JudikaturOLG Innsbruck

25Rs24/25b – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
28. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Engers als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Vötter und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Rofner sowie die fachkundigen Laienrichter Leonhard Larcher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AD in RR in Sabine Weber (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , derzeit ohne Beschäftigung, vertreten durch Reiterer Ulmer Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle **, vertreten durch deren Angestellten B*, ebendort, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 17.1.2025, signiert mit 16.4.2025, **-31, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird keine Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird mit der Maßgabe bestätigt , dass in Spruchpunkt 1. nach „… hat der Kläger gegenüber der Beklagten“ die Wortfolge „ab dem 1.9.2023“ eingefügt wird.

Ein Kostenersatz findet im Berufungsverfahren nicht statt.

Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 25.3.2022 als Dienstnehmer einen Unfall, den die Beklagte mit [rechtskräftigem] Bescheid vom 4.10.2022 als Arbeitsunfall anerkannte und dem Kläger für die festgestellten Folgen – drittgradig offener Trümmerbruch des körperfernen Oberschenkels rechts mit Abriss der Kniekehlenarterie und Kniekehlenvene sowie Dehnung des gemeinsamen Wadenbeinnervens – infolge völliger Erwerbsunfähigkeit eine vorläufige Versehrtenrente für die Dauer des unfallbedingten Heilverfahrens im Ausmaß von 100 % der Vollrente zuerkannte.

Nach Abschluss des Heilverfahrens verblieben ab 1.9.2023 nachstehende aus den Unfallverletzungen des Klägers resultierende Folgen:

- Klinisch komplette Peroneusparese rechts (trotz elektrophysiologischer Reinnervationszeichen) mit fehlender Motorik sowohl bei der Vorfuß- und Großzehenhebung als auch bei der Eversion des lateralen Fußrandes; weiters sensible Reiz- und Ausfallserscheinungen im Bereich der gesamten Unterschenkelseite und des Fußrückens entsprechend dem Versorgungsgebiet des kompletten Nervus peroneus.

Dadurch kann der Kläger den Vorfuß nicht anheben; es bestehen ein „Steppergang“ sowie sensible Reiz- und Ausfallserscheinungen im gesamten Versorgungsgebiet des Nervus peroneus rechts.

- Verminderte Durchblutung der rechten unteren Extremität, die die Symptome einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK Grad II) bedingt.

Es liegt eine Einschränkung des arteriellen und venösen Blutflusses in der rechten unteren Extremität vor. Der Unterschenkel rechts ist gegenüber dem linken deutlich atroph.

Insgesamt bestehen beim Kläger folgende auf die Unfallverletzungen zurückzuführende Beeinträchtigungen und Funktionsminderungen: Belastungsminderung des rechten Beins; Unfähigkeit zur Einnahme von Zwangspositionen und zur Ausführung von Stand- und Gangvarianten; Wadenschmerzen und -krämpfe; Schwellneigung; livide Hautverfärbung; vollständige Lähmung des Nervus peroneus mit Fuß- und Zehenheber- sowie Peroneusgruppenparese, Sensibilitätsausfall am medialen Fußrücken und Sensibilitätsminderung am lateralen Fußrand sowie der Ferse; Beugedefizit am rechten Kniegelenk, mit dem maximal die Rechtwinkelstellung (maximal 90 Grad) erreicht werden kann; Bewegungsstörung im oberen Sprunggelenk rechts.

Soweit steht der Sachverhalt im Berufungsverfahren unbekämpft fest (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).

Mit Bescheid vom 11.10.2023 hat die Beklagte dem Kläger für die Unfallfolgen nach Abschluss des unfallbedingten Heilverfahrens ab 1.9.2023 eine Dauerrente im Ausmaß von 60 % der Vollrente (netto EUR 1.661,33, darin EUR 276,89 Zusatzrente) zuerkannt.

Gegen diesen Bescheid erhebt der Kläger eine rechtzeitige Bescheidklage mit dem Begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm ab dem 1.9.2023 eine Versehrtenrente als Dauerrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Dazu brachte er zusammengefasst vor, aufgrund der massiven unfall(folgen)bedingten Einschränkungen und Schmerzen sei die dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit ab dem Stichtag mit 90 % (siehe die entsprechende Klarstellung nach Erörterung in ON 27 S 2) anzunehmen.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und wiederholte ihren bereits im bekämpften Bescheid vertretenen Standpunkt, eine 60 % übersteigende Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nach Abschluss des unfallbedingten Heilverfahrens nicht vor.

Mit dem bekämpften Urteil wiederholte das Erstgericht in Spruchpunkt 1. [unvollständig: siehe unten Punkt 3.] den angefochtenen Bescheid und wies das darüber hinausgehende Klagebegehren in Spruchpunkt 2. ab. Dieser Entscheidung legte es den eingangs zusammengefasst referierten Sachverhalt sowie folgende, soweit im Berufungsverfahren umkämpft in Fettdruck hervorgehobene, mit (A) und (B) bezeichnete Feststellungen zugrunde:

Mit den Unfallfolgen geht eine eingeschränkte Gehleistung einher. Der Kläger hat eine Peroneusschiene und verwendet zudem zwei Stützkrücken. (A) Die Wadenmuskulatur rechts beginnt ab einer Gehstrecke von ca 200 m zu schmerzen; der Kläger muss dann stehenbleiben, damit sich der Muskel wieder erholen kann, was ca zwei Minuten dauert; die Schmerzen verschwinden dann und er kann wieder eine Strecke von 200 m gehen. In der Folge treten die Schmerzen wieder auf, wobei der Kläger das beschriebene Prozedere wiederholt fortsetzen kann, wenn er die Pause dazwischen einlegt. Im Ruhezustand ist die Durchblutung völlig normal; ein Ruheschmerz besteht nicht. Der Kläger kann Treppen steigen sowie sitzen und stehen, auch das Heben, Tragen und Bücken ist nicht beeinträchtigt. Wenn er aber längere Zeit statisch sitzt, kann das herunterhängende Bein bereits nach einer halben Stunde anschwellen und blau anlaufen. (B) Diesfalls ist dann ein Hochlagern des Beins für 5 bis 10 min oder ein Wechsel der Körperhaltung (zB aufstehen) sinnvoll, in der Folge kann er wieder im Sitzen arbeiten. Auch durch die Anpassung eines Kompressionsstrumpfs kann der Schwellung entgegengewirkt bzw vorgebeugt werden. Das Anschwellen des Beins kann Schmerzen verursachen.

In der Beweiswürdigung (US 5-6) führte das Erstgericht auszugsweise wörtlich aus:

„Die medizinischen Feststellungen und Schlussfolgerungen sowie die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergeben sich aus den schriftlichen Gutachten in Verbindung mit den mündlichen Ausführungen der langjährigen und erfahrenen gerichtlich zertifizierten Sachverständigen […].

[…] so darf nicht außer Acht gelassen werden, [dass] es sich bei der Einschätzung der MdE um eine rechtliche Beurteilung handelt […]

Die Sachverständigen […] haben die Sachverhaltsgrundlage und die entsprechenden Einschätzungen betreffend den Minderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die rechtlichen Einordnung tadellos vorbereitet, welche Ausführungen für den Senat in sich völlig schlüssig [und] überzeugend [waren].

[…] welche Ausführungen [des Sachverständigen für Orthopädie, Traumatologie und Unfallchirurgie] samt Angabe der jeweiligen Minderungen in Prozenten den Senat überzeugten, weil sie auch im Einklang standen mit der vom Sachverständigen dargestellten und offengelegten medizinischen Literatur und seiner medizinischen Expertise und Erfahrung, welche hier gerade nicht für eine Addition der einzelnen Werte spricht, was der Sachverständige auch einleuchtend – an Hand von Beispielen – erläuterte und in Relation setzte. Insgesamt war daher die Bewertung der gesamthaften unfallkausalen Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit 60 % ab dem 1.9.2023 unter Berücksichtigung von Überschneidungen und Überlagerung medizinisch überzeugend und der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen.“

Die rechtliche Beurteilungdes Erstgerichts (US 6-7) lautet – nach allgemeiner Darstellung der Bestimmung des § 203 ASVG – wörtlich:

„Aus den gegenständlich getroffenen medizinischen Feststellungen in Verbindung mit den tatsächlichen Einschränkungen des Klägers besteht bei ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25.3.2022 eine unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Ausmaß [von] 60 % auf Dauer, wie bereits im angefochtenen Bescheid gewährt. Deshalb war das auf die Zuerkennung einer höheren Versehrtenrente gerichtete Klagebegehren abzuweisen und der Inhalt des Bescheids zu wiederholen.“

Gegen diese Entscheidung wendet sich die rechtzeitige Berufung des Klägers aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer fristgerechten Berufungsbeantwortung , dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Da die Durchführung einer Berufungsverhandlung nach Art und Inhalt der geltend gemachten Rechtsmittelgründe nicht erforderlich ist, war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Dabei erweist sie sich aus folgenden Erwägungen als nicht berechtigt :

1. Zur Beweisrüge:

1.1. Der Berufungswerber begehrt anstelle der bekämpften Sachverhaltsannahmen folgende Ersatzfeststellungen:

(Zu A) „Der Kläger kann infolge seiner gefäßchirurgischen Beeinträchtigungen nur rund 100 m am Stück gehen, bevor starke Schmerzen in der rechten Wade eine längere Unterbrechung erforderlich machen. Zudem gerät er durch den venösen Rückstau rasch außer Atem, was ihn zu zusätzlichen Pausen zwingt.“

(Zu B) „Eine längere sitzende Tätigkeit ist dem Kläger nur für wenige Minuten zumutbar, da es bereits nach kurzer Zeit zu belastenden Schmerzen infolge venöser Stauung und zunehmender Schwellung kommt. Dabei weist der betroffene Fuß jeweils starke blaue Verfärbungen auf und muss hochgelagert werden, um die Blutzirkulation zu gewährleisten. Der verwendete Kompressionsstrumpf bringt keine wirksame Besserung, da er aufgrund der anatomischen Verhältnisse des Klägers nur unzureichend angepasst werden kann.“

Die bekämpften Feststellungen stünden im Widerspruch zu den gutachterlichen Ausführungen und den Angaben des Klägers. Tatsächlich könne er lediglich rund 100 m gehen, bevor er aufgrund massiver gefäßbedingter Schmerzen gezwungen sei, eine längere Pause zu machen. Eine sitzende Position könne er nur für wenige Minuten einnehmen. Zudem zeigten die verwendeten Heilbehelfe, insbesondere der Kompressionstrumpf, keine Wirkung. Die Ersatzfeststellungen seien entscheidungswesentlich, weil sie unmittelbare Auswirkungen auf die Beurteilung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit hätten.

1.2. Der beigezogene gefäßchirurgische Sachverständige erläuterte anlässlich der mündlichen Erörterung seines Gutachtens anschaulich die Einschränkung der Gehleistung des Klägers, soweit sie sein Fachgebiet betrifft, wobei er ausdrücklich und nachvollziehbar begründet von einer bewältigbaren Gehstrecke von 200 m am Stück, einer erforderlichen (Steh-)Pause von etwa zwei Minuten und sodann der Möglichkeit der (mehrmaligen) Wiederholung dieses Vorgangs ausging (ON 27 S 2-3).

Der unfallchirurgische Sachverständige, der die Gesamteinschätzung vornahm und im Zuge dessen auch die gefäßchirurgische Erörterung, die er mitangehört hatte, einbezog, wies in der Folge darauf hin, dass auch die Einschränkungen im Knie- und Sprunggelenk zu einer Verkürzung der Gehstrecke und einem abnormen Gangbild führen würden, genau diese Funktionseinbuße aber auch durch die vom gefäßchirurgischen Sachverständigen befundete arterielle Verschlusskrankheit beschrieben werde; das bedeute, dass die einzelnen Funktionsstörungen doppelt abgebildet würden, was bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden müsse (ON 27 S 5).

Das Erstgericht hat die mit (A) bezeichnete Feststellung somit völlig zu Recht auf der Grundlage der miteinander zwanglos in Einklang zu bringenden Ausführungen der genannten Sachverständigen getroffen. Demgegenüber vermag der Berufungswerber kein Beweisergebnis zu nennen, auf das er die gewünschten Ersatzfeststellungen erfolgreich stützen könnte. Der in der Beweisrüge bloß allgemein unterstellte Widerspruch zwischen bekämpfter Feststellung und gutachterlichen Ausführungen besteht nicht; vielmehr findet erstere vollinhaltlich Deckung in letzteren.

Soweit das Rechtsmittel ferner mit Angaben des Klägers argumentiert, ist festzuhalten, dass dieser einerseits auf seine Einvernahme durch das Erstgericht ausdrücklich verzichtet (ON 27 S 7) und andererseits im Rahmen der Anamneseerhebung durch den gefäßchirurgischen Sachverständigen selbst angegeben hat, beim Gehen nach ungefähr einer Strecke von 100 bis 200 m Schmerzen in der oberen Wade zu verspüren (ON 19 S 7). Auch aus diesem Blickwinkel zeigt die Beweisrüge sohin kein Beweisergebnis auf, das geeignet wäre, die anstelle der mit (A) bezeichneten Sachverhaltsannahme gewünschten Ersatzfeststellungen insbesondere zur Gehstrecke zu begründen.

1.3. Auch die weiters bekämpften, oben mit (B) bezeichneten Feststellungen finden durchwegs Deckung in den Ergebnissen der mündlichen Gutachtenserörterung mit dem gefäßchirurgischen und dem unfallchirurgischen Sachverständigen. Ersterer nahm dabei insbesondere auch die – vom Erstgericht übernommene – schlüssig begründete zeitliche Einschätzung dahin vor, wie lange der Kläger durchgehend sitzen kann und wie lange er sein Bein im Anschluss hochlagern muss, bis ihm wieder eine sitzende Tätigkeit möglich ist (ON 27 S 4-5). Dem Berufungswerber gelingt es nicht darzustellen, weshalb sich das Erstgericht nicht auf diese unmissverständlichen gutachterlichen Ausführungen hätte stützen dürfen, geschweige denn ein anderes Beweisergebnis aufzuzeigen, das geeignet wäre, eine höhere innere Wahrscheinlichkeit für eine andere Sachverhaltsgrundlage zu begründen.

1.4.In seinen weiteren Ausführungen in der Beweisrüge (RMS 3-4) wendet sich der Berufungswerber ferner gegen die Annahme einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von (nur) 60 % und strebt stattdessen die Zugrundelegung einer solchen in Höhe von 90 % an. Damit gibt das Rechtsmittel hinreichend deutlich zu erkennen, dass es davon ausgeht, bei den oben zitierten Ausführungen in der Beweiswürdigung handle es sich um dislozierte Feststellungen, die – neben den mit (A) und (B) bezeichneten Sachverhaltsannahmen – erkennbar ebenfalls mit Beweisrüge bekämpft werden sollen. Das ist auch insoweit konsequent, als die Frage, inwieweit die Erwerbsfähigkeit aus medizinischer Sicht gemindert ist, zum Tatsachenbereich gehört (RIS-Justiz RS0043525; RS0086443 [T5]). Die sogenannte medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet im Allgemeinen auch die Grundlage für deren rechtliche Einschätzung, wenn ein Abweichen davon unter besonderen Umständen nicht geboten ist (RIS-Justiz RS0086443 [T1, T6]; siehe auch unten Punkt 2.2.). Vor diesem Hintergrund kann der undifferenzierten Annahme in der bekämpften Entscheidung, bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit handle es sich um eine rechtliche Beurteilung (US 5), nicht beigepflichtet werden.

Für den Berufungswerber ist daraus jedoch nichts gewonnen, weil die oben wiedergegebenen Ausführungen in der Beweiswürdigung zwanglos als – dislozierte (RIS-Justiz RS0043110 [T3]) – Feststellungen einer medizinischen Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % zu verstehen sind und als solche völlig unbedenklich aufgrund der vorliegenden Gutachtensergebnisse getroffen werden konnten:

Wie das Erstgericht zutreffend erkannte und ausführlich darlegte (US 5-6), beschäftigte sich der mit der Vornahme einer medizinischen Gesamteinschätzung beauftragte unfallchirurgische Sachverständige eingehend mit der Frage der Überschneidung der den unterschiedlichen Unfallfolgen zuzuordnenden Prozentwerten. Unter Berücksichtigung seines eigenen Gutachtens sowie der Ausführungen der weiters beigezogenen Sachverständigen aus den Fachgebieten der Gefäßchirurgie und der Neurologie gelangte er zu einer abschließenden, den Überschneidungen Rechnung tragenden Einschätzung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 1.9.2023 im Ausmaß von 60 % (ON 27 S 5 ff).

Die Argumentation des Berufungswerbers, die auf eine reine Addition der einzelnen Werte und damit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 % abzielt (vgl dazu die exemplarische Aufzählung der Werte in US 6), greift zu kurz. Wie der unfallchirurgische Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erörterung seines Gutachtens nachvollziehbar erläuterte (und insoweit auch einen sinnstörenden Tippfehler in seinem schriftlichen Gutachten korrigierte: ON 27 S 5 ff iVm ON 11 S 49) wären nämlich bei bloßer Addition einzelne Funktionsstörungen doppelt abgebildet, weshalb es erforderlich ist, diese Doppeleffekte „herauszurechnen“, nicht zuletzt um kein Missverhältnis im Vergleich mit dem Amputationswert, der zwangsläufig auf stärkeren Funktionseinschränkungen beruht, herbeizuführen. Der Sachverständige verdeutlicht dies beispielhaft am „Überlagerungseffekt“ bei der Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk, die sowohl eine neurologisch (Nervenschädigung) als auch traumatologisch festzustellende Funktionseinbuße darstellt, für die deshalb aber nicht der doppelte Wert anzusetzen ist. Ähnliches gilt (siehe bereits oben Punkt 1.2.) für das Gangbild (Verkürzung der Gehstrecke), das wiederum einerseits durch die Einschränkungen im Knie- und Sprunggelenk und andererseits durch die arterielle Verschlusskrankheit bedingt ist, auch diese Funktionseinbuße aber (nur) in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen ist. Diese gutachterlichen Ausführungen tragen dem Grundsatz Rechnung, dass die medizinische „Gesamt-MdE“ bei in verschiedene medizinische Fachgebiete fallenden Fragen nicht einfach durch Zusammenrechnung der aus Sicht der einzelnen Fachgebiete anzunehmenden Prozentwerte, sondern vielmehr durch eine Gesamtwürdigung der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der verschiedenen Funktionsstörungen zu ermitteln ist ( vgl Fellinger/I. Faberin SV-Komm § 205 ASVG Rz 7; 10 ObS 2/92).

Diesen Prämissen folgend durfte das Erstgericht auf Grundlage der ärztlichen Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen (vgl RIS-Justiz RS0086443 [T2]) die medizinische Gesamteinschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ab 1.9.2023 sohin unbedenklich mit 60 % zugrunde legen.

Soweit sich der Berufungswerber auf eine abweichende Einschätzung im anstaltsärztlichen gefäßchirurgischen Gutachten stützt, genügt der Hinweis auf die diesbezüglichen Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Gefäßchirurgie, in denen dieser schlüssig darlegte, aus welchen Gründen er die anstaltsärztliche Einschätzung nicht teilte (ON 27 S 3).

Die Beweisrüge dringt daher auch insoweit nicht durch, als sie sich erkennbar gegen die dem Tatsachenbereich zuzuordnende Feststellung der (medizinischen Gesamt-)Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 % wendet.

2. Zur Rechtsrüge:

2.1. Als sekundären Feststellungsmangel (RMS 4-5) rügt der Berufungswerber das Fehlen von konkreten Sachverhaltsannahmen zu den Einschränkungen in den „medizinisch festgestellten Einzelfunktionen“, die nach seinem Standpunkt in der gewünschten Feststellung münden müssten, es liege infolge der unfallkausalen körperlichen Beeinträchtigungen in Summe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 90 % vor.

Zumal der Berufungswerber mit diesen Rechtsmittelausführungen wiederum auf die medizinische (Gesamt-)Minderung der Erwerbsfähigkeit abstellt und diese wie dargestellt zum Tatsachenbereich gehört, kann er sich nicht erfolgreich auf eine sekundäre Mangelhaftigkeit berufen. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren. Werden aber zu einem bestimmten Thema – wie hier zur medizinischen (Gesamt-)Minderung der Erwerbsfähigkeit, obgleich disloziert, positive – Feststellungen getroffen, so können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0053317 [T1, T3]).

Ergänzend ist den Rechtsmittelausführungen zu entgegnen, dass das Erstgericht sich eingehend mit den Unfallfolgen und deren Auswirkungen beschäftigt und auf Grundlage der ärztlichen Gutachten insgesamt eine vollständige Tatsachengrundlage erarbeitet hat. Von der pauschalen Annahme einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 %, die ohne nachvollziehbare Begründung erfolgt sei, kann daher keine Rede sein.

2.2. In der Rechtsrüge im engeren Sinn moniert der Berufungswerber, das Erstgericht habe eine sachgerechte Gesamtschau unter Berücksichtigung möglicher Überschneidungen unterlassen. Die rechtliche Bewertung der medizinischen Einschränkungen sei vage und ohne ausreichende Subsumtion unter die anzuwendenden Normen geblieben. Dies führe zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des Leistungsanspruchs des Klägers, weshalb die bekämpfte Entscheidung bereits aus diesem Grund im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern sei.

In der Rechtsrüge muss bestimmt begründet werden, warum der festgestellte Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde. Es fehlt daher an einer gesetzmäßigen Ausführung, wenn sich der Berufungswerber – wie hier – auf die bloße und nicht weiter ausgeführte Behauptung beschränkt, das Erstgericht habe die Sache rechtlich unrichtig beurteilt (vgl RIS-Justiz RS0043312 [T9, T13]; RS0043605). Der Rechtsrüge im engeren Sinn ist weder zu entnehmen, welche „sachgerechte Gesamtschau“ das Erstgericht hätte vornehmen sollen noch welche Norm(en) es unrichtig angewendet hätte. Vor diesem Hintergrund kommen die Rechtsmittelausführungen einer bloß pauschalen und daher in der Sache begründungslosen Rechtsrüge sehr nahe, weshalb das Rechtsmittel in diesem Punkt nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (vgl RIS-Justiz RS0043605 [T5]).

Davon abgesehen könnte die Rechtsrüge im engeren Sinn selbst bei inhaltlicher Behandlung nicht durchdringen:

Richtig ist, dass dem Gericht die Aufgabe obliegt, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nachzuprüfen, ob die medizinische Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zutreffen kann oder ob dabei wichtige Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden, weshalb ein Abweichen (im Sinn einer Erhöhung) von der medizinischen Einschätzung etwa zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist. Die Entscheidung, ob ein solcher Härtefall vorliegt, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung. Nach der Rechtsprechung ist ein Härtefall aber nur zu bejahen, wenn den Versehrten infolge der unfallbedingten Aufgabe oder erheblichen Einschränkung der bisherigen Tätigkeit beträchtliche Nachteile in finanziell-wirtschaftlicher Hinsicht treffen und ihm eine Umstellung auf andere Tätigkeiten unmöglich ist oder ganz erheblich schwer fällt, wobei im Interesse der Vermeidung einer zu starken Annäherung an eine konkrete Schadensberechnung ein strenger Maßstab anzulegen ist. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls, etwa einer spezialisierten Berufsausbildung, die eine anderweitige Verwendung, bezogen auf das gesamte Erwerbsleben, praktisch gar nicht zulässt oder in weit größerem Umfang einschränkt als in durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen, könnte von einem besonders zu berücksichtigenden Härtefall gesprochen werden (RIS-Justiz RS0086442 [T5]; RS0043587 [T6, T8]; Fellinger/I. Faber aaO Rz 18). Da im hier zu beurteilenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser restriktiven Voraussetzungen (verneint zuletzt etwa bei einem Profi-Schirennläufer [10 ObS 6/09v] und einer Koloratur-Sopranistin [10 ObS 63/10b]) vorliegen und vom Berufungswerber weder im erstinstanzlichen Verfahren behauptet wurden noch Gegenstand des Rechtsmittels sind, kann der Rechtsrüge auch aus diesem Blickwinkel kein Erfolg beschieden sein.

3. Somit dringt die Berufung insgesamt nicht durch. Allerdings entspricht die Entscheidung des Erstgerichts nicht ganz der Rechtslage:

§ 71 Abs 2 Satz 1 erster Halbsatz ASGG stellt klar, dass dem Versicherungsträger im gerichtlichen Verfahren die Bestreitung des von ihm im bekämpften Bescheid zuerkannten Anspruchs bzw Anspruchsteils verwehrt ist, indem das Gesetz die zwingende und nicht ausschließbare Fiktion eines unwiderruflichen Anerkenntnisses vorsieht. Die als unwiderruflich anerkannt anzusehende Leistungsverpflichtung ist von Amts wegen in den Urteilsspruch aufzunehmen, gegebenenfalls im Sinn einer Maßgabenbestätigung ( Neumayrin ZellKomm³ § 71 ASGG Rz 4; Sonntag in Köck/SonntagASGG § 71 Rz 25; RIS-Justiz RS0089217; RS0085721; 10 ObS 111/15v; 10 ObS 59/02b).

Das Erstgericht ist demzufolge völlig zutreffend davon ausgegangen, dass es den angefochtenen Bescheid in Spruchpunkt 1. seiner Entscheidung zu wiederholen hat (vgl die diesbezüglichen Ausführungen am Schluss der rechtlichen Beurteilung US 7). Dabei hat es allerdings – offenkundig unbeabsichtigt – die Anführung des im Verfahren durchwegs unstrittigen und auch dem Klagebegehren zugrunde gelegten Stichtags (1.9.2023) unterlassen. Diese irrtümliche, berichtigungsfähige Auslassung hat das Berufungsgericht amtswegig im Rahmen einer Maßgabebestätigung nachzutragen. Damit ist aber auch der von der Beklagten gestellte, vom Erstgericht unbehandelt gebliebene Antrag auf Urteilsergänzung (ON 33) hinfällig.

4.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Demnach findet ein Kostenersatz im Rechtsmittelverfahren in Sozialrechtssachen im Fall der Erfolglosigkeit des Versicherten dem Grunde und der Höhe nach nur nach Billigkeit statt. Ein Billigkeitskostenzuspruch erfordert aber, dass das Verfahren besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist und die wirtschaftliche Situation des Versicherten einen Kostenersatz zudem rechtfertigt. Im konkreten Fall scheidet ein Kostenzuspruch an den Kläger bereits deshalb aus, weil sich das Berufungsverfahren weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht als besonders komplex erwies. Angespannte wirtschaftliche Verhältnisse behauptete der Kläger zudem nie (RIS-Justiz RS0085829).

5.Rechtsfragen, welche die von § 502 Abs 1 ZPO geforderte Qualität erreichen, waren nicht zu beantworten. Somit ist auszusprechen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500 Abs 2 Z 3 und 502 Abs 5 Z 4 ZPO).