage begangene Angriffe s RIS-Justiz RS0127374) schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39 Abs 1a StGB nach § 106 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Mit gleichzeitig gefasstem Beschluss wurde gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StGB die A* mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 9. Juni 2022, AZ **, gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in ** und anderen Orten
a./ am 6. September 2024 in ** B* vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm mit der rechten Faust einen Schlag gegen die linke Schläfenseite versetzte, wobei B* eine Prellung erlitt,
b./ am 20. Mai 2024 C* am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, indem er sie mit beiden Händen fest am Kopf hielt, sie beschimpfte, woraufhin sie sich mit ihren Zähnen ihre Lippe verletzte,
c./ zwischen 1. Jänner 2024 und 6. August 2024 in mehreren Angriffen C* durch gefährliche Drohungen zu Handlungen, die besonders wichtige Interessen der Genannten verletzten, nämlich zur Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit ihm, genötigt, indem er im Zuge von Ankündigungen der Genannten, sich trennen zu wollen, äußerte „Ich mach dir das Leben zur Hölle; Ich bringe mich um; Ich bring dich um;. Ich bring deinen neuen Freund um“.
Bei der Strafbemessung wertete der Erstrichter das Zusammentreffen von Vergehen und Verbrechen, die drei einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall und die Tatbegehung gegen die damalige Lebensgefährtin als erschwerend, als mildernd hingegen die teilweise Schadensgutmachung und die großteils geständige Einlassung.
Gegen dieses Urteil richten sich die von der Staatsanwaltschaft rechtzeitig angemeldete (ON 1.21), zu ON 32 zum Nachteil des Angeklagten ausgeführte Berufung wegen Strafe sowie die fristgerecht wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldete (ON 26) und in diesem Umfang, inhaltlich beschränkt auf Faktum c./ zu ON 33 ausgeführte Berufung des A*. Implizit erhob Genannter auch Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf der ihm mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 9. Juni 2022, AZ **, gewährten bedingten Strafnachsicht.
Rechtliche Beurteilung
Da die wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung der wegen § 281 Abs 1 Z 10 StPO erhobenen Substitutionsrüge vorgeht, ist vor Entscheidung über die Schuldberufung vorerst nur über die auf Z 5 und „5a“ des § 281 Abs 1 StPO iVm § 498 Abs 1 StPO gestützten Berufungspunkte abzusprechen.
Bezugspunkt der Mängelrüge sind entscheidende Tatsachen, somit Feststellungen, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen in den Entscheidungsgründen aus Sicht des Rechtsmittelgerichts entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – die Subsumtion zu beeinflussen vermögen. Keine oder eine unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angeführt werden, aus denen sich nach den Gesetzen und grundlegenden empirischen Erfahrungssätzen über Kausalzusammenhänge ein Schluss auf die zu begründende Tatsache nicht ziehen lässt.
Wie die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme bereits zutreffend darlegte, stellt die gegenständlich angezogene Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 3 letzter Fall StGB auf die Veranlassung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung ab, die besonders wichtige Interessen der genötigten (oder einer dritten) Person (hier: Recht auf selbstbestimmte Lebensführung und Recht auf Selbstbestimmung zur Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft US 3) verletzt. Abgesehen davon, dass die Annahme des mehrjährigen Bestands einer Lebensgemeinschaft zwischen dem Angeklagten und der tatbetroffenen Zeugin C* auf deren übereinstimmenden Angaben (ON 6.2,6; ON 24.3,2ff; ON 24.3,11ff) fußt, kommt dem eine mangelhafte Begründung der Annahme des Bestands einer Lebensgemeinschaft monierenden Berufungsvorbringen keine Entscheidungsrelevanz zu, weil nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung etwa bereits die Nötigung zur Aufrechterhaltung bzw Wiederaufnahme einer Liebesbeziehung den Tatbestand des § 106 Abs 1 Z 3 StGB erfüllt (RIS-Justiz RS0093043, [T3]).
Die Erhebung einer Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO) steht bei der Bekämpfung eines vor dem Landesgericht als Einzelrichter ergangenen Urteil nicht offen.
Auch die mit einer inhaltsgleichen Argumentation auf einen Schuldspruch zu c./ nach § 105 Abs 1 StGB abzielende Berufung wegen Schuld geht fehl.
Die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussagen ist der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darstellung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976).
Der Erstrichter unterzog die wesentlichen Verfahrensergebnisse einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung und legte mit ausführlicher Begründung überzeugend dar, wie er zu den Feststellungen über die entscheidenden Tatsachen gelangte. Hierbei konnte er sich auf die für glaubwürdig befundenen belastenden Angaben der Zeugin C* (ON 24.3,11ff) und die tatsachengeständigen Angaben des Angeklagten (ON 24.3,3ff) stützen. Indem der Berufungswerber eigene beweiswürdigende Erwägungen anstellt und darauf verweist, dass der Angeklagte das Opfer nur einmal geschlagen habe, zeigt er keine Umstände auf, die geeignet wären, die eingehende Beweiswürdigung des Erstgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholung verwiesen wird (US 6f), zu erschüttern.
Da auch das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage hat, war die Schuldberufung zu verwerfen.
Auch die aus dem Grund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO ergriffene Berufung wegen Nichtigkeit ist nicht im Recht.
Zur prozessförmigen Ausführung einer Subsumtionsrüge genügt es nicht, die angestrebte rechtliche Konsequenz zu behaupten, vielmehr ist diese methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten. Sie hat sich am gesamten wesentlichen Urteilssachverhalt zu orientieren, diesen mit dem darauf anzuwendenden Gesetz zu vergleichen und auf dieser Basis den Einwand zu entwickeln, dass dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (RIS-Justiz RS01116569).
Mit seiner bloßen Behauptung, dass die zu c./ getroffenen Feststellungen die Annahme der Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 3 StGB nicht zu tragen vermögen, übergeht der Berufungswerber prozessordnungswidrig die eine hinreichende Subsumtionsgrundlage bietenden Konstatierungen des Erstgerichts auf US 3.
Schließlich erweisen sich auch die Strafberufungen als nicht berechtigt.
Die vom Erstgericht im Wesentlichen vollständig und richtig zur Darstellung gebrachten besonderen Strafzumessungsgründe sind lediglich dahingehend zu präzisieren, dass dem Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 StGB hinsichtlich der irrigen Annahme mehrerer Verbrechen zu c./ ein marginal geringeres Gewicht beizumessen ist (RIS-Justiz RS0116878) und – wie vom Berufungswerber zutreffend aufgezeigt – die vollständige Schadensgutmachung zu seinen Gunsten ins Gewicht fällt (ON 24.3, 10, 12, 16 und Beilage ./1 ON 24.2)
Dem Berufungsvorbringen zuwider ging das Erstgericht zu Recht zu c./ nur vom Vorliegen eines nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale umfassenden Tatsachengeständnisses aus, das die Annahme eines reumütigen Geständnisses nicht zu begründen vermag (RIS-Justiz RS0091585).
Die vom Angeklagten behaupteten psychischen Probleme vermögen den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 1 StGB, der eine Tatbegehung unter dem Einfluss eines abnormalen Geisteszustandes verlangt, nicht zu verwirklichen.
Nicht zuletzt sind weder die – vom Tatrichter ohnehin thematisierten – Schicksalsschläge des Angeklagten noch seine Bereitschaft, sich einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen, für die Strafzumessung von Belang.
Bei objektiver Abwägung der vom Erstgericht aufgelisteten, geringfügig zum Vorteil des Angeklagten korrigierten Strafzumessungslage, der allgemein im Sinn des § 32 Abs 2 und 3 StGB anzustellenden Erwägungen, im Zuge derer auch die mehrfache Tatbegehung während offener Probezeit schulderhöhend Beachtung findet, und des Umstands, dass das Ausmaß der verhängten Sanktion gerade bei mehrfach einschlägig vorbestraften Rechtsbrechern in einer realistischen Relation zu Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Taten stehen muss (RIS-Justiz RS0090854), ist ausgehend von dem nach § 39 Abs 1a StGB zwingend erhöhten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht mit 20 Monaten festgesetzte Sanktion gerade noch der personalen Täterschuld des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt seiner Taten, die nach der Aktenlage keine gravierenden Tatfolgen nach sich zogen, angemessen und nicht korrekturbedürftig. Hierbei fand die von der Berufungswerberin zutreffend aufgezeigte Tatsache, dass der Angeklagte seit dem Jahr 2022 dreimal wegen einschlägiger, in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallender Vergehen verurteilt wurde, hinreichend Beachtung. Diese beharrliche Delinquenz und die Wirkungslosigkeit der bisher gewährten Rechtswohltaten stehen allerdings einer (auch nur teil-)bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe entgegen.
Zur impliziten Beschwerde:
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts erachtet das Berufungsgericht den Vollzug der mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 9. Juni 2022, AZ **, unter Anwendung des § 43 Abs 1 StGB verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe zusätzlich zu der nunmehr erstmalig zu verbüßenden Sanktion aus spezialpräventiven Gründen nicht als geboten. Es ist davon auszugehen, dass unter dem Eindruck des aktuell über längere Zeit verspürten Haftübels (Teilvollzug einer vorherigen Verurteilung zuzüglich Widerruf von 3. Oktober 2024 – demnach nach den gegenständlichen Tathandlungen - bis 18. Februar 2025; ON 12.1, ON 13.1, ON 31) der Inaussichtstellung der Verbüßung einer Haftstrafe im Falle einer neuerlichen Straffälligkeit innerhalb der (bereits mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 9. Jänner 2023, AZ **, auf das gesetzliche Höchstmaß verlängerten) Probezeit eine positive verhaltenssteuernde Wirkung beizumessen ist.
Bleibt darauf hinzuweisen, dass über die Anrechnung der seit 18. Februar 2025 erlittenen Vorhaft (ON 30) der Erstrichter gemäß § 400 Abs 1 StPO mit Beschluss zu entscheiden haben wird (RIS-Justiz RS0091624).