8Rs26/25i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M. (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Bernhard Schuller, Rechtsanwalt in Mistelbach, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Versehrtenrente, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.11.2024, GZ **-10, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
B e g r ü n d u n g :
Mit Bescheid vom 1.3.2024 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 20.4.2023 als Arbeitsunfall sowie einen Anspruch des Klägers auf vorläufige Versehrtenrente von 20.10.2023 bis 29.02.2024 im Ausmaß von 20% der Vollrente. Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 06.03.2024 persönlich zugestellt.
Am 22.8.2024 beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Klagseinbringung gegen den Bescheid und holte gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung durch Einbringung einer Klage nach.
Er sei durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme der befristeten Prozesshandlung gehindert gewesen. Der Kläger habe den Klagevertreter am 19.3.2024 beauftragt, gegen den Bescheid vom 1.3.2024 eine Klage beim Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht einzubringen. Dieser habe die Klage verfasst und zur Versendung freigegeben. Im Handakt habe sich zuoberst die E-Mail betreffend Klagseinbringung an den Kläger befunden und darunter die unterfertigte Klage. Durch ein Versehen habe die Kanzleiangestellte lediglich die E-Mail versendet, jedoch nicht die unter diesem Schriftstück befindliche Klage. Am 11.8.2024 habe der Kläger dem Klagevertreter seine neue E-Mail-Adresse mitgeteilt und sei bei Einsicht in den Handakt am 12.8.2024 aufgefallen, dass sich die Klage ohne Sendebestätigung im Handakt befinde. Es handle sich um einen minderen Grad des Versehens der ansonsten zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Antrags. Es sei von einem grob fahrlässigen Verhalten des Klagevertreters auszugehen, zumal nicht nur der Kanzleikraft ein Versehen unterlaufen sei, sondern auch der Rechtsanwalt selbst eine Fristenkontrolle unterlassen habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurück und ab. Es legte dieser Entscheidung die auf Seiten 2 bis 3 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Feststellungen als bescheinigten Sachverhalt zugrunde.
In rechtlicher Hinsicht ging es davon aus, dem Kläger sei zwar gelungen, ein unvorhergesehenes Ereignis zu bescheinigen, der Antrag scheitere aber am Grad des Verschuldens. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten seien diesen zuzurechnen und ermöglichten eine Wiedereinsetzung nur, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen seien.
Der Klagevertreter hätte für eine nachprüfende Kontrolle sorgen müssen, sodass nicht völlig außer Evidenz geraten könne, ob eine Klage tatsächlich abgefertigt worden sei. Wenn ein Rechtsanwalt die Einrichtung eines derartigen Kontrollsystems zur Überwachung von Fristen – hier der tatsächlich fristgerechten Klagseinbringung – unterlasse, liege ein Versehen minderen Grades nicht mehr vor.
Zudem könne der Lauf der Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags bereits mit der möglichen Aufklärung des Irrtums beginnen. Es komme nicht darauf an, wann das die Versäumung verursachende Ereignis weggefallen sei, sondern wann es weggefallen sein könnte. Wäre eine kanzleiinterne Kalendierung mit vier bis acht Wochen erfolgt, um den Stand des Verfahrens bei Gericht zu prüfen, wäre das Versehen der mangelnden Abfertigung früher aufgeklärt worden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei daher letztlich zusätzlich auch als verspätet zu beurteilen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag, ihn im Sinne einer Antragsstattgabe abzuändern.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1.Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Der Umstand, dass einer Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (§ 146 Abs 1 ZPO).
Der Kläger wirft dem Erstgericht vor, eine zusätzliche Feststellung im Zusammenhang mit der festgestellten Unterlassung der Kalendierung bzw Nichteinrichtung einer nachprüfenden Kontrolle unterlassen zu haben. Das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass der Klagevertreter aufgrund der internen Erledigung und Durchführung sämtlicher notwendigen Arbeiten zur Erhebung der Klage – diese sei fertig zum Versand mittels ERV bereits im Handakt enthalten gewesen - es nicht mehr für notwendig erachtet habe, eine Kalendierung vorzunehmen.
Auch sonst sei die rechtliche Beurteilung verfehlt. Zutreffend sei, dass das versehentliche Ablegen ohne Kalendierung wäre grundsätzlich als grob fahrlässig zu beurteilen sei. Dem Erstgericht sei auch beizupflichten, dass im Allgemeinen eine Kontrolle eingerichtet werden müsse. Konkret seien aber die Agenden, die zu kalendieren gewesen seien, bereits unmittelbar nach Vorsprache des Klägers erledigt worden, sodass der Klagevertreter allenfalls leicht fahrlässig gehandelt habe. Die Klage sei schon fix und fertig zur Abfertigung übergeben worden, lediglich eine Nachkontrolle sei unterblieben.
2.Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt nur vor, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind, nicht festgestellt wurden (RS0053317 [T5]). Feststellungsmängel setzen zudem voraus, dass bereits im Verfahren erster Instanz ein entsprechendes Tatsachenvorbringen erstattet wurde (RS0053317 [T2]).
Das Erstgericht hat ohnedies festgestellt, dass die vom Klagevertreter unterfertigte Klage sowie das E-Mail an den Kläger fertig im Handakt lagen. Die weiters begehrte Feststellung, dass es der Klagevertreter nicht mehr als notwendig erachtet habe, eine Kalendierung vorzunehmen, ist nicht entscheidungserheblich. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Klagevertreter eine Kalendierung für notwendig erachtete, sondern ob eine solche geboten war.
3.Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten von Rechtsanwälten sind diesen zuzurechnen und ermöglichen eine Wiedereinsetzung nur, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen sind (RS0036813).
Ein einmaliges Versehen eines bewährten und verlässlichen Mitarbeiters steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen, wenn dem Anwalt kein Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollversehen vorgeworfen werden kann. Grobes Verschulden eines Parteienvertreters bei der Versäumung einer befristeten Prozesshandlung ist im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen (RS0111777). Ein solches wird regelmäßig darin erblickt, wenn der unterlaufene Fehler auf einer mangelhaften Organisation beruht (RS0127149). Berufsmäßige Parteienvertreter (Rechtsanwälte) unterliegen dabei dem erhöhten Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB (7 Ob 18/13t mwN = RS0127149 [T1]).
Ein Rechtsanwalt muss eine Organisation schaffen, die es ermöglicht, auch offensichtlich leicht vorkommende Versehen im Nachhinein nachvollziehen und kontrollieren zu können. Er muss dafür sorgen, dass ein zugestelltes, noch nicht ausgedrucktes und noch dazu fristauslösendes Schriftstück nicht völlig außer Evidenz geraten kann, ohne dass ihm eine Kontrolle, ob alle eingelangten Schriftstücke auch vorgelegt werden, möglich ist (RS0127149 [T2]).
Zu 8 Ob 82/99p hat der OGH ausgesprochen, dass von einem Rechtsanwalt bzw dem zuständigen Sachbearbeiter der AK nicht verlangt werden kann, dass er die tatsächliche Postabfertigung durch eine bisher verlässliche Kanzleikraft überprüft (RS0122717 [T1]).
Zur Einbringung im Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) wurde allerdings ausgesprochen, dass ein Unterbleiben der Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zur Überwachung ordnungsgemäßer Einbringung fristgebundener Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr ein solches Organisationsverschulden darstellt, das die Wiedereinsetzung ausschließt (14 Os 93/18k).
Da der Klagevertreter gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl. I Nr. 26/2012 nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am Elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet ist (RS0128266), musste er die gegenständliche Klage im ERV einbringen.
Dass beim Klagevertreter ein Kontrollsystem zur Überwachung der ordnungsgemäßen Einbringung fristgebundener Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr vorhanden wäre, wurde weder vorgebracht noch bescheinigt. Zur Einhaltung der zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht hätte der Klagsvertreter zumindest regelmäßige stichprobenartige Kontrollen gegenüber seiner Angestellten durchführen müssen.
Damit ist dem Klagevertreter – dessen Verschulden dem Kläger zuzurechnen ist (RS0111777) – ein Organisationsverschulden und somit eine über ein leichtes Versehen hinausgehende Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
Der Wiedereinsetzungsantrag wurde vom Erstgericht daher zurecht abgewiesen.
4.Wurde die Prozesshandlung durch einen Irrtum versäumt, dann beginnt nach ständiger Rechtsprechung die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dessen möglicher Aufklärung, sofern diese durch eine auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RS0036742; RS0036608). Dabei darf kein strengerer Maßstab angelegt werden als bei einer Versäumung der Frist selbst (RS0036827).
Darauf, ob der Klagevertreter eine kanzleiinterne Kalendierung des Aktes zur Prüfung des Standes des Verfahrens vornehmen hätte müssen und dann früher die mangelnde Abfertigung der Klage erkennen und aufklären hätte können, braucht nicht mehr eingegangen werden (vgl 1 Ob 101/24w).
5. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
6.Der Revisionsrekurs ist gemäß § 2 ASGG, § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (insb RS0112314 [T7,13]).