JudikaturOLG Graz

8Bs64/25k – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
28. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics (Vorsitz) und die Richter Mag. Obmann, LL.M. und Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen A* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 zweiter Fall und Abs 4 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 17. Dezember 2024, GZ **-27a, nach der am 28. Mai 2025 in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag a . Dexer, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Rechtsanwältin Dr in . Simonlehner durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung der dem Angeklagten zu 1. zur Last liegenden Tat auch unter § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, soweit diese die Annahme der Qualifikation zu 1. betrifft, und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Aufhebung verwiesen.

Im Übrigen wird der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 „Abs 1“ und 4 zweiter Fall StGB (1.) und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 (zweiter Fall) StGB (2.) schuldig erkannt.

Danach hat er am 20. September 2024 in ** als Lenker eines Pkws, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol (zumindest 1,53 Promille Blutalkoholkonzentration zum Unfallszeitpunkt) und den Gebrauch von THC-hältigem Cannabis in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl er vorhergesehen hat, dass ihm mit dem Lenken eines Pkws eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen „darstelle“ (§ 81 Abs 2 StGB), dadurch, dass er auf die Gegenfahrbahn geriet und frontal mit dem von B* C* gelenkten, vorschriftsmäßig am rechten Fahrstreifen fahrenden PKW kollidierte, nachgenannte Personen fahrlässig am Körper verletzt, und zwar

1. B* C* (diverse Prellungen unter anderem der Lunge, „feiner Beckenbruch“, minimal imprimierte mikrotrabekuläre Fraktur im Kniegelenk), wobei die Verletzungen an sich schwer waren (US 5) und eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatten;

2. D* C* (diverse Prellungen, US 5).

Hiefür wurde A* in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 88 Abs 4 StGB zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Außerdem enthält das Urteil unbekämpft gebliebene Privatbeteiligtenzusprüche an B* C* (EUR 1.000,00) und D* C* (EUR 500,00).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4 iVm § 489 Abs 1 StPO) und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe (ON 38.2). Die Staatsanwaltschaft erhebt zum Nachteil des Angeklagten Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 37.4).

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung des Angeklagten ist im Umfang des Spruchs berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die dem Schuldspruch zu 1. zugrundeliegende Tat richtigerweise dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 zweiter Fall , Abs 4 zweiter Fall StGB zu unterstellen gewesen wäre (zur Struktur des § 88 StGB vgl Burgstaller/Schütz , WK² StGB § 88 Rz 5).

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Abweisung (ON 27.2, 7) des Antrags auf „ Einholung eines gerichtsmedizinischen bzw. unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die von der Zeugin B* C* unfallkausal erlittenen Verletzungen weder eine an sich schwere Verletzung noch eine Gesundheitsschädigung bzw Arbeitsunfähigkeit mit über 24-tägiger Dauer darstellten“ . Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Beurteilung, ob die vom Opfer B* C* erlittenen Verletzungen an sich schwer iSd § 84 Abs 1 StGB sind, eine – unter Berücksichtigung der Wichtigkeit der verletzten Organe und Körperteile, der Schwere des gesundheitlichen Nachteils, der Gefährlichkeit der Verletzung und der Möglichkeit weiterer Folgen für den Verletzten zu entscheidende (RIS-Justiz RS0092473) – Rechtsfrage darstellt (RIS-Justiz RS0092554), die als solche einer Beweisaufnahme entzogen ist (RIS-Justiz RS0099342). Von einer länger als 24 Tage dauernden Berufsunfähigkeit ist das Erstgericht ohnehin nicht ausgegangen (US 5), sodass dieses Beweisthema als erwiesen gelten konnte (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Nach ständiger Rechtsprechung sind Knochenbrüche in aller Regel an sich schwere Körperverletzungen, es sei denn, es handelt sich um kleinere Knochen von untergeordneter Bedeutung. Der Bruch einer Rippe ohne wesentliche Dislokation der Bruchstücke kann demnach – ebenso wie ein einfacher Nasenbeinbruch – unter Umständen noch eine leichte Verletzung sein, wenn damit weder wesentliche Funktionseinbußen, noch gesundheitsschädigende Folgebeschwerden verbunden sind. Bei Hinzutreten von Komplikationen sowie allenfalls beim Hinzukommen von weiteren Verletzungen sind aber auch Brüche untergeordneter Knochen als an sich schwere Verletzungen einzustufen ( Burgstaller/Schütz , WK-StPO § 84 Rz 23 mwN).

Nach dem Urteilssachverhalt hat B* C* neben diversen Prellungen, unter anderem der Lunge, einen „feinen Beckenbruch“ sowie eine minimal imprimierte mikrotrabekuläre Fraktur mit einem 1,8 cm im Durchmesser haltenden assoziierten mäßigen Knochenmarködem im Bereich des linken Kniegelenks erlitten. Sie befand sich insgesamt drei Wochen im Krankenstand und litt bis zum Urteilszeitpunkt an (der Intensität nach nicht näher konkretisierten) Schmerzen (US 5). Da es sich bei der festgestellten Verletzung im Bereich des Beckens (genauer: Kreuzbeins) nach den vorliegenden Krankenunterlagen bloß um eine Fissur, also einen Haarriss (ON 12.23 und ON 28.2), sowie bei jener im Bereich des linken Kniegelenks nur um eine sehr kleine minimal imprimierte (= eingedrückte) Fraktur (ON 15.3) handelte, kann daraus alleine nicht zwingend auf das Vorliegen einer an sich schweren Verletzung geschlossen werden. Vor diesem Hintergrund stellt die Dauer der Gesundheitsschädigung eine entscheidende Tatsache dar.

Durch die Abweisung des Beweisantrags zur Klärung dieses Beweisthemas wurden Grundsätze des Verfahrens hintangehalten bzw unrichtig angewendet, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist.

Zwar muss ein Beweisantrag grundsätzlich nicht nur das Beweisthema und die Beweismittel angeben, sondern auch die Gründe anführen, aus denen die Durchführung des Beweises das behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dies für die Schuld- und Subsumtionsfrage von Bedeutung ist, widrigenfalls er auf eine insoweit nicht zulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet ist (RIS-Justiz RS0099189, RS0118444, RS0099453). Dies gilt jedoch nur, sofern sich solche Umstände nicht – wie hier – bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung unmissverständlich aus dem Zusammenhang ergeben (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO; RIS-Justiz RS0099189 [T7 und T25], RS0118444 [T4 und T7]).

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Verletzung im Bereich des Kreuzbeins – wie bereits dargestellt – bloß um eine Fissur und bei jener im Bereich des linken Kniegelenks nur um eine sehr kleine minimal imprimierte Fraktur handelte, B* C* bereits am 21. Oktober 2024 (wieder) eine überdurchschnittlich gute Lungenfunktion zeigte (ON 15.4) und sich insgesamt nur drei Wochen im Krankenstand befand, zielte der Antrag keineswegs auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung, sondern auf die mangels eigener Sachkenntnis des Gerichts durch einen Experten erforderliche Beurteilung der Dauer der Gesundheitsschädigung und somit auf eine für das Vorliegen der (unselbstständigen) Qualifikation nach § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB (vgl abermals Burgstaller/Schütz , WK² StGB § 88 Rz 5) entscheidende Tatsache ab. Sohin bedurfte der Beweisantrag keiner darüber hinausgehenden Präzisierung oder Begründung im Sinn des § 55 Abs 1 StPO. Das Urteil ist folglich hinsichtlich der rechtlichen Unterstellung der zu 1. dargestellten Tat unter die (unselbstständige) Erfolgsqualifikation des § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB mit Nichtigkeit behaftet. Da die Aufnahme des beantragten Beweises und die Neubewertung der solcherart verbreiterten Beweisgrundlage erforderlich ist, ist das Urteil in diesem Umfang und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben zu verweisen.

Im Übrigen bleibt die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfolglos. Die Feststellungen zum – vom Angeklagten auch nicht bestrittenen – Unfallhergang ergeben sich unbedenklich aus den ihrem wesentlichen Inhalt nach miteinander in Einklang stehenden Aussagen von B* C* (ON 12.7 iVm ON 12.16; ON 27.2, 6 ff), E* (ON 12.8), F* G* (ON 12.10) und H* G* (ON 12.11) in Verbindung mit der fotogrammetrischen Auswertung des Unfallgeschehens (ON 12.19 iVm ON 12.37). Die Annahmen zur Alkoholisierung des Angeklagten im Unfallszeitpunkt (rückgerechnet 1,53 Promille bis 1,72 Promille) und zur Vorhersehbarkeit der gefahrengeneigten Tätigkeit im Zeitpunkt der Versetzung in den die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauchzustand („Minderrausch“) konnte das Erstgericht bedenkenlos auf das forensisch-chemische Sachverständigengutachten (ON 8, 4) und die insoweit geständige Verantwortung des Angeklagten (ON 25.2 iVm ON 27.2, 3 ff) stützen. Da bei Erreichen eines der beiden in § 5 Abs 1 StVO festgelegten Grenzwerte (hier: Blutalkoholgehalt von weiter über 0,8 Promille) die Fahruntüchtigkeit unwiderlegbar vermutet wird ( Burgstaller/Schütz , WK² StGB § 81 Rz 47 mwN), kann der Berufung zuwider dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte zusätzlich auch (noch) unter dem Einfluss von Cannabis stand. Die Art der von B* und D* C* erlittenen Verletzungen sind durch unbedenkliche Krankenunterlagen objektiviert (B* C*: ON 12.23, ON 15.3, ON 15.4 und ON 28.2; D* C*: ON 12.49 und ON 28.1). Es bestehen daher in der Gesamtschau keine Bedenken gegen die Erwägungen des Erstgerichts und die darauf gestützten Feststellungen in Ansehung der den Schuldspruch zu 1. (betreffend die selbstständige Qualifikation nach § 88 Abs 3 zweiter Fall StGB als Grunddelikt) und 2. tragenden Feststellungen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, soweit diese die Annahme der Qualifikation zu 1. betrifft, und seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Kassation verwiesen.

Der (unbekämpft gebliebene) Zuspruch von 1.000 Euro an die Privatbeteiligte B* C* bezieht sich auf die durch die Verletzungen erlittenen Schmerzen des Tatopfers (US 5 iVm US 9) und findet daher im nicht aufgehobenen Teil des Schuldspruchs (wegen § 88 Abs 3 zweiter Fall StGB) Deckung, womit er insoweit nicht der Kassation verfallen musste ( Ratz , WK-StPO § 289 Rz 7).

Die Kostenentscheidung ist eine Folge der Sachentscheidung und gründet auf § 390a Abs 1 StPO.