JudikaturOGH

1Ob93/25w – OGH Entscheidung

Entscheidung
Immaterieller Schaden
24. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Dr. Martin Dercsaly, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 37.793,35 EUR sA und Feststellung, infolge der „außerordentlichen“ Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Teil- und Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Mai 2025, GZ 14 R 38/25y 29, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 14. Jänner 2025, GZ 31 Cg 21/23w 23, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. Jänner 2025, GZ 31 Cg 21/23w 25, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin steht als Justizwachebeamtin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten.

[2] Sie begehrt aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von 37.793,35 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Sie habe sich im Dienst mit dem Coronavirus infiziert, weil sie nicht über das Auftreten von Coronavirusinfektionen auf der Station einer Klinik, in der ein zu bewachender Insasse der Justizanstalt gelegen sei, informiert worden sei. Aufgrund der Langzeitfolgen der COVID-19-Erkrankung sei sie von November 2020 bis Februar 2022 im Krankenstand gewesen. Sie habe durch den Entfall von Nacht-, Sonn- und Feiertagsdiensten einen Verdienstentgang von 7.793,35 EUR erlitten. Im März 2022 habe ihr der neue Anstaltsleiter mitgeteilt, dass sie das größte Problem der Justizanstalt sei. Im April 2023 habe er eine Ermahnung erlassen, in der ihr die Verletzung von Dienstpflichten vorgeworfen worden sei. Obwohl ein daraufhin über ihre Selbstanzeige eingeleitetes Disziplinarverfahren mangels Substrats nach § 118 Abs 1 Z 2 zweiter Halbsatz BDG eingestellt worden sei, sei die schriftliche Ermahnung nicht aus ihrem Personalakt entfernt worden. Die genannten Umstände hätten bei ihr Schlafstörungen, Grübeln und verminderte Lebensfreude verursacht, weswegen sie sich auch in therapeutischer Behandlung befinde. Sie sei zudem von ihrer direkten Vorgesetzten in der Krankenabteilung systematisch nicht beachtet worden und es sei schlecht geredet worden, um sie loszuwerden, damit ihr ihr Arbeitsplatz durch eine qualifizierte Verwendungsänderung aberkannt werden könne.

[3] Für die durch die COVID-19-Erkrankung sowie die ungerechtfertigten Vorwürfe der Anstaltsleitung hervorgerufenen gesundheitlichen Folgen begehre sie ein Schmerzengeld von insgesamt 30.000 EUR, wovon zwei Drittel auf die Folgen der Coronavirusinfektion und ein Drittel auf die übrigen Umstände, insbesondere das schikanöse Verhalten der Dienstgeberin, entfalle.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht sprach mit Teil- und Teilzwischenurteil aus, dass das Klagebegehren auf Zahlung von 10.000 EUR sA dem Grunde nach zu Recht bestehe, und wies das Leistungsmehrbegehren von 27.793,35 EUR sA sowie das Feststellungsbegehren ab. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts stelle das Verhalten der Vorgesetzten der Klägerin in der Krankenabteilung in Verbindung mit der im Personalakt verbliebenen Ermahnung des Dienststellenleiters vom April 2023 Mobbing dar. Der Teil des Zahlungsbegehrens von 10.000 EUR, der sich auf schikanöses Verhalten der dienstgeberischen Behörde stütze, bestehe daher dem Grunde nach zu Recht. Der Teil des Feststellungsbegehrens, der sich auf Mobbinghandlungen beziehe, erfasse nicht das gesamte (in der Klage vorgeworfene) schikanöse Verhalten der „dienstgeberischen Behörde“, sondern nur die (nicht festgestellte) Mitteilung des Leiters der Justizanstalt vom März 2022 sowie die schriftliche Ermahnung der Klägerin vom April 2023. Die schriftliche Ermahnung alleine könne aber als einmalige Handlung den Mobbingtatbestand nicht erfüllen, sodass darauf auch kein Feststellungsbegehren erfolgreich gestützt werden könne. Zu Recht sei auch der auf die COVID-19-Erkrankung bezogene Teil des Leistungs sowie Feststellungsbegehrens abgewiesen worden, weil es an einem haftungsauslösenden rechtswidrigen Verhalten der Beklagten mangle.

[6] Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Beurteilung, ob Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz als „Mobbing“ oder „Bossing“ zu qualifizieren seien, von den Umständen des Einzelfalls abhänge.

[7] Gegen das klageabweisende Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die „außerordentliche“ Revision der Klägerin , gegen das dem Klagebegehren von 10.000 EUR dem Grunde nach stattgebende Teilzwischenurteil die „außerordentliche“ Revision der Beklagten .

Rechtliche Beurteilung

[8] Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über diese Rechtsmittel kommt (derzeit) nicht in Betracht, weil deren Zulässigkeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann:

[9] 1. Das Berufungsgericht hat keine Bewertung des Entscheidungsgegenstands vorgenommen, weil es davon ausgegangen ist, dass allein das Zahlungsbegehren den Betrag von 30.000 EUR übersteigt. Eine solche Vorgangsweise wäre nur dann zutreffend, wenn die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinne des § 55 Abs 1 JN stünden (vgl RS0037838; RS0053096). Das ist jedoch nicht der Fall.

[10] 2. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert (RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648). Er ist dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RS0037899). Bei der Prüfung der Frage, ob die geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, ist vom Vorbringen der Klägerin auszugehen (RS0042741 [T30]).

[11] 3. Zwischen dem hier geltend gemachten Schadenersatzanspruch wegen Mobbings einerseits und dem Schadenersatzanspruch wegen der erlittenen COVID-19-Erkrankung andererseits besteht weder ein tatsächlicher noch ein rechtlicher Zusammenhang, zumal jeder dieser Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann. Das auf Mobbing gestützte Schmerzengeldbegehren von 10.000 EUR samt dem dazugehörigen Feststellungsbegehren ist daher nicht mit dem auf die Infektion mit dem Coronavirus gestützten Schmerzengeldbegehren von 20.000 EUR und dem darauf gegründeten Verdienstentgang von 7.793,35 EUR sowie dem dazugehörigen Feststellungsbegehren zusammenzurechnen.

[12] 4. Das Berufungsgericht wird daher das auf die Mobbingvorwürfe gegründete Leistungs- und Feststellungsbegehren einerseits und das auf die COVID-19-Erkrankung gegründete Leistungs- und Feststellungsbegehren andererseits getrennt zu bewerten haben. Der fehlende Bewertungsausspruch wird auch nicht durch die von der Klägerin vorgenommene Angabe des Werts der Feststellungsbegehren ersetzt (RS0042296). Es bedarf daher einer entsprechenden Ergänzung durch das Berufungsgericht (RS0114386).

[13] Sollte das Berufungsgericht aussprechen, der Wert eines oder beider Entscheidungsgegenstände übersteige 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR, läge ein Fall des § 502 Abs 3 ZPO vor. Ob diesfalls das jeweils bezughabende Rechtsmittel den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob es einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

[14] Sollte das Berufungsgericht in seinem nachzuholenden Bewertungsausspruch gemäß § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO einen oder beide Entscheidungsgegenstände mit mehr als 30.000 EUR bewerten, läge kein Fall des § 508 ZPO vor, und das betreffende Rechtsmittel wäre als außerordentliches neuerlich dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.