16R187/24y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden und die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. am **, **, vertreten durch Dr. Florian Knaipp, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B* Ltd.,Registernummer **, **, Malta, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 20.823,06 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 23.9.2024, **-25, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.351,52 (darin EUR 391,92 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsg ründe:
Die Beklagte ist eine Gesellschaft (Limited) maltesischen Rechts mit Sitz in Malta. Sie bietet über ihre deutschsprachigen Websites wie ** und ** in Österreich Online-Glücksspiele an. Sie besitzt zwar eine maltesische, jedoch keine österreichische Glücksspiellizenz.
Die Klägerin war als Verbraucherin auf den Websites der Beklagten registriert, akzeptierte dabei die deutschsprachigen AGB und nahm im Zeitraum von 21.7.2015 bis 8.2.2017 an Glücksspielen der Beklagten über ihre beiden Accounts bei C* und bei D* teil. Sie kannte dabei weder das österreichische Glücksspielmonopol noch wusste sie um die Rückforderbarkeit von Glücksspielverlusten. Insgesamt entstand ihr ein Verlust in Höhe von EUR 20.823,06. Die Klägerin hat den Klagsanspruch niemandem zediert.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Rückzahlung ihrer Spielverluste. Die Beklagte biete Glücksspiele in Österreich an, ohne über die nach dem österreichischen Glücksspielgesetz dafür notwendige Konzession zu verfügen. Die mit österreichischen Kunden abgeschlossenen Verträge seien daher gesetzwidrig und demnach absolut nichtig. Die Beklagte sei durch die Einzahlungen der Klägerin ungerechtfertigt bereichert, der Rückforderungsanspruch resultiere aus dem verbotenen Glücksspiel. Eine Zession habe nicht stattgefunden.
Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen Unzuständigkeit und beantragte unter Bestreitung der Klagsforderung dem Grunde nach sowie des Zinsenlaufs die Abweisung der Klage. Sie wendete die mangelnde Aktivlegitimation der Klägerin ein, weil eine Forderungsabtretung nicht ausgeschlossen werden könne. Zinsen stünden erst ab Zustellung der Klage am 4.10.2022 zu. Ihr Online-Casinoangebot biete die Beklagte in Österreich auf Basis aufrechter und gültiger Glücksspiellizenzen an, die von der maltesischen Glücksspielbehörde, der Malta Gaming Authority, ausgestellt worden seien. Die österreichische Glücksspielregulierung sei insgesamt inkohärent und unvereinbar mit dem vorrangig anwendbaren Unionsrecht, weil das „de facto Monopol“ die Dienstleistungsfreiheit beschränke. Die expansionistische Werbepraxis der de facto Monopolisten widerspreche den vom EuGH für die Werbung durch Inhaber eines staatlichen Monopols etablierten Kriterien. Die Klägerin hätte gleichsam bei der Beklagten Online-Casino gespielt, wenn diese das Glücksspiel auf Basis einer in Österreich erteilten Lizenz ausgeübt hätte. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin sei verjährt.
Als Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung wandte sie den Unterhaltungswert ihres Angebotes ein. Außerdem habe die Beklagte einen Schaden in Höhe der Klagsforderung erlitten, weil die Klägerin ihren aus § 52 Abs 5 GSpG ableitbaren Nachforschungspflichten nicht nachgekommen sei. Die Klägerin treffe das überwiegende Mitverschulden. Sie sei in den AGB und auf den Internetseiten der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass die Beklagte über eine Lizenz aus Malta, und nicht aus Österreich, verfüge.
Mit dem angefochtenen Urteil verwarf das Erstgericht – von der Beklagten unbekämpft - die Einrede der internationalen Unzuständigkeit. Im Übrigen sprach es aus, dass die Klagsforderung zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von EUR 20.823,06 sA. Unter Zugrundelegung der eingangs wiedergegebenen, im Berufungsverfahren unstrittigen Feststellungen folgerte es rechtlich, dass auf die Ansprüche der Klägerin auf Rückabwicklung nichtiger Verträge nach Art 12 Abs 1 Rom I-VO österreichisches Recht zur Anwendung komme. Nach der Rechtsprechung seien zur Durchführung verbotener Glücksspiele abgeschlossene Verträge nichtig und geleistete Einsätze bereicherungsrechtlich rückforderbar, selbst wenn der Spieler Kenntnis vom Monopol bzw. der Rückforderbarkeit gehabt habe. Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit des Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liege umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor. Auch der Oberste Gerichtshof gehe davon aus, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt nicht gegen das Unionsrecht verstoße, die Verträge mit anderen Online-Glücksspielanbietern daher nichtig seien und damit ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch bestehe. Bei einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung wegen Nichtigkeit des Vertrages stünden Zinsen unabhängig vom Verzug ab dem Tag der letzten Einzahlung zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil – allenfalls nach Verfahrenserneuerung oder -ergänzung - im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
I. Vorauszuschicken ist, dass trotz des Antrags der Beklagten, „allenfalls nach Verfahrenserneuerung oder -ergänzung“ zu entscheiden, die Entscheidung in nicht öffentlicher Sitzung zu treffen war, weil der Berufungssenat gemäß § 480 Abs 1 ZPO eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
II. Verfahrensrüge
1. Als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Beklagte zunächst, dass das Erstgericht das beantragte Sachverständigengutachten aus den Fächern Medienwesen und Werbepsychologie nicht eingeholt habe.
Ein primärer Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO könnte nur vorliegen, wenn das Erstgericht infolge Abstandnahme von beantragten Beweisaufnahmen andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt hätte ( Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 57). Hat das Erstgericht aber – wie hierzu sämtlichen in der Verfahrensrüge genannten Beweisthemen keine Feststellungen getroffen, könnte im Unterlassen der Beweisaufnahmen, vorausgesetzt diese wären rechtlich relevant, nur eine sekundäre Mangelhaftigkeit (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO) liegen, die mit der Rechtsrüge aufzugreifen wäre (vgl Pimmer aaO Rz 55, 58). Ein primärer Verfahrensmangel liegt damit nicht.
2. Die Beklagte rügt außerdem, das Erstgericht sei seiner eigenständigen Prüfpflicht der Unionsrechtskonformität des österreichischen Glückssspielmonopols nicht nachgekommen. Jedes nationale Gericht habe die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols autonom zu beurteilen, ein bloßer Verweis auf ältere Rechtsprechung genüge diesem Erfordernis nicht. Bei einer autonomen (einzelfallbezogenen) Prüfung des Sachverhalts hätte sich die Unvereinbarkeit des Glücksspielmonopols mit dem Unionsrecht ergeben.
Diese Berufungsausführungen sind ebenfalls der Rechtsrüge zuzuordnen. Unrichtig ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf, das Erstgericht hätte Beweisergebnisse aus anderen Verfahren im Sinne einer mittelbaren Beweisaufnahme verwertet. Der Verweis auf (höchstgerichtliche) Rechtsprechung ist schon begrifflich keine Verwertung solcher Beweisergebnisse. Dass in einem solchen Verweis ein Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 ZPO liege, weil das Erstgericht nicht – gemeint offenbar: gänzlich unabhängig und nach Wunsch der Beklagten abweichend von der bisherigen Rechtsprechung der Höchstgerichte – eine „eigenständige Gesamtbeurteilung des österreichischen Glücksspielmonopols“ vorgenommen hätte, ist aus Gesetz und Rechtsprechung nicht begründbar. Im Übrigen wird auch mit diesen Berufungsausführungen kein Verfahrensmangel iSd § 496 Abs 1 Z 2 ZPO dargestellt, weil nicht das Unterlassen einer Beweisaufnahme gerügt wird.
3. Die Berufungswerberin rügt außerdem Begründungsmängel, weil das Erstgericht auf bisher ergangene Entscheidungen verweise, obwohl es eine eigenständige Gesamtbeurteilung des österreichischen Glücksspielmonopols vorzunehmen und dazu klare Feststellungen zu treffen gehabt hätte. Damit macht sie ebenfalls rechtliche Feststellungsmängel geltend, die jedoch nicht vorliegen. Dazu wird auf die Behandlung der Rechtsrüge verwiesen.
Primäre Verfahrensmängel liegen somit nicht vor.
III. Rechtsrüge
1. Gegenstand der Rechtsrüge ist im Wesentlichen die Frage der von der Beklagten eingewendeten Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols nach § 3 GSpG. Damit reiht sich das vorliegende Verfahren in eine Serie von Prozessen ein, in denen österreichische Spielerinnen und Spieler von diversen im EU-Ausland ansässigen und dort konzessionierten Glücksspielunternehmen, die auch in Österreich tätig sind, jedoch über keine Konzession nach dem GSpG verfügen, ihre Spielverluste zurückfordern.
Das Berufungsgericht erachtet die diesbezüglichen Rechtsausführungen im angefochtenen Urteil für überzeugend, die in der Berufung enthaltenen Argumente hingegen für nicht stichhältig (§ 500a ZPO).
Die Berufungsausführungen können sich daher auf die folgenden Ausführungen beschränken (vgl zu einer im Wesentlichen inhaltsgleichen Argumentation der Beklagten etwa schon OLG Wien, 16 R 60/24x):
2. Der Oberste Gerichtshof hielt im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte und auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in zahlreichen aktuellen Entscheidungen fest, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt im hier relevanten Zeitraum allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (RS0130636 [T7]; jüngst 8 Ob 67/24x). In diesen Entscheidungen wird zu den von der Beklagten vorgebrachten Argumenten, ob die Beschränkungen des Angebots von Glücksspielen durch das Glücksspielgesetz die damit angestrebten Ziele des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, ebenso schon Stellung genommen wie zu jenen zur unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen, zur restriktiven Behandlung von Online-Glücksspielen im Vergleich zu Offline-Glücksspielen und zum Spielerschutz bei Ausspielungen von Video-Lotterie-Terminals (VLT). Auch die Werbepraxis der Konzessionsinhaber wurde vom Obersten Gerichtshof in mehreren Entscheidungen beurteilt (7 Ob 163/21b; 1 Ob 174/21a).
Neue, vom Obersten Gerichtshof nicht schon behandelte Aspekte oder relevante Änderungen des Sachverhalts seit den letzten höchstgerichtlichen Entscheidungen zeigt die Berufung nicht auf.Das Berufungsgericht sieht sich daher nicht veranlasst, ein weiteres Mal alle in der Berufung vorgebrachten, von der Judikatur widerlegten Argumente im Einzelnen zu entkräften und verweist betreffend die behauptete Unionsrechtswidrigkeit des im GSpG statuierten Konzessionssystems auf die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung. Relevante sekundäre Feststellungsmängel liegen in diesem Zusammenhang nicht vor.
3. Die von der Berufungswerberin behauptete mangelhafte Aufsicht und Kontrolle über die de facto Monopolisten stellt ebenfalls keinen neuen Aspekt dar. Vielmehr hat der erkennende Senat (vgl etwa 16 R 32/23b) schon festgehalten, dass § 56 GSpG vom VfGH in seinem Erkenntnis E 945/2016 für unbedenklich erachtet wurde, wobei dem der OGH folgte (10 Ob 52/16v).
4. Entgegen der Ansicht der Berufungswerberin ergibt sich aus dem Umstand, dass die Geschäftsgewinne aufgrund der geänderten Eigentümerstruktur privaten Aktionären zukämen, nicht zwingend, dass die derzeitige Ausgestaltung des österreichischen Glücksspielrechts nicht geeignet wäre, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Spieler zu schützen und der Kriminalität vorzubeugen. Feststellungen zur (unstrittigen) Eigentümerstruktur der Monopolisten waren daher nicht erforderlich (so schon etwa OLG Wien, 16 R 280/23y).
5. Die Anrechnung eines Unterhaltungswerts und/oder einer Gewinnchance kann vom Spieler nicht mit Erfolg verlangt werden (1 Ob 52/22m). Verbotenes Glücksspiel hat keinen abzugeltenden Unterhaltungswert, weil es andernfalls über den Umweg der Bereicherung doch zu einer Entgeltlichkeit und damit einer quasi-Geltung des nichtigen Vertrages kommen würde. Selbst eine Verwirklichung des Verwaltungsstraftatbestands des § 52 Abs 5 GSpG steht der Rückforderung von Verlusten nicht entgegen (9 Ob 54/22i; 7 Ob 102/22h). Auch ein Verstoß des kondizierenden Spielers gegen Treu und Glauben oder Rechtsmissbrauch ist in solchen Konstellationen nicht erkennbar (7 Ob 102/22h).6. Nach ständiger Rechtsprechung steht auch § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online-Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt (konkret § 52 Abs 5 GSpG) kommt es daher nicht an (jüngst 7 Ob 86/24h mwN; RS0016325 [T16]).
7. Die Anregung der Beklagten auf Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens war nicht aufzugreifen, weil die relevanten Prüfungskriterien vom EuGH bereits ausreichend festgelegt wurden und zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bereits umfangreiche Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch der Höchstgerichte in Österreich vorliegt (vgl etwa 4 Ob 125/18p, ebenso VwGH Ro 2020/17/0008, 1 Ob 229/20p, 3 Ob 72/21s, 9 Ob 20/21p uva). Der Oberste Gerichtshof nahm in mittlerweile zahlreichen, auch erst jüngst ergangenen, Entscheidungen dahin Stellung, dass an der bisherigen Rechtsprechung zur EU-Rechtskonformität des Glücksspielmonopols festzuhalten sei (vgl 1 Ob 229/20p; 3 Ob 72/21s; 9 Ob 20/21p uva).
Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
Da gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt, von der das Berufungsgericht nicht abweicht, ist die ordentliche Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.