6R14/25k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Nigl, LL.M., und Mag. Müller in der Rechtssache der Antragstellerin Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, Landesstelle **, **, wider die Antragsgegnerin A * , geb. **, selbständige Personenbetreuerin, **B*, wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 4.11.2024, ***, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:
„Der Antrag der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen vom 26.6.2024 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A* wird abgewiesen.“
Die damit verbundenen, nach Rechtskraft dieses Beschlusses vorzunehmenden Anordnungen (§ 71b Abs 3 IO) bleiben dem Erstgericht vorbehalten.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung:
Text
Am 26.6.2024 beantragte die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen ( Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A* ( Schuldnerin , Antragsgegnerin), geboren am **. Diese schulde ihr aufgrund des in den Antrag integrierten vollstreckbaren Rückstandsausweises für den Zeitraum 9/2022 bis 3/2024 Sozialversicherungsbeiträge von EUR 2.256,47 sowie Nebengebühren und Verzugszinsen von EUR 242,57 (= EUR 2.499,04), dies zuzüglich Verzugszinsen von 7,88% seit 15.6.2024 aus EUR 2.256,47. Die Antragsgegnerin sei Unternehmerin iSd § 182 IO und zahlungsunfähig. Die Antragstellerin erklärte, dass sie keinen Kostenvorschuss gemäß § 71a Abs 1 IO erlegen werde.
Das Erstgericht erhob im Grundbuch, dass die Antragsgegnerin kein Liegenschaftsvermögen hat. Eine Abfrage im Exekutionsregister wies zu den Stichtagen 8.7.2024 und 26.8.2024 keine Exekutionsverfahren aus. Auch eine VJ-Abfrage am 8.7.2024 war hinsichtlich weiterer S oder Se-Verfahren ergebnislos. Die Abfrage im Gewerbeinformationssystem Austria ergab eine aufrechte Gewerbeberechtigung der Antragsgegnerin für Personenbetreuung.
Zur Einvernahmetagsatzung vom 27.8.2024 kam die Antragsgegnerin trotz der am 23.7.2024 eigenhändig zugestellten Ladung nicht.
Mit Beschluss vom 12.9.2023 ordnete das Erstgericht die zwangsweise Vorführung der Antragsgegnerin für die Vernehmung der Schuldnerin für 17.9.2024 an. Die Vorführung der Schuldnerin an der Adresse in B* war erfolgreich. Die Schuldnerin gab vor dem Bezirksgericht Mistelbach an, bei der Antragstellerin einen Antrag auf Ratenzahlung gestellt zu haben und nicht zahlungsunfähig zu sein. Aus dem vor dem BG Mistelbach am 17.9.2024 unterfertigten Vermögensverzeichnis nach § 100a IO ergibt sich ein Kontoguthaben iHv EUR 500, ein Einkommen iHv EUR 1.800 netto (jedes zweite Monat). Ihr gehört die Hälfte der Anteile an einer Liegenschaft in Rumänien. Sie verfügt über kein sonstiges Vermögen. Sie gab weiters an, nur bei der Antragstellerin Schulden iHv EUR 3.280,59 zu haben.
Über Aufforderung des Gerichts gab die Antragstellerin am 30.9.2024 bekannt, dass sie mit der Antragsgegnerin keine Ratenvereinbarung getroffen hat. Diese Mitteilung wurde der Antragsgegnerin am 10.10.2024 zur allfälligen Äußerung binnen 14 Tagen zugestellt.
Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das Erstgericht, das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens nicht zu eröffnen und stellte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin fest.
Begründend führte das Erstgericht aus, die Forderung der Antragstellerin sei durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis bescheinigt. Es wäre an der Schuldnerin gelegen, glaubhaft zu machen, dass sie ihre fälligen Verbindlichkeiten bezahlen könne.
Weitere Konkursvoraussetzung sei das Vorhandensein von kostendeckendem Vermögen. Aus dem Vermögensverzeichnis ergebe sich, dass es der Schuldnerin an kostendeckendem Vermögen fehle. Die Antragstellerin habe erklärt, keinen Kostenvorschuss zu erlegen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit einem erkennbar auf dessen Aufhebung und Abweisung des Insolvenzantrags gerichteten Antrag.
Die Antragstellerin erstattete keine Rekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt .
1. Die Antragsgegnerin führt aus, dass sie in den letzten Monaten versucht habe, ihre Schulden bei der Antragstellerin abzubezahlen. Sie schloss dem Schreiben Zahlungsbelege vom 19.7.2024, 18.9.2024, 19.9.2024, 27.9.2024, 30.10.2024 und 13.11.2024 an die SVS über insgesamt EUR 3.161,88 an.
2. Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrages mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.
2.1. Gemäß § 70 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528 [T4]).
Die Nichtzahlung von rückständigen Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handelt, die von den zuständigen Behörden bekanntlich so rasch in Exekution gezogen werden, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftiger wirtschaftlicher Gestion verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr, IO 11 § 70 E 70, E 74).
Die Antragstellerin bescheinigte durch den vollstreckbaren Rückstandausweis vom 25.6.2024 ihre Insolvenzforderung sowie aufgrund der bis September 2022 zurückreichenden Beitragsrückstände auch die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin ( Mohr, IO 11 § 70 E 70).
3. Wird – wie hier – vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es am Schuldner, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass er zahlungsfähig ist.
Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist gemäß den §§ 66 Abs 3, 70 Abs 4 IO der Nachweis erforderlich, dass die fälligen Forderungen sämtlicher Gläubiger – nicht nur jene der Antragstellerin – bezahlt werden konnten bzw dass der Schuldner über die zur Tilgung aller fälligen Verbindlichkeiten nötigen Geldmittel verfügt ( Mohr , IO 11 § 70 E 239 f) oder dass zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten imstande ist ( Mohr , aaO E 243, E 271 ff). Diese Gegenbescheinigung der Zahlungsfähigkeit hat der Schuldner von sich aus zu erbringen.
4. Im Rechtsmittelverfahren ist für die Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz - hier der 4.11.2024 - und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (RS0065013 [T1]). Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erler in KLS², § 260 Rz 33). Die Neuerungserlaubnis findet jedoch ihre Grenze in § 259 Abs 2 IO, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Anbringung eine Tagsatzung bestimmt ist, von den nicht erschienen, gehörig geladenen Personen nachträglich nicht mehr vorgebracht werden können (RS0115313; RS0110967 [T6] = 8 Ob 36/04h).
5. Am 17.9.2024 fand vor dem Bezirksgericht Mistelbach eine Einvernahmetagsatzung statt, an der die Antragsgegnerin teilnahm (ON 8).
Die im Rekurs bescheinigte Zahlung an die Antragstellerin vom 19.7.2024 iHv EUR 460 erfolgte bereits vor dieser Tagsatzung und wurde in dieser von der Antragsgegnerin nicht erwähnt, sodass sie aufgrund des Neuerungsverbots nach § 259 Abs 2 IO grundsätzlich unbeachtlich wäre.
Die weiteren mit dem Rekurs bescheinigten Zahlungen von EUR 752 am 18.9.2024, von EUR 230 am 19.9.2024, von EUR 400 am 27.9.2024 und von EUR 730 am 30.10.2024 (insgesamt EUR 2.112) wurden jedoch erst nach dieser Tagsatzung, aber noch vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung geleistet und unterliegen daher nicht dem Neuerungsverbot.
6. Zusammengefasst ergibt sich nach der Bescheinigungslage im Rekursverfahren, dass die der Antragstellung zugrunde liegende Forderung der SVS im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung bereits vollständig beglichen war. Weitere Forderungen waren nicht aktenkundig und waren damit keine Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin mehr gegeben. Dem Erstgericht konnte dies jedoch nicht bekannt sein, weil die Antragsgegnerin auf die Aufforderung vom 24.9.2024 nicht mehr reagierte.
7. Mit dem Rekurs bescheinigte die Antragsgegnerin schließlich noch eine Zahlung an die Antragstellerin vom 13.11.2024 über EUR 589,88.
Die Antragstellerin bestätigte über Anfrage des Rekursgerichts mit Schreiben vom 20.1.2025, dass keine Beitragsrückstände der Antragsgegnerin mehr aushaften und auch die laufenden Beiträge von ihr bezahlt wurden.
8. Nach den Ergebnissen des Rekursverfahrens hat die Antragsgegnerin somit nun die Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit erbracht.
In Stattgebung des Rekurses war der angefochtene Beschluss daher abzuändern und der Insolvenzeröffnungsantrag abzuweisen.
Die durch diese Rekursentscheidung notwendigen Anordnungen, insbesondere die Löschung der Eintragung in der Insolvenzdatei gemäß § 71b Abs 3 IO, werden dem Erstgericht übertragen.
9. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands beruht auf §§ 500 Abs 2, 526 Abs 3 ZPO, jener über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses auf § 528 Abs 1 ZPO, jeweils iVm § 252 IO. Rechtsfragen von der in § 528 Abs 1 ZPO genannten Qualität waren nicht zu beantworten.