JudikaturOLG Wien

11R212/24p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
23. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Primus als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts MMMag. Frank und Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , geboren **, **, vertreten durch Dr. Wolfgang Winiwarter, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wider die beklagte Partei C* B* , **, wegen Aufhebung des Miteigentums (Streitwert EUR 41.750,55; hier: wegen Verfahrenshilfe) über den Rekurs der Revisorin gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 26. November 2024, **-13, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Rekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung der zwischen ihr und dem Beklagten bestehenden Eigentumsgemeinschaft an der Liegenschaft EZ ** KG ** durch gerichtliche Feilbietung.

Am 31.10.2024 langte beim Erstgericht ein bis auf Angaben zum zuständigen Gericht, der Aktenzahl sowie dem Umfang der Verfahrenshilfe in weiten Teilen nicht ausgefüllter und nicht unterfertigter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Vermögensbekenntnis ein. Am bezughabenden Postkuvert ist der Beklagte als Absender angeführt.

Aufgrund eines an den Beklagten erteilten Verbesserungsauftrags des Erstgerichts vom 31.10.2024 wurde der Antrag am 22.11.2024 neuerlich am Erstgericht (persönlich) eingebracht. Ergänzend sind nunmehr eine Anschrift („** Österreich“), der Familienstand „geschieden/aufgelöste eingetragene Partnerschaft“, rudimentäre Angaben zu den Wohnverhältnissen, Schulden („ca EUR 2.500 bis EUR 3.000), sowie, dass es bereits Exekutions- oder Insolvenzverfahren gegen den Beklagten gibt (jedoch ohne nähere Angaben dazu), angeführt. Darüber hinaus sind Unterhaltsansprüche gegen (!) den Beklagten im Ausmaß von EUR 90 angegeben. Unterfertigt ist das Vermögensbekenntnis mit Datum 1.9.2024 von der Klägerin .

Mit dem angefochtenen Beschlussbewilligte das Erstgericht dem Beklagten die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f, Z 2, Z 4 und Z 3 ZPO. Begründend führte es aus, derzeit behänge kein offenes Exekutionsverfahren gegen den Beklagten. Er habe im Oktober 2024 eine Auszahlung der SVS von EUR 3.072,52 erhalten. Trotz der rudimentären Angaben [im Vermögensbekenntnis] sei gerichtsbekannt, dass im Oktober eine Sonderzahlung zur Pension ausgezahlt werde. Ausgehend von einer monatlichen Pension von EUR 1.536,26 sowie unter Berücksichtigung einer Vorschreibung für Wohnbauförderung von EUR 286,19 und Unterhaltsverpflichtungen von monatlich EUR 90 sei davon auszugehen, dass er das Verfahren nicht ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts führen könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Revisorin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Klägerin und der Beklagte beteiligten sich nicht am Rekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Rekurses war vom Rekursgericht der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO iVm § 514 Abs 2 ZPO von Amts wegen wahrzunehmen und der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben.

1.1 Zunächst ist jedoch festzuhalten, dass einer natürlichen Person nach § 63 Abs 1 ZPO die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen ist, als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Der notwendige Unterhalt ist dann gefährdet, wenn unter Berücksichtigung der zu erwartenden Prozesskosten keine genügenden Mittel für eine einfache Lebensführung verbleiben. Einfache Lebensführung bedeutet eine die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende, bescheidene Lebensführung. Neben dem Einkommen der Partei sind auch ihr sonstiges Vermögen sowie bestehende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Bevor die Verfahrenshilfe bewilligt werden kann, muss eine Partei auf bestehendes Vermögen zurückgreifen, insbesondere auf bestehende Sparguthaben. Selbst vorhandenes Liegenschaftseigentum ist, sofern es der Partei zumutbar ist, zu verwerten oder zu belasten. Selbst wenn die Veräußerung der Liegenschaft unzumutbar ist, beispielsweise weil sie zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses der Partei dient, ist die Partei auf die Möglichkeit einer Kreditaufnahme unter gleichzeitiger Belehnung der Vermögensgegenstände zu verweisen (OLG Wien 11 R 203/24i, 16 R 114/24p uvm)

1.2 Nach dem Modell der ZPO stellt das Vermögensbekenntnis keinen (notwendigen) Bestandteil des Verfahrenshilfeantrags dar, sondern das primär vorgesehene Bescheinigungsmittel zum Nachweis der wirtschaftlichen Verhältnisse. Leistet daher die Partei einem Auftrag zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses oder zur Beibringung von Belegen keine Folge, dann ist § 381 ZPO sinngemäß anzuwenden (§ 66 Abs 2 Satz 4 ZPO). Daraus folgert die Lehre und Rechtsprechung, dass selbst bei Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses eine positive Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag möglich ist und weiters eine noch vor der Entscheidung des Gerichts über den Verfahrenshilfeantrag erfolgte Wiedervorlage zugunsten der Partei zu beachten ist. Hat eine Partei fristgerecht einen Verfahrenshilfeantrag gestellt, jedoch dann trotz gerichtlichen Verbesserungsauftrags kein Vermögensbekenntnis vorgelegt, so ist der Verfahrenshilfeantrag nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen (9 Ob 46/20k, 8 Ob 129/21k).

1.3 Das Vermögensbekenntnis hat den Charakter einer eidesstättigen Erklärung (vgl OLG Wien 11 R 153/19d, 12 R 163/23p uvm). Die eigenhändige Unterschrift der Partei ist unbedingt erforderlich. Andernfalls lägen bei einer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Vermögensbekenntnisses keine hinreichenden Grundlagen für die Verhängung der Sanktionen nach § 69 ZPO vor ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze 3§ 66 ZPO, Rz 4; OLG Wien 11 R 43/24k). Insbesondere in dem Fall, dass bei einem Vermögensbekenntnis iSd § 66 Abs 1 ZPO die eigenhändige Unterschrift oder die Unterschrift im Original (zB Telefax) fehlt, ist das Vermögensbekenntnis zur Verbesserung zurückzustellen. Nur bei erfolgter Verbesserung ist es im weiteren Verfahren zu berücksichtigen (OLG Wien 1 R 112/20b).

1.4 Das vom Beklagten vorgelegten (verbesserte) Vermögensbekenntnis, enthält keine Angaben zu seinen Wohnkosten und zu seinem Einkommen. Die Seiten 5 und 6 des ZPForm 1, welches die Angaben zum Vermögen betrifft, hat er überhaupt nicht vorgelegt. Darüber hinaus ist es nicht vom Beklagten, sondern von der Klägerin unterfertigt. Das bei der Unterschrift ersichtliche Datum 1.9.2024 liegt entgegen § 66 Abs 1 ZPO mehr als vier Wochen vor Einbringung des Bekenntnisses.

1.5 Über den Verfahrenshilfeantrag ist auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden. Da dem Beklagten bereits mit Beschluss des Erstgerichts vom 31.10.2024 aufgetragen wurde, das Antragsformular vollständig auszufüllen und zu unterschreiben, bedarf es keines weiteren Verbesserungsauftrages (vgl RS0115048). Die Nichterfüllung des dem Beklagten erteilten Verbesserungsauftrags wäre daher vom Erstgericht im Sinn des § 381 ZPO zum Nachteil des Beklagten zu würdigen gewesen. Aufgrund der fehlenden Angaben zu seinem Vermögen, wobei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass klagsgegenständlich die Aufhebung des Miteigentums an einer auch im Eigentum des Beklagten stehenden Liegenschaft ist, sowie der nicht vorhandenen Unterschrift des Beklagten, wäre der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe derzeit abzuweisen.

2. Die Revisorin stellte in ihrem Rekurs jedoch lediglich einen Aufhebungsantrag, der einen Abänderungsantrag nicht in sich schließt (RS0043552). Einer meritorischen (abändernden) Entscheidung des Rekursgerichts steht dies nur dann nicht entgegen, wenn aus dem Inhalt des Rekurses eindeutig erkennbar ist, dass auch die Abänderung begehrt wird (RS0045820 [T3]). Dies ist jedoch konkret nicht der Fall.

3.1 Nichtigkeitsgründe sind anlässlich eines zulässigen Rechtsmittels ohne Rücksicht auf ihre Auswirkung im Einzelfall von Amts wegen aufzugreifen (RS0041942; jüngst OLG Wien 8 Ra 94/24p).

3.2 Gemäß § 72 Abs 2 ZPO steht auch dem Prozessgegner ein Rekurs gegen Beschlüsse über Verfahrenshilfeanträge zu. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien ist wegen des (auch) im Rekursverfahren betreffend die Verfahrenshilfe herrschenden Neuerungsverbots (OLG Wien 12 R 139/99w WR 857; OLG Wien 16 R 143/98 SVSlg 47.551; M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze 3§ 72 ZPO, Rz 7; Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 72 ZPO, Rz 2) daher bereits das Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe jedenfalls dann zweiseitig, wenn das betreffende Hauptverfahren bereits streitanhängig geworden ist. § 72 ZPO räumt dem Antragsgegner nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags das rechtliche Gehör zum Zweck der besseren Kontrolle der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers ein (RL0000045; OLG Wien 11 R 57/19m, 13 R 81/17b, 14 R 147/17s ua).

3.3 Das rechtliche Gehör wird in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zu Grunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten und wegen des Neuerungsverbotes auch im Rechtsmittelverfahren nicht Stellung nehmen können. Das Gericht hat daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu vor der Entscheidung Stellung zu nehmen (RS0074920, RS0005915).

3.4 Dementsprechend ist der gegnerischen Partei Gelegenheit zur Äußerung zu geben, wenn eine Partei die Bewilligung der Verfahrenshilfe in einem bereits streitanhängigen Verfahren beantragt. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Gegenpartei hat die Nichtigkeit der Entscheidung über die Verfahrenshilfe zur Folge.

3.5 Da das Erstgericht weder den ursprünglichen, noch den verbesserten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe dem Klagevertreter zustellte, ist der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren nach Zustellung des Verfahrenshilfeantrags samt Vermögensbekenntnis an die Klägerin und Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit erneut über den Verfahrenshilfeantrag des Beklagten zu entscheiden haben. Dabei werden die obigen Ausführungen (insbesondere den Punkt 1.5) zu berücksichtigen sein.