JudikaturJustizBsw13573/14

Bsw13573/14 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
05. Februar 2019

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Tepra gg. Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 5.2.2019, Bsw. 13573/14.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Angebliches Verleiten zu Suchtgifthandel durch verdeckte Ermittler der Polizei.

Unzulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Der Bf. ist syrischer Staatsangehöriger und derzeit in der Justizanstalt Hirtenberg inhaftiert.

Am 24.4.2013 wurde er vom LG Klagenfurt wegen Suchtgifthandels gemäß §§ 4 Abs. 3, 28a Abs. 1 SMG zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, da er circa 2.500 g Kokain und 55 g Cannabisharz nach Österreich importiert hatte. Der Bf. gestand, diese Handlungen ausgeführt zu haben, behauptete aber, Opfer einer unrechtmäßigen polizeilichen Anstiftung geworden zu sein.

Nach eigenen Angaben sei bereits im Jänner 2012, als er noch in Madrid lebte, Kontakt zwischen ihm und einer Person namens Mike in Wien hergestellt worden, der, wie sich später herausstellte, eine Vertrauensperson der Polizei war. Vier Monate später sei der Bf. angeblich von Mike nochmals kontaktiert worden, da Letzterer Interesse daran gehabt hätte, Drogen bei ihm zu kaufen. Lange Zeit hätte sich der Bf. zunächst auf keinen Deal einlassen wollen, letzten Endes hätte er aber aufgrund seiner schwierigen finanziellen Situation eingewilligt, Kokain für einen von Mike vermittelten Käufer zu beschaffen, der sich jedoch später als verdeckter Ermittler herausstellte.

Das LG Klagenfurt sah es hingegen als erwiesen an, dass nicht Mike den Bf., sondern der Bf. Mike nach einem potentiellen Käufer für eine größere Menge Kokain gefragt habe. Das LG stützte seine Verurteilung auf die Zeugenaussagen der beiden an dem Deal beteiligten verdeckten Ermittler und konnte keine unrechtmäßige Anstiftung durch die Polizei feststellen.

Der Bf. erhob am 27.6.2013 eine Nichtigkeitsbeschwerde und eine Strafberufung gegen das Urteil. Die beiden Rechtsmittel wurden am 5.11.2013 vom OGH bzw. am 18.12.2013 vom OLG Graz abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügte nach Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), dass das Strafverfahren gegen ihn insofern unfair gewesen sei, als die Straftaten, aufgrund derer er verurteilt wurde, ohne rechtswidrige Tatprovokation durch die Behörden nicht stattgefunden hätten. Darüber hinaus beklagte er, dass die verdeckte Ermittlung nicht gesetzeskonform gewesen sei, da sie nicht von einem Gericht oder einem Staatsanwalt angeordnet worden wäre.

Zur Einrede der Regierung hinsichtlich der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe

(24) Die Regierung behauptete, dass die Beschwerde mangels Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe für unzulässig erklärt werden müsse, da der Bf. es verabsäumt hätte, einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO zu stellen. […]

(26) Der GH hatte bereits in seiner Entscheidung ATV Privatfernseh-GmbH/A die Möglichkeit, die Wirksamkeit eines Antrags auf Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO zu prüfen. Allerdings gilt dieser Rechtsbehelf nur für bestimmte Arten von Verfahren, für die im innerstaatlichen Recht nicht vorgesehen ist, dass der OGH damit befasst wird. Der OGH selbst hat nämlich in seiner Rechtsprechung festgestellt, dass ein Antrag nach § 363a StPO per analogiam nur in Fällen zulässig ist, in denen das Gericht »nicht wie in Art. 92 B-VG vorgesehen die Möglichkeit hatte, seiner Funktion als oberste Instanz in Strafsachen gerecht zu werden«. (Anm: OGH 1.8.2007, 13 Os 135/06m = NL 2007, 223.)

(27) Im vorliegenden Fall sah die StPO für den Bf. die Möglichkeit vor, eine Nichtigkeitsbeschwerde beim OGH zu erheben, von der er auch Gebrauch machte. Nach den verfügbaren Informationen war ein Antrag gemäß § 363a StPO nach der Entscheidung des OGH über die Nichtigkeitsbeschwerde des Bf. nicht zulässig. Ferner hat die Regierung nicht dargelegt, dass das Höchstgericht einen Erneuerungsantrag in vergleichbaren Fällen in der Sache geprüft hat. Der GH zieht daher den Schluss, dass ein Antrag nach dieser Bestimmung für den Bf. nicht zugänglich war und weist die diesbezügliche Einrede der Regierung zurück.

Zur Rüge des Bf. betreffend die Anstiftung und damit zusammenhängende Beschwerden

Materiell-rechtliche Prüfung der Anstiftung

(34) Wenn er mit einem Vorbringen hinsichtlich des »Verleitens einer Person zur Begehung von strafbaren Handlungen« durch Agent Provocateurs konfrontiert wird, muss sich der GH zu Beginn vergewissern, ob der Fall auf den ersten Blick in die Kategorie der »entrapment cases« fällt. Im vorliegenden Fall befindet der GH, dass der Bf. angesichts des Sachverhalts eine vertretbare Beschwerde in dieser Hinsicht vorbringen konnte.

(35) Als Nächstes muss der GH feststellen, ob eine Anstiftung unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK stattfand und es sich um keinen Einsatz von rechtmäßigen verdeckten Ermittlungstechniken handelte. Zu diesem Zweck muss er feststellen, ob die zur Debatte stehenden Straftaten ohne das Eingreifen der Behörden begangen worden wären. Eine Anstiftung durch die Polizei lag vor, sobald der verdeckte Ermittler nicht im Wesentlichen passiv blieb, sondern einen solchen Einfluss auf die betroffene Person ausübte, dass er die Begehung der Straftat auslöste, die ansonsten nicht begangen worden wäre. Zu den maßgeblichen Faktoren zählen insbesondere die Frage, ob objektiv der Verdacht bestand, dass die betroffene Person zuvor in strafbare Handlungen verwickelt gewesen war, und ob diese Person unter Druck gesetzt wurde, um die Straftat zu begehen.

(36) Zu letzterem Punkt befindet der GH, dass der Bf. kein Vorstrafenregister hatte, vorab keine Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden waren und er den Polizeibeamten bislang unbekannt war. Allerdings wurde die Fähigkeit des Bf., Drogen in erheblicher Qualität relativ kurzfristig zu beschaffen, wie im vorliegenden Fall, vom GH in der Vergangenheit als Indiz für eine bereits bestehende kriminelle Tätigkeit oder Absicht angesehen. Darüber hinaus war der Bf. offensichtlich mit den aktuellen Drogenpreisen sowie dem modus operandi von Drogengeschäften vertraut.

(37) Im Hinblick auf polizeiliche Informanten befindet der GH, dass ihre Beteiligung nicht von der Prüfung der Frage, ob eine rechtswidrige Anstiftung vorliegt, ausgeschlossen ist. Der GH kann vielmehr eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK feststellen, wenn die Handlungen des Informanten, unabhängig davon, ob er vom Staat oder einer privaten Person, die die Behörden unterstützt, eingesetzt wurde, eine Tatprovokation begründeten.

(38) Im vorliegenden Fall konnten die innerstaatlichen Gerichte nicht mit Sicherheit feststellen, was genau in der Anfangsphase des Kontakts zwischen dem polizeilichen Informanten und dem Bf. geschehen war. Es bestanden jedoch erhebliche Anhaltspunkte, dass der Bf. eine bereits bestehende Neigung hatte, Drogengeschäfte zu verüben. Da sich aus der materiell-rechtlichen Prüfung der Tatprovokation kein eindeutiges Ergebnis ergibt, untersucht der GH daher im Rahmen der sogenannten verfahrensrechtlichen Prüfung, wie die innerstaatlichen Gerichte mit dem Vorbringen des Bf. betreffend die Anstiftung umgegangen sind.

Verfahrensrechtliche Prüfung der Anstiftung

(39) Der GH hat in einer Reihe von Fällen die Rolle der innerstaatlichen Gerichte bei der Behandlung von Strafsachen hervorgehoben, in denen der Angeklagte behauptet, er sei zu einer Straftat angestiftet worden. Jedes vertretbare Vorbringen der Anstiftung verpflichtet die Gerichte, dieses zu prüfen und abschließende Feststellungen in Bezug auf die Frage des Verleitens zu einer strafbaren Handlung zu treffen, wobei die Beweislast die Staatsanwaltschaft trägt, die nachweisen muss, dass keine Anstiftung vorlag. Ein kontradiktorisches, gründliches, umfassendes und schlüssiges Verfahren bezüglich der Frage der Tatprovokation ist erforderlich.

(40) In der vorliegenden Rechtssache ist der GH der Auffassung, dass die innerstaatlichen Gerichte das Vorbringen des Bf. betreffend die Anstiftung ordnungsgemäß behandelt und Beweise betreffend den mutmaßlichen Einfluss des polizeilichen Informanten erhoben haben. Der Bf. konnte den Aspekt der Anstiftung während seines Verfahrens wirksam ansprechen. Von Beginn des Verfahrens an forderte er das Gericht auf, die Telefondaten zu beschaffen, welche die Entstehung des Kontakts zwischen dem Informanten der Polizei und ihm selbst betrafen, um so seine Version der Ereignisse nachweisen zu können, nämlich dass es angeblich der verdeckte Ermittler gewesen sei, der ihn ständig kontaktiert hatte, und nicht umgekehrt. Das LG machte jedoch geltend, dass die Telefondaten, selbst wenn sie beschafft worden wären, nicht belegen hätten können, wer den Vorschlag für den Drogendeal gemacht hatte, da der Inhalt der Gespräche nicht protokolliert worden war, sondern nur die Anrufprotokolle existierten. Vor allem befand das Gericht die Tatsache als entscheidend, dass der Bf. eindeutig über eine Bezugsquelle für eine erhebliche Menge an Drogen verfügte, die er anbot, regelmäßig über einen längeren Zeitraum zu liefern. Dies wurde als starker Hinweis darauf erachtet, dass der Bf. im Drogengeschäft gut vernetzt war, da ihm ansonsten nicht so eine große Menge an Kokain von sehr guter Qualität anvertraut worden wäre. Der GH kann diesen Feststellungen nur zustimmen.

(41) Zu der Frage, wer zuerst den Drogendeal vorgeschlagen hatte – der Bf. oder der polizeiliche Informant Mike – stellt der GH fest, dass die österreichischen Gerichte die Glaubwürdigkeit aller beteiligten Personen beurteilen mussten und zu dem Schluss kamen, dass sie der Darstellung der Ereignisse des Bf. nicht glaubten, was sie aufgrund ihres direkten und persönlichen Eindrucks der Beteiligten viel besser beurteilen können.

(42) In diesem Zusammenhang betont der GH, dass obwohl Art. 6 EMRK das Recht auf ein faires Verfahren garantiert, er keine Bestimmungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln oder über die Art und Weise enthält, auf die Beweismittel zu beurteilen sind, da dies in erster Linie der Regulierung durch das nationale Recht und den nationalen Gerichten obliegt. Grundsätzlich unterliegen Fragen wie das Gewicht, das die nationalen Gerichte bestimmten Beweismitteln oder Feststellungen oder Beurteilungen beimessen, die ihnen zur Untersuchung vorgelegt werden, nicht der Überprüfung durch den GH. Dieser sollte nicht als vierte Instanz fungieren und wird daher nicht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK die Beurteilung der nationalen Gerichte in Frage stellen, es sei denn, ihre Feststellungen können als willkürlich oder offensichtlich unsachlich angesehen werden. Der GH findet keinen Anhaltspunkt hierzu, wenn die innerstaatlichen Gerichte dem polizeilichen Informanten und den Erklärungen des verdeckten Ermittlers mehr Glaubwürdigkeit beimessen als denen des Bf.

(43) Der GH kommt zu dem Ergebnis, dass die österreichischen Gerichte das Vorbringen der Anstiftung durch den Bf. in angemessener Weise behandelten und die notwendigen Schritte unternahmen, um die Wahrheit aufzudecken und die Zweifel zu widerlegen, ob der Bf. die Straftat aufgrund einer Anstiftung durch einen Agent Provocateur begangen hatte. Ihre Feststellung, dass kein Verleiten zu einer strafbaren Handlung stattgefunden habe, beruhte auf einer vernünftigen Bewertung der Beweise, die stichhaltig und ausreichend waren. Die österreichischen Gerichte unternahmen alle möglichen Schritte, um zu überprüfen, ob die dem Bf. unterstellten Handlungen nicht auf rechtswidrige Handlungen der Ermittlungsbehörden zurückzuführen waren.

(44) In Anbetracht des Umfangs der gerichtlichen Überprüfung des Vorbringens des Bf. betreffend die Anstiftung ist der GH der Auffassung, dass die Beschwerde des Bf. offensichtlich unbegründet [...] und [als unzulässig] zurückzuweisen […] ist (einstimmig).

(45) In Bezug auf die Rüge des Bf., dass die polizeiliche Operation nicht rechtmäßig gewesen sei, hat der GH in seiner Rechtsprechung die Notwendigkeit eines klaren und vorhersehbaren Verfahrens für die Genehmigung von Ermittlungsmaßnahmen sowie für deren ordnungsgemäße Überwachung betont. In Fällen, in denen verdeckte Ermittlungen durchgeführt werden, ist die gerichtliche Überwachung das geeignetste Mittel. Ein Mangel an verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen bei der Anordnung einer verdeckten Ermittlung kann ein Risiko der Willkür und des Verleitens zu einer strafbaren Handlung durch die Polizei hervorrufen.

(46) Hinsichtlich des konkreten Sachverhalts des vorliegenden Falles sieht der GH dennoch keinen Grund, von der Schlussfolgerung der nationalen Behörden abzuweichen, dass die verdeckte Ermittlung rechtmäßig war, da sie durch § 131 Abs. 1 StPO gedeckt war, den der GH als ausreichende Rechtsgrundlage für die betreffende polizeiliche Operation ansieht. Darüber hinaus ist der GH nach den vorliegenden Unterlagen und Informationen und den Erklärungen der Parteien der Ansicht, dass die Ermittlung nicht von solch einem Umfang war, dass eine vorherige Genehmigung eines Gerichts oder eines Staatsanwaltes erforderlich gewesen wäre, auch weil ausreichende Schutzmaßnahmen getroffen wurden, etwa indem ein leitender Polizeibeamter die Ermittlung überwachte. Die entsprechende Beschwerde ist daher offensichtlich unbegründet [...] und muss [für unzulässig erklärt] werden (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Shannon/GB v. 6.4.2004

Ramanauskas/LT v. 5.2.2008 (GK) = NL 2008, 21

Bannikova/RUS v. 4.11.2010

Furcht/D v. 23.10.2014 = NLMR 2014, 406

ATV Privatfernseh-GmbH/A v. 6.10.2015 (ZE) = NLMR 2015, 554

Batista Laborde/A v. 2.2.2016 (ZE) = NLMR 2016, 168

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 5.2.2019, Bsw. 13573/14, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2019, 127) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

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