JudikaturOGH

7Ob78/25h – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
25. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Unterbringungssache der Patientin *, geboren * 1981, pA *, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Patientenanwaltschaft, (Patientenanwältin C*, diese vertreten durch Dr. Stella Spitzer Härting, Rechtsanwältin in Wien, Abteilungsleiter Prim. Doz. Dr. A*, Krankenanstalt Klinik H*, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. März 2025, GZ 42 R 143/25b 17, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 3. März 2025, GZ 19 Ub 292/25f 10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1] Die Patientin leidet an einer affe ktiven/schizoaffektiven Erkrankung, die episodisch verläuft. E s ergeben sich stabile Phasen und akute Krankheitsepisoden, die unter anderem bei Belastungssituationen auftreten können. Sie war im Rahmen des zu 19 Ub 142/25x geführten Unterbringungsverfahrens bis 1 0 . 4 . 2025 wegen Selbst und Fremdgefährdung untergebracht, weil sie zunehmend wahnhaft psychotisch bei erheblich beeinträchtigter Wahrnehmungsverarbeitung war und ein teils aggressives teils bizarres Verhalten an den Tag legte, das dazu führte, dass sie ihren Freund würgte und kratzte. Sie war zum Unterbringungszeitpunkt psychotisch, massiv angespannt und verbal nicht erreichbar.

[2] Sie hatte im Jahr 2022 eine Patientenverfügung errichtet, in der sie aufgrund ihrer bisherigen Behandlungserfahrungen eine Neueinstellung mit Psychopharmaka ablehnt. Demnach sollen ihr lediglich die in der bisherigen ambulanten Behandlung verabreichten Medikamente in der bisher festgesetzten Dosis verabreicht und erforderlichenfalls mit der minimal notwendigen Tranquilizerdosis ergänzt werden. Die während der Unterbringung tatsächlich verabreichte Dosis weicht von der Patientenverfügung ab, weil es mit der in der Patientenverfügung angegebenen Medikamentendosierung trotz Erhöhung der Tranquilizerdosis zu keiner Besserung des Zustandsbilds kam und daher die Erhöhung aus medizinischer Sicht notwendig wurde. Die aktuell verabreichte Dosis ist lege artis. Andernfalls bestünde ein sehr hohes Risiko der Chronifizierung und aufgrund des langen Leidensweges ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko. Weiters bestünde wegen der psychosegeleiteten Impulsdurchbrüche und des damit verbundenen fremdaggressiven Verhaltens eine ernstliche und erhöhte Fremdgefährdung in Form von tätlichen Übergriffen auf andere Personen. Die ursprüngliche, der Patientenverfügung entsprechende Medikation verhindert im besten Fall Rückfälle und ist bei stabilem psychopathologischen Zustandsbild angemessen , reicht aber bei weitem nicht aus, um in Belastungssituationen oder Akutsituationen die Symptomatik zum Sistieren zu bringen.

[3] Das Erstgericht erklärte über Antrag der Patientenanwaltschaftgemäß § 36 Abs 3 UbGdie Heilbehandlung der Patientin mit der erhöhten – von der Patientin im Rahmen ihrer Patientenverfügung abgelehnten Dosis Psychopharmaka – gemäß § 38 UbG für zulässig.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erachtete – anders als das Erstgericht – die Patientenverfügung für gültig. Eine solche sei im Rahmen der Unterbringung jedenfalls beim Vorliegen „bloßer“ Selbstgefährdung zu beachten. Anderes gelte für die hier festgestellte Fremdgefährdung, insoweit sei die Patientenverfügung unbeachtlich. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob eine – verbindliche – Patientenverfügung bei der Behandlung im Rahmen der Unterbringung bei festgestellter Fremdgefährdung und mangelnder Alternativen zur Anwendung gelange.

[5] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins, mit dem Antrag, die Heilbehandlung für unzulässig zu erklären.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , aber nicht berechtigt .

[7]1. Eine Heilbehandlung, die an einem untergebrachten, nicht einsichtsfähigen und (in der Frage seiner Zustimmung zur Behandlung) nicht vertretenen Kranken vorgenommen wird, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle nach den §§ 35 ff UbG.

[8]2.1. Gemäß § 2 PatVG ist eine Patientenverfügung im Sinn dieses Bundesgesetzes eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Behandlung nicht entscheidungsfähig ist. Gemäß § 4 PatVG müssen in einer verbindlichen Patientenverfügung die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Aus der Patientenverfügung muss zudem hervorgehen, dass der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt. § 5 PatVG verlangt, dass der Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung eine umfassende ärztliche Aufklärung einschließlich einer Information über Wesen und Folgen der Patientenverfügung für die medizinische Behandlung vorangeht, die vom aufklärenden Arzt zu dokumentieren ist. Dieser hat dabei auch darzulegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt. Die Bestätigung über die Belehrung der rechtlichen Folgen kann in der Patientenverfügung selbst oder in einem Anhang dazu erfolgen (vgl RV 1299 BlgNR 22. GP 6, 7 ).

[9]2.2. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts ist die vorliegende Verfügung in Teilbereichen nicht als unzulässige Anordnung einer bestimmten Behandlung (vgl RV 1299 BlgNR 22. GP 5 zu § 2 PatVG) zu verstehen. Sie ist vielmehr so zu verstehen, dass die Patientin eine Behandlung mit Psychopharmaka ablehnt, soweit sie – betreffend Medikament und Dosis – nicht jener entspricht, die sie im Rahmen ihrer damaligen Behandlung erhalten hat. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Materialien fordern im Übrigen, dass in der Patientenverfügung die Folgen der Behandlungsablehnung, die der Patient richtig einschätzt, zwingend angeführt werden müssen (vgl Traar/Pesendorfer/Lagger Zach/Fritz/Barth , Erwachsenenschutzrecht 2§ 5 PatVG Rz 16 mwN).

[10] 3. Im vorliegenden Fall geht jedoch aus den Feststellungen hervor, dass die Beachtung der Patientenverfügung eine ernstliche und erhebliche Fremdgefährdung in Form von tätlichen Übergriffen auf andere Personen nach sich ziehen würde.

[11] 3.1. Mit der Frage, ob auch eine gültige und zulässige Patientenverfügung im Fall drohender Fremdgefährdung Anwendung finden kann, hat sich die höchstgerichtliche Rechtsprechung bisher noch nicht beschäftigt. Die beiden Entscheidungen dazu 6 Ob 144/98i und 10 Ob 337/99bbetrafen das frühere „psychiatrische Testament“, dessen Gültigkeit im Fall psychischer Erkrankungen zweifelhaft war. Dies ist seit dem PatVG aufgrund der zwingenden Einbindung und Bestätigung eines Arztes regelmäßig nicht mehr so (vgl Kopetzki Grundriss des Unterbringungsrechts 3 [2012] Rz 662).

[12] 3.2. Im Schrifttum wird zur Gültigkeit der Patientenverfügung im Rahmen des Unterbringungsrechts vertreten, dass das PatVG zwar grundsätzlich uneingeschränkt auch für Patienten nach dem UbG gilt, sodass verbindliche Patientenverfügungen unmittelbar vom behandelnden Arzt umzusetzen sind (vgl Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 36 UbG Rz 14; Koppensteiner in Neumayr/Resch/Wallner , GmundKomm 2§ 37 UbG Rz 12; Engel in Resch/Wallner , Handbuch Medizinrecht 3 [2020] VI. Kapitel Rz 115; Schweighofer, UbG 2 [2023] § 36 Rz 12; Barth in FS Kopetzki [2019] 25, Kopetzki in Körtner/Kopetzki/Kletečka Pulker , Das österreichische Patientenverfügungsgesetz [2007] 149; ders, Grundriss des Unterbringungsrechts 3 [2012] Rz 662).

[13] I m Fall des Vorliegens ausschließlich einer Selbstgefährdung unterscheidet sich die Geltung der Verfügung damit nicht von der Geltung solcher Verfügungen für nicht untergebrachte Patienten (vgl ausführlich Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 36 UbG Rz 1 5).

[14] 4. Für den Fall des Vorliegens einer Fremdgefährdung schränken die dazu Stellung beziehenden Autoren diese Geltung – in unterschiedlichem Ausmaß – ein.

[15] 4.1. Engel (in Resch/Wallner , Handbuch Medizinrecht 3 [2020] VI. Kapitel Rz 116 und in iFamZ 2008, 18 ) erachtet eine Patientenverfügung, die eine Fremdgefährdung nach sich ziehen kann, als unwirksam. Erstützt dieses Ergebnis auf § 10 Abs 1 Z 2 PatVG. Nach dieser Bestimmung ist eine Patientenverfügung insoweit unwirksam, als ihr Inhalt strafrechtswidrig wäre. Eine Behandlung, welche die einzige Möglichkeit darstelle, um eine vom Patienten (krankheitsbedingt) ausgehende Gefahr der Verletzung anderer Personen zu beseitigen, könne daher seiner Ansicht nach nicht wirksam abgelehnt werden, weil dies – bei korrekter Folgenabschätzung – einem bedingten Körperverletzungsvorsatz gleichkäme und damit die Patientenverfügung unwirksam mache.

[16] 4.2. Barth (in FS Kopetzki [2019] 26) erachtet eine Patientenverfügung als sittenwidrig, wenn sie zu einer Fremdgefährdung – etwa des Behandlungspersonals oder der Mitbewohner – führt und schließt daraus auf ihre Unwirksamkeit.

[17] 4 . 3. Nach Ganner (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 36 UbG Rz 16) stößt d as Selbstbestimmungsrecht dort an seine Grenzen, wo dadurch in die Rechte anderer unverhältnismäßig eingegriffen werde. Das sei wohl dann der Fall, wenn dadurch das Betreuungspersonal in unzumutbarer Weise belastet würde ( etwa eindauerhaft höchst aggressiver Patient) oder die Kosten für die Betreuung und Versorgung um ein Vielfaches vermehrt würden. Es bedürfe dabei einer Abwägung im Einzelfall. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten rechtfertige aber jedenfalls einen nicht nur geringfügigen Mehraufwand. Dies begründet der Autor mit § 13 PatVG, wonach d er Patient durch eine Patientenverfügung die ihm allenfalls aufgrund besonderer Rechtsvorschriften auferlegten Pflichten, sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht einschränken kann. Das Unterbringungsgesetz als solches sei eine derartige besondere Rechtsvorschrift.

[18] Auch Schweighofer zieht (in UbG 2[2023] § 36 Rz 12) § 13 PatVG als Grundlage für das Vorgehen des erforderlichen Schutzes anderer Personen im Fall der Fremdgefährdung heran.

[19] 5. Nach Ansicht des erkennenden Se na ts hat die aus der Beachtung einer Patientenverfügung resultierende ernstliche und erhebliche Fremdgefährdung nicht die (Teil )Unwirksamkeit der betreffenden Patientenverfügung zur Folge. Vielmehr führt die in einem solchen Fall vorzunehmende Abwägung zwischen dem Recht des Patienten auf Selbstbestimmung und dem Recht dritter Personen auf körperliche Unversehrtheit als widerstreitende Grundrechte dazu, dass eine wirksame Patientenverfügung bei ernstlicher und erheblicher Fremdgefährdung zugunsten des Schutzes anderer Personen im konkreten Fall unangewendet zu bleiben hat. Für diese Grundrechtsabwägung bedarf es nicht eines Rückgriffs auf die in § 13 PatVG angesprochenen Rechtsvorschriften, die einem Patienten die Pflicht auferlegen, sich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Selbst wenn man das UbG als „besondere Rechtsvorschrift“ im Sinn des § 13 PatVG ansieht, vermag dies nämlich nichts daran zu ändern, dass der Patient – auch im Rahmen des UbG – mithilfe einer Patientenverfügung auf die Art der Gefahrenabwehr Einfluss nehmen kann (im Sinn einer Interessenabwägung im Ergebnis wohl auch Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 36 UbG Rz 16).

Zusammenfassend ist damit festzuhalten:

[20] Eine uneingeschränkte Umsetzung des grundsätzlich zu schützenden Willens einer vulnerablen Person stößt jedenfalls dort an seine Grenzen, wo eine erhebliche Rechtsgutsbeeinträchtigung anderer Personen droht. In einem solchen Fall muss eine Abwägung der in Rede stehenden Grundrechte vorgenommen werden und die Verfügung allenfalls unangewendet bleiben.

[21] Im vorliegenden Fall wurde die Patientin auch wegen aggressiven und fremdgefährdenden Verhaltens, dass sich im Würgen ihres Freundes auch bereits manifestiert hat, untergebracht und hätte das Unterbleiben der von ihr abgelehnten medikamentösen Behandlung wegen der psychosegeleiteten Impulsdurchbrüche und des damit verbundenen fremdaggressiven Verhaltens eine ernstliche und erhöhte Fremdgefährdung in Form von tätlichen Übergriffen auf andere Personen bedeutet. Dieser Gefahr konnte mit der lege artis verabreichten Dosierung der grundsätzlich von der Patientin akzeptierten Medikamente durch Überwindung der akuten Krankheitsepisode begegnet werden.

[22] Es ist daher im Ergebnis mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass die Patientenverfügung im konkreten Fall nicht anzuwenden war.

[23] 6 . Der Revisionsrekurs ist daher nicht berechtigt.