12Ra18/25s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende sowie Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Arbeiter, **, **gasse **, vertreten durch die Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, **straße **, vertreten durch Dr. Thomas Bründl, Rechtsanwalt in Straßwalchen, wegen EUR 6.778,32 brutto sA , über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. März 2025, Cga* 31, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen .
Die klagende Partei hat die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
Der Kläger war bei der Beklagten von 19. Jänner bis 29. März 2023 als Kraftfahrer beschäftigt.
Mit der am 24. Juni 2024 eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger EUR 6.778,32 brutto sA an offenen Entgeltansprüchen, Urlaubsersatzleistung sowie Kündigungsentschädigung mit der Behauptung, er sei fristwidrig gekündigt worden.
Der Zahlungsbefehl wurde der Beklagten an der in der Klage angegebenen Adresse durch Hinterlegung zugestellt. Beginn der Abholfrist war laut Hinterlegungsmitteilung der 2. Juli 2024. Der RSb-Brief wurde als nicht behoben retourniert.
Am 9. September 2024 stellte die Beklagte einen Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und auf Zustellung des Zahlungsbefehls. Von diesem Zahlungsbefehl habe sie erstmals durch Zustellung der Bewilligung der Fahrnisexekution am 28. August 2024 Kenntnis erlangt. Die Vertreter der Beklagten hätten keine Verständigung von der Hinterlegung erhalten, der Zahlungsbefehl sei ihr daher nie rechtswirksam zugestellt worden. In dem Firmengebäude an der Adresse C*straße **, in dem auch die Beklage ihren Sitz habe, seien mehrere Unternehmen angesiedelt.
In eventu – für den Fall einer ordnungsgemäßen Zustellung – beantragte die Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Frist zur Erhebung eines Einspruchs. Ihr organschaftlicher Vertreter sei durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an einer fristgemäßen Einspruchserhebung gehindert worden. Er habe den Zahlungsbefehl weder persönlich übernommen noch eine Verständigung von einer allfällig erfolgten Hinterlegung erhalten (ON 5).
Das Erstgericht befragte im ersten Rechtsgang zwar den zur Bescheinigung angebotenen Alleingesellschafter und Prokuristen der Beklagten D* als Auskunftsperson, wies dann aber, ohne Feststellungen zum Zustellvorgang zu treffen, aus rechtlichen Erwägungen sowohl den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung als auch auf Wiedereinsetzung ab. Dem Rekurs der Beklagten wurde zu 12 Ra 60/24s Folge gegeben und dem Erstgericht die Verfahrensergänzung durch Prüfung des Zustellvorgangs, insbesondere durch Einvernahme des Zustellers, aufgetragen.
Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht erneut sowohl den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung als auch auf Wiedereinsetzung ab und traf dazu zusammengefasst folgende Sachverhaltsfeststellungen:
Am 2. Juli 2024 war bei der Österreichischen Post AG E* für die Zustellung des Zahlungsbefehls zuständig. Er ist seit etwa eineinhalb Jahren als Springer eingesetzt und hat die Adresse der Beklagten bereits rund 30 Mal angefahren, sodass er die Gegebenheiten kannte. Er versuchte zunächst den Brief persönlich zuzustellen und klopfte an die Tür im ersten Stock. Da niemand öffnete, ging er wieder hinunter und warf die Hinterlegungsmitteilung in den gut beschrifteten Postkasten. Wer die Hinterlegungsmitteilung aus dem Postkasten nahm, kann nicht festgestellt werden.
Diese Feststellungen gründete das Erstgericht auf die seiner Meinung nach sicheren und spontanen Ausführungen des Zustellers. Dem stünden die Angaben des Gesellschafters D* nicht entgegen, wonach es immer wieder zu Zustellproblemen komme, da dies bei der konkreten Zustellung nicht der Fall gewesen sein müsse.
In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte das Erstgericht einen gesetzmäßigen Zustellvorgang und damit die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls. Für eine Wiedereinsetzung fehle es an der Behauptung, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis daran gehindert worden zu sein, von der gesetzeskonform in das Postfach eingelegten Hinterlegungsanzeige Kenntnis zu erlangen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Beklagten wegen unrichtige Beweiswürdigung und Aktenwidrigkeit mit dem Antrag auf Abänderung in eine Bewilligung des Antrags auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung, hilfsweise des Antrags auf Wiedereinsetzung. Eventualiter wird zudem die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung beantragt.
Der Kläger strebt mit seiner Rekursbeantwortung die Bestätigung des angefochtenen Beschlusses an.
Der Rekurs ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1.1Wurde eine Vollstreckbarkeitsbestätigung irrtümlich erteilt, weil ihr ein der Wirklichkeit nicht entsprechender Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, ist sie gemäß § 7 Abs 3 EO auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben. Dies ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt worden war und daher die formelle Vollstreckbarkeit des Titels tatsächlich nicht eingetreten ist (RIS-Justiz RS0001544).
Entscheidend ist daher, ob ein gesetzmäßiger Zustellvorgang vorliegt.
1.2Grundsätzlich ist ein Dokument gemäß § 13 Abs 1 ZustG dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Nach § 17 Abs 1 ZustG ist, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger […] regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Dokument zu hinterlegen. Das hinterlegte Dokument ist laut § 17 Abs 3 ZustG mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten und es gilt mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.
1.3 Nach den getroffenen Feststellungen ist, da der Zahlungsbefehl nicht persönlich zugestellt werden konnte, die Hinterlegungsanzeige korrekt in den an der Abgabestelle vorhandenen Postkasten der Beklagten eingelegt worden. Mit dem Beginn der Hinterlegungsfrist am 2. Juli 2024 gilt daher der Zahlungsbefehl als zugestellt. Was danach mit der Hinterlegungsanzeige geschehen ist, ist für die Gesetzmäßigkeit des Zustellvorgangs irrelevant.
2.1 Dies erkennt die Beklagte und erhebt keine Rechtsrüge, sondern bekämpft die Feststellungen zum Zustellvorgang, indem sie Fehler der Beweiswürdigung aufzuzeigen versucht. Der Zusteller könne naturgemäß nur allgemeine Angaben zu Zustellungen von RSa- und RSb-Briefen machen; dass er sich nach mehr als sieben Monaten noch an die konkrete Zustellung erinnern könne, sei unmöglich. Dem gegenüber habe zum Briefkasten der Beklagten nur der Prokurist der Beklagten Zugang und der habe keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden.
2.2Basieren aber die Feststellungen auf einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch Befragung der Parteien und von Zeugen, kann die darauf gegründete Beweiswürdigung im Rekursverfahren, da keine mündliche Rekursverhandlung vorgesehen ist, nicht angefochten und vom Rekursgericht nicht überprüft werden (RIS-Justiz RS0044018, vgl RS0012391; Sloboda in Fasching/Konecny 3 § 514 Rz 82, 84; A. Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 526 Rz 5 ff; Ploier in Höllwerth/Ziehensack, ZPO - TaKom² § 526 Rz 10).
2.3 Die Überlegungen der Beklagten zur Beweiswürdigung sind daher, da die Feststellungen zum Zustellvorgang vom Erstgericht aufgrund der unmittelbaren Befragung des Zustellers und des Alleingesellschafters und Prokuristen der Beklagten getroffen wurden, unzulässig.
3 Worin die Aktenwidrigkeit bestehen soll, ist nicht ersichtlich; dieser Rekursgrund wird zwar erwähnt, aber nicht gesetzmäßig ausgeführt.
4.1 Auf Basis des festgestellten Sachverhalts wurde der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung zu Recht abgewiesen, sodass der eventualiter erhobene Wiedereinsetzungsantrag zum Tragen kommt.
Die Beklagte verweist wiederum auf ihre Kritik an der erstgerichtlichen Beweiswürdigung und und erblickt das unabwendbare Ereignis nunmehr (anders als noch in erster Instanz [ON 5 S 3]) in der ihrer Meinung nach nicht gesetzeskonformen Zustellung des Zahlungsbefehls. Die Beklagte habe sämtliche Vorkehrungen getroffen und die Problematik der mangelhaften Zustellungen der zuständigen Poststelle zur Kenntnis gebracht. Ihr sei jedenfalls keine auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen, ein allfälliger minderer Grad des Versehens hindere eine Wiedereinsetzung nicht.
4.2 Die vorstehenden Ausführungen (Pkt 2.2) zur (Un-)Zulässigkeit einer Beweisrüge im Rekursverfahren gelten auch für das Wiedereinsetzungsverfahren. Die als Ergebnis einer unmittelbaren Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen können im Rekursverfahren nicht bekämpft werden.
4.3Sollten die Ausführungen der Beklagten als Rechtsrüge zu verstehen sein, entfernt sich diese vom festgestellten Sachverhalt und ist somit nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS-Justiz RS0043603). Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Zustellung durch Hinterlegung gesetzeskonform erfolgte.
Abgesehen davon wäre die Rechtsansicht unzutreffend. Nur wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Zustellung eingehalten wurden, die Partei aber dennoch von der Zustellung keine Kenntnis erhalten hat, ist der richtige Rechtsbehelf nach herrschender Rechtsprechung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (jüngst OGH 3 Ob 38/23v [Rz 6]; RIS-Justiz RS0107394; Gitschthaler in Rechberger/Klicka ZPO 5 Vor §§ 146 ff Rz 9; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO - TaKom² § 146 Rz 7; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 § 146 Rz 29). Eine nichtordnungsgemäße Zustellung könnte daher jedenfalls kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 146 Abs 1 ZPO sein.
Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis, das die Beklagte bzw deren Prokuristen daran hinderte, von einer ordnungsgemäß in den Briefkasten eingelegten Hinterlegungsanzeige Kenntnis zu erlangen, wurde nicht behauptet (zur Eventualmaxime siehe bereits OLG Linz 12 Ra 60/24s im ersten Rechtsgang)
5Wird ein Rekurs auf keinen zulässigen Rekursgrund gestützt, ist er zurückzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0041861). Der Zahlungsbefehl ist vollstreckbar.
6Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 50,40 ZPO. Die Rekursbeantwortung ist zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, da der Kläger auf die Unzulässigkeit des Rekurses bzw die im Rekursverfahren geltende Anfechtungsbeschränkung nicht hingewiesen hat ( Obermaier, Kostenhandbuch 4 Rz 1.464 f; vgl zur Revisionsbeantwortung RIS-Justiz RS0035962 , RS0035979 ).
7Der ordentliche Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, da der Oberste Gerichtshof zur Frage der Bekämpfbarkeit von Beschlüssen bei unmittelbarer Beweisaufnahme bereits wiederholt und einhellig Stellung genommen hat.