JudikaturOGH

1Ob88/25k – OGH Entscheidung

Entscheidung
Vertragsrecht
09. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* s.r.o., Tschechische Republik, *, vertreten durch Mag. Petra Cernochova, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei G* G.M.B.H., *, vertreten durch die Edthaler Leitner Bommer Schmieder Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 495.965,65 EUR sA, über die Revision und den Rekurs der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. März 2025, GZ 6 R 36/25v-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 15. Jänner 2025, GZ 31 Cg 57/23b-19, abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden der Endentscheidung vorbehalten.

Die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe und Begründung:

[1] Die Beklagte beauftragte die (tschechische) E* s.r.o. (Auftragnehmerin) mit der Fertigung und Lieferung einer Stahlkonstruktion für ein Bauvorhaben in Deutschland mit einer Auftragssumme von 851.203,55 EUR. Die daraus resultierenden Forderungen der Auftragnehmerin gegenüber der Beklagten wurden der Klägerin abgetreten.

[2] Dem Auftrag lagen vereinbarungsgemäß die AGB der Beklagten sowie die ÖNORM B 2110 zugrunde.

[3] Deren Punkt 8.4.2. lautet:

„Annahme der Zahlung, Vorbehalt

Die Annahme der Schlusszahlung auf Grund einer Schluss- oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen 3 Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen.

Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von 3 Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages durch den AG.“

[4] Die Auftragnehmerin legte die Rechnungen Nr 20206022 und Nr 20206023 vom 12. 10. 2020 jeweils über 24.975,70 EUR betreffend „Material für Schuss [= Bauabschnitt] 3“, Nr 20206025 vom 15. 12. 2020 (unter Abzug von Abschlagsrechnungen) über 110.344,44 EUR „für Lieferung der Stahlkonstruktion Schuss 2, 4, 1“, Nr 20206027 vom 29. 10. 2020 (unter Abzug von Abschlagsrechnungen) über 331.253,95 EUR „für Lieferung der Stahlkonstruktion Schuss 2, 4, 1 und 5“ und FVE 211002 vom 25. 2. 2021 über 5.914,40 EUR für „Anpassungskosten und Mehrkosten“ zu Schuss 2.

[5] Im Schreiben vom 29. 6. 2021 korrigierte die Beklagte die Gesamtabrechnung der Auftragnehmerin auf 714.238,49 EUR, wovon sie sich Zahlungen in Höhe von 265.292,95 EUR in Anrechnung brachte, sodass sie einen Restbetrag von 448.945,54 EUR ermittelte. Dem stellte sie in diesem Schreiben näher aufgeschlüsselte Gegenforderungen in Höhe von insgesamt 747.671,81 EUR gegenüber und erklärte die Aufrechnung ihrer Forderungen mit den Forderungen der Auftragnehmerin. Sie hielt fest, dass die Rechnung FVE 211002 von dieser Aufrechnung ausgenommen sei, da der Rechnungsbetrag weder dem Grunde noch der Höhe nach zu Recht bestehe. Mit Schreiben vom 20. 7. 2021 behauptete sie eine weitere Gegenforderung von 79.450,62 EUR und ergänzte ihre Aufrechnungserklärung vom 29. 6. 2021 um diesen Betrag.

[6] Die Klägerin begehrt mit ihrer am 14. 11. 2023 beim Erstgericht eingebrachten Klage die Zahlung von insgesamt 495.965,65 EUR sA aus den Rechnungen Nr 20206027, 20206025, 20206022, 20206023 und FVE 211002. Es würden Beträge aus einer Schlussrechnung geltend gemacht. Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 sei nicht anwendbar. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung habe mangels Bestands der behaupteten Forderungen keine schuldbefreiende Wirkung gehabt. Es sei schon deshalb keine Verjährung eingetreten, weil die Beklagte selbst erkläre, den Betrag von 448.945,54 EUR anerkannt zu haben. Im Übrigen sei die Legung von Teilrechnungen nicht vereinbart gewesen.

[7] Die Beklagtebestreitet und wendet insbesondere Verjährung ein. Die Klägerin habe entgegen Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 keinen Vorbehalt oder Einspruch gegen ihre Rechnungskorrektur und ihre Aufrechnung mit den Schreiben vom 29. 6. und 20. 7. 2021 erklärt. Die Rechnungen betreffend Schuss 2, 3 und 4 im Betrag von 348.410,38 EUR wären überdies auch unter Anwendung der gesetzlichen Verjährungsfrist nach § 1486 Z 1 ABGB verjährt, und zwar die Forderung aus Schuss 2 am 8. 9. 2023, aus Schuss 3 am 18. 10. 2023 und aus Schuss 4 am 13. 10. 2023.

[8] Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Frage der Verjährung ein und wies das Klagebegehren ab. Eine Aufrechnung sei als Zahlung im Sinn des Punkts 8.4.2. der ÖNORM B 2110 zu sehen. Da die Klägerin gegen diese Zahlung in Zusammenhang mit der Rechnungskorrektur keinen Einspruch erhoben habe, seien ihre Ansprüche verjährt und weitere Forderungen ausgeschlossen.

[9] Über Berufung der Klägerin sprach das Berufungsgericht mit Teilzwischenurteil aus, dass die Klageforderung im Umfang von 448.945,54 EUR sA nicht verjährt sei. Im Übrigen, also im Umfang einer Klageforderung von 47.020,11 EUR sA, hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[10]Gegenforderungen des Auftraggebers, die er aus Anlass der Prüfung einer Schlussrechnung gegen den Auftragnehmer erhebe, stellten keine Rechnungskorrektur dar, der der Auftragnehmer fristgerecht widersprechen müsste, um seine in der Schlussrechnung enthaltenen Werklohnforderungen zu behalten. Hier blieben daher Forderungen im Umfang von 448.945,54 EUR von Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 jedenfalls unberührt. Die unbedingte Aufrechnungserklärung der Beklagten als deklaratives Anerkenntnis habe die Verjährungsfrist nach § 1486 Z 1 ABGB unterbrochen. Die Klageforderung sei daher im Umfang von 448.945,54 EUR nicht verjährt.

[11]Da nur die wirksame Aufrechnung Erfüllungssurrogat sein könne und Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 wegen der drastischen Verkürzung der Verjährungsfrist nicht erweiternd auszulegen sei, könnte eine bloße Aufrechnungserklärung nicht die von der Beklagten gewünschten Rechtsfolgen auslösen. Ob der über 448.945,54 EUR hinausgehende Klagebetrag von 47.020,11 EUR nach § 1486 Z 1 ABGB verjährt sei, könne noch nicht beurteilt werden, weil Feststellungen fehlten, ob die Streitteile eine abschnittsweise Abrechnung der einzelnen Schüsse vereinbart hätten oder ob eine solche der Verkehrsauffassung entspräche. Insbesondere könne nicht beurteilt werden, ob die einzelnen „Schüsse“ hier voneinander unabhängige Gewerke gewesen seien und für die Beklagte einen eigenen wirtschaftlichen Wert gehabt hätten. „Abgesehen davon, dass bislang eine Auseinandersetzung des Erstgerichts mit der Frage, ob die Auftragnehmerin zur Teilrechnungslegung verhalten“ gewesen sei, „nicht in die Urteilsausfertigung eingeflossen“ sei, sei aufgrund der knappen Feststellungen zum Inhalt des Anerkenntnisses unklar, in welchem Umfang dieses Anerkenntnis auch Forderungen aus jenen Teilrechnungen umfasse, hinsichtlich derer sich die Beklagte auf § 1486 Z 1 ABGB stütze. Aus diesem Grund sei das Ersturteil in dem über 448.945,54 EUR hinausgehenden Umfang aufzuheben.

[12]Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision und der Rekurs zulässig seien, weil die Entscheidung maßgeblich davon abhänge, ob eine Aufrechnungserklärung oder wirksame Aufrechnung als „Nichtzahlung“ oder als Zahlung zu werten sei und ob die außergerichtliche Aufrechnungserklärung als deklaratives Anerkenntnis die Verjährung unterbreche. Hinsichtlich des über 448.945,54 EUR hinausgehenden Betrags sei ferner die verfahrensrechtliche Frage von Relevanz, ob auch im Falle der Annahme (k)einer Präklusion ein Zwischenurteil nach § 393a ZPO gefällt werden dürfe.

[13] Gegen diese Entscheidung wenden sich die Revision und der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Die Klägerin beantragt, die Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision und der Rekurs sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , sie sind aber nicht berechtigt .

1. Vorbemerkungen

[16] 1.1. Aufgrund des thematischen Zusammenhangs werden die Revision und der Rekurs unter einem behandelt.

[17] 1.2. Die Auftragnehmerin und die Beklagte haben unstrittig die Anwendung österreichischen Rechts unter Ausschluss seiner Kollisionsnormen und des UN Kaufrechts vereinbart.

[18] 1.3. Auf Punkt 5.8. der AGB der Beklagten, aus dem nach Ansicht des Berufungsgerichts eine Verjährung nicht abgeleitet werden kann, kommen die Rechtsmittel nicht mehr zurück (vglRS0043338) .

[19] 1.4. Die Parteien gehen übereinstimmend vom Vorliegen einer Schlussrechnung aus.

2. Zu Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110

[20] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung erfasst Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 zwei verschiedene Sachverhalte: Zum einen den hier nicht vorliegenden Fall, dass Forderungen nicht in die Schlussrechnung aufgenommen, aber nachträglich geltend gemacht werden, zum anderen den, dass der Auftraggeber vom Schlussrechnungsbetrag Abzüge vornimmt und entsprechend weniger bezahlt (RS0070863 [T8] ;9 Ob 50/23b Rz 6 ). Diese Regelung dient im Wesentlichen dazu, möglichst rasch Klarheit über die Abrechnung zu schaffen, sodass der Auftraggeber zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Ausmaß seiner Verpflichtungen erfahren und überschauen kann (RS0122419 [T6, T7] ).

[21] 2.2. Durch die vorbehaltslose Annahme einer Zahlung tritt nach Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 eine Ausschlusswirkung hinsichtlich jener Forderungen des Auftragnehmers ein, die die Schlusszahlung des Auftraggebers übersteigen, sofern der Auftragnehmer keinen Vorbehalt macht.

[22] Gegenforderungen des Auftraggebers , die er aus Anlass der Prüfung einer Schlussrechnung gegen den Auftragnehmer erhebt, stellen keine Rechnungskorrektur dar, der der Auftragnehmer fristgerecht widersprechen muss, um seine in der Schlussrechnung enthaltenen Werklohnforderungen zu behalten (4 Ob 194/15f Pkt 3. ; Karasek , ÖNORM B 2110 4 8 Rechnungslegung, Zahlung, Sicherstellungen Rz 85 [Stand 1. 5. 2023, rdb.at]).

[23] Die in der Entscheidung 5 Ob 69/05s vertretene (einschränkende) Ansicht, dass Kürzungen des Auftraggebers wegen eines vereinbarten Pönales und eines Bauschadens „unmittelbar die Entgeltvereinbarung“ betreffen würden, sodass der Auftragnehmer solchen Abstrichen widersprechen müsse, und nur „echte“ Schadenersatzforderungen nicht als Rechnungskorrekturen gelten würden, wird von Karasek (ÖNORM B 2110 4 8 Rechnungslegung, Zahlung, Sicherstellungen Rz 85 [Stand 1. 5. 2023, rdb.at]) abgelehnt, weil eine Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ Schadenersatzansprüchen nicht begründbar sei und eine Vertragsstrafe pauschalierter Schadenersatz sei. Auch Seebacher (Verfristung des Werklohnanspruchs nach der ÖNORM B 2110 bei Aufrechnung durch den Auftraggeber, bauaktuell 2010, 24 [26]) kritisiert die Ansicht des Obersten Gerichtshofs, dass der Auftragnehmer zu einem Vorbehalt verpflichtet sei, wenn der Auftraggeber Gegenforderungen von der Schlussrechnung abziehe, als unzutreffend. Die Vorbehaltsregelung komme nur zur Anwendung, wenn der Auftraggeber Abzüge oder Korrekturen (zB Massenmehrungen) vornehme, also aus seiner Sicht unberechtigte Forderungen des Auftragnehmers kürze.

[24] Diesen Einwänden ist beizutreten, zumal der Wortlaut des Punkts 8.4.2. der ÖNORM B 2110 eindeutig auf „Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen“ abstellt. Der Beklagten ist daher mit dem Hinweis auf die vereinzelt gebliebene Entscheidung 5 Ob 69/05s nicht geholfen.

[25] 2.3. Daraus ergibt sich vorerst, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, dass überhaupt nur die den Betrag von 448.945,54 EUR übersteigende Klageforderung von 47.020,11 EUR von einem Rechtsverlust nach Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 betroffen sein kann, weil in Ansehung des Betrags von 448.945,54 EUR keine Schlussrechnungskorrektur im Sinn dieser Bestimmung erfolgte.

[26] 2.4. Ein rechtzeitiger Vorbehalt der Auftragnehmerin liegt nicht vor. Die Klägerin stützt sich auf das Schreiben vom 28. 4. 2021 (Beilage ./F), mit dem die Auftragnehmerin sämtlichen Einwänden der Beklagten sachlich widersprochen habe. Dieses Schreiben datiert aber vor der Schlussrechnungskorrektur mit Schreiben vom 29. 6. 2021.

[27] Der Vorbehalt nachträglicher Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen muss entweder in der Rechnung selbst enthalten sein oder binnen drei Monaten nach Erhalt der (abweichenden) Zahlung schriftlich erhoben werden. Bereits vor Legung der Schlussrechnung beziehungsweise vor Annahme der davon abweichenden Schlusszahlung abgegebene Erklärungen können nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht ausreichend sein ( RS0122419 [T4]). Das Unterbleiben eines nachträglichen Vorbehalts ist als nachträgliche Abstandnahme von früher erklärten Vorbehalten zu werten. Die Bestimmung könnte ihre Zielsetzung nicht erreichen, wenn jeder irgendwann im Zuge des Bauvorhabens erklärte Vorbehalt geprüft werden müsste (1 Ob 67/08x Pkt 2.; 9 Ob 50/23b Rz 8 mwN ).

[28] 2.5. Damit bleibt zu klären, ob in der Aufrechnungserklärung eine Zahlung im Sinn des Punkts 8.4.2. der ÖNORM B 2110 zu erblicken ist, die nunmehr die Geltendmachung des von der Schlussrechnungskorrektur betroffenen Betrags von 47.020,11 EUR ausschließt.

[29] 2.5.1. Voraussetzung für die Ausschlusswirkung ist ein wie auch immer gearteter Zahlungsakt seitens des Auftraggebers, der vom Auftragnehmer „angenommen“ werden kann ( RS0122419 ; 1 Ob 81/07d Pkt 2.). Die vorbehaltlose Annahme einer „Nichtzahlung“ kommt schon begrifflich nicht in Frage ( RS0070863 [T9]). Ob der Auftraggeber der „Nichtzahlung“ lediglich die Ablehnung weiterer Zahlungen zugrunde legt oder ob er darüber hinaus ein Guthaben zu seinen Gunsten behauptet, ist ohne Relevanz. In beiden Fällen erfolgt keine Zahlung ( 4 Ob 241/14s Pkt 3.1 mwN).

[30] 2.5.2. Die Frage, ob auch eine Aufrechnungserklärung die Vorbehaltsfrist nach Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 auslöst, musste vom Obersten Gerichtshof bislang nicht beantwortet werden. In den Entscheidungen 4 Ob 241/14s und 4 Ob 194/15f mangelte es schon (an der Behauptung) einer Aufrechnungserklärung.

In der Literatur werden dazu divergierende Ansichten vertreten:

[31] Wenusch (in ÖNORM B 2110:2023 3[2024] II. Rz 8/295; ebenso in Schon wieder: Der „Vorbehalt zur Schlusszahlung“ gemäß ÖNORM B 2110, ZRB 2016, 93 [Glosse zu 4 Ob 194/15f]) meint, eine Kompensation scheide aus, weil die Zahlung zurückgewiesen werden können müsse, andernfalls nicht von einer Annahme gesprochen werden könne. Auch Karasek (ÖNORM B 2110 4 8 Rechnungslegung, Zahlung, Sicherstellungen Rz 86 [Stand 1. 5. 2023, rdb.at]) weist darauf hin, dass die vorbehaltslose Annahme einer außergerichtlichen Aufrechnung nicht in Betracht komme.

[32] Seebacher (Verfristung des Werklohnanspruchs nach der ÖNORM B 2110 bei Aufrechnung durch den Auftraggeber, bauaktuell 2010, 25 f) ist demgegenüber der Ansicht, dass mit der Aufrechnung ein „Zahlungsakt“ vorliege, der die Frist zur Erhebung eines Vorbehalts auslöse. Nach der ÖNORM komme auch die Aufrechnung als Zahlung in Frage. Habe der Auftragnehmer die Aufrechnungserklärung erhalten, sei seine Forderung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen befriedigt. Erhebe er keinen rechtzeitigen Vorbehalt, gebe es keinen vernünftigen Grund, an seinem Verzicht auf seine (restliche) Werklohnforderung zu zweifeln.

[33] Berlakovits/Schbanov (Schlusszahlungsvorbehalt auch bei Aufrechnung! b auaktuell 2015, 132 [135 f]) gelangen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Aufrechnung einer Schlusszahlung gleichstehe und mit Zugang der Aufrechnungserklärung unter den Voraussetzungen des Punkts 8.4.2. der ÖNORM B 2110 die Vorbehaltsfrist zu laufen beginne. Sie räumen aber ein, dass dann, wenn die aufrechnungsweise eingewandte Gegenforderung unberechtigt gewesen sein sollte, mangels Aufrechnung gar keine Zahlung erfolgt sei und damit Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 nicht anwendbar sei.

[34] 2.5.3. Gerade Letzteres spricht dagegen, die Aufrechnung mit einer strittigen Gegenforderung des Auftraggebers einer Zahlung im Sinn der genannten Bestimmung gleichzustellen:

[35] Bei der Aufrechnungserklärung handelt es sich um die Ausübung eines Gestaltungsrechts durch eine formlose, empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die Herbeiführung der Aufrechnungswirkung gerichtet ist ( RS0033712 [T5]).

[36] Es trifft zwar zu, dass die Aufrechnung grundsätzlich wie eine wechselseitige Zahlung wirkt (3 Ob 58/06k Pkt 1.6 mwN). Zu einem Skontoabzug für den Fall fristgerechter „Zahlung“ berechtigt aber, um dem Wesen eines Skontos gerecht zu werden, nur die Aufrechnung mit einer unbestrittenen Gegenforderung (1 Ob 58/98f Pkt b).

[37] Vergleichbares muss auch in diesem Fall gelten: Die Aufrechnung mit strittigen Gegenforderungen – wie hier – kann einer „Zahlung“ im Sinn des Punkts 8.4.2. der ÖNORM B 2110 jedenfalls nicht gleichgehalten werden, weil nur dann, wenn die Gegenforderung berechtigt ist, Tilgungswirkung eintritt.

[38] Auch von einer Annahme einer Zahlung kann keine Rede sein, nur weil die (einseitige) Aufrechnungserklärung zugeht . Der Einwand, auch eine Banküberweisung könnte, anders als eine Barzahlung, nicht physisch abgelehnt werden ( Berlakovits/Schbanov , Schlusszahlungsvorbehalt auch bei Aufrechnung! bauaktuell 2015, 13 5 ), überzeugt nicht , weil eine Banküberweisung sehr wohl rücküberwiesen werden k ann . Einer (einseitigen) Aufrechnungserklärung könnte der Auftragnehmer zwar widersprechen. Wie gezeigt wurde (siehe oben unter Punkt 2.2.), besteht aber nach Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 gerade keine Obliegenheit des Auftragnehmers, in Ansehung von Gegenforderungen des Auftraggebers einen Vorbehalt zu erklären.

[39] 2.5.4. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 der Geltendmachung (auch) der 448.945,54 EUR übersteigenden Klageforderung nicht entgegensteht.

[40]2.6. Strittig ist, ob es sich bei der Ausschlusswirkung um die Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 1486 Z 1 ABGB) auf drei Monate (vgl 6 Ob 566/95 ; Karasek , ÖNORM B 2110 4 8 Rechnungslegung, Zahlung, Sicherstellungen Rz 90 [Stand 1. 5. 2023, rdb.at]; Berlakovits/Schbanov , Schlusszahlungsvorbehalt auch bei Aufrechnung! bauaktuell 2015, 133; vgl auch P. Bydlinski , Die Auslegung und Anwendung von ÖNormen, insbesondere in Bezug auf Schlussrechnung und Schlusszahlung, wbl 2008, 215 [217 FN 15]) oder – wie das Berufungsgericht meint – um eine Präklusivfrist handelt (5 Ob 200/21d). An die Annahme einer Präklusivfrist knüpft das Berufungsgericht die im Zulassungsausspruch aufgeworfene Frage, ob auch diesfalls ein Zwischenurteil zur Verjährung gefällt werden darf.

[41]Dies muss hier aber nicht näher geklärt werden: Da der Verjährungseinwand der Beklagten in Bezug auf den Betrag von 47.020,11 EUR, zu dem das Berufungsgericht das Ersturteil wegen Feststellungsmängel aufgehoben hat, noch nicht abschließend beurteilt werden kann (siehe unten unter Punkt 3.2.), scheidet die Fällung eines Zwischenurteils nach § 393a ZPO über diesen Betrag so oder so aus.

3.Zur Verjährung nach § 1486 Z 1 ABGB

[42] 3.1. Das Berufungsgericht vertrat richtig die Ansicht, dass die Klageforderung in Ansehung des Betrags von 448.945,54 EUR nicht verjährt ist.

[43] Die Beklagte hat in erster Instanz vorgebracht, dass sie mit den Schreiben vom 29. 6. und 20. 7. 2021 „unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung“ die Aufrechnung zum Betrag von 448.945,54 EUR aufgrund ihrer bestehenden und fälligen Gegenforderungen „unter Herleitung und Anerkenntnis des Betrags von 448.945,54 EUR“ erklärt hat; sie habe einen der Rechtsvorgängerin der Klägerin zustehenden Restbetrag von 448.945,54 EUR ermittelt und auch anerkannt und in weiterer Folge aufgerechnet. Auf dieses Vorbringen hat die Klägerin erwidert, dass schon aufgrund dieses Anerkenntnisses keine Verjährung eingetreten sein könnte.

[44]Damit hat die Beklagte hier im Sinn des § 266 ZPO zugestanden, dass sie die Klageforderung im Umfang von 448.945,54 EUR im Zuge ihrer Aufrechnungserklärung anerkannt hat. Ausgehend von diesem Vorbringen (im Zusammenhalt mit dem Inhalt der Beilage ./10) liegt ein deklaratives Anerkenntnis vor, womit sich die im Anschluss an das Berufungsgericht von der Beklagten thematisierte Frage nicht stellt, ob allein in der Aufrechnungserklärung ein deklaratives Anerkenntnis liegt. Auch das deklarative Anerkenntnis unterbricht die Verjährung ( RS0032394 [T2]). Damit ist die Forderung bei Klageeinbringung am 14. 11. 2023 jedenfalls noch nicht verjährt gewesen, weil die Frist erst mit Zugang der Anerkenntniserklärung vom 29. 6. 2021 (Beilage ./10), also frühestens am 30. 6. 2021, zu laufen begonnen hat ( RS0034516 ; RS0033015 ).

[45] 3.2. Soweit das Berufungsgericht die Ansicht vertrat, dass der Sachverhalt nicht genügend geklärt ist, um beurteilen zu können, ob die Klageforderung von 47.020,11 EUR verjährt ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten ( RS0042179 ). Gegen die dem Auftrag zur Verfahrensergänzung zugrunde liegende Rechtsansicht des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten nicht (vgl RS0042179[T14]). Jedenfalls wird mit den Parteien – wie vom Berufungsgericht angedeutet – im fortgesetzten Verfahren zu erörtern sein, wie sich der Betrag von 47.020,11 EUR zusammensetzt und inwieweit darin Rechnungsbeträge (von insgesamt 348.410,38 EUR) enthalten sind, hinsichtlich derer sich die Beklagte auch auf die Verjährung nach § 1486 Z 1 ABGB stützt.

[46] 4. Der Revision und – infolge der vom Berufungsgericht aufgezeigten Ergänzungsbedürftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens – dem Rekurs der Beklagten ist damit nicht Folge zu geben.

[47] Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 und 4 ZPO.