JudikaturOLG Wien

30Bs58/25m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht am 7. April 2025 durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 114 Abs 1 und 3 Z 2 FPG und anderer strafbarer Handlungen über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. Mai 2024, GZ ***, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin HR Mag. Riener sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Andreas Strobl durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I./2./ und II./ , demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich Vorhaftanrechnung) aufgehoben, und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld betreffend der Schuldsprüche I./1./ und III./ nicht Folge gegeben und der Angeklagte mit seiner zu I./2./ und II./ wegen Schuld erhobenen Berufung sowie jener wegen Strafe auf die Kassation verwiesen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene syrische Staatsangehörige A* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und 3 Z 2 FPG (I./1./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I./2./), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG (III./) schuldig erkannt und (ergänze:) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und aktenkonformer Vorhaftanrechnung nach dem Strafsatz des § 114 Abs 3 FPG zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in B*

I./ am 22. Juni 2022

1./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit nicht mehr ausforschbaren unbekannten Mittätern (§ 12 StGB) rechtswidrig die Einreise oder Durchreise in einen bzw durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union von mindestens drei Fremden, die allesamt über keine gültigen Reisedokumente für die Einreise in einen oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder im Schengenraum verfügen, nämlich die türkischen Staatsangehörigen C*, D* E*, F* und G* E*, von ** nach **, Deutschland, mit dem Vorsatz, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, gefördert, indem er mit dem in Deutschland abgesondert verurteilten J* nach H* fuhr, und ihn dazu bestimmte die vier genannten türkischen Staatsangehörigen mit seinem Fahrzeug in H* abzuholen und nach **, Deutschland, für einen Lohn von 700 Euro zu transportieren, was dieser auch tat;

2./ J* durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich der Entgegennahme seiner Anrufe zu nötigen versucht (§ 15 StGB), indem er diesem mehrere Textnachrichten via WhatsApp übermittelte, in welchen er schrieb: „J* du wirst für das scheis tot“, „Das Geld ist von Leute was du nie im Leben kennst“, „Sie werden dich töten“, „Warum machst du das scheiß“, „J* ich kenne dein Kind“, „Mit diese Leute ist keine spaß“, „Was du hast ist meine Geld, „Heb ab bevor was passiert“, „Sie werden deine Kind nehmen“;

II./ am 23. Juni 2022 J* gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, indem er zu K* sagte, dass dieser J* und L* ausrichten solle, dass er sich „Den J* seine Frau und sein Kind holt“,

III./ am 22. April 2023 in B* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verurteilten M* vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Ecstasy (Wirkstoff MDMA), auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, nämlich ** B*, **, öffentlich, und zwar in Anwesenheit von zumindest 15 weiteren Personen, die die Handlung wahrnehmen konnten bzw wahrnehmen hätten können, einem anderen gegen Entgelt, und zwar RevInsp N* überlassen, indem sie diesem drei Stück Ecstasy-Tabletten zu einem Preis von 45 Euro verkauften.

Gegen dieses Urteil richtet sich die mit umfassendem Anfechtungsziel angemeldete (ON 33), fristgerecht zu ON 35 wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe ausgeführte Berufung des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die aus Z 5 und Z 9 lit a des § 281 Abs 1 (iVm § 489 Abs 1) StPO ergriffene Berufung wegen Nichtigkeit ist teilweise im Recht.

Soweit die Mängelrüge zu I./1./ die das Naheverhältnis des Angeklagten zum Zeugen J* betreffenden erstgerichtlichen Feststellungen als (vermeintlich) widersprüchlich kritisiert, spricht sie keine entscheidende Tatsache an, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes bildet (RISJustiz RS0088761).

Hingegen zeigt sie zu I./2./ zutreffend einen im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO Nichtigkeit begründenden Mangel auf, indem sie auf die fehlende Begründung der vom Erstgericht konstatierten Intention des Angeklagten, J* durch die Äußerung einer gefährlichen Drohung zur Entgegennahme der Anrufe zu nötigen (US 4), hinweist (US 5ff; RIS-Justiz RS0099413).

Aus Anlass der Überprüfung des Urteils auf seine materiellrechtliche Nichtigkeit überzeugte sich das Berufungsgericht – bereits vor einer Auseinandersetzung mit den Argumenten der Schuldberufung - davon, dass das Urteil zu II./ mit dem von Amts wegen wahrzunehmenden (§§ 290 Abs 1, 471, 489 Abs 1 StPO) Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet ist.

Das Wesen einer gefährlichen Drohung liegt in der Ankündigung eines bevorstehenden Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Die Absicht des Täters richtet sich auf die Erzeugung einer entsprechenden „Erwartungsangst“ beim Bedrohten (RIS-Justiz RS0092676). Der Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung ist als Sachverhaltsgrundlage festzustellen und bildet den Bezugspunkt für die rechtliche Beurteilung. Die Wiedergabe des (exakten) Wortlauts kann allenfalls der Begründung dieser Feststellungen dienen (RIS-Justiz RS0092437 [T 4]). Abgesehen davon, dass sich dem angefochtenen Urteil keine Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt der mutmaßlich gegenüber K* getätigten Drohung entnehmen lassen und sich die zur inneren Tatseite des Angeklagten getroffenen Feststellungen in einer Wiedergabe der verba legalia erschöpfen (US 5), fehlt es an der bei Drohungen gegen Abwesende gebotenen (RISJustiz RS0093126) Feststellung, dass die Weiterleitung der Drohung vom Empfänger an den Bedrohten vom Vorsatz des Berufungswerbers umfasst war.

Da der eingangs dargelegte Begründungsmangel und der aufgezeigte Rechtsfehler die Aufhebung der Schuldsprüche I./2./ und II./ erforderlich machen, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere, diese Fakten betreffende Berufungsvorbringen.

Der (unter anderem) zu Schuldspruch I./1./ inhaltlich ausgeführten Berufung wegen Schuld gelingt es nicht, Zweifel an der nach erschöpfender Beweisaufnahme unter Einbeziehung des von allen Beteiligten in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks und unter Würdigung aller wesentlichen Ergebnisse des Beweisverfahrens vom Tatrichter hinreichend nachvollziehbar begründeten Lösung der Schuldfrage zu wecken.

Generell gilt, dass die Frage der Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen sowie der Beweiskraft ihrer Aussagen der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten ist, wobei das Gericht nur zu einer gedrängten Darstellung seiner Gründe, nicht jedoch dazu verhalten ist, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RISJustiz RS0104976).

Zu I./1./ konnte sich der Erstrichter im Wesentlichen auf die für glaubwürdig befundenen Depositionen des Zeugen J* stützen, der selbst wegen gegenständlicher Schlepperfahrt in Deutschland für schuldig befunden - kein Motiv für eine falsche Belastung des Angeklagten erkennen ließ (US 5ff) und dem Gericht detailreich schilderte, wie er mit diesem in dessen Auftrag an eine konkrete Örtlichkeit in der Stadt H* fuhr, dort vier Fremde in sein Fahrzeug aufnahm, das vereinbarte Entgelt von A* entgegennahm und auftragsgemäß versucht, die Personen über die Grenze nach Deutschland zu bringen (ON 32.1,16ff). Auch sagte der Zeuge K* aus (ON 32.1,25), für den Berufungswerber den Kontakt zu J* hergestellt zu haben (s Chatkommunikation ON 2.25.9,2ff). Die leugnende Verantwortung des Angeklagten verwarf das Erstgericht mit plausibler Begründung (US 5f). Indem der Berufungswerber auf seine Version der Geschehnisse (Tatbegehung durch uT O*) beharrt und eine aus dem Gesamtzusammenhang gerissene Aussage des J* aus dessen polizeilichen Vernehmung zitiert (ON 2.25.3,5), vermag er die nicht zuletzt angesichts der konkreten Tatumstände durchaus lebensnahe Beweiswürdigung des Erstrichters nicht zu erschüttern. Auch schließt – dem Berufungsvorbringen zuwider – die Annahme, „nicht speziell befreundet“ (US 3) und „gut bekannt“ zu sein (US 6), einander nicht aus. Zu III./ lagen die im Wesentlichen tatsachengeständigen Angaben des Angeklagten vor (ON 32.1,14), die im Einklang mit den Angaben des als Zeugen einvernommenen, abgesondert verurteilten Mittäters M* (ON 32.1,32) und den in einem Aktenvermerk festgehaltenen Wahrnehmungen des RevInsp N* (ON 2.8.10) stehen.

Da das Berufungsgericht bei der im Rahmen der Überprüfung der Beweiswürdigung in Erledigung der Schuldberufung anzustellenden Gesamtbetrachtung keinen Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Lösung der Schuldfrage betreffend der nicht von der Kassation betroffenen Fakten hat, war die Schuldberufung zu verwerfen.

In Anbetracht der mit der Aufhebung der Schuldsprüche zu I./2./ und II./ einhergegangenen Beseitigung des Strafausspruchs war der Angeklagte mit seiner Berufung wegen Strafe auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass ein „Nötigen“ im Sinn des § 105 Abs 1 StGB nur dann vorliegt, wenn eine Drohung (oder Gewaltanwendung) als Mittel der Willensbeeinflussung dazu bestimmt und geeignet ist, denjenigen, gegen den sie sich richtet, zu einem seinen wahren Intentionen nicht entsprechenden Willensakt zu zwingen. Der Täter muss (zumindest bedingt) vorsätzlich sowohl in Bezug auf den Einsatz des Nötigungsmittels als auch die Erzwingung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung agieren (13 Os 22/16h; RISJustiz RS0093760).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO, wobei sich die Ersatzpflicht nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten erstreckt ( Lendl in Fuchs/RatzWK StPO § 390a Rz 12).