JudikaturJustizBsw12268/03

Bsw12268/03 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
23. Juli 2009

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Hachette Filipacchi Associés ("Ici Paris") gegen Frankreich, Urteil vom 23.7.2009, Bsw. 12268/03.

Spruch

Art. 10 EMRK - Schutz von Privatsphäre und Bildnisrecht eines Rocksängers.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK (mehrheitlich).

Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:  € 26.000,– für immateriellen Schaden, € 10.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die Bf. ist Herausgeberin des Wochenmagazins Ici Paris. Am 13.11.1996 erschien darin ein Artikel mit der Überschrift „Was ist, wenn es in Las Vegas zu einem Flop kommt? Johnny in Panik!". Er bezog sich auf den französischen Rocksänger Johnny Hallyday (der ein Konzert in Las Vegas geben sollte) und dessen finanzielle Situation. Der Genannte habe es trotz Millionen verkaufter Platten und unzähliger Tourneen nicht geschafft, auch nur einen einzigen Centime zu sparen. Sein ganzes Vermögen sei für Reisen, Autos und glamouröse Feste aufgegangen. Die Lösung des Problems: der Sänger „verscherble" sein Bild und seinen Namen, so Ici Paris. Der Artikel war von vier Fotos begleitet. Bei dem einen Foto handelte es sich um eine Darstellung von Johnny Hallyday auf der Bühne, während ihn die restlichen drei Fotos mit Werbeprodukten zeigten, für deren Abbildung er die Genehmigung erteilt hatte.

Am 4.3.1997 brachte Johnny Hallyday eine Schadenersatzklage gegen die Bf. mit der Begründung ein, er habe zur Veröffentlichung der Bilder niemals seine Zustimmung erteilt. Indem die Bf. auf seinen kostspieligen Lebensstil hingewiesen und fälschlicherweise behauptet habe, er sei finanziell am Ruin, wäre er in seinem von Art. 9 Code civil geschützten Recht auf Achtung der Privatsphäre verletzt worden.

Mit Urteil vom 2.7.1997 wies das Pariser Tribunal de grande instance die Klage fast zur Gänze ab. Was den behaupteten Eingriff in das Bildnisrecht anlange, habe der Sänger, indem er sein Bild an Unternehmen verkauft habe, implizit sein Einverständnis zum Abdruck in anderen Medien gegeben. Lediglich die Veröffentlichung des Fotos, das ihn sitzend auf einem Sofa zeige, hätte seiner vorherigen Genehmigung bedurft. Dem dadurch entstandenen Nachteil könne mit dem Zuspruch von FF 5.000,– (ca. € 752,–) abgeholfen werden. Zum behaupteten Eingriff in sein Privatleben und in seinen guten Ruf sei festzustellen, dass der Artikel keine neuen Enthüllungen gebracht habe. Der Sänger habe etwa aus dem Kauf einer Villa und einer Yacht nie ein Geheimnis gemacht und darüber sogar in seiner Autobiografie berichtet, in der auch ausführlich sein aufwändiger Lebensstil und seine Probleme mit den Steuerbehörden geschildert worden seien. Die Bf. habe dadurch, dass sie diese Aspekte wieder zur Sprache gebracht habe, nicht in unzulässiger Weise in Art. 9 Code civil eingegriffen. Der Artikel habe lediglich die Art und Weise kritisiert, wie Johnny Hallyday sein Bild und seinen Namen vermarkte. Dies müsse ihm zwar unangenehm sein, andererseits bestünden keinerlei Anzeichen für eine Schädigungsabsicht in dem Artikel.

Das Pariser Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil. Am 30.5.2000 hob es der Cour de cassation auf und verwies die Sache an das Gericht zweiter Instanz von Versailles zurück. Begründend führte er aus, Art. 9 Code civil sei verletzt, da bei der Veröffentlichung der Fotos nicht berücksichtigt worden sei, dass die von Johnny Hallyday gegebene Genehmigung zum Abdruck der Bilder für Werbezwecke sich nur auf den damaligen Zeitpunkt bezogen hatte, ferner würden die veröffentlichten Informationen sich auch auf den Lebenswandel und die Persönlichkeit des Sängers beziehen, ohne dass hierfür eine Notwendigkeit bestehe.

Mit Urteil vom 9.10.2002 hob das Gericht zweiter Instanz von Versailles die Entscheidung des Erstgerichts teilweise auf und verurteilte die Bf. zur Leistung von Schadenersatz in Höhe von € 20.000,– wegen Verletzung des Rechts auf das eigene Bild und der Privatsphäre. Es kam zu dem Ergebnis, dass die ohne Genehmigung von Johnny Hallyday erfolgte Veröffentlichung der Fotos nicht mit dem ursprünglichen Werbezweck in Einklang gestanden wäre und der Artikel nicht bloß auf an sich legitime Fragen der Vermögensverhältnisse des Sängers, sondern auch in unzulässiger Weise auf seine Lebensweise bzw. Persönlichkeit Bezug genommen hätte.

Ein beim Cour de Cassation eingebrachtes Rechtsmittel der Bf. blieb erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behauptet, ihre Verurteilung stelle eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) dar.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:

1. Zur Zulässigkeit:

Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet iSv. Art. 35 Abs. 3 EMRK noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie ist daher für zulässig zu erklären (mehrheitlich).

2. In der Sache selbst:

a) Zum Vorliegen eines Eingriffs:

Die Regierung bringt vor, Johnny Hallyday habe mit seiner Klage nicht die Meinungsäußerungsfreiheit der Bf. beschneiden wollen, sondern lediglich Ersatz für entgangenen Gewinn aufgrund der unerlaubten Verwertung seines Bildes gesucht. Der Rechtsstreit habe sich daher im Rahmen wirtschaftlicher Beziehungen zwischen zwei Privatpersonen bewegt, sodass von einem Eingriff durch staatliche Behörden nicht die Rede sein könne.

Der GH kann sich dieser Argumentation nicht anschließen. Die nationalen Gerichte haben die Bf. in Stattgebung der Klage von Johnny Hallyday zur Leistung von Schadenersatz wegen Verletzung des Bildnisrechts bzw. der Privatsphäre verurteilt. Diese Feststellung genügt als solche für die Annahme, dass die Bf. einen Eingriff seitens einer öffentlichen Behörde in ihre Rechte iSv. Art. 10 Abs. 1 EMRK erlitt.

b) War der Eingriff gesetzlich vorgesehen?

Der GH hat bereits in seiner ZE im Fall Société Prisma Presse/F festgehalten, dass Art. 9 Code civil nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung der französischen Gerichte auch ein Recht auf das eigene Bild als Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens umfasst.

Die Bf. bringt vor, das Konzept des Rechts auf das eigene Bild sei erst mit einem Urteil des Cour de cassation vom 13.1.1998 zur Gänze mit Art. 9 Code civil in Verbindung gebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der strittige Artikel jedoch bereits veröffentlicht gewesen.

Der GH weist darauf hin, dass der Wesensgehalt des Rechts auf das eigene Bild der Rechtsprechung bereits lange vor der Einführung von Art. 9 Code civil im Jahr 1970 bekannt war. Außerdem hat der Cour de cassation in zwei – 1988 und 1990 – ergangenen Urteilen hervorgehoben, jedermann könne sich auf der Grundlage von Art. 9 Code civil gegen die Verbreitung seines Bildes zur Wehr setzen, falls er dazu nicht sein Einverständnis erklärt habe. Es existierten somit einschlägige Präzedenzfälle, die der Bf. als Verlegerin einer Zeitschrift nicht verborgen bleiben konnten.

Die Verurteilung wegen Verletzung der Privatsphäre von Johnny Hallyday war somit iSv. Art. 10 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen.

c) Verfolgte der Eingriff ein legitimes Ziel?

Der Eingriff verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer.

d) War der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig?

Der GH erinnert daran, dass der Schutz des Rechts auf das eigene Bild vor Missbräuchen von dritter Seite integraler Bestandteil der von Art. 8 EMRK geschützten Rechte ist. Die missbräuchliche Verwendung einer Fotografie, deren Verwendung lediglich für einen bestimmten Zweck genehmigt wurde, kann somit ein triftiges Motiv für die Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit sein, genügt jedoch für sich allein nicht, um die Verurteilung der Bf. rechtfertigen zu können.

Im vorliegenden Fall verdient die Tatsache besondere Beachtung, dass die veröffentlichten Bilder ausschließlich von Werbematerial herrührten. Damit besteht ein deutlicher Unterschied zu bereits entschiedenen Fällen, in denen die strittigen Fotos im Wege von Täuschungsmanövern oder Aktionen im Verborgenen – wie etwa im Fall von Hannover/D – erlangt oder Details des Privatlebens von Personen in Form der Einmischung in deren Intimsphäre enthüllt wurden.

Die gegenständlichen Fotos wurden weder verfälscht noch im Hinblick auf ihre Nutzung zu Werbezwecken „zweckentfremdet" verwendet, da sie – zugegebenermaßen auf kritische Art und Weise – Informationen des Wochenmagazins illustrierten, wonach Johnny Hallyday zwecks Deckung seiner finanziellen Bedürfnisse sein Bild für diverse Konsumgüter verkauft habe. Die Werbeprodukte und ihre Verkaufsorte waren übrigens von der Bf. angegeben worden, wie bereits das Pariser Gericht zweiter Instanz in seinem Urteil festgestellt hatte.

Im vorliegenden Fall war die Verurteilung der Bf. wegen Verletzung der Privatsphäre des Sängers nicht gerechtfertigt.

Der GH weist zunächst darauf hin, dass die Informationen über den Lebenswandel von Johnny Hallyday keinen intimen Bereich seines von Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens betrafen. Was die angeprangerte Einmischung der Presse in gewisse Aspekte seines Privatlebens anlangt, kommt der Tatsache essentielle Bedeutung zu, dass der Sänger selbst bereits in seiner Autobiografie Details über seinen aufwändigen Lebensstil geliefert hatte. Einmal an die Öffentlichkeit gelangt, hörten die von Johnny Hallyday offen gelegten Informationen auf, geheim zu sein und wurden damit frei verfügbar. Die Enthüllungen durch den Sänger verminderten somit das Ausmaß des Schutzes, den dieser für sein Privatleben in Anspruch nehmen konnte, handelte es sich bei dem Artikel von Ici Paris doch um altbekannte Fakten. Dieser Faktor hätte bei der Wertung der Gerichte, ob zwischen dem Recht der Bf. auf freie Meinungsäußerung und dem Recht des Sängers auf Achtung seines Privatlebens ein angemessenes Gleichgewicht hergestellt worden war, eine entscheidende Rolle spielen müssen. Johnny Hallyday konnte – indem die Bf. einen Teil der von ihm (namentlich in seiner Autobiografie) verbreiteten und öffentlich gemachten Informationen betreffend sein Vermögen und die Art und Weise, wie er darüber verfügte, in einem Artikel wieder aufgriff (ohne sie zu verfälschen) – daher keine „legitime Erwartung" mehr bezüglich eines effektiven Schutzes seines Privatlebens für sich beanspruchen.

Mag der umstrittene Artikel den Sänger auch in einem negativen Licht erscheinen lassen, enthielt er dennoch weder beleidigende Äußerungen noch war die Absicht erkennbar, man wolle dem Sänger schaden. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes an Übertreibung und Provokation, die journalistischer Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft gestattet ist, überschritt die Bf. daher auch nicht die mit ihrer Ausübung einhergehenden Grenzen.

Der gerügte Eingriff war daher nicht notwendig in einer demokratischen Gesellschaft. Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

€ 26.000,– für immateriellen Schaden, € 10.000,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Société Prisma Presse/F v. 1.7.2003 (ZE).

Von Hannover/D v. 24.6.2004, NL 2004, 144; EuGRZ 2004, 404; ÖJZ 2005, 588.

Hachette Filipacchi Associés/F v. 14.6.2007, NL 2007, 140.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 23.7.2009, Bsw. 12268/03, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 223) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/09_4/Hachette.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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