JudikaturOGH

10ObS25/25m – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2025, GZ 7 Rs 7/25p-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. September 2024, GZ 29 Cgs 123/24z-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung von Schwerarbeitszeiten iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV in der Zeit von 1. September 2006 bis 30. September 2023. Im Revisionsverfahren ist nur noch zu klären, ob auf Werktage fallende gesetzliche Feiertage, an denen ansonsten, also fiktiv gearbeitet worden wäre, Schwerarbeitszeiten sein können.

[2] Der 1963 geborene Kläger ist seit dem Jahr 2006 als Maschinenführer und Kantenbearbeiter in einem metallverarbeitenden Unternehmen beschäftigt u nd leistete dabei unregelmäßige Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes. Im Betrieb des Klägers sind gesetzliche Feiertage generell arbeitsfrei.

[3] Mit Bescheid vom 8. Februar 2024 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger bis zum Feststellungszeitpunkt (1. Oktober 2023) insgesamt 505 Versicherungsmonate, davon 494 Beitragsmonate der Pflichtversicherung-Erwerbstätigkeit, zwei Beitragsmonate der Pflichtversicherung-Teilversicherung und neun Ersatzmonate, erworben hat und „anerkannte“ davon 57 Versicherungsmonate als Schwerarbeitsmonate.

[4] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass sämtliche von ihm in der Zeit von 1. September 2006 bis 30. September 2023 erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien.

[5] Das Erstgericht stellte insgesamt 92 Monate als Schwerarbeitsmonate iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV fest. Das Mehrbegehren wies es ab. Die Abweisung der Klage hinsichtlich jener elf Monate, die dann Schwerarbeitsmonate sind, wenn man gesetzliche Feiertage berücksichtigte, an denen der Kläger nach dem Schichtplan zur Arbeit eingeteilt gewesen wäre und die er ohne den Feiertag auch geleistet hätte, begründete es damit, dass nach der Rechtsprechung zwar Zeiten eines Urlaubsverbrauchs oder Krankenstands Schwerarbeitszeiten begründen könnten, wenn der Betroffene andernfalls (fiktiv) gearbeitet hätte. Dieses fiktive Ausfallsprinzip könne jedoch nicht auf gesetzliche Feiertage angewandt werden, weil es sich dabei um nach dem Gesetz arbeitsfreie Tage und nicht um (Arbeits-)Zeiten handle, die bloß ausfielen.

[6] Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Abweisung dieser elf Monate erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig.

[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Feststellung der von der Berufung erfassten Monate als weitere Schwerarbeitsmonate anstrebt.

[8] In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

[10]1. Der Oberste Gerichtshof leitet aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen (§ 607 Abs 14 ASVG sowie § 1 Abs 1 und § 4 SchwerarbeitsV) und der Intention des Gesetzgebers (10 ObS 89/18p Pkt 2.1; 10 ObS 117/16b Pkt 4.1. und 4.2.) in ständiger Rechtsprechung ab, dass Schwerarbeit lediglich dann anerkannt werden kann, wenn der Versicherte der besonders belastenden Schwerarbeit auch tatsächlich ausgesetzt war ( RS0130802 [T2]; 10 ObS 117/24i Rz 4; 10 ObS 47/25x Rz 11 mwN).

[11] 2. Allerdings folgt aus § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV, dass auch „fiktive“ Schwerarbeitszeiten erworben werden können, wenn eine bloße Arbeitsunterbrechung vorliegt und die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nicht beendet wird. Eine solche (unschädliche) Unterbrechung liegt nach der Rechtsprechung im Fall des Urlaubsverbrauchs(RS0126110) und des Krankenstands mit Entgeltfortzahlung ( 10 ObS 103/10k Pkt 2.3.; 10 ObS 98/20i Rz 32; Sonntag in Sonntag, ASVG 16 § 607 Rz 13b) vor, sofern der Versicher te, wenn fiktiv gearbeitet worden wäre, tatsächlich Schwerarbeit geleistet hätte. M ateriell wird das aus dem in diesen Fällen bestehenden Entgeltanspruch nach dem „Ausfallsprinzip“ (vgl RS0058728 ; RS0058546 ) abgeleitet (vgl 10 ObS 96/10f ). Wertungsmäßig wird zudem berücksichtigt, ob die Tätigkeit nur in einem zeitlich begrenzten Ausmaß unterbrochen wird ( 10 ObS 98/20i Rz 22; 10 ObS 117/16b Pkt 4.5.).

[12] 3. Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass die Feiertagsruhe gewisse Ähnlichkeiten mit dem Verbrauch von Urlaub aufweist, weil auch dafür ein nach dem Ausfallsprinzip bemessenes Entgelt gebührt (§ 9 Abs 2 ARG; § 3 Abs 2 Feiertagsruhegesetz 1957 iVm § 31 Abs 2 Z 1 ARG; RS0052461 ; RS0058728 [T2]) und die damit verbundene Unterbrechung der Tätigkeit überschaubar ist (vgl Lutz/Heilegger/Dunst, ARG 6§ 7 ARG Rz 3). Es mag auch sein, dass gesetzliche Feiertage mittlerweile nicht mehr nur religiösen Zwecken sondern auch der Erholung dienen. Die allein darauf abstellende Argumentation des Klägers greift aber zu kurz:

[13] 3.1. Von den zwei Tatbestandselementen des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV ist im Anlassfall die weiter bestehende Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nicht strittig.

[14] 3.2. Entscheidend ist hier daher, wann von einer für die Qualifikation als fiktive Schwerarbeitszeit unschädlichen Arbeitsunterbrechung auszugehen ist.

[15] 3.2.1. Die SchwerarbeitsV definiert den Begriff der „Arbeitsunterbrechung“ nicht näher. Gefordert wird nur, dass die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bestehen bleibt. Auch die Erläuterungen zur SchwerarbeitsV geben keinen Aufschluss darüber, ob und welchen (weiteren) Anforder ungen die Arbeitsunterbrechung sonst noch genügen muss.

[16] 3.2.2. Im von den Krankenversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für (damals) Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sowie der Pensionsversicherungsanstalt erarbeiteten „Fragen Antworten Katalog zur SchwerarbeitsV“ (vgl ARD 5811/7/2007, 5812/7/2007, 5813/7/2007 und 5814/9/2007) werden nur die Fälle des Urlaubs und des Krankenstands thematisiert.

[17] 3.2.3 Auch im Schrifttum werden überwiegend nur der Krankenstand und der Urlaub als Beispiele genannt, ohne auszuführen, welche Fälle § 4 Satz 4 SchwerarbeitsV sonst erfassen könnte ( Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil ,SV-Komm § 4 APG Rz 192; Pöltner/Pacic, ASVG Anhang 6 SchwerarbeitsV Anm 16). Nur vereinzelt wird eine extensive Auslegung dahin vertreten, dass fiktive Schwerarbeitszeiten bei jeder denkbaren Form der Arbeitsunterbrechung möglich seien ( Bell , Konsum von Zeitausgleich nach Art V NschG Novelle 1992 hindert Erwerb von Schwerarbeitszeiten, DRdA 2021/128, 299 [302]).

[18] 3.2.4. In der Rechtsprechung wurden fiktive Schwerarbeitsmonate bislang nur in den bereits erwähnten Fällen der Arbeitsunterbrechung infolge des Konsums von Urlaub und (obiter) aufgrund von Krankenstand während der Entgeltfortzahlung (vgl oben 2.), nicht aber für Zeiten des Bezugs von Krankeng eld (10 ObS 98/20i), der Ausübung des Mandats als freigestellte Betriebsrätin (10 ObS 117/16b) oder für Zeitausgleich (10 ObS 85/20b) anerkannt.

3.3. Die Analyse der bisherigen Rechtsprechung und Lehre ergibt Folgendes:

[19] 3.3.1. Entgegen der Ansicht des Klägers liegen im Fall einer Arbeitsunterbrechung nicht stets fiktive Schwerarbeitszeiten vor, sofern nur die Versicherung in der Pensionsversicherung aufrecht bleibt und ein Ans pruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Vielmehr liegt den Beispielen der Literatur und den von den Gerichten bislang entschiedenen Fällen zugrunde, dass § 4 Satz 2 Schwerarbei tsV als Ausnahme vom Grundsatz, wonach für den Erwerb von Schwerarbeitszeiten Schwerarbeit auch tatsächlich ausgeübt werden muss , nicht ausdehnend auszulegen ist (vgl RS0008903 ).

[20] 3.3.2. Gemeinsam ist den bislang anerkannten Fällen, dass die Unterbrechung auf individuellen Umständen beruht, die für den davon konkret Betroffenen nicht oder nur schwer im voraus kalkulier- bzw planbar sind. Dies kommt vor allem in der Entscheidung zu 10 ObS 117/16b zum Ausdruck, in der maßgeblich darauf abgest ellt wurde, dass die Tätigkeit als Betriebsrat – im Gegensatz zum Urlaubsanspruch – auf einer bewussten und freiwilligen Entscheidung beruht (Pkt 4.5.). Auf gesetzliche Feiertage trifft das Kriterium der eingeschränkten Abschätzbarkeit aber nicht zu, zumal ihr Anfall feststeht und ihre Lage im Voraus berechnet werden kann.

[21] 3.4. Die vom Kläger erkannte zwingend gebotene Gleichbehandlung von Urlaubs- und gesetzlichen Feiertagen lässt sich aus der Rechtsprechung daher nicht ableiten.

[22] 3.5. Sie entspräche auch nicht dem Zweck des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV.

[23] Dieser besteht darin, Versicherten, die besonders belastende Tätigkeiten iSd § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ausüben, vor dem Verlust eines Schwerarbeitsmonats zu bewahren, nur weil eine (kurzfristige) Arbeitsunterbrechung vorliegt. Aus dem grundsätzlichen Ziel der SchwerarbeitsV, den Erwerb von Schwerarbeitszeiten nur dann zu ermöglichen, wenn Schwerarbeit auch tatsächlich geleistet wird, folgt, dass davon nicht jede nach dem Wortlaut mögliche „Unterbrechung“ der Arbeit erfasst werden soll. Vielmehr sollen Versicherte generell nur dann geschützt werden, wenn für sie Arbeitszeit „ausfällt“. Damit scheiden von vornherein arbeitsfreie Tage, bei denen es wie bei der Feiertagsruhe zum „Entfall“ der Arbeitszeit kommt ( Lutz/Heilegger/Dunst, § 7 ARG Rz 35 ff), aus. Nach der von der Rechtsprechung bereits herausgearbeiteten Teleologie des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV muss der „Ausfall“ überdies auf den jeweiligen Versicherten individuell treffende Unwägbarkeiten beruhen und nicht etwa auf freiwilligen Entscheidungen (zB Mandatsausübung als freigestellter Betriebsrat) oder gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Abgeltung geleisteter Dienste (zB Zeitausgleich). In dem Sinn soll der Versicherte etwa nicht verleitet werden, den Krankenstand früher zu beenden, nur um den „Verlust“ eines Schwerarbeitsmonats zu vermeiden. Des Schutzes des § 4 Satz 2 SchwerarbeitsV bedarf dagegen nicht, wer sich bewusst dazu entschließt, vorübergehend keine Schwerarbeit zu leisten.

[24] Wie im Ergebnis schon das Erstgericht zu Recht betont hat, erfüllen gesetzliche Feiertage, die – wie im vorliegenden Fall – im jeweiligen Betrieb generell arbeitsfrei sind, beide Kriterien nicht. Es wäre auch ein nicht erklärbarer Wertungswiderspruch, die Feiertagsruhe insofern anders zu behandeln als andere gesetzliche Ruhezeiten, die nach der Rechtsprechung keine Schwerarbeitszeiten begründe n (vgl 10 ObS 81/22t Rz 27) .

[25] 4. Zusammenfassend haben die Vorinstanzen die Rechtsprechung zu fiktiven Schwerarbeitszeiten im Fall von Urlaubs- oder Krankenstandstagen (mit Entgeltfortzahlung) zu Recht nicht auf gesetzliche Feiertage übertragen. Der Revision ist daher nicht F olge zu geben.

[26]5. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt ( RS0085871 ). Ein Kostenzuspruch kommt hier aber nicht in Betracht, weil aus der Aktenlage keine Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ersichtlich sind, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten ( RS0085871 [T7]).