9Ra102/24x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richterin Mag. Dr. Vogler und den Richter Mag. Falmbigl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Holzer und Mag. Reinhold Wipfel in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. Bernhard Folta, Rechtsanwalt in Baden, gegen die beklagte Partei B* AG , **, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen Kündigungsanfechtung , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.9.2024, **-22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten der Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am ** geborene Kläger war seit 25.10.2000 bei der Beklagten in der Produktion als Maschinenführer beschäftigt und erzielte ein Bruttoeinkommen von EUR 4.500, 14 Mal jährlich. Er wurde mit Schreiben vom 22.1. zum 31.5.2024 gekündigt.
Der Klägerficht die Kündigung wegen Motivwidrigkeit gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG und Sozialwidrigkeit gem § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an. Er sei gekündigt worden, weil er im Oktober 2025 sein 25-jähriges Firmenjubiläum vollenden würde und ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf eine Abfertigung von 12 Brutto-Monatsgehältern haben würde. Durch die Kündigung würden seine wesentlichen Interessen beeinträchtigt. Er sei zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf seinen Arbeitsplatz angewiesen und habe geringe Möglichkeiten, einen neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden.
Die Beklagte wendet ein, es liege keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung vor. Der Kläger sei wegen wiederholter Dienstpflichtverletzungen, nämlich unbefugtem Verlassen seines Arbeitsplatzes, gekündigt worden. Trotz vier Abmahnungen habe er sein Verhalten nicht geändert, und unter anderem einen mehrtägigen Ausfall der Maschinenanlage verursacht. Es wäre sogar eine Entlassung gerechtfertigt gewesen. Davon habe die Beklagte nur zur Wahrung der bisherigen Abfertigungsanwartschaften zu Gunsten des Klägers abgesehen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung gerichtete Klagebegehren ab.
Es legte dieser Entscheidung die aus den Seiten 4 bis 9 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen zugrunde, auf die verwiesen wird.
Daraus wird hervorgehoben:
„Der Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder, eine 27-jährige berufstätige Tochter, eine 18-jährige Tochter, die noch zur Schule geht und einen 9-jährigen Sohn. Er wohnt mit seiner Ehegattin und zwei seiner Kinder in einem Einfamilienhaus, das im Eigentum seiner Frau steht. Die Ehefrau war noch nie berufstätig und verfügt über kein eigenes Einkommen.
Die monatlichen Fixkosten belaufen sich auf EUR 191,-- für Strom, EUR 470,-- für Gas, EUR 193,-- für Telefon und Internet, wobei dabei auch die Telefonkosten der Kinder des Klägers enthalten sind, EUR 230,-- für die Schuldentilgung von Schulden der Ehegattin, EUR 160,-- für die Hortbetreuung des mj Sohns, EUR 146,-- für das KFZ der Ehegattin, EUR 34,-- für das eigene KFZ, EUR 17,00 für eine C*- Mitgliedschaft, rund EUR 50,-- an Kosten für Warmwasser, EUR 16,50 an Kanalkosten, EUR 11,-- an Kosten für die Müllentsorgung, EUR 50,-- an Grundsteuer, EUR 55,-- für eine Brillenversicherung, EUR 50,-- für eine Haushaltsversicherung, EUR 57,-- für eine Rechtsschutzversicherung, EUR 62,-- für eine private Krankenversicherung für den mj Sohn, EUR 150,-- für eine Ablebensversicherung, EUR 135,-- für eine private Unfallversicherung, EUR 39,-- für Leistungen des Roten Kreuz, EUR 12,-- für ein Zeitungsabo und daneben noch rund EUR 1.350,-- für den sonstigen Lebensunterhalt (Lebensmittel, Tankkosten, Bekleidung, Haushalt,...). Der Kläger hat somit monatliche Aufwendung von € 3.318,50.
Als Linienführer hatte er Mitarbeiter zu beaufsichtigen. Durch seine Tätigkeit brachte er zuletzt monatlich einen Grundbezug von EUR 2.898,-- brutto ins Verdienen. Daneben erhielt er mehrdienstabhängige Zulagen, Schwerarbeits- und Nachtzulagen, Urlaubszulagen, Sonn- und Feiertagszulagen, eine Abfüllzulage, eine Ausgleichszulage, eine Weihnachtszuwendung, Urlaubsgeld, Weihnachtsremuneration und leistete zahlreiche Überstunden. Somit kam der Kläger zuletzt auf ein durchschnittliches Monatseinkommen von ca EUR 3.300,-- netto monatlich.
Im Betrieb der Beklagten sind aufgrund der Tätigkeit in der Lebensmittelproduktion strenge Hygienevorschriften vorgesehen. Dabei ist der Betrieb in verschiedene Bereiche aufgeteilt, sogenannte schwarze und weiße Zonen. Weiße Zonen sind Produktionsbereiche von Lebensmitteln, wobei in diesen auf die entsprechenden Hygienevorschriften zu achten ist, dabei ist dort auch eine spezielle Hygienekleidung zu tragen. In den schwarzen Zonen ist das tragen der Hygienekleidung nicht vorgesehen, diese können mit Straßenkleidung betreten werden – dazu zählen auch sämtliche Außenbereiche. Der Kläger erhielt als Teil des Produktionspersonals wiederholt Schulungen zu den Hygienevorschriften, wo insbesondere auch auf das Ess-, Trink- und Rauchverbot im Produktionsbereich hingewiesen wurde. Darüber hinaus waren diese Regeln im gesamten Betrieb plakatiert und wurde mittels Piktogrammen auf die Verbote hingewiesen.
Der Kläger hielt sich nicht an die betriebsinternen Vorschriften. Während des aufrechten Dienstverhältnisses kam es zu vier Abmahnung des Klägers durch die Beklagte aufgrund von Dienstpflichtverletzungen. Eine erste Abmahnung wurde am 22.6.2021 ausgesprochen, weil der Kläger am 18.6.2021 ohne Absprache seinen Arbeitsplatz verließ. Es kam dadurch zu einem mehrtägigen Betriebsausfall der Produktionslinie. Der Vorfall selbst hätte auch bei vorgeschriebener Anwesenheit des Klägers nicht verhindert werden können, da ein Verklemmen der Flaschen in der Produktionsstraße immer wieder vorkommt, jedoch hätte bei schnellem und vorschriftsmäßigem Einschreiten des Klägers der Schaden oder der Produktionsausfall geringer gehalten werden können. Die Abmahnung wurde am 22.6.2021 persönlich übergeben und der Kläger hat die Übernahme mit Unterschrift bestätigt.
Eine zweite Abmahnung erfolgte 12.10.2022. Der Kläger verstieß gegen die Hygieneordnung, als er unerlaubterweise im Bereich der Müllrampe einen Kaffee trank, ohne dabei seine Arbeitskleidung abzulegen. Befindet sich ein Produktionsmitarbeiter in seiner Arbeitskleidung im Bereich der Müllrampe außerhalb der Schleuse, verletzt dieser damit die Hygieneordnung. Die Abmahnung wurde noch am selben Tag übergeben und der Kläger bestätigte die Übernahme mit Unterschrift.
Die dritte Abmahnung wurde am 2.10.2023 vom Vorgesetzten D* schriftlich übergeben. Der Kläger verließ unerlaubt den Arbeitsplatz und war nicht auffindbar. Er hielt sich im Bereich der Müllrampe auf, obwohl er kurz zuvor mündlich von D* darauf hingewiesen wurde, dass ein unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes untersagt ist und der Aufenthalt im Bereich der Müllrampe aus Sicherheitsgründen verboten ist. Ihm wurde durch den Verantwortlichen D* dargelegt, dass eine Kündigung im Raum stehe. Auch die Übernahme dieser Abmahnung hat der Kläger mittels Unterschrift bestätigt. Die Kündigung wurde nicht eingeleitet, es wurde dem Kläger angedroht, dass bei der nächsten Verfehlung jedenfalls die Kündigung ausgesprochen wird.
Die vierte Abmahnung erfolgte am 12.1.2024. Der Kläger war 3 Stunden lang nicht an seinem Arbeitsplatz. Er war für Reinigungsarbeiten an der Produktionsstraße und Vorbereitungsarbeiten eingeteilt, wobei ihn der Schichtleiter bereits über 1,5 Stunden nicht auffinden bzw erreichen konnte. Dieser verständigte D*, der den Kläger erst über eine halbe Stunde später auffinden konnte und sodann mit den Vorwürfen des unerlaubten Entfernens vom Arbeitsplatz und dem Verstoß gegen die Hygienevorschriften konfrontierte. Die schriftliche Abmahnung wurde vom Schichtleiter E* ausgefertigt. Die Produktion konnte aufgrund des Fernbleibens des Klägers vom Arbeitsplatz erst verspätet gestartet werden. Dem Kläger wurde mündlich mitgeteilt, dass nunmehr das Kündigungsverfahren eingeleitet wird.
Die Kündigung wurde nach Durchführung des internen Kündigungsverfahrens und nach der Information an den Betriebsrat am 22.1.2024 unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zum 31.5.2024 ausgesprochen.
Aufgrund des Alters des Klägers, seines Werdegangs und aufgrund der aktuellen Situation am Arbeitsmarkt ist der Kläger als durchschnittlich vermittelbar zu beurteilen, hat mit einer Arbeitssuchdauer von maximal vier bis sechs Monaten zu rechnen und muss mit einer mit 14,5 % begrenzten Einkommenseinbuße im Vergleich zum letzten Bruttomonatsgehalt rechnen.“
In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, durch die Kündigung seien wesentliche Interessen des Klägers nicht beeinträchtigt, sodass die Kündigung nicht sozialwidrig sei. Ausgehend von einem bisherigen Einkommen von EUR 2.898 brutto zuzüglich einer Zulage von EUR 144,90 (14 mal jährlich), in Summe also EUR 3.042,90 brutto, ergebe sich eine Einkommenseinbuße von 14,5 %, die deutlich unter der von der Rechtsprechung geforderten von 20 % liege. Darüber hinaus lägen aufgrund der mehrfachen Pflichtverletzungen im Rahmen der Arbeitsverrichtung auch Gründe in der Person des Klägers vor, die die betrieblichen Interessen nachteilig berührten.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, in eventu, es aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. In seiner einzig erhobenen Rechtsrüge wendet sich der Kläger gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung und somit keine Sozialwidrigkeit vorliege.
Bei der Prüfung des Vorliegens einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung bzw der Beurteilung der Einkommenseinbußen sei nicht auf starre Prozentsätze abzustellen, sondern seien die Umstände des Einzelfalls zu beachten.
Beim Kläger sei insbesondere zu berücksichtigen:
Die in der Abmahnung vom 12.1.2024 angeführten Gründe bzw die davor ausgesprochenen Abmahnungen könnten aufgrund des Unverzüglichkeitsgrundsatzes nicht als personenbezogene Kündigungsgründe herangezogen werden.
Die durchzuführende Interessenabwägung gehe zu Gunsten des Klägers aus; es sei von einem Überwiegen seiner Arbeitnehmerinteressen auszugehen.
2.Dass keine Motivwidrigkeit der Kündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG vorliegt, bestreitet der Kläger in seiner Rechtsrüge nicht, sodass darauf vom Berufungsgericht nicht einzugehen ist (vgl RS0043338, RS0041570).
3. Zur Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG:
3.1. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, begründet ist.
Bei Lösung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, muss zuerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen unter Anlegung eines objektiven Maßstabes geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (RS0051746, RS0051640), weil der Kündigungsschutz des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG (nur) jenen Arbeitnehmern gewährt werden soll, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind (RS0051640 [T4]).
Für diese Umstände ist der anfechtende Kläger behauptungs- und beweispflichtig (RS0051746, RS0051845, RS0051640 [T1]).
Nach Bejahung der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung ist das Vorliegen von subjektiven oder objektiven Kündigungsrechtfertigungsgründen zu prüfen und anschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RS0051994, RS0051818, RS0116698, RS0051929, RS0051719).
Liegt schon der Grundtatbestand der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung nicht vor, ist das Klagebegehren abzuweisen, ohne dass es einer Prüfung der weiteren Anfechtungsvoraussetzungen bedarf, insbesondere kommt es nicht zu einer Interessenabwägung (RS0051640 [T4], RS0051640 [T3]).
3.2. Bei der Prüfung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessendes Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, ist auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und in diesem Zusammenhang auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers, den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche sowie der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorteile abzustellen. Darüber hinaus sind die gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen einzubeziehen (RS0051806, RS0051703), also etwa Einkommensverhältnisse, Vermögen, Sorgepflichten sowie Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist (RS0051703); ebenso der Gesundheitszustand, das Lebensalter und die Auswirkung der Kündigung auf die Bemessungsgrundlage der zu erwartenden Pension und die Höhe der Abfertigung (RS0051741).
Da jede Kündigung die Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt und mit sozialen Nachteilen verbunden ist, müssen Umstände vorliegen, die eine Kündigung für den konkreten Arbeitnehmer über das normale Maß hinaus nachteilig machen. Es müssen dem Arbeitnehmer also durch die Kündigung erhebliche soziale Nachteile entstehen, die über die normale Interessenbeeinträchtigung bei einer Kündigung hinausgehen (RS0051746 [T7], RS0051753 [T5]).
Entscheidend ist eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung (RS0051772 [T2]).
Dabei spielen die Chancen des Gekündigten am Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle, insbesondere ob es ihm möglich ist, in angemessener Zeit einen zumutbaren und bezüglich Tätigkeit und Bezahlung annähernd gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden ( Wolligger in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 105 ArbVG Rz 151 f).
Bezüglich der zumutbaren Dauer der Arbeitslosigkeit wird idR eine drei- bis achtmonatige Arbeitslosigkeit akzeptiert (9 ObA 108/98t, 9 ObA 145/99k, 8 ObA 127/03i, 8 ObA 12/07h, 9 ObA 64/12w, 9 ObA 148/12y, 9 ObA 49/13s, 9 ObA 125/13t; Wolligger in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 105 ArbVG Rz 152 mwN).
Die Kündigung muss zwar nicht die Existenzgrundlage durch dauernde Arbeitslosigkeit gefährden, aber doch mit einer finanziellen Schlechterstellung verbunden sein (RS0051727). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen (RS0051727 [T2]). In der Regel deuten erst Verdiensteinbußen von ca 20 % und mehr auf gewichtige soziale Nachteile hin ( Wolligger in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 105 ArbVG Rz 156 mN).
Zu 8 ObA 46/22f verneinte der OGH eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung bei einer Arbeitsplatzsuchdauer von fünf bis sieben Monaten und einer voraussichtlichen Nettoeinkommenseinbuße von etwa 15 %.
3.3.Die Berufungsausführungen sind insofern zutreffend, als der OGH bereits wiederholt betonte, dass es keine starren Prozentsätze der durch die Arbeitgeberkündigung bedingten Einkommensminderung des betroffenen Arbeitnehmers gibt, bei denen das Vorliegen von Sozialwidrigkeit jedenfalls zu bejahen oder jedenfalls zu verneinen wäre. Es sind vielmehr alle wirtschaftlichen und sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu gewichten (RS0110944 [T3], RS0051727 [T10], RS0051753 [T7]).
Im vorliegenden Fall beträgt die zu erwartende Einkommenseinbuße nach den vom Kläger unbekämpft gebliebenen Feststellungen maximal 14,5 % und die zu erwartende Arbeitssuchdauer maximal vier bis sechs Monate. Selbst unter Berücksichtigung der festgestellten übrigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers (Alter, Sorgepflichten, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Fixkosten) ist eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung im oben dargestellten Sinn, insbesondere im Hinblick auf die zu erwartende Dauer der Arbeitslosigkeit zu verneinen.
3.4.Auch bei Bejahung einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung wäre im vorliegenden Fall für den Kläger nichts gewonnen, weil seine als persönlicher Rechtfertigungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG zu wertenden festgestellten Dienstpflichtverletzungen (wiederholtes unerlaubtes Verlassen des Arbeitsplatzes) im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls dazu führen würden, dass die dadurch nachteilig berührten betrieblichen Interessen sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiegen. Es handelt sich dabei nämlich um in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Umstände, die betrieblichen Interessen so weit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen (vgl RS0051888).
Dem Einwand des Klägers, es liege ein Verstoß gegen den Unverzüglichkeitsgrundsatz, der auch bei Rechtfertigungsgründen gilt (vgl RS01093929), vor, ist zu entgegnen, dass abgemahnte alte Vorfälle zwar später nicht neuerlich als Kündigungsgrund herangezogen werden können, aber bei späterer Wiederholung des abgemahnten Verhaltens im Rahmen einer Würdigung des Gesamtverhaltens doch auch noch nachträglich Berücksichtigung finden können (RS0051888 [T16]). Bei der letzten Ermahnung am 12.1.2024 wurde dem Kläger im Übrigen ohnehin bereits mündlich mitgeteilt, dass nun das Kündigungsverfahren eingeleitet werde. Es besteht daher kein Raum dafür, dass er davon ausgehen hätte können, dass die Abmahnungsgründe nicht zur Kündigung führen würden.
4. Das Erstgericht hat sohin zutreffend die Sozialwidrigkeit der Kündigung verneint und das Klagebegehren abgewiesen. Auf Grund dieser rechtlichen Überlegungen war es nicht erforderlich, auf die in der Berufungsbeantwortung geltend gemachte Beweisrüge einzugehen.
Der unberechtigten Berufung war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 58 Abs 1 ASGG iVm § 50 Abs 2 ASGG. Bei einer Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG handelt es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit iSd § 50 Abs 2 ASGG, für die gemäß § 58 Abs 1 ASGG ein Kostenersatzanspruch nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zusteht. Im Einklang mit dieser Rechtslage hat die Beklagte keine Kosten verzeichnet, der Kläger jedoch schon, weshalb auszusprechen war, dass er diese selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhing. Ob die Sozialwidrigkeit einer Kündigung nachgewiesen werden konnte, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0051640 [T5], RS0051741 [T3, T9], RS0051753 [T9]).