JudikaturOLG Innsbruck

11Bs62/25t – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6.11.2024, ** 21, nach der am 17.6.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. a Egger, des Oberstaatsanwaltes Mag. Willam, des Angeklagten und dessen Verteidigers RA Dr. Gernot Winkler öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag zu Recht erkannt:

Spruch

Auf die Berufung wegen Nichtigkeit wird k e i n e Rücksicht genommen.

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird n i c h t Folge gegeben.

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird F o l g egegeben, die Anwendung des § 43a Abs 2 StGB aus dem angefochtenen Urteil ausgeschieden und in Anwendung des § 37 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 600 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 300 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt.

Die Höhe des Tagessatzes wird mit EUR 20,-- bemessen.

Gemäß § 43a Abs 1 StGB wird ein Teil der Geldstrafe von 240 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (zu 1.) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (zu 2.) schuldig erkannt.

Demnach hat er „in **

Hiefür verhängte die Einzelrichterin über den Angeklagten nach § 107 Abs 2 StGB unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 43a Abs 2 StGB eine unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von vier Monaten und eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen à EUR 20,--, verpflichtete den Angeklagten gemäß §§ 366 Abs 2 erster Satz iVm 369 Abs 1 StPO zur Zahlung eines Teilschmerzengeldes von EUR 500,-- binnen 14 Tagen an die Privatbeteiligte B* und verurteilte ihn gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens.

Gegen dieses Urteil meldete der anwaltlich vertretene Angeklagte fristgerecht Berufung wegen Nichtigkeit und der Aussprüche über die Schuld und die Strafe an (ON 22). Zur Ausführung dieses Rechtsmittels wurde dem (gewählten) Verteidiger des Angeklagten am 28.1.2025 das Urteil zugestellt. Noch während laufender Rechtsmittelfrist beantragte der Angeklagte am 13.2.2025 ua die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (ON 25), der ihm mit Beschluss vom 17.2.2025 für das Rechtsmittelverfahren auch beigegeben wurde (ON 1.24). Der Ausschuss der ** Rechtsanwaltskammer bestellte daraufhin mit Bescheid vom 19.2.2025, Stv. 107/25, Rechtsanwalt Dr. Thomas Kaufmann zum Verfahrenshilfeverteidiger (ON 26). Diesem wurde das Urteil vom 6.11.2024 über Verfügung der Erstrichterin (ON 1.24) am 21.2.2025 nochmals zugestellt. Der Verfahrenshilfeverteidiger übermittelte am 20.3.2025 die Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und Strafe (ON 29). Der gewählte Verteidiger führte die angemeldete Berufung nicht aus. Vielmehr teilte er am 10.3.2025 über Anfrage mit, dass das Vollmachtsverhältnis zum Angeklagten aufgelöst worden sei, ohne diesbezüglich ein näheres Datum bekanntzugeben (ON 28).

Gemäß § 63 Abs 2 StPO hat die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses keinen Einfluss auf eine bereits laufende Frist des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der (Wahl-)Verteidiger in diesem Fall weiterhin die Interessen des Beschuldigten (hier: Angeklagten) zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, es sei denn, dieser hätte ihm dies ausdrücklich untersagt. Gleiches gilt für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers, weil § 63 Abs 1 StPO Fälle bereits erfolgter Zustellung an den Wahlverteidiger nicht umfasst (RIS-Justiz RS0125686 [T1]; Soyer/Schumann in Fuchs/Ratz, WK StPO § 63 Rz 9).

Die Ausführung der Berufung erweist sich als verspätet, weil die hiefür gesetzlich vorgesehene vierwöchige Frist (§ 285 Abs 1 StPO) mit Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger zu laufen begann und demnach am 25.2.2025 endete.

In der Berufungsverhandlung führte der Verfahrenshilfeverteidiger die Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe wie schriftlich (ON 29) aus und beantragte, den Angeklagten freizusprechen, in eventu die Strafe schuld- und tatangemessen herabzusetzen.

Die Oberstaatsanwaltschaft vertrat in ihrer Stellungnahme den Standpunkt, dass auf die lediglich angemeldete Berufung wegen Nichtigkeit keine Rücksicht zu nehmen sei und der Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe nicht Folge zu geben sein werde.

Rechtliche Beurteilung

Nur der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt Berechtigung zu.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft war auf die Berufung wegen Nichtigkeitgemäß § 489 Abs 1 iVm § 489 Abs 2 erster Satz StPO keine Rücksicht zu nehmen, weil der Angeklagte bei der Anmeldung der Berufung keine Nichtigkeitsgründe geltend gemacht hat. Von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe haften dem Urteil nicht an.

Aufgrund der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld unterzog der Berufungssenat die erstrichterlichen entscheidenden Sachverhaltsannahmen einer Überprüfung anhand des Akteninhalts und erachtet diese für unbedenklich. Unter Verwertung des persönlichen Eindrucks, den sich die Erstrichterin im Rahmen der Hauptverhandlung vom Angeklagten und der Zeugin B* verschaffen konnte, legte sie ausführlich, schlüssig und lebensnah dar, weshalb sie der leugnenden Verantwortung des Angeklagten keinen Glauben schenkte, sondern ihre Feststellungen auf die Aussagen der genannten Zeugin in Zusammenschau mit den im Akt erliegenden Übersetzungen der Nachrichten (ON 2.9.1, ON 17.2.7, ON 17.3.1 und ON 20, 4 f samt Beilage 2) stützte.

Die Erstrichterin konnte anhand des von ihr anschaulich dargelegten Eindrucks, den der Angeklagte in der Hauptverhandlung vermittelte (US 5 f), in Zusammenschau mit den Aussagen der Zeugin B* entgegen den Berufungsausführungen bedenkenlos davon ausgehen, dass der Angeklagte der Übermittler der inkriminierten Nachrichten war. So wies die Zeugin B* wiederholt darauf hin, dass sie gleichgelagerte Anrufe von ihrem Mann erhalten habe (ON 2.6 und ON 20, 6), wodurch sie die Stimme erkannt habe. Vor diesem Hintergrund ist auch die Verantwortung des Angeklagten, wonach sich das Opfer die Drohungen selbst übermittelt haben soll (ON 2.6 und ON 20, 3), nicht überzeugend und konnte die Erstrichterin diese Aussage zu Recht als reine Schutzbehauptung werten. Dem weiteren Berufungsvorbringen, wonach mit der Sprachnachricht vom Oktober 2024 eine andere Frau gemeint sei, der Name seiner Frau darin nicht genannt werde, steht entgegen, dass sich dieser Mitteilung kein Name entnehmen lässt, sondern nur von „Schlampe“ etc die Rede ist und der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht in der Lage war, den Namen der anderen Frau zu benennen (ON 20, 6); dass diese Nachricht von ihm selbst stammt, gesteht der Angeklagte ohnehin zu (ON 20, 5). Soweit der Berufungswerber Kritik an der Übersetzung bzw der Bedeutung der Lossagungsbestätigung übt, ist ihm zu erwidern, dass der Übersetzer durchaus auf Besonderheiten im irakischen Dialekt eingegangen ist (ON 17.3.1, 1). Zudem orientiert sich die Behauptung des Angeklagten, wonach die Dolmetscherin in der Hauptverhandlung selbst angemerkt habe, dass ihr die Übersetzung sehr schwer falle, nicht korrekt am Protokoll, das über den Verlauf und Inhalt der Hauptverhandlung angefertigt wurde. Danach fiel der Dolmetscherin die Übersetzung nur deshalb schwer, weil der Angeklagte wirr spricht, tausend Themen anschneidet und die Sätze nicht zu Ende ausführt (ON 20, 8).

Der Berufungssenat teilt die in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen der Erstrichterin jedenfalls ausdrücklich und hegt auch keine Zweifel daran, dass der Angeklagte mit dem jeweils erforderlichen Vorsatz gehandelt hat, dessen Vorliegen die Erstrichterin mit der lebensnahen Wertung des objektiven Tatgeschehens überzeugend bejahte.

Zur Strafberufung:

Zur Person stellte die Erstrichterin fest, dass dieser irakischer Staatsangehöriger und verheiratet sei. Als Elektriker verdiene er monatlich EUR 2.200,-- bis EUR 2.400,-- netto, dies 14 Mal jährlich. Er habe kein Vermögen, jedoch Schulden von EUR 7.000,--, welche er in monatlichen Raten à EUR 700,-- tilge. Er sei für niemanden sorgepflichtig. Die österreichische Strafregisterauskunft weise keine Eintragungen auf.

Bei der Strafbemessung wertete sie das Zusammentreffen von mehreren Vergehen sowie den Umstand, dass sich die strafbaren Handlungen gegen einen Angehörigen im Sinn des § 72 StGB richteten, erschwerend; mildernd berücksichtigte sie den bisher ordentlichen Lebenswandel und dass die gegenständlichen Taten mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten in auffallendem Widerspruch stehen.

Der Berufung zuwider wurden die Strafzumessungsgründe vom Erstgericht nicht vollständig erfasst. Als weitere erschwerende Umstände sind die teilweise Begehung während anhängigen Verfahrens (kriminalpolizeiliche Beschuldigtenvernehmung am 22.5.2024 [ON 2.5]; vgl RIS-Justiz RS0091048) und die - nach den unbedenklichen Festellungen (US 4) - durch die abgeurteilten Taten beim Opfer verursachten krankheitswertigen Beeinträchtigungen in Anschlag zu bringen, worauf die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist.

Trotz der ausschließlich zu Lasten des Angeklagten ergänzten Strafzumessungsgründe ist unter weiterer Berücksichtigung allgemeiner Strafbemessungskriterien des § 32 StGB bei einem heranzuziehenden Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht verhängte Strafenkombination in Übereinstimmung mit der Berufung eine etwas zu strenge Sanktion, weshalb bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs 1 StGB, gegen dessen Anwendung infolge des bisher ordentlichen Lebenswandels trotz des Zusammentreffens von mehreren Vergehen keine spezialpräventiven Gründe sprechen, eine Geldstrafe von 600 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 300 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, zu verhängen war. Eine Geldstrafe in dieser Höhe reflektiert das Tatunrecht hinreichend und trägt der Täterpersönlichkeit und präventiven Erwägungen Rechnung.

Angesichts des Verschlechterungsverbots (§ 16 StPO) waren 240 Tagessätze (entspricht 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) gemäß § 43a Abs 1 StGB bedingt nachzusehen ( Ratz, WK-StPO § 290 Rz 43 ff).

Mit Blick auf den Umstand, dass der Strafausspruch lediglich abgeändert und nicht kassiert wurde, bleibt unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögenssituation des Angeklagten zum Zeitpunkt des Urteils erster Instanz (Michel- Kwapinski/Oshidari, StGB 15§ 19 Rz 10; RIS-Justiz RS0090412 [T5]) die Höhe des Tagessatzes von EUR 20,-- unverändert. Allerdings steht es dem Berufungswerber wegen seiner nunmehrigen Arbeitslosigkeit (ON 25, insb. S 10) frei, beim Erstgericht eine Minderung der Tagessatzhöhe zu beantragen (§ 31a Abs 2 StGB; zur amtswegigen Berücksichtigung der nicht bloß unerheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch das Erstgericht vgl im Übrigen § 410 Abs 1 StPO).

Der Kostenausspruch ist Folge des Ausgangs des Rechtsmittelverfahrens und stützt sich auf die angeführte Gesetzesstelle.