JudikaturOLG Graz

3R121/25a – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
06. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Tanczos (Vorsitz) und die Richterinnen Dr in . Lichtenegger und Mag a . Binder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, wider die beklagte Partei B * , geboren am **, **, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen EUR 32.769,41 samt Anhang (Berufungsstreitwert: EUR 11.411,00 samt Anhang) in nichtöffentlicher Sitzung über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 15. Mai 2025, **-96, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit EUR 1.433,82 (darin EUR 238,97 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSgründe:

Der Kläger bewirtschaftet als Landwirt die von ihm gepachteten Grundstücke Nr. 471 und 472, EZ C* GB **. Der Beklagte ist grundbücherlicher Alleineigentümer der Liegenschaft EZ D* Grundbuch **, bestehend aus dem Grundstück Nr. 500/1. Die Grundstücke grenzen direkt aneinander.

Am Grundstück des Beklagten befindet sich eine Güllegrube mit ca 9 m Durchmesser und 4,5 m Tiefe. Die Grube ist mit Beton umrandet. Von der Güllegrube weg fällt das Gelände zunächst leicht in Richtung Süden/Südosten ab, danach schließt eine steile Böschung an. Unterhalb der Böschung befindet sich das Grundstück des Klägers, auf dem dieser Heidelbeeren anbaut.

In den Jahren 2017 und 2019 kam es am klägerischen Grundstück zu vom Beklagtengrundstück ausgehenden Gülleeintritten. Die Ursache lag am Überlaufen der Güllegrube. Der Beklagte kannte diese und gab eine Versicherungsmeldung ab.

Östlich des Stallgebäudes befinden sich am Grundstück des Beklagten drei Fahrsilos. Der oberste dieser drei Fahrsilos entwässert über eine Verrohrung direkt in die Güllegrube. Die beiden unteren Fahrsilos entwässern frei auslaufend in Richtung der Güllegrube und einer davor im Boden eingebauten Kastenrinne, die ebenfalls in die runde Güllegrube mündet.

Bei der Silierung des Grases in den Fahrsilos und dem danach folgenden Gärvorgang durch Milchsäurebakterien entsteht Sickersaft. Der Sickersaft (kontaminiertes Wasser) kann in den betonierten Fahrsilos nicht versickern und läuft über. Dieses biologisch kontaminierte Wasser wird bei Regen – je nach Regenstärke – teilweise mehr oder minder verdünnt. Der Abfluss des kontaminierten Wassers wird durch den Regen beschleunigt.

Die Güllegrube des Beklagten ist dicht. Sie dient primär der Speicherung von Gülle und nicht der Aufnahme großer Mengen an Regenwasser. Die Oberflächenentwässerung großer Anteile versiegelter Flächen, die in die Güllegrube einmünden, ist aus (wasser-)bautechnischer Sicht problematisch. Das Überlasten einer Güllegrube durch zu großen Zufluss von Regenwässern entspricht nicht dem Stand der Technik und ist nicht betriebstypisch (ergänzend festgestellt aus dem Gutachten des Sachverständigen DI E* ON 61, Seite 5, RIS-Justiz RS0040083 [T1]; RS0121557 [T3]).

Am späten Nachmittag des 15. August 2021 (circa 16 bis 19 Uhr) kam es zu kräftigen Schauern mit etwa 10-15 mm (entspricht Liter/m²) Niederschlag. In der Nacht auf den 17. August 2021 regnete es noch ca 15 bis 20 mm. Der Großteil des Niederschlags fiel dabei im Zuge von gewittrigen Regengüssen jeweils in kurzer Zeit.

( F 1 ) Am 16. August 2021 war der Kläger mit seiner Gattin und seinem Hund auf seinem Grundstück spazieren. Unterhalb der oben beschriebenen Böschung versank er plötzlich in kontaminiertem Material, das vom Beklagtengrundstück auf das Grundstück des Klägers gelangt war. Bei dem kontaminierten Material handelt es sich um Silage aus den vom Beklagten betriebenen Fahrsilos, die vom Regenwasser aufgrund der starken Regenfälle auf das Klagsgrundstück geschwemmt wurde. Das Regenwasser gelangte teilweise auch von über dem Beklagtengrundstück gelegenen Grundstücken auf das Beklagtengrundstück und in der Folge samt Silage auf das Klagsgrundstück. Die Güllegrube lief an diesem Tag nicht über.

Durch den Eintritt des biologisch kontaminierten Wassers wurden Teile der Heidelbeerkultur des Klägers zerstört. Der Schaden wurde bislang nicht behoben. Mit der Wiederherstellung der Kultur werden voraussichtlich EUR 7.316,00 brutto an Kosten verbunden sein. Durch die Beschädigung ist dem Kläger unter der Annahme der sofortigen Wiederherstellung ein Ertragsverlust von EUR 4.095,00 (netto) entstanden, wobei der Ertragsverlust im ersten Jahr 100%, im zweiten Jahr 60% und im dritten Jahr 30% jenes Ertrages beträgt, der ohne Schaden erwirtschaftet werden hätte können.

Der Klägerbegehrt zuletzt vom Beklagten EUR 32.769,41 samt Anhang als Schadenersatz (darin EUR 21.215,41 an Kosten der Wiederherstellung der Heidelbeeranlage und EUR 11.514,00 an entgangenem Gewinn aufgrund der Unbenutzbarkeit der Anlage). Gestützt auf § 364 Abs 2 ABGB und § 364a ABGB analog behauptet er – soweit für dieses Berufungsverfahren von Bedeutung –, der Beklagte habe am 16. August 2021 Fäkalien auf sein Grundstück zugeleitet. Die am Beklagtengrundstück vorhandene Güllegrube sei defekt und daher übergegangen bzw undicht. Dies sei zuvor schon in den Jahren 2017 und 2019 passiert. Die Zuleitung resultiere daraus, dass der Beklagte seine Gülleanlage bzw sein Fahrsilo nicht konsensmäßig betreibe und entsprechende Auflagen nicht beachte. Die Zuleitung von Oberflächenwasser in die Güllegrube entspreche nicht dem Stand der Technik. Dem Beklagten sei der Eintritt weiterer Schäden durch die Zuleitung erkennbar gewesen. Er habe rechtswidrig und schuldhaft erforderliche Abwehrmaßnahmen unterlassen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage mit den für das Berufungsverfahren bedeutsamen Behauptungen, die Güllegrube sei weder übergegangen noch undicht. Das Schadenersatzbegehren sei unschlüssig. Der Kläger habe das schädigende Ereignis sowie den Kausal- und Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht konkret behauptet. Sämtliche Anlagen am Beklagtengrundstück seien konsensgemäß ausgeführt. Es sei kein Schaden eingetreten.

Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang . Mit dem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil vom 28. Dezember 2022 (ON 23) erkannte das Erstgericht den Beklagten schuldig, die direkte Zuleitung von Fäkalien von seinem Grundstück Nr. 500/1 KG ** auf die vom Kläger bewirtschafteten Grundstücke Nr. 471 und 472 KG ** zu unterlassen (Punkt 1.) und wies das Leistungsbegehren samt Anhang ab (Punkt 2.). Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 19. April 2023 (ON 30) wurde das Urteil im Punkt 1. als Teilurteil bestätigt. Im Umfang des Punktes 2. wurde es aufgehoben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen. Die Feststellungsgrundlage zur Beurteilung der Erkennbarkeit eines Schadenseintritts ausgehend von der Güllegrube für den Beklagten war nicht ausreichend.

Mit dem angefochtenen Urteilerkannte das Erstgericht den Beklagten schuldig, dem Kläger EUR 11.411,00 samt Zinsen nach § 456 UGB seit 30. Oktober 2021 zu zahlen und wies das Mehrbegehren auf Bezahlung weiterer EUR 21.358,41 samt Anhang ab.

Über den eingangs zusammengefassten Sachverhalt hinaus – kursiv geschriebene Passagen kennzeichnen bekämpfte Tatsachenfeststellungen – legte das Erstgericht dieser Entscheidung die auf den Seiten 3 und 4 des Urteils ersichtlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde, auf die das Berufungsgericht verweist.

In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht einen verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruch des Klägers, weil für den Beklagten die Schädigung des Klägers durch kontaminiertes Material ausgehend von den Fahrsilos nicht erkennbar gewesen sei. In Analogie zu § 364 a ABGB bestehe aber ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Klägers. Der Beklagte habe Fahrsilos errichtet, die zur Versiegelung großer Flächen am Beklagtengrundstück führten. Infolge fehlender Versickerungsmöglichkeiten habe sich das betriebstypische Risiko erhöht, dass bei starken Regenfällen mit Silage kontaminiertes Material auf das Klagsgrundstück gelangt. Dieses Risiko sei der Beklagte (bewusst oder unbewusst) eingegangen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten aus den Anfechtungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es in Abweisung der Klage abzuändern, in eventu es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und ergänzenden Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragte in seiner Berufungsbeantwortung , der Berufung nicht Folge zu geben.

Gemäß § 480 Abs 1 ZPO kann über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

A) Zur Beweisrüge:

Anstelle der kursiv hervorgehobenen bekämpften Tatsachenfeststellungen begehrt der Beklagte folgende Ersatzfeststellung:

„Unterhalb der oben beschriebenen Böschung versank er plötzlich in kontaminiertem Material, wobei nicht festgestellt werden kann, ob tatsächlich kontaminiertes Material vom Beklagtengrundstück abgeflossen ist bzw auch nicht festgestellt werden kann, ob das Regenwasser an diesem Tag durch Verunreinigungen am Beklagtengrundstück kontaminiert worden ist.“

Das Berufungsgericht erachtet die Beweiswürdigung des Erstgerichts, welcher der Berufungswerber keine stichhältigen Argumente und Beweisergebnisse entgegenhalten kann, für zutreffend (§ 500a ZPO; RIS-Justiz RS0122301). Auf seinen wesentlichen Einwand des Fehlens objektiver Beweisergebnisse für die vom Erstgericht getroffene Feststellung bedarf es daher nur folgender Erwiderung:

1. Nach dem Gutachten des dem Verfahren beigezogenen Sachverständigen DI E* sind drei mögliche Ursachen für die Kontaminationen am klägerischen Grundstück denkbar: der Übertritt von Gülle aus dem Tank infolge Ablassens von Gülle, das Überlaufen der Güllegrube infolge Zulaufens von Regenwasser von den versiegelten Flächen, oder das Abfließen von mit Silage kontaminiertem Regenwasser. Die Güllegrube konnte der Sachverständige als „dicht“ befunden. Ein Übertritt oder Überlaufen aus dieser scheidet unter Zugrundelegung der Aussagen des Beklagten und des Zeugen F* aus. Damit bleibt das Abfließen kontaminierten Regenwassers, das am Grundstück des Beklagten nicht versickern kann, weil zu große Anteile versiegelter Flächen eine Oberflächenentwässerung verhindern, als einzig mögliche Ursache für die Verunreinigungen.

2. Die bekämpfte Feststellung wird auch durch die Aussage des Klägers untermauert. Er beschrieb bereits im ersten Rechtsgang die Verunreinigungen auf seinem Grundstück, wiewohl er zu diesem Zeitpunkt noch davon ausging, es würde sich dabei um Gülle handeln. Der Erklärung des Erstgerichts, diese Angaben wären von den zweimaligen Gülleeintritten in den Jahren 2017 und 2019 geprägt gewesen, sodass der Kläger bei der Schilderung der Situation vom 16. August 2021 nicht zwischen „Gülle“ im eigentlichen Sinn und kontaminiertem Material aus den Fahrsilos unterschieden habe, ist schlüssig und gut nachvollziehbar. Die im ersten Rechtsgang getroffene Feststellung dahin zu konkretisieren, dass kontaminiertes Material das Grundstück des Klägers verunreinigt habe, ist nicht zu beanstanden.

Die bekämpfte Feststellung auf die genannten Beweisergebnisse zu stützen, ist unbedenklich. Für die begehrte (negative) Ersatzfeststellung bleibt kein Platz.

Das Berufungsgericht legt die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen, die zur rechtlichen Beurteilung ausreichen, gemäß § 498 ZPO seiner Entscheidung zugrunde.

B) Zur Rechtsrüge:

1. Die Rechtsrüge beschränkt sich auf die Behauptung, den Beklagten treffe keine Pflicht, dem Kläger Schadenersatz zu leisten. Seine Haftung wegen Verschuldens scheitere, weil der Bau des Fahrsilos behördlich genehmigt sei und er nicht wissen habe müssen, dass die Fahrsilos wasserbautechnisch nicht dem Stand der Technik entsprechen. Das Vorliegen einer behördlich genehmigten Anlage verhindere den Zuspruch eines verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs in Analogie zu § 364a ABGB.

2. Das Berufungsgericht erachtet die Rechtsrüge für nicht stichhältig, hingegen die damit bekämpfte rechtliche Beurteilung des angefochtenen Urteils für zutreffend. Gemäß § 500a ZPO ist dem Beklagten das Folgende zu entgegnen:

2.1. Landwirtschaftliche Betriebsanlagen, die in einem Verfahren nach dem Stmk BauG genehmigt werden, sind nicht als behördlich genehmigte Anlagen iSd § 364a ABGB zu qualifizieren (vgl OGH 10 Ob 19/22z).

2.2. Eine zu § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch eine Baubewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss. Trotz der anscheinend verlässlichen Vorsorge gegen Immissionen wird eine dennoch vorhandene Gefährlichkeit oft erst erkennbar, wenn der Eingriff in das Eigentumsrecht des Nachbarn bereits stattgefunden hat. In solchen Fällen hat die baubehördliche Bewilligung wie bei einer behördlichen Anlagegenehmigung iSd § 364 a ABGB „die tatsächliche Wirkung“ (OGH 7 Ob 129/19z; RIS Justiz RS0010668). Eine derart gleichartige Gefahrenlage ist insbesondere dann anzunehmen, wenn durch die auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführende Einleitung von Schadstoffen jede Unterlassungsklage zu spät käme, sodass sich der von dieser Einwirkung Betroffene in derselben Situation wie derjenige befindet, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (OGH 5 Ob 4/22g; RIS Justiz RS 0010550).

2.3. Der Beklagte errichtete - mit Zustimmung der Baubehörde – Fahrsilos, wodurch es zur Versiegelung einer großen Fläche seines Grundstücks kam. Der in den Silos durch den Gärvorgang (typischerweise) entstehende Sickersaft kann in diesen nicht versickern und läuft über. Der Abfluss des kontaminierten Wassers soll in die Güllegrube erfolgen (was aus wasserbautechnischer Sicht problematisch ist, weil die Güllegrube nicht der Oberflächenentwässerung großer Anteile versiegelter Flächen dient). Der Abfluss erfolgt aber zum Teil „frei laufend“ und wird durch Regen beschleunigt. Dadurch kam es am Vorfallstag, nach den Regenfällen vom 15. August 2021 dazu, dass kontaminiertes Material auf das Grundstück des Klägers gelangte und Schäden an der Heidelbeeranlage verursachte. Diese Schäden sind die adäquaten Folgen einer typischen Einwirkung ausgehend von den Fahrsilos. Bei Errichtung der Fahrsilos durfte der Kläger auf deren Gefahrlosigkeit vertrauen und eine Untersagung der Errichtung außer Betracht lassen. Dem Beklagten war es aber zumutbar dafür Sorge zu tragen, dass seinen Nachbarn aus diesen kein Nachteil erwächst, weshalb seine Ersatzpflicht für den an der Heidelbeeranlage eingetretenen Schaden zu bejahen ist. Die Interessenlage spricht für eine analoge Anwendung des § 364 a ABGB.

Die Berufung bleibt daher erfolglos.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO sind nicht zu beantworten, sodass kein Anlass besteht, die ordentliche Revision zuzulassen.