JudikaturOLG Wien

8Ra72/24b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
26. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Derbolav-Arztmann und Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.BW MBA Michael Choc und Christian Römer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , Arbeitnehmerin, **, vertreten durch Mag. Andreas Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* C* D* KG , **, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 5.380,71 brutto s.A., über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse: EUR 4.628,04) gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 1.2.2024, **-35, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 877,39 (darin EUR 146,23 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klägerin begehrte EUR 5.380,71 brutto s.A. an Lohn, Feiertagsentgelt, Kündigungsentschädigung, Entgeltfortzahlung, Urlaubsersatzleistung und Sonderzahlungen aufgrund ungerechtfertigter Entlassung am 7.6.2022. Sie sei seit 29.10.2019 als Fußpflegerin (Arbeiterin) bei der Beklagten mit einer vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Wochenstunden zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.229,25 beschäftigt gewesen. Der Kollektivvertrag für Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure komme zur Anwendung. Die Klägerin sei am 7.6.2022 erkrankt und habe auch auf die Krankenstandsbestätigung der behandelnden Ärztin vertrauen dürfen. Am 4.6.2022, einem Samstag, sei die Klägerin nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Es sei nicht vereinbart gewesen, dass die Klägerin am Wochenende arbeite, was sie der Beklagten auch mitgeteilt habe.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Klägerin habe bis 3.6.2022 Pflegefreistellung in Anspruch genommen und sei bereits am 4.6.2022 trotz Aufforderung vom 3.6.2022 kommentarlos nicht zur Arbeit erschienen. Am 7.6.2022 sei die Klägerin zu Dienstbeginn einfach nicht erschienen und habe keinerlei Kommentar hinsichtlich ihres Fernbleibens abgegeben. Da zu diesem Zeitpunkt bereits Dienste und Kunden durch die Beklagte eingeteilt gewesen seien, sei durch diesen Umstand ein massiver Schaden entstanden. Die Klägerin sei für die Beklagte telefonisch nicht erreichbar gewesen, sodass mit einer Entlassung reagiert worden sei. Es bestünden sohin keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung, Kündigungsentschädigung und Sonderzahlungen, auch seien entstandene Minusstunden berechtigt bei der Endabrechnung in Abzug gebracht worden. Die 5 offenen Urlaubstage seien berücksichtigt worden. Der „Unwohlstand“ der Klägerin infolge der psychischen Belastung sei nicht am 7.6.2022 erstmals aufgetreten, sondern habe sich schon davor durch die notwendigen Betreuungstätigkeiten der Klägerin ergeben. Selbst wenn dieser zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätte, hätte sie die Beklagte bereits eine Woche davor zu informieren gehabt. Die Klägerin sei ihren Mitteilungspflichten nicht nachgekommen, was schon eine Entlassung rechtfertige.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung der begehrten EUR 5.380,71 brutto s.A..

Es traf die auf den Seiten 5 bis 9 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen , auf die verwiesen und woraus Folgendes hervorgehoben wird:

Die beklagte Partei betreibt ein etwa 70m² großes Kosmetikstudio in **.

Die Klägerin war vom 29.10.2019 an bei der beklagten Partei als Fußpflegerin beschäftigt. Zuletzt hatte sie eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich. Die Arbeitszeit war Montag bis Freitag von 09:00 Uhr bis 15:00 Uhr. Eine Vereinbarung, dass die Klägerin auch Samstag arbeite, bestand nicht. [...]

Die Klägerin ist Alleinerzieherin. Die sechsjährige Tochter der Klägerin brach sich am 26.5.2022 den Arm. Die Klägerin teilte dies umgehend der persönlich haftenden Gesellschafterin der beklagten Partei, C* D*, per Handynachricht mit. Als sich die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten am 27.5.2022 per Handynachricht nach dem Befinden der Tochter der Klägerin erkundigte, teilte ihr diese mit, dass sie den Arm nicht alleine halten könne und für drei Wochen Gips habe. Die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei äußerte in ihrer Handynachricht Verständnis für die Lage der Klägerin und ersuchte sie, ihr bis Samstag Bescheid zu geben .

Die Ärztin für Allgemeinmedizin, Dr. E*, stellte mit 27.5.2022 eine ärztliche Bestätigung aus, in der sie bestätigte, dass die Klägerin wegen Pflegebedürftigkeit eines erkrankten Angehörigen einer Freistellung vom 27.5.2022 bis voraussichtlich 3.6.2022 bedürfe. Diese übermittelte die Klägerin per Handynachricht an die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei, die sich zu diesem Zeitpunkt in Serbien befand. Die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei fragte sie, wie es danach weitergehen werde. Der Gatte der persönlich haftenden Gesellschafterin, F* D*, versuchte, die Klägerin in der Woche darauf, am 1.6.2022, zu erreichen. Die Klägerin antwortete per SMS-Nachricht, dass sie leider nicht sprechen könne, und teilte mit Nachricht vom 2.6.2022 mit, dass sie nicht in der Lage sei, zu sprechen und ersuchte um Verständnis. Am 3.6.2022 übermittelte die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten um 20:35 Uhr, eine Nachricht an die Klägerin, in der sie mitteilte, da mit diesem Tag der Pflegeurlaub ende und keine Antwort oder Rückruf passiert sei, erwarteten sie die Klägerin am 4.6.2022 auf ihrem Arbeitsplatz, um 10:00 Uhr. Die Klägerin antwortete hierauf mit Nachricht, um 20:45 Uhr, in der sie sich entschuldigte und anführte, sie habe geantwortet und sich gemeldet. Am nächsten Tag sei Samstag und sie arbeite normalerweise am Samstag nicht.

Die Klägerin begab sich am 4.6.2022 nicht in das Kosmetikstudio der beklagten Partei. Am 6.6.2022 war Feiertag (Pfingstmontag). Der Klägerin ging es psychisch und seelisch sehr schlecht. Und sie suchte deshalb die behandelnde Ärztin auf, wo sie ab 08:10 Uhr wartete. An die beklagte Partei wandte sie sich nicht.

Am 7.6.2022, um 09:00 Uhr, übermittelte die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei, C* D*, eine Nachricht an die Klägerin, die lautet wie folgt:

„Sehr geehrte Frau A*,

da Sie heute am Arbeitsplatz nicht erschienen sind und sich bis heute absolut nicht gemeldet haben kündigen wir Sie mit sofortiger Wirkung fristlos (7.6.2021). Wir senden Ihnen die Kündigung per Postweg zu.

Wir bitten Sie alle Gegenstände die im Eigentum der Firma bis 9.7.2022 zurückzugeben (Schlüssel, Arbeitskleidung ….).

Mit freundlichen Grüßen

C* D*“

Die Klägerin antwortete hierauf mit einer Nachricht, in der sie mitteilte, dass sie beim Arzt sei, dies sei der Grund, weshalb sie sich nicht gemeldet habe. Ihr Krankenstand würde heute beginnen. Hierauf antwortete die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei, dass es die Verpflichtung der Klägerin sei, sich in der Früh gleich zu melden, somit sei die Kündigung rechtskräftig.

Die Klägerin schilderte der behandelnden Ärztin selbst ihren Zustand. Die Ärztin hörte die Klägerin an, führte eine Blutabnahme durch und stellte daraufhin die Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 7.6.2022 aus, in der festgehalten ist, dass die Klägerin für 10.6.2022 wiederbestellt ist. Als die Klägerin die Arbeitsunfähigkeitsmeldung erhielt, ging sie davon aus, dass sie deshalb, weil sie sich nicht wohl fühlte und psychisch sehr belastet war, im Krankenstand sei. Die Klägerin war zu dieser Zeit psychisch belastet und es ging ihr sehr schlecht.

Nachdem die Klägerin die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung erhalten hatte, die als Wiederbestellungsdatum den 10.6.2022 aufweist, übermittelte sie diese gemeinsam mit der Arztbestätigung zur Vorlage, in der der Ordinationsbesuch am 7.6.2022, von 08:10 Uhr bis 10:30 Uhr, bestätigt wurde, per Handy an die persönlich haftende Gesellschafterin der beklagten Partei. [...]

Rechtlich folgerte das Erstgericht, die Klägerin habe gemäß der vereinbarten Arbeitszeit, Montag bis Freitag 09:00 Uhr bis 15:00 Uhr gearbeitet. Die laut Vereinbarung vom Jahr 2020 bis Februar 2022 aufgelaufenen 28,5 Minusstunden seien im Klagebegehren berücksichtigt und abgezogen. Tatsächlich darüber hinausgehende geringer erbrachte Arbeitszeit könne hier nicht mehr geltend gemacht werden. Die Beklagte habe die Pflegefreistellung der Klägerin zur Kenntnis genommen, als sie die Klägerin zunächst zum Dienstantritt am 4.6.2022, einem Samstag, aufgefordert hatte. Eine Abänderung der Vereinbarung über die Arbeitszeit sei nicht getroffen worden. Der nächste Arbeitstag sei sohin der 7.6.2022 gewesen. Hier sei die Klägerin in gesundheitlich schlechter Verfassung gewesen und habe die Ärztin aufgesucht, die die Arbeitsunfähigkeit nach Untersuchung der Klägerin bestätigt und nach Wiederbestellung weiter bestätigt habe. Die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt psychisch sehr belastet gewesen und habe die eigene Arbeitsunfähigkeit erkannt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens habe unterbleiben können, da es sich um eine Rechtsfrage handle. Die Klägerin habe auf diese Bestätigung vertrauen dürfen, da die Arbeitsunfähigkeit bei von ihr selbst erkannten Symptomen durch die behandelnde Ärztin nach Untersuchung bestätigt worden sei. Die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten habe die Entlassung ausgesprochen, weil die Klägerin am 7.6.2022 nicht zum Dienst erschienen sei. Zum Zeitpunkt des Dienstbeginns um 09:00 Uhr sei diese bereits seit 08:10 Uhr bei der Ärztin gewesen, weil sie sich unwohl gefühlt habe. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeit sei die Klägerin für diesen Tag auch entschuldigt. Da sie sich noch in der Ordination aufgehalten habe, sei die Krankmeldung durch Antwort auf das SMS der Beklagten als rechtzeitig anzusehen. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehe am 7.6.2022 zu Recht.

Vor Ausspruch einer Entlassung müsse der Arbeitnehmer idR ermahnt oder wiederholt zur Erfüllung seiner Pflichten aufgefordert worden sein. Gemäß § 82 lit f GewO könne der Dienstnehmer ohne Kündigung sofort entlassen werden, wenn er die Arbeit unbefugt verlasse oder beharrlich seine Pflichten vernachlässige. Dazu zähle auch das pflichtwidrige und schuldhafte Nichteinhalten der pflichtgemäßen Arbeitszeit. Ein Arbeiter habe die Arbeit unbefugt verlassen, wenn er ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlasse. Darunter falle auch das pflichtwidrige Nichterscheinen zur Arbeit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit. Dabei setze der Entlassungsgrund nicht nur eine erhebliche und pflichtwidrige, sondern auch eine schuldhafte Arbeitsversäumnis voraus. Wesentlich sei, dass das Verhalten des Arbeitnehmers die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Zeitpunkt des nächsten Kündigungstermins für den Dienstgeber unzumutbar mache. Die Klägerin habe den Dienst am 7.6.2022 nicht angetreten. Hier liege jedoch ein Entschuldigungsgrund vor. Auch habe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung noch kein Unterlassen der Dienstleistung während einer den Umständen nach erheblichen Zeit bestanden. Durch eine unberechtigte Entlassung werde das Dienstverhältnis vorzeitig beendet, der Arbeitnehmer behalte dennoch gemäß § 1162b ABGB unbeschadet weitergehender Schadenersatzansprüche seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit oder durch ordnungsgemäße Kündigung hätte verstreichen müssen. Auch bleibe gemäß § 5 EFZG der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen. Da die Entlassung der Klägerin ohne wichtigen Grund ausgesprochen worden sei, bestünden die erhobenen Ansprüche insgesamt gemäß der nicht substantiiert bestrittenen Berechnung der Klägerin unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen und des vereinbarten Abzugs für Minusstunden zu Recht.

Gegen den Zuspruch von EUR 4.628,04 richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Klagsabweisung - erkennbar im angefochtenen Umfang von EUR 4.628,04 - gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Mit der Mängelrüge rügt die Beklagte zusammengefasst die unterlassene Einholung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens dazu, dass der Klägerin ihre eigene Arbeitsfähigkeit bewusst gewesen sei bzw habe bewusst sein müssen. Aus den Urteilsfeststellungen ergebe sich nicht, ob die Klägerin tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei sowie, ob sie allenfalls trotz Arbeitsfähigkeit auf ihre eigene Arbeitsunfähigkeit habe vertrauen dürfen. Die Einholung des Gutachtens hätte zu dem Ergebnis geführt, dass die Klägerin tatsächlich nicht arbeitsunfähig gewesen sei und aufgrund ihres guten Gesundheitszustands, der ihr die Durchführung umfassender Pflege- und Betreuungsmaßnahmen erlaubt habe, auch nicht von ihrer eigenen Arbeitsunfähigkeit habe ausgehen dürfen. Aufgrund des Gutachtens wäre Folgendes festzustellen: „ Die Klägerin schilderte der behandelnden Ärztin selbst ihren Zustand. Die Ärztin hörte die Klägerin an, führte eine Blutabnahme durch und stellte daraufhin die Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 7.6.2022 aus, in der festgehalten ist, dass die Klägerin für 10.6.2022 wiederbestellt ist. Die Klägerin war in der Lage, umfassender Pflege- und Betreuungsmaßnahmen durchzuführen und sohin auch nicht arbeitsunfähig. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die bescheinigende Ärztin zu diesem Umstand informierte. Ebenso gab die Klägerin gegenüber der Ärztin einen unrichtigen Arbeitsunfähigkeitszeitraum bis 15.7.2022 an. Aufgrund ihres eigenen Gesundheitszustands, der ihr dies ermöglichte, und dessen Kenntnis durfte sie auch - trotz ärztlicher Bescheinigung - nicht davon ausgehen, dass sie arbeitsunfähig sei.“ Daraus ergebe sich, dass die Klägerin trotz Arbeitsfähigkeit aus eigenem Verschulden der Dienstverrichtung ferngeblieben gewesen sei, was wiederum zur Berechtigung der Entlassung und zur Abweisung des Klagebegehrens hinsichtlich der daran gebundenen Anspruchsteile von EUR 4.628,04 geführt hätte.

Die Beklagte hat - zunächst zwar nur zum Beweis der Arbeitsfähigkeit der Klägerin ab 7.6.2022 - die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin beantragt (S 14 in ON 13). In der Folge hat sie vorgebracht, dass sich die Klägerin nicht auf die Krankenstandsbestätigung berufen könne, weil ihr die eigene Arbeitsfähigkeit bewusst gewesen sei und sie die Fähigkeit zur Leistung umfassender Betreuungstätigkeiten im Arbeitsunfähigkeitszeitraum angegeben habe. Darüber hinaus habe die Klägerin der Ärztin gegenüber Falschangaben über das Ende der Arbeitsunfähigkeit getätigt. Auch daraus ergebe sich, dass sich die Klägerin nicht auf die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung verlassen habe können. Als Beweis bot die Beklagte neben der erfolgten Einvernahme der Klägerin das bereits beantragte Gutachten an (S 1f in ON 33).

Eine Relevanz der vermissten Einholung des beantragten Gutachtens vermag die Berufung jedoch nicht dazutun.

Der Mängelrüge kann schon deshalb keine Berechtigung zukommen, da sich auch aus den aufgrund des vermissten Gutachtens laut Berufung zu treffenden Feststellungen eine gerechtfertigte Entlassung nicht ableiten ließe: Auf eine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit der Klägerin kommt es hier nämlich – wie noch auszuführen sein wird - rechtlich nicht entscheidend an. Ob die Klägerin trotz ärztlicher Bescheinigung nicht davon ausgehen durfte, dass sie arbeitsunfähig sei, stellt hier aber – wie das Erstgericht richtig ausführte – keine von einem medizinischen Sachverständigen, sondern eine vom Gericht zu klärende Rechtsfrage dar.

Dass sich die Klägerin im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung ihrer Arbeitsfähigkeit bewusst gewesen wäre, lässt sich der Aussage der Klägerin nicht entnehmen. Worin eine Falschangabe „über das Ende der Arbeitsunfähigkeit“ gegenüber der Ärztin gelegen sein soll, ist nicht ersichtlich. Tatsächlich hat die Klägerin zu ihrem Gesundheitszustand angegeben, dass sie ab dem Tag, an dem sie beim Arzt bzw der Ärztin gewesen sei, krank gewesen sei. Sie schilderte, dass sie an dem Tag, dem 7.6.2022, fix und fertig gewesen sei und auch erbrochen habe (S 4 und 7 in ON 13). Es sei ihr psychisch und seelisch sehr schlecht gegangen. Wenn auch die Klägerin – worauf die Berufung Bezug zu nehmen scheint - die Frage des Beklagtenvertreters, ob sie sich „arbeitsunfähig“ gefühlt habe, zunächst – offenbar bloß missverstehend - verneinte, stellte sie dies unmittelbar in der Folge richtig, indem sie die klarstellende Nachfrage ihres Vertreters, ob sie sich krank gefühlt habe, eindeutig bejahte (S 4 in ON 28).

Im Übrigen wurde nunmehr unstrittig die Entlassung der Klägerin am 7.6.2022 um 9.00 durch Übersendung einer Nachricht ausgesprochen, also genau zu ihrem Dienstbeginn an ihrem ersten Arbeitstag nach ihrer gerechtfertigten Abwesenheit und eines Wochenendes samt anschließendem Feiertag. Zu diesem Zeitpunkt war sie daher einerseits gerade noch nicht einmal ihrem Dienst fern geblieben und befand sich darüber hinaus (unstrittig) seit 8.10 Uhr in der Ordination ihrer behandelnden Ärztin zur Vorsprache und Untersuchung, somit zur Abklärung ihrer Arbeitsunfähigkeit. Schon diese Umstände sprechen – rechtlich – gegen die Berechtigung zum Ausspruch der Entlassung.

Mit der Beweisrüge bekämpft die Beklagte die bei der auszugsweisen Wiedergabe des festgestellten Sachverhalts unterstrichenen Feststellungen und begehrt statt dessen – wie schon zur Mängelrüge - folgende: „ Die Klägerin schilderte der behandelnden Ärztin selbst ihren Zustand. Die Ärztin hörte die Klägerin an, führte eine Blutabnahme durch und stellte daraufhin die Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 7.6.2022 aus, in der festgehalten ist, dass die Klägerin für 10.6.2022 wiederbestellt ist. Die Klägerin war in der Lage, umfassende Pflege- und Betreuungsmaßnahmen durchzuführen und sohin auch nicht arbeitsunfähig. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die bescheinigende Ärztin zu diesem Umstand informierte. Ebenso gab die Klägerin gegenüber der Ärztin einen unrichtigen Arbeitsunfähigkeitszeitraum bis 15.7.2022 an. Aufgrund ihres eigenen Gesundheitszustands, der ihr dies ermöglichte, und dessen Kenntnis durfte sie auch - trotz ärztlicher Bescheinigung - nicht davon ausgehen, dass sie arbeitsunfähig sei.“

Das Gericht hat gemäß § 272 Abs 1 ZPO unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine tatsächliche Angabe für wahr zu halten sei oder nicht. Es gehört also zum Wesen der freien Beweiswürdigung des Gerichts, sich für eine Darstellung aufgrund seiner Überzeugung, dass diese Glaubwürdigkeit beanspruchen kann, zu entscheiden (RS0043175). Die Beweiswürdigung kann erst dann erfolgreich angefochten werden, wenn stichhaltige Gründe ins Treffen geführt werden, die erheblichen Zweifel an den vom Erstgericht vorgenommenen Schlussfolgerungen rechtfertigen könnten. Die freie Beweiswürdigung erfordert lediglich – ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln - , dass sich das erkennende Gericht mit den von ihm aufgenommenen Beweisen auseinandersetzt und begründet, warum die von ihm festgestellten Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen wurden ( Rechberger in Fasching/Konecny³, III/1, Rz 1 ff zu § 272 ZPO). Im Rahmen einer Beweisrüge hat die Rechtsmittelwerberin daher insbesondere aufzuzeigen, durch welche Überschreitung des dem Gericht gemäß § 272 Abs 1 ZPO eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielraums die genannte Verfahrensbestimmung verletzt worden sein soll ( Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5Rz 15 zu § 471 ZPO). Dies gelingt der Berufungswerberin nicht.

Das Erstgericht hat im Einklang mit den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung die von ihm getroffenen, so auch die bekämpften Feststellungen begründet. Daran vermag die Berufungswerberin keine hinreichenden Bedenken zu erwecken.

Wie auch die Berufung zugesteht, hat das Erstgericht die bekämpften Feststellungen im Wesentlichen auf die Aussage der Klägerin gestützt. Aus dieser ergibt sich jedoch eindeutig, dass die behandelnde Ärztin die Krankenstandsbestätigung keineswegs nur aufgrund der Angaben der Klägerin ausstellte, sondern aufgrund eines persönlichen Gesprächs samt Blutabnahme und Blutzuckermessung womit sie einen unmittelbaren fachkundigen Eindruck gewinnen konnte. Somit gelangte sie aufgrund unmittelbar gewonnener Anamneseerhebung und Untersuchung zur Bejahung der Arbeitsunfähigkeit und Bestätigung des Krankenstands.

Hinreichende Hinweise darauf, dass die Klägerin auf diese von Ärztin ausgestellte Krankenstandsbestätigung nicht vertraut hätte, haben sich im Beweisverfahren nicht ergeben und hätten – im Übrigen auch - durch das vermisste medizinische Gutachten nicht erwiesen werden können. Wie zur Mängelrüge ausgeführt, ergibt sich aus der Aussage der Klägerin nicht, sie selbst wäre tatsächlich von ihrer Arbeitsfähigkeit ausgegangen. Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin bemüht war, ihrer mütterlichen Pflicht zur Betreuung ihrer verletzten minderjährigen, immerhin bereits sechsjährigen Tochter nachzukommen; vielmehr habe sie dies schwer belastet.

Immerhin wurde der Krankenstand der Klägerin auch von der Österreichischen Gesundheitskasse vom 7.6.2022 bis 15.7.2022 ausdrücklich anerkannt (./E).

Ob die Klägerin auf die Richtigkeit der Bestätigung vertrauen durfte, stellt hier aber – wie ausgeführt – eine vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage dar.

Insgesamt vermag die Berufung keine hinreichenden Bedenken an der Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erwecken, sodass das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts übernimmt und seiner Entscheidung zu Grunde legt.

Mit der Rechtsrüge vermisst die Beklagte zusammengefasst zunächst als sekundären Feststellungsmangel Feststellungen dazu, ob die Klägerin zum betreffenden Zeitpunkt tatsächlich arbeitsunfähig war und ob sie allenfalls trotz Arbeitsfähigkeit auf ihre eigene Arbeitsunfähigkeit habe vertrauen dürfen. Das Erstgericht gehe davon aus, dass für den Nichtantritt des Dienstes am 7.6.2022 ein Entschuldigungsgrund vorgelegen und sohin die Entlassung unberechtigt erfolgt sei. Unter Zugrundelegung der – wie auch schon mit Mängel- und Beweisrüge - begehrten Feststellungen wäre nach der Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Klägerin trotz Arbeitsfähigkeit aus eigenem Verschulden der Dienstverrichtung ferngeblieben sei, was wiederum zur Berechtigung der Entlassung und der Abweisung des Klagebegehrens hinsichtlich der daran gebundenen Anspruchsteile von EUR 4.628,04 geführt hätte. Aus den Feststellungen ergebe sich nicht, dass die Klägerin zum betreffenden Zeitpunkt tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei oder allenfalls trotz Arbeitsfähigkeit auf ihre eigene Arbeitsunfähigkeit habe vertrauen dürfen. Nur bei Vorliegen einer dieser beiden Umstände wäre von einem Entschuldigungsgrund auszugehen. Die Beklagte habe vorgebracht, dass der Unwohlstand infolge der psychischen Belastung nicht am 7.6.2022 erstmals aufgetreten sei, sondern sich schon davor durch die notwendigen Betreuungstätigkeiten der Klägerin ergeben habe. Selbst wenn dieser zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe, hätte die Klägerin die Beklagte bereits in der Woche davor zu informieren gehabt, was dieser die Möglichkeit zu disponieren gegeben hätte; die Klägerin sei ihren Mitteilungspflichten nicht nachgekommen, was schon alleine eine Entlassung rechtfertige.

Auch die Berufungsausführungen zu diesem Berufungsgrund überzeugen nicht.

Der in der Rechtsrüge geltend gemachte Vorwurf des Vorliegens eines Feststellungsmangels (dass das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen und notwendige Beweise nicht aufgenommen habe) kann grundsätzlich dann nicht erfolgreich erhoben werden, wenn zu einem bestimmten Thema – wie hier insbesondere zu dem von der Klägerin empfundenen Gesundheitszustand - ohnehin Feststellungen getroffen wurden, diese den Vorstellungen der Rechtsmittelwerberin aber zuwiderlaufen (RS0043320 [T16]).

Der Entlassungstatbestand des § 82 lit f GewO ist im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen. Demnach hat ein Arbeiter die Arbeit unbefugt verlassen, wenn er ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterlässt. Darunter fällt auch das pflichtwidrige Nichterscheinen zur Arbeit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit (RS0029517 [T4]).

Wie bereits zur Mängelrüge angeführt, erweist sich hier die Entlassung der Klägerin schon deshalb als ungerechtfertigt, da sie im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung noch gar nicht von ihrem Dienst ferngeblieben war, schon gar nicht eine erhebliche Zeit.

Im Übrigen ist das Fernbleiben eines Arbeitnehmers vom Dienst nicht nur dann entschuldigt, wenn er - objektiv betrachtet - arbeitsunfähig war, sondern auch dann, wenn er von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt in Krankenstand genommen wurde, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung gegeben gewesen sein mag, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bescheinigung vertrauen durfte. Dem Arbeitnehmer muss in dieser Situation in aller Regel (aber nicht ausnahmslos) der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gelangt. Bei diesen Regeln handelt es sich aber um Erfahrungssätze, die dem Arbeitgeber nicht das Recht nehmen, den Beweis anzutreten, dass der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Krankenstandsbescheinigung arbeitsfähig war und davon auch Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben müsste; dies wäre etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer die ärztliche Bestätigung durch bewusst unrichtige Angabe gegenüber dem Arzt erwirkt hätte (RS0028875).

Derartiges lässt sich dem festgestellten Sachverhalt hier aber nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus diesem, dass es der Klägerin tatsächlich sehr schlecht ging, sie sich also krank fühlte und deshalb ihre Ärztin aufsuchte. Die ärztliche Bestätigung des Krankenstands der Klägerin erfolgte aufgrund einer Untersuchung durch die behandelnde Ärztin. Dass die Klägerin tatsächlich nicht auf die Richtigkeit der ärztlichen Bestätigung vertraute, ergibt sich daraus nicht. Ebenso wenig finden sich in den Feststellungen Anhaltspunkte für die rechtliche Ansicht der Berufungswerberin, dass die Klägerin auf die Richtigkeit dieser Bestätigung nicht hätte vertrauen dürfen, ging es ihr doch tatsächlich sehr schlecht.

Richtig ist, dass jeden Arbeitnehmer, der einen ihm bekannten Rechtfertigungsgrund für ein an sich pflichtwidriges Verhalten dem Arbeitgeber trotz bestehender Möglichkeit nicht (rechtzeitig) bekannt gibt, ein Mitverschulden an seiner Entlassung treffen kann, wenn sie der Arbeitgeber bei Kenntnis des Rechtfertigungsgrundes aller Voraussicht nach nicht ausgesprochen hätte (RS0101991). Gerade dies lag hier aber nicht vor. Anders als in dem von der Berufung zitierten Fall (8 ObA 2058/96x verbindlich einzuhaltende 30-Tage-Trauerregel) ließ hier die Klägerin am ersten Tag nach ihrer gerechtfertigten Abwesenheit und einem Wochenende samt Feiertag den von ihr konkret an diesem Tag empfundenen schlechten Gesundheitszustand von ihrer behandelnden Ärztin erst abklären; wobei sie die Ordination ohnehin schon vor Dienstbeginn aufgesucht hatte.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen; ohne, dass es weiterer Feststellungen bedarf.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Die ordentliche Revision war mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen. Die Beurteilung, ob ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.