12Rs55/25g – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Zwettler (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Nicole Purgar (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Pensionist, **, **straße **, vertreten durch Mag. Eliane Hasenfuß, Rechtsanwältin in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Rückforderung einer Witwerpension über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. April 2025, Cgs*-9, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte hat dem Kläger nach dem Tod seiner ersten Ehefrau am 27. August 1992 eine Witwerpension gewährt. Am 22. September 2007 hat der Kläger eine neue Ehe geschlossen; die Witwerpension wurde dennoch bis zum 31. Juli 2024 weiterhin ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 25. September 2024 forderte die Beklagte den ab 1. September 2007 entstandenen Überbezug von insgesamt EUR 47.681,99 – ohne weitere Begründung – zurück und sprach aus, die Abfertigung betrage EUR 6.088,25.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Klage mit dem Begehren auf Feststellung, der Kläger sei nicht zum Rückersatz verpflichtet, und dem Vorbringen, er sei seinen Meldepflichten nachgekommen und habe die Witwerpension gutgläubig verbraucht; der Rückersatz sei ausgeschlossen, weil die Wiederverehelichung gemeldet worden sei.
Die Beklagte bestritt, beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, der Kläger habe gegen die Meldepflicht verstoßen; er hätte aufgrund der jährlichen Verständigung über die Leistungshöhe und der laufenden Anweisung erkennen müssen, dass die Witwerpension zu Unrecht ausgezahlt werde.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht das Klagebegehren abgewiesen und den Kläger zur Rückzahlung des von 1. September 2007 bis 31. Juli 2024 entstandenen Überbezugs von EUR 47.681,99 abzüglich der Abfertigung von EUR 6.088,25 in monatlichen Raten zu EUR 400,00 verpflichtet. Der Entscheidung liegt folgender weiterer Sachverhalt zugrunde:
Ob der Kläger bei der Beklagten die Eheschließung vom 22. September 2007 telefonisch gemeldet hat, kann nicht festgestellt werden. Er hat in den Jahren 2014, 2019 und 2024 Kuranträge gestellt, in denen er seinen Familienstand mit „verheiratet“ angegeben hat.
In rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhalts ist das Erstgericht zum Ergebnis gelangt, es könne nicht von einer Verletzung der Meldevorschriften ausgegangen werden; dem Kläger habe aber jedenfalls auffallen müssen, dass ihm die Leistung nicht mehr gebühre; der Rückersatzanspruch sei nicht untergegangen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Aktenwidrigkeit, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf gänzliche Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.
Die unbeantwortet gebliebene, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1Der Versicherungsträger hat gemäß § 107 Abs 1 ASVG (Paragraphenangaben ohne Nennung des Gesetzes beziehen sich auf das ASVG) zu Unrecht erbrachte Geldleistungen insbesondere dann zurückzufordern, wenn der Zahlungs- bzw Leistungsempfänger entweder den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder erkennen musste, dass die Leistung nicht gebührte.
Das Rückforderungsrecht ist jedoch gemäß § 107 Abs 2 lit a ausgeschlossen, wenn der Versicherungsträger die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt gesetzt hat, in dem er erkennen musste, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist.
2 Unter dem Titel der Aktenwidrigkeit kritisiert der Kläger Ausführungen des Erstgerichts in der Beweiswürdigung zur Frage der Meldung der Wiederverehelichung.
2.1 Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, also (insbesondere) der Inhalt einer Urkunde unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde; Erwägungen, weshalb ein Sachverhalt als erwiesen angenommen oder bestimmte Feststellungen nicht getroffen werden können, fallen in das Gebiet der Beweiswürdigung und können daher keine Aktenwidrigkeit bilden (vgl nur RIS-Justiz RS0043347 ).
2.2 In den kritisierten Ausführungen wird der Inhalt des Aktenvermerks (Blg ./2) nicht unrichtig wiedergegeben, sondern interpretiert. Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt daher nicht vor.
3 In der Tatsachenrüge bekämpft der Kläger die Non-liquet-Feststellung zur telefonischen Meldung der Eheschließung.
3.1 Abgesehen von der Aussage des Klägers, er habe die Eheschließung der Beklagten gemeldet, besteht keinerlei Anhaltspunkt für diese Mitteilung.
Aus der Angabe des Familienstands als „verheiratet“ in viele Jahre später gestellten Kuranträgen ist für den Kläger nichts zu gewinnen, zumal nicht der Vorwurf erhoben wurde, er habe die neuerliche Eheschließung bewusst nicht gemeldet. Aus der – in einem Formular geforderten – Angabe des Familienstands kann nicht geschlossen werden, ob auf die – gesondert zu erstattende – Meldung vergessen wurde.
Das (aktuelle) Fehlen eines Aktenvermerks muss zwar tatsächlich nicht unbedingt darin begründet sein, dass keine Mitteilung erfolgt ist. Dass eine (zuständige) Mitarbeiterin der Beklagten keinen Aktenvermerk über ein Telefonat angelegt hat, in dem eine wesentliche Mitteilung gemacht wurde, erscheint aber wenig wahrscheinlich. Auch angelegte Aktenvermerke können allerdings nach der Lebenserfahrung durchaus verloren gehen.
3.2 Wenn das Erstgericht auf dieser Grundlage nicht feststellen konnte, ob der Kläger die Wiederverehelichung gemeldet hat oder nicht, liegt darin keine vom Berufungsgericht aufzugreifende fehlerhafte Beweiswürdigung.
4 In der Rechtsrüge kritisiert der Kläger ausschließlich, dass das Erstgericht die Rückforderung nicht als gemäß § 107 Abs 2 lit a ausgeschlossen erachtet hat. Der Tatbestand der Verjährung des Rückforderungsrechts (§ 107 Abs 2 lit b) wird zwar in der Berufung erwähnt; Ausführungen dazu fehlen jedoch, sodass darauf nicht weiter eingegangen werden muss.
Nicht bestritten wird auch, dass der Kläger erkennen musste, dass die Witwerpension nicht mehr gebührte. Das zu Recht, musste ihm doch unter Voraussetzung gewöhnlicher (durchschnittlicher) geistiger Fähigkeiten bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen, dass sein Anspruch gemäß § 100 Abs 1 lit b mit der Verheiratung erloschen ist (vgl nur RIS-Justiz RS0084334 , insb [T1, T4]).
Auch wenn der Beklagten – ausgehend von der Non-liquet-Feststellung – der von ihr zu führende Beweis der Verletzung der Meldepflicht (vgl RIS-Justiz RS0083641 ) nicht gelungen ist, ist damit jedenfalls von der Verwirklichung eines Rückforderungstatbestands auszugehen.
4.1 Das Rückforderungsrecht ist gemäß § 107 Abs 2 lit a ausgeschlossen, wenn der Versicherungsträger die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt gesetzt hat, in dem er erkennen musste, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist.
Diese Bestimmung normiert ein im Interesse des Zahlungs- bzw Leistungsempfängers gegenüber § 1432 letzter Fall ABGB verschärftes Rückforderungsverbot, das schon dann besteht, wenn der Versicherungsträger erkennen musste, dass er Geldleistungen zu Unrecht erbracht hat; der Ausschluss des Rückforderungsrechts bezieht sich jedoch nur auf Leistungen, die nach diesem Zeitpunkt erbracht wurden, in dem der Versicherungsträger erkennen musste, dass sie zu Unrecht erbracht wurden, nicht aber auch auf davor erbrachte Leistungen (vgl etwa RS0084420 , insb [T3], RS0075164 ).
4.2 Weil den Kläger nach den allgemeinen Regeln (vgl RIS-Justiz RS0037797 ) die Beweislast für die Voraussetzungen des Ausschlusses trifft und zur Meldung der Wiederverehelichung eine Non-liquet-Feststellung getroffen wurde, könnte allenfalls der „im Jahr 2014“ – und zwar am 20. Jänner (vgl Blg ./8 S 1) – gestellte (erste) Kurantrag diese Rechtsfolge auslösen.
Damit ist (jedenfalls) die Rückforderung für den Zeitraum von September 2007 bis Dezember 2013 in Höhe von insgesamt EUR 15.852,73 (vgl Blg ./4) nicht ausgeschlossen.
4.3 Ignoriert der Versicherungsträger eine ihm – sei es durch eine Meldung des Leistungsempfängers, eine Mitteilung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger oder auf andere Art – zugekommene Information, aus der er erkennen musste, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden ist, und erbringt er diese weiter, besteht das Recht auf Rückforderung der weiter erbrachten Leistung nicht (vgl RIS-Justiz RS0084301 ).
4.3.1 Maßgeblich ist daher letztlich, ob die Beklagte aufgrund der Angabe des Klägers im Kurantrag, er sei verheiratet, erkennen hätte müssen, dass die Witwerpension (seit welchem Zeitpunkt immer) zu Unrecht erbracht wird.
Der Berufungssenat vermag sich der Argumentation des Klägers nicht anzuschließen, dass dies der Fall gewesen wäre:
4.3.2 Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 ObS 104/90 betrifft zwar tatsächlich einen anderen Sachverhalt, weil dort der beklagte Versicherungsträger der Ehegattin des Ausgleichszulagenbeziehers – also in einem eine andere Person betreffenden Verfahren – eine Berufsunfähigkeitspension gewährte, was dieser jedoch nicht meldete.
Auch die den vom Kläger angeführten Entscheidungen zu 10 ObS 310/91 und 10 ObS 167/94 zugrunde liegenden Sachverhalte sind mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar: Im ersten war zwar (nur) in dem eine andere Person – nämlich den Sohn der Witwe – betreffenden Verfahren die Beendigung der Ausbildung gemeldet worden; im Alterspensionsakt der Mutter wurde jedoch hinsichtlich des Sohns wiederholt auf den dessen Waisenpension betreffenden „Leit-“ bzw „Bezugs-“Akt verwiesen. Im zweiten hat die die Hälfte der Pension ihres Mannes beziehende Klägerin nach der Scheidung die Weiterversicherung in der Krankenversicherung und die Herabsetzung der Beitragsgrundlage in dieser Versicherung beantragt und dabei als Familienstand „geschieden“ angegeben.
Beiden ist die enge Verknüpfung zwischen den Akten bzw den zu meldenden Tatsachen und den tatsächlich erfolgten Meldungen gemein. Im Gegensatz dazu ist der Familienstand für die Beurteilung eines Antrags auf Kur irrelevant.
4.3.3 Vergleichbar ist hingegen jener Sachverhalt, welcher der Entscheidung zu 10 ObS 86/21a zugrunde liegt: Auch dort hatte der eine Witwerpension beziehende Versicherte eine andere Leistung – nämlich die Gewährung von Pflegegeld und dessen Erhöhung – beantragt und seinen Familienstand im Antrag mit „verheiratet“ eingetragen. Der Oberste Gerichtshof hat die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht beanstandet, das dem Versicherungsträger das Unterbleiben der Weiterleitung an die zuständige Abteilung nicht zur Last gelegt hat.
Eine bei beim Versicherungsträger bestehende Übung, Anträge routinemäßig auf allenfalls in einem anderen Zusammenhang relevante Informationen zu überprüfen und diese gegebenenfalls an die zuständige Fachabteilung weiterzuleiten, könnte zwar zum Ausschluss des Rückforderungsrechts führen. Derartiges hat der (für die maßgeblichen Umstände behauptungs- und beweispflichtige) Kläger im Verfahren erster Instanz nicht behauptet; er hat sich im Gegenteil nicht einmal darauf gestützt, dass der Beklagten aufgrund der Kuranträge seine Wiederverheiratung bekannt sein hätte müssen.
4.3.4 Zeugenaussagen können Prozessbehauptungen nicht ersetzen; bei der Beweisaufnahme hervorgekommene Umstände dürfen vom Gericht nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in einem entsprechenden Parteienvorbringen Deckung finden (RIS-Justiz RS0038037 [T4]).
Die nunmehr – gegen das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot verstoßend (vgl nur RIS-Justiz RS0042049 ) – behauptete Übung ergibt sich darüber hinaus auch aus den Angaben des Zeugen nicht: Dieser hat zwar angegeben, er würde „das natürlich nicht ignorieren, wenn es [ihm] auffällt, dass diese Information in irgendeiner Weise eine Reaktion erfordert oder eine Bedeutung hat, wenn auch in einer anderen Abteilung“; er hat aber ebenso betont, „dass diejenige oder derjenige, der/die den Kurantrag bearbeitet, möglicherweise sieht, dass das ein Pensionist ist, der eine Witwerpension hat, aber sich dafür nicht interessiert, weil sie dafür nicht zuständig ist“ und er sich umgekehrt „auch nicht interessieren bzw kümmern würde um Kuranträge, wenn [er] diese in [seinen] Akten sehe“ (Zeuge ON 8.3 S 4).
Dass unter der Versicherungsnummer alle Dokumente sichtbar sind, die in allen Abteilungen eingelangt sind (Zeuge ON 8.3 S 3), bedeutet (und erfordert) nicht, dass die Sachbearbeiter auch in anderen Abteilungen eingelangte Dokumente überprüfen müssten.
5 Der Berufung war musste daher insgesamt der Erfolg versagt bleiben.
6Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände, die einen Kostenzuspruch im Berufungsverfahren nach Billigkeit trotz Unterliegens rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
7Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil die einzige zu beantwortende Rechtsfrage nur aufgrund der Umstände im Einzelfall beantwortet werden kann (vgl RIS-Justiz RS0084420 [T5]; RS0109340 [T4]).