JudikaturOGH

10Ob68/24h – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
24. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. K*, vertreten durch Mag. Gernot Stitz, Rechtsanwalt in Voitsberg, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch die Peissl Partner Rechtsanwälte OG in Köflach, wegen Unterlassung (Streitwert: 8.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 12. September 2024, GZ 6 R 95/24w 16, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Voitsberg vom 3. Mai 2024, GZ 5 C 97/23y 11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts – einschließlich seiner Kostenentscheidung – wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.455,55 EUR (darin 242,59 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.526,75 EUR (darin 166,79 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, über das seit Jahrzehnten ein 2,5 m bis 3 m breiter, nur in den Fahrspuren geschotterter Weg verläuft. Dem Beklagten kommen als Eigentümer einer Nachbarliegenschaft zwei im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeiten zu, über diesen Weg (in unterschiedlicher Ausgestaltung) zu gehen und zu fahren. Eine Regelung, dass der Beklagte eine bestimmte Wegbreite in Anspruch nehmen darf, besteht nicht; dass er für die Ausübung der Dienstbarkeiten eine größere Wegbreite benötigt als die vorhandene, war nicht feststellbar.

[2] Am 21. Juni 2023 und am 2. August 2023 fuhr der Beklagte mit einem Traktor großteils außerhalb der Wegtrasse über die Liegenschaft des Klägers. Am Traktor war zwar ein Mähschlegel befestigt, der allerdings nicht eingeschaltet war, sodass das Gras außerhalb der Fahrbahn zwar niedergedrückt, aber nicht gemäht wurde.

[3] Bereits zuvor war in zwei Besitzstörungsverfahren Thema, dass der Beklagte außerhalb der Wegtrasse gefahren sei bzw Mäharbeiten durchgeführt habe. Zu 5 C 53/22d des Erstgerichts wandte sich der Kläger dagegen, dass ihn der Beklagte dadurch im ruhigen Besitz am dienenden Grundstück gestört habe, indem er dieses abseits der Wegtrasse mit dem Traktor befahren habe. Am 19. Jänner 2023 erging in diesem Verfahren ein (rechtskräftiger) Anerkenntnisendbeschluss (künftig: Endbeschluss), mit dem (1.) festgestellt wurde, dass der Beklagte durch das Befahren des dienenden Grundstücks den ruhigen Besitz des Klägers gestört hat, und (2.) der Beklagte verpflichtet wurde, solche oder ähnliche Störungen ab sofort zu unterlassen.

[4]Mit der vorliegenden (inhaltlich auf § 523 ABGB gestützt en) Klage begehrt der Kläger zusammengefasst, den Beklagten schuldig zu erkennen, auf dem dienenden Grundstück Mäharbeiten außerhalb des Weges sowie ähnlich gelagerte Eingriffe, eventualiter das Fahren mit Fahrzeugen außerhalb der Wegtrasse sowie ähnlich gelagerte Eingriffe zu unterlassen.

[5] Der Beklagte wandte (soweit noch relevant) ein, dem Kläger mangle es hinsichtlich des Eventualbegehrens am Rechtsschutzinteresse, weil dieses exakt dem Spruchpunkt 2. des Endbeschlusses entspreche. Da ihm das nunmehr geltend gemachte Verhalten bereits verboten worden sei, sei das Eventualbegehren nicht berechtigt.

[6] Das Erstgericht wies das Hauptbegehren unbekämpft ab. Dem Eventualbegehren gab es hingegen mit der Begründung statt, dass sich die Dienstbarkeiten nur auf die geschotterte, 2,5 m bis 3 m breite Wegtrasse erstreckten und der Beklagte demgemäß nicht berechtigt sei, das dienende Grundstück außerhalb des Weges zu befahren. Die Rechtskraft des Endbeschlusses stehe dem nicht entgegen, weil das Besitzstörungsverfahren lediglich eine einstweilige Regelung der Güter und Gebrauchsordnung bezwecke, während zur Geltendmachung des Rechts zum Besitz ausschließlich das Petitorium zur Verfügung stehe. Da dieser Einwand im Besitzstörungsverfahren nicht geltend gemacht werden könne, hindere die dort ergangene Entscheidung die Einleitung eines weiteren Verfahrens zur Geltendmachung eines darauf gestützten Unterlassungsanspruchs nicht.

[7] Das Berufungsgericht gab der nur vom Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies auch das Eventualbe ge hren ab. Zwar lägen dem Possessorium und dem Petitorium unterschiedliche Streitgegenstände zugrunde , sodass die Rechtskraft eines Endbeschlusses der Entscheidung im Petitorium nicht entgegenstehe. Verfüge der Kläger aber scho n über einen Titel, mit dem er seinen Anspruch auf Unterlassung exekutiv durchsetzen könne, stehe einem neuerlichen Unterlassungsbegehren das Fehlen des (materiellen) Rechtsschutzbedürfnisses entgege n. Das sei hier der Fall, weil der rechtskräftige Endbeschluss das gesamte nunmehr behauptete Verhalten unabhängig davon abdecke, ob sich der Kläger auf seinen Besitz oder sein diesem zugrunde liegendes Recht gestützt habe.

[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision unter Verweis auf die Entscheidung 3 Ob 505/94 nachträglich zu.

[9] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit der er die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

[10] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, eventualiter ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

[12] 1. Nach der Rechtsprechung setzt jede gerichtlicheGeltendmachung eines Anspruchs ein Rechtsschutzbedürfnis voraus; besteht es nicht, führt das zur Abweisung der Klage (RS0038062; RS0037297 [T8]; 1 Ob 128/21m Rz 8 ua). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt insbesondere, wenn der Kläger bereits über einen Titel verfügt, mit dem er seinen Anspruch auf Unterlassung im Wege des § 355 EO exekutiv durchsetzen kann (RS0002451; RS0037297 [T2]). Maßgeblich ist dabei, ob das im ersten Verfahren erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens bildet (RS0079417 [T5]; 6 Ob 227/21g Rz 25; 8 ObA 91/21x Rz 12 ua). Auf die Art des Titels kommt es dabei nicht an, sodass etwa auch eine einstweilige Verfügung als vorbestehender Titel ausreicht, um das Rechtsschutzbedürfnis in einem Parallelverfahren wegfallenzu lassen (RS0002451; 4 Ob 46/22a Rz 7 ua).

[13] 2. Diese Rechtsprechung erging zwar primär in Wettbewerbssachen. Sie ist aber nicht darauf beschränkt, weil sich die Frage der Zulässigkeit des Erwerbs eines Doppeltitels bei allen Unterlassungsansprüchen stellt. Demgemäß wandte der Oberste Gerichtshof die Grundsätze dieser Judikatur auch auf Duldungs , Beseitigungsund Unterlassungsbegehren im Zusammenhang mit der Ausübung eines Wegerechts an, für die (in Form eines gerichtlichen Vergleichs) bereits ein rechtskräftiger Unterlassungstitel bestand (4 Ob 5/20v).

[14] Die herrschende Lehre lehnt das Institut des Rechtsschutzbedürfnisses als allgemeine Prozessvoraussetzu ng hingegen ab ( Konecny in Fasching/Konecny 3 Einl Rz 185; Geroldinger in Fasching/Konecny 3§ 226 ZPO Rz 13 f; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5 Vor § 226 Rz 9 ff; zuletzt etwa Rechberger , Keine Urteilsveröffentlichung – Zum (mangelnden) Rechtsschutzbedürfnis für eine neuerliche Unterlassungskla ge, MR 2019, 17; Trenker , Der vollstreckbare Notariatsakt als Alternative zur einvernehmlichen Streitbeilegung, NZ 2021, 707; Korn , Urteilsveröffentlichung und Rechtsschutzbedürfnis , ÖBl 2018/47).

[15] 3. Einer erneuten (vgl 4 Ob 102/18f ErwGr 5.1. ff) Auseinandersetzung mit der langjährig diskutierten Frage der Notwendigkeit eines (materiellen) Rechtsschutzbedürfnisses bzw der Zulässigkeit von Doppeltiteln bedarf es hier aber nicht, weil sie sich im vorliegenden Kontext nicht stellt.

[16]3.1. Zwar scheint die Entscheidung 2 Ob 10/01m dafür zu sprechen, dass auch im Besitzstörungsverfahren ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist (vgl dazu Kodek in Fasching/Konecny 3§ 459 ZPO Rz 48). Diese Entscheidung betraf jedoch die Auswirkungen eines Endbeschlusses auf eine weitere Besitzstörungsklage wegen neuer Störungshandlung en, wohingegen es hier um das Verhältnis des Possessoriums zu zu einem nachfolgenden Petitiorium geht.

[17]3.2. Ziel einer Besitzstörungsklage ist gemäß § 454 Abs 1 ZPO der Schutz und die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes, also die Wahrung des ruhigen Besitzes und nicht die Klärung strittiger Rechte (vgl 3 Ob 63/85; 7 Ob 234/03t). Über das Recht zum Besitz und die Redlichkeit wird im Besitzstörungsverfahren nicht entschieden; dem gemäß ist jegliche Erörterung und Prüfung des dem Besitz zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses sowie von Besitztitel oder (Un)Redlichkeit ausgeschlossen (§ 457 ZPO; 1 Ob 181/03d; RS0041648[insb T1] ua). Da mit dem Endbeschluss somit nur über die Frage des einstweiligen Besitzes entschieden wird, wird dadurch die spätere Geltendmachung des Rechts zum Besitz (und der davon abhängigen Ansprüche) im petitorischen Verfahren nicht ausgeschlossen (RS0041645; vgl 8 Ob 24/13g). Sollen daher Ansprü che verfolgt werden, deren Geltendmachung im possessorischen Verfahren ausgeschlossen sind, kann und muss der Weg des Petitoriums gewählt werden, worauf § 459 Satz 2 ZPO (klarstellend) hinweist ( Kodek in Fasching/Konecny 3§ 459 ZPO Rz 87 ff; Kodek , Besitzstörung 906).

[18] 3.3. Unter dem „Rechtsschutzbedürfnis“ wird allgemein ein von der Rechtsordnung gebilligtes Interesse an der begehrten Rechtsschutztätigkeit ( Rechberger/Klicka aaO Vor § 226 Rz 9) bzw ein materiell-rechtlich schutzwürdiges Interesse (4 Ob 102/18f ErwGr 2.4.) verstanden. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits zu SZ 30/65 darauf hingewiesen, der auf Erwirkung eines zweiten inhaltsgleichen Exekutionstitels gerichteten Klage mangle es nur dann am Rechtsschutzbedü rfnis, wenn sie völlig überflüssig wäre. Auch in Deutschland wird das Rechtsschutzbedürfnis nur verneint, wenn ein Begehren – gemessen am Zweck des Zivilprozesses – eines staatlichen Rechtsschutzes ersichtlich nicht bedarf (jüngst BGH V ZR 86/24 Rz 10). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass niemand die Gerichte unnütz bemühen oder ein Verfahren zur Verfolgung nicht schutzwürdiger oder gar unlauterer Ziele ausnutzen soll ( Becker Eberhardin MüKomm zur ZPO 7 [2025] Vor § 253 Rz 11 mwN).

[19] 3.4. Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze kann dem im Besitzstörungsverfahren siegreichen Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mit dem Hinweis auf den dort erwirkten Exekutionstitel abgesprochen werden. Zwar erfasst der Endbeschluss auch das hier zu beurteilende Verhalten des Beklagten, sodass er damit den verfolgten Anspruch im Wege der Unterlassungsexekution durchsetzen könnte. Der bloß provisorische Besitzschutz endet aber mit der rechtskräftigen Entscheidung im Streit über das Vollrecht (RS0010259; RS0114383), sodass sich im Verhältnis von Possessorium und anschließendem Petitorium das Problem von Doppeltiteln nicht wie sonst bei Unterlassungstiteln stellt. Vor allem aber ändert die Möglichkeit der Exekutionsführung nichts daran, dass das Urteil im vorliegenden Verfahren einen weitergehenderen Rechtsschutz bietet als der Endbeschluss, weil nur damit geklärt wird, ob der Beklagte allenfalls ein „Recht zur Störung“ für sich in Anspruch nehmen kann. Insofern geht das Rechtsschutzziel der petitorischen Klage daher über jenes der (nur der vorläufigen Interessenwahrung dienenden) Besitzstörungsklage hinaus und ist auch ausschließlich mit dieser erreichbar (vgl RS0038062 [T1]). Darauf aufbauend ergibt sich bereits aus § 459 Satz 2 ZPO und damit dem positiven Recht, dass die Rechtsordnung ein berechtigtes Interesse (auch) des siegreichen Besitzstörungsklägers anerkennt, das zwischen den Beteiligten bestehende Rechtsverhältnis definitiv zu klären. Ihm das Petitorium unter Berufung auf einen bereits erwirkten Endbeschluss zu verwehren und ihn auf ein Tätigwerden des beklagten Störers iSd § 35 EO (vgl RS0114383) zu verweisen, widerspräche daher der gesetzlichen Anordnung und dem bloß provisorische n Charakter des Besitzstörungsverfahrens.

[20] 3.5. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung 3 Ob 505/94 beruft, lässt sich daraus nichts Entscheidendes ableiten. Dort wurde zu einem vergleichbaren Sachverhalt zwar ausgesprochen, dass ein Endbeschluss einer Klage des im Possessorium siegreichen Klägers aus dem petitorischen ( oder obligatorischen) Recht nicht entgegenstehe und sie daherauch nicht wegen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden könne. Dies beruhte aber auf der – in der folgenden Rechtsprechung nicht weiter aufrecht erhaltenen (RS0037411 [T1]) – generellen Ablehnung dieser Rechtsfigur als dogmatisch nicht haltbar, sodass gar nicht (mehr) geprüft wurde, ob das Rechtsschutzinteresse überhaupt fehlte.

[21] Wie dargelegt, ist das hier aber gerade nicht der Fall. Selbst wenn man daher – entgegen 3 Ob 505/94 und dem Schrifttum – im Sinn der ständigen Rechtsprechung die Zulässigkeit von Doppeltiteln verneint, wäre diese nicht auf die vorliegende Konstellation anwendbar.

[22] 4. Zusammenfassend kann das (verbliebene) Eventualbegehren nicht wegen eines (vermeintlich) fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden. Da der Beklagt e den Unterlassungsanspruch ansonsten (wie schon in seiner Berufung) nicht bestreitet, ist das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen.

[23]5. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich jeweils auf §§ 41, 50 ZPO.