JudikaturOGH

2Ob122/25t – OGH Entscheidung

Entscheidung
Eherecht
29. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin S*, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof Dr. Damian GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner V*, vertreten durch Mag. Sebastian Lesigang, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtanerkennung einer ausländischen Ehescheidung, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. April 2025, GZ 43 R 721/24h 20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Das Rekursgerichtsprach unter Hinweis auf den Versagungsgrund des § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG aus, dass der Beschluss der russischen Friedensrichterin, mit der die in Russland geschlossene Ehe der russischen Antragstellerin und des russischen Antragsgegners geschieden wurde, nicht anerkannt werde (§ 99 AußStrG), und wies den auf Anerkennung gerichteten Gegenantrag des Antragstellers ab (§ 98 AußStrG).

Rechtliche Beurteilung

[2] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekursdes Antragsgegners ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig .

[3] 1. Das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung, begründet für sich genommen noch keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0102181 ). Lassen sich – wie im vorliegenden Fall – die vom Revisionsrekurswerber für erheblich erachteten Rechtsfragen durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung klären, ist das (außerordentliche) Rechtsmittel zurückzuweisen (vgl RS0118640 ).

[4]2. Nach § 97 AußStrG wird eine ausländische Entscheidung über die Ehescheidung, Trennung, Ungültigerklärung sowie über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe in Österreich anerkannt, wenn sie rechtskräftig ist und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliegt.

[5]3. Gemäß § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG ist die Anerkennung der ausländischen Entscheidung zu verweigern, wenn das rechtliche Gehör eines der Ehegatten nicht gewahrt wurde, es sei denn, er ist mit der Entscheidung offenkundig einverstanden.

[6] 3.1. Dabei geht es um Entscheidungen, die in einem Verfahren ohne Beteiligung des Gegners ergangen sind. Eine ausreichende Beteiligungsmöglichkeit kann vor allem darin erblickt werden, dass dem Antragsgegner das verfahrenseinleitende Schriftstück rechtzeitig und ordnungsgemäß zugestellt wurde. Wer geladen wurde und die Möglichkeit hatte, sich am Verfahren zu beteiligen, kann sich – auch bei einer Entscheidung in seiner Abwesenheit – nicht auf die Verletzung seines rechtlichen Gehörs berufen(6 Ob 96/11b Pkt 4.4. mwN). Anders als Art 15 Abs 1 lit b Brüssel II VO bzw nunmehr Art 22 lit b Brüssel IIaVO stellt § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG seinem Wortlaut nach aber nicht auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes oder eines gleichwertigen Schriftstücks ab, sondern knüpft die Versagung ganz allgemein daran, dass das rechtliche Gehör eines der Ehegatten nicht gewahrt wurde. Liegt ein Zustellmangel vor, kann das rechtliche Gehör der Partei auch durch tatsächliches Zukommen des maßgeblichen Schriftstücks gewahrt sein, sofern sichergestellt ist, dass sie zumindest die Möglichkeit gehabt hatte, ihre Rechte im Verfahren vor dem Gericht des Erststaats effektivwahrzunehmen (RS0131454). Von einer das rechtliche Gehör ausreichend sichernden Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ist grundsätzlich nur dann auszugehen, wenn der Verfahrensgegner in der fraglichen Zeit an seiner Meldeanschrift tatsächlich aufhältig war, sodass er von einer Zustellung (allenfalls durch Hinterlegung) Kenntnis erlangen hätte können ( 1 Ob 21/17w Pkt 6.4).

[7]3.2. Bei § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG handelt es sich um eine besondere Ausprägung des verfahrensrechtlichen ordre public, also um eine Verletzung grundlegender Wertungen des österreichischen Verfahrensrechts (vgl 8 Ob 7/22w , Rz 6, 9 [„Verletzung grundlegender Wertungen des österreichischen Rechts“]). Ob durch die im Ausland erfolgte Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks das rechtliche Gehör ausreichend gewahrt wurde, ist daher nach den Wertungen des österreichischen Verfahrensrechts zu beurteilen.

[8]4. Wenn das Rekursgericht ausgehend von diesen Grundsätzen den Anerkennungsversagungsgrund des § 97 Abs 2 Z 2 AußStrG bejaht hat, ist dies nicht korrekturbedürftig.

[9] 4.1. Die Antragstellerin war an ihrer Meldeadresse in Russland zum Zeitpunkt der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks schon seit mehreren Jahren nicht mehr aufhältig. Zwar hatte sie aufgrund des Umstands, dass sie unter anderem zur Erledigung ihrer steuerlichen Angelegenheiten in Russland eine Adresse benötigte, jemandem Vollmacht erteilt, hinterlegte Poststücke für sie zu beheben. Eine Behebung durch den Postbevollmächtigten erfolgte jedoch – wie sich aus der ihrem Inhalt nach unstrittigen und daher auch der Revisionsrekursentscheidung ohne Weiteres zu Grunde zu legenden ( RS0121557 [T3]) russischen Berufungsentscheidung vom 1. 3. 2024 ergibt – nicht.

[10] Nach österreichischem Verfahrensverständnis ist zwar eine Ausfolgung an den Postbevollmächtigten einer Ausfolgung an den Empfänger gleichzuhalten und auch dann wirksam, wenn der Empfänger nicht an der Abgabestelle aufhältig ist (vgl5 Ob 63/21g,Rz 13 f). Allerdings erfolgt die mit dieser Wirkung versehene Zustellung an den Postbevollmächtigten nur durch Ausfolgung und nicht durch Hinterlegung. Die iSd § 13 Abs 2 ZustG bevollmächtigte Person tritt nicht in jeder Hinsicht an die Stelle des Empfängers, sondern kann ihn nur bei einer eigentlichen Zustellung durch Ausfolgung vertreten (vgl 3 Ob 45/08a; RS0123427).

[11] Die Annahme des Rekursgerichts, das rechtliche Gehör der Antragstellerin sei verletzt worden, weil sie nicht so rechtzeitig vom Verfahren Kenntnis erlangen konnte, um sich wirksam zu verteidigen, ist daher im Ergebnis nicht korrekturbedürftig, weil sie sich bei der (versuchten) Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks weder an der Abgabestelle gewöhnlich aufhielt noch die hinterlegte Sendung an ihren Bevollmächtigten ausgefolgt wurde.

[12] 4.2. Gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass das rechtliche Gehör der Antragstellerin auch durch die ihr bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht ausreichend gewahrt worden sei, wendet sich der Revisionsrekurs nicht.

[13] Dass es der Antragstellerin nach russischem Verfahrensrecht auch möglich gewesen wäre, überhaupt die Wiedereinsetzung in das erstinstanzliche Verfahren zu erreichen, bleibt eine unbelegte Behauptung, die überdies gegen das im Revisionsrekursverfahren geltende Neuerungsverbot ( RS0119918 ) verstößt.