9Ob75/25g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei S*-GmbH, *, vertreten durch Bock Fuchs Nonhoff Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K*-GmbH, *, und 2. MMag. Dr. * als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der K* Gesellschaft m.b.H., *, beide vertreten durch Schaffer Sternad Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 9. April 2025, GZ 38 R 242/24f 42, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Bestandgeberin (Eigentümerin eines Einkaufszentrums) begehrte von den beklagten Bestandnehmern im Verfahren zuletzt 118.429,87 EUR an rückständigen Betriebskosten aus den Jahren 2019 und 2020 sowie gestützt auf diesen Zahlungsrückstand die Räumung des Bestandobjekts. Im Verfahren war im Wesentlichen strittig, ob die Klägerin aufgrund des Mietvertrags berechtigt war, eine anteilige Überwälzung von Kosten der Erhaltung aller gemeinsamen Einrichtungen und Anlagen sowie der allgemeinen Bereiche des Einkaufszentrums vorzunehmen.
[2] Mit Teil-Zwischenurteil vom 8. 5. 2023, den Vertretern der Beklagten am 9. 5. 2023 zugestellt, stellte das Erstgericht aufgrund eines von den Beklagten erhobenen Zwischenantrags auf Feststellung fest, dass die entsprechende Vereinbarung im Mietvertrag nichtig ist und verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von 6.196,88 EUR sA an rückständigen Betriebskosten für das Jahr 2019. Das Mehrbegehren von 112.232,99 EUR sA sowie die Aufrechnungseinrede der Beklagten wies es ab. Das Berufungsgericht bestätigte (rechtskräftig) diese Entscheidung.
[3] Am 1. 6. 2023 langte bei der Klägerin eine Zahlung der Erstbeklagten in Höhe von 8.569,51 EUR mit dem Verwendungszweck „Zahlung gemäß Urteil vom 8. 5. 2023 zu 28 C 431/20s“ ein.
[4] Mit Endurteil wies das Erstgericht das Räumungsbegehren der Klägerin ab, weil die Beklagten kein grobes Verschulden im Sinne des § 33 Abs 2 MRG an der verspäteten Zahlung treffe.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[7] Das Bestandobjekt unterliegt unstrittig dem Teilanwendungsbereich nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG.
[8] Ein die Auflösung eines Mietvertrags nach § 1118 zweiter Fall ABGB rechtfertigender qualifizierter Mietzinsrückstand liegt vor, wenn der Mieter den Mietzins trotz gehöriger Mahnung nicht bis zum nächsten, der Mahnung nachfolgenden Zinstermin gezahlt hat (RS0021152). Auch rückständige Betriebskosten rechtfertigen die Auflösung des Bestandvertrags nach § 1118 ABGB (RS0021034).
[9] Nach der auch im Teilanwendungsbereich des MRG anwendbaren Bestimmung des § 33 Abs 2 MRG ( Lovrek in GeKo Wohnrecht I § 33 MRG Rz 1) ist das Räumungsbegehren abzuweisen, wenn den Bestandnehmer am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft und er vor Schluss der der Entscheidung des Gerichts erster Instanz unmittelbar vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag entrichtet hat.
[10] Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RS0069304). Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RS0069316 [T2, T11, T12, T14]). Zweifel über die wahre Rechtslage können in der Regel nur leichte Fahrlässigkeit begründen (RS0070327).
[11] Ob den Mieter am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft, ist eine Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0042773 [T1]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RS0042773 [T2, T3]). Dies ist hier nicht der Fall.
[12] Die Beklagte war hier mit 6.196,88 EUR an Betriebskosten für das Jahr 2019 in Verzug. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Betriebskostenabrechnung 2019 nach einem komplexen Verfahren vom Erstgericht im großen Umfang zu korrigieren war, weil die Beklagte großteils zu Recht die vorgeschriebene Betriebskostenpauschale als überhöht bemängelt hat und letztendlich die Beklagte (ausgehend vom ursprünglich begehrten Betrag an Betriebskosten) für das Jahr 2019 „nur“ einen Betrag von 6.196,88 EUR schuldete, den sie überdies kurze Zeit nach Zustellung des Teil-Zwischenurteils und noch lange vor Schluss der Verhandlung erster Instanz (3. 5. 2024) zahlte, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Ergebnis nicht korrekturbedürftig. Auf die von der Klägerin in der Zulassungsbegründung ihrer außerordentlichen Revision aufgegriffene Rechtsfrage zur Qualifikation der Betriebskostenpauschalvorschreibungen kommt es daher nicht weiter an. Die Ausführungen der Revisionswerberin zur Auslegung des Mietvertrags dahin, dass es sich bei den vereinbarten Pauschalraten um selbständige Mietzinsbestandteile handle, die unabhängig von der späteren Abrechnung geschuldet würden, verstoßen gegen das Neuerungsverbot des § 504 Abs 2 ZPO, weil dazu im erstinstanzlichen Verfahren – wie die Revisionswerberin selbst erkennt – kein Vorbringen erstattet wurde.
[13] Mangels Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.